„… sie zogen es vor, mit den Gefühlen der Menschen zu spielen.“

Interview mit einem Mitorganisator des Alternativen Wirtschaftsforums

Feierabend!: Das Europäische Wirtschaftsforum und sein Gegengipfel sind jetzt vorbei. Vielleicht willst Du, bevor wir darauf kommen, etwas über Dich und Deine Intention erzählen bei der Vorbereitung des Alternativen Wirtschaftsforum mitzuwirken.

Jakub: Okay. Mein Name ist Jakub und ich bin Mitglied der Anarchistischen Föderation. Ich bin Mitorganisator des Alternativen Wirtschaftsforums. Damit wollen wir die Idee weiterverbreiten, dass es verschiedene Wege gibt, sich gesellschaftlich zu organisieren, und dass es zum Neoliberalismus ökonomische Alternativen gibt.

FA!: Für viele Globalisierungsgegner ist die Alternative ein starker Staat, der die Wirtschaft kontrolliert. Ist das auch Deine Vorstellung?

J: Natürlich nicht. Wir sind gegen den Staat und alle Lösungen, die auf Hierarchien basieren. Wir unterstützen selbstorganisierte Kollektive von Arbeitern. Das bedeutet, daß alle an der Entschei­dungsfindung teilhaben.

FA!: Was meinst Du, wenn Du von Arbeitern sprichst?

J: Ich meine den aktiven Teil der Gesellschaft, der sinnvolle Arbeit für diese leistet. Speziell meine ich die Leute, die keine Manager sind, die nicht entscheiden können, was sie tun, die die vorgesetzten Pläne erfüllen müssen.

FA!: Was ist die Rolle der Manager? Haben sie nicht ihre eigenen Zwänge?

J: Ja, es ist wahr, daß Manager auch Opfer des Systems sind und ihre Handlungen durch das System determiniert sind. Sehr oft fangen Manager von kleineren Unternehmen an, ihre Angestellten auszubeuten, weil sie schwierige Konkurrenz­bedin­gungen durch multinationale Unternehmen haben. In Ländern wie Polen begegnest Du oft dem Phänomen, dass die Eliten kleiner werden und Menschen der Mittel- oder Managerklasse dazu gezwungen werden für jemand anders zu arbeiten.

FA!: Ausgebeutet zu werden ist etwas anderes, als für jemanden zu arbeiten?

J: Das kapitalistische System basiert immer auf Ausbeutung. Aber natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Familienwirtschaft und Unternehmenswirtschaft. Das Unternehmenssystem übernimmt Bereiche der Familienwirtschaft, wie kleine Geschäfte, und das steigert die Ausbeutung.

FA!: Zu unserem konkreten Thema: dem Wirtschaftsforum. Wie reagierten Regierung und Medien nachdem das libertäre Milieu begann, Gegenaktivitäten vorzubereiten?

J: Sie reagierten mit Hysterie und versuchten Panik zu verbreiten. Sie wollten keine Argumente hören. Stattdessen zeigten sie Bilder von Straßenschlachten. Damit verweigerten sich die Medien einer Debatte über wichtige ökonomische Themen und zogen es vor, mit den Gefühlen der Menschen zu spielen.

FA!: Und während des Gipfels?

J: Während des Gipfels berichteten die Zeitungen ein wenig über die Demonstra­tion. Aber dies ist nicht vergleichbar mit dem Platz, den sie dafür verwendeten, Artikel über Alterglobalisierer zu schreiben, die die Stadt zerstören würden. Am Tag nach der Demonstration fand eine Pressekonferenz statt und nur fünf Journalisten kamen. Weil es nicht zu Straßenschlachten kam, hatten sie auch kein Interesse am Hintergrund der Demonstration. Sie brachten ein paar Bilder und einige schrieben, dass es ein Skandal wäre, dass die Polizei soviel Geld ausgegeben hat.

FA!: Wieviel Polizei war denn da?

J: Die Polizei zog in Warschau Einsatzkräfte aus ganz Polen zusammen, 15.000 Polizis­t­Innen für vielleicht 4000 Demonstran­­tInnen plus nochmal 4000 PassantInnen, die zufällig vorbeikamen.

FA!: Du hast Dich sicherer gefühlt, von so viel Polizei beschützt zu werden?

J. (lacht): Nein, nