Probleme erfolgreich verdrängen

Notizen zur Leipziger Drogenpolitik

15. Juni. Ortstermin im neu eröff­ne­ten Wächterhaus in der Eisen­bahn­straße 109. Im ersten Stock drängen sich rund 40 Menschen, auf dem Programm steht eine Diskussionsrunde zur für Ende Juli geplanten Installation einer Polizeikamera an der Kreuzung Eisen­bahnstraße/Hermann-Liebmann-Straße. Das Viertel hat sich in den letzten Jahren zu einem wichtigen Anlaufpunkt für die Leipziger Drogenszene entwickelt, die soll nun mit Hilfe der Überwachung verdrängt werden. Auf dem Podium sitzen neben Polizeipräsident Wawrzinsky auch ein Jurist, ein Sozialarbeiter, ein Vertreter der über­wachungskritischen Initiative Leipziger Kamera und einige Lokalpolitiker, die sich angesichts der kurz bevorstehenden Kommunalwahlen diese Möglichkeit zur Selbstdarstellung nicht entgehen lassen wollen.

Die Fronten der Diskussion sind nach wenigen Minuten klar. Wawrzynski ist für die Kamera, weil diese helfe, die Drogenszene aus dem Viertel zu verdrängen. Zudem ließe sich so das subjektive Sicherheitsgefühl der Anwohner_innen stärken. Der Vertreter der Bürgervereini­gung Lo(c)kmeile (einem Zusammenschluss örtlicher Geschäftsleute) steigt mit dem Klassikerzitat aller Über­wachungs­befürworter_innen in die Debatte ein: „Wer nichts zu verbergen hat, den stört auch keine Kamera“. Dem Treiben der Dealer müsse ein rigoroser Riegel vorgeschoben werden. Außer Schilderungen der üblen Zustände im Viertel hat er aber im weiteren Verlauf wenig zur Debatte beizutragen.

Der Vertreter des Neuen Forums dagegen hält die Kamera für reine „Symbolpolitik“; Jürgen Kasek von den Grünen zitiert verschiedene Studien, die zum Ergebnis kommen, dass Überwachung weder Kriminalität reduziere noch das Si­cherheitsempfinden verbessere. In der Tat scheint es zweifelhaft, ob die Leute sich sicherer fühlen, wenn ein bestimmter Ort durch Videoüberwachung und erhöhte Polizeipräsenz als „Kriminalitätsschwer­punkt“ gekennzeichnet wird. Was der Herr von der FDP meint, bleibt unklar.

Uwe-Dietmar Berlit (Richter und Juraprofessor) hingegen gefällt sich in der Rolle des Politikberaters: Natürlich, so doziert er, würde Videoüberwachung die Drogenszene nur verdrängen – aber wenn man denn verdrängen wolle, seien Kameras ein geeignetes Mittel zum Zweck. Zusätzlich bräuchte es natürlich flankierende Maßnahmen, um eine „1-zu-1-Verdrängung“ zu vermeiden, d.h. die Zahl der Abhängigen tatsächlich zu reduzieren. Kameras für die Verdrängung, „flankierende Maßnahmen“ zu Lösung des Problems. So kann mensch es auch ausdrücken, dass Überwachung nichts bringt.

Ganz unabhängig von den Ratschlägen des Professors ist die Verdrängungspolitik ohnehin seit langem die Leitlinie der Leipziger Polizei. Im Suchtbericht der Stadt Leipzig von 2008 heißt es dazu: „Die Polizeidirektion Leipzig verfolgt das Ziel, die Anbieter- bzw. Konsumentenszene durch permanente polizeiliche Einsatzmaßnahmen unter Kontrolle zu halten. Durch einen hohen Verfolgungsdruck sollen der Handel und der Konsum von Betäubungsmitteln sowie Ansammlungen betäubungsmittelabhängiger Personen im öffentlichen Raum, insbesondere der Innenstadt, an touristischen Zielen, in Wohngebieten sowie im Umfeld von Schuleinrichtungen konsequent unterbunden werden“ (1).

Bereits die Installation der ersten Polizeikamera am Bahnhofsvorplatz 1996 diente dazu, die Drogenszene in andere Bereiche abzudrängen. Eine Lösung des Dro­gen­problems war dabei nur ein nach­rangiges Ziel, vielmehr bestimmten harte Geschäftsinteressen das Vorgehen. Der gerade zur Shoppingmall umgebaute Hauptbahnhof und die Innenstadt sollten für Tourismus und Konsum attraktiver gemacht werden – die Drogenabhängigen passten dabei nicht ins Bild. In einer gemeinsamen Einsatzgruppe „Bahnhof-Zentrum“ arbeiten Polizei, Bundespolizei und Ordnungsamt zusammen, um die Innenstadt „sauber“ zu halten.

Mit zweifelhaftem Erfolg: Stefan Kuhtz vom Integrativen Bürgerverein Volkmarsdorf trifft den wunden Punkt, als er in der Diskussion darauf hinweist, dass gerade die Verdrängung aus der Innenstadt dafür verantwortlich ist, dass der Leipziger Osten sich seit 2007 zum Anlaufpunkt für die Drogenszene entwickelt hat. Jetzt will man sie dort wieder wegkriegen. Schon 2008 wurde der Leipziger Osten von der Polizei zum „Kontrollschwerpunkt“ erklärt und wird seitdem verstärkt bestreift. Im Rabet, einer Parkanlage in unmittelbarer Nähe zur Eisenbahnstraße, wurden die Büsche auf Hüfthöhe gestutzt, um „Dealern“ keine möglichen Verstecke zu liefern. Auch an der Eisenbahnstraße gelegene Lokale würden verstärkt kontrolliert, erklärt Wawrzynski. Die Antwort des Polizeipräsidenten auf die Frage eines Gastes, wohin er denn die Leipziger Drogenszene jetzt verdrängen wolle, ist symptomatisch: „Aus der Stadt“, entgegnet Wawrzynski. Das Gelächter des Publikums ignoriert er mit stoischer Miene.

Nach einer Weile dreht sich die Diskussion nur noch im Kreis. Als Polizeipräsident bleibt Wawrzynski der üblichen Polizeilogik verpflichtet. Der Herr von der FDP möch­te sich lieber auf solide Handarbeit als auf die Technik verlassen und plädiert für verstärkte Polizeistreifen im Viertel, Sozial­arbeiter Kuhtz dagegen fordert mehr bür­gerschaftliches Engagement. In der Pro­blem­de­fi­nition ist mensch sich also weit­ge­hend einig, nur in der Wahl der geeigneten Gegenmittel streitet man sich.

Schön, dass im Publikum ein paar Men­­­schen mitden­ken und darauf hinweisen, dass das zur Debatte stehende Problem erst durch die repressive Drogenpolitik produziert wird: Erst die Kriminalisierung bestimmter Substanzen und ihrer Konsu­ment_innen macht die Abhängigkeit zu dem garstigen Komplex von Beschaffungskriminalität, Prostitution, Verelendung und gesundheitlichen Schäden, mit dem anschließend weitere repressive Maßnahmen gerechtfertigt werden – getreu dem Motto: „Wenn das, was wir tun, keine Wirkung zeigt, haben wir noch nicht genug getan“.

Lösen lässt sich das Problem so nicht, es wird eher noch verschärft. Der Handel mit harten Drogen wie Heroin ist bekanntlich ein einträgliches Geschäft – schließlich trifft in diesem Bereich eine relativ stabile Nachfrage auf ein durch staatliche Eingriffe künstlich verknapptes Angebot. Die Kriminalisierung verhindert auch eine Qua­litätskontrolle des zum Verkauf stehenden „Stoffs“ (auch wenn Inititativen wie die DrugScouts diese Lücke zu schließen versuchen). Gesundheitsschäden durch gefährliche Inhaltsstoffe wie Strychnin (Rattengift) oder zer­mahlenes Glas sind ebenso eine mögliche Folge wie der Tod durch Überdosierung.

An solchen Ursache-Wirkungs-Analysen ist Wawr­zyns­ki nicht interessiert. Lieber gibt er die üblichen Elends­stories von sich prostituierenden 13jährigen Mädchen und von sogar aus Magdeburg zum Einkauf anreisenden Junkies zum Besten. Viel mehr als Repression kann die Polizei ohnehin nicht leisten – für alles andere sind die Sozial­arbeiter_innen zuständig. Dabei gestaltet sich das Verhältnis zwischen polizeilichen Verdrängungsbe­mühungen und sozialer Betreuung nicht ganz so wider­spruchsfrei, wie es in den behördlichen Strategiepapieren konzipiert wird. Um den Abhängigen helfen zu können, müssen die Streetworker sie schließ­lich erst einmal finden. Die Strategie der Polizei, mit der sie die Herausbildung einer „offenen Anbieter- bzw. Konsumen­ten­szene“ verhindern will, steht dem genau ent­gegen. Damit die Streetworker in diesem Wettlauf mit der Polizei mithalten können, wird demnächst ein „Drogenmobil“ für die Betreuung des Leipziger Ostens im Einsatz sein. Zusätzlich soll die Zahl der momentan in der Eisenbahnstraße ansässigen Sozialarbei­ter_innen von zwei auf vier erhöht werden.

Derweil streiten sich Polizeipräsident Wawrzynski und der Kandidat der FDP darüber, ob die Zahl der Polizisten in Leipzig nun eher sinkt oder steigt. Während der Herr von der FDP meint, sie würde eher sinken, verweist Wawrzynski darauf, dass erst im Herbst 2008 300 neue Beamte eingestellt worden seien, im Laufe des Jahres 2009 sollten noch einmal 300 dazukommen. Mal sehen, ob sich mit deren Hilfe das Problem endlich in den Griff bekommen lässt. In jedem Fall war es gut, mal drüber gesprochen zu haben, auch wenn die meiste Zeit aneinander vorbeigeredet wurde. Wenn die polizeiliche Verdrängungspolitik Erfolg hat, dürften ähnliche Diskussionsrunden demnächst vermutlich in Plagwitz oder Lindenau stattfinden.

(justus)

(1) www.leipzig.de/imperia/md/con­tent/53_gesundheitsamt/suchtbericht2008.pdf

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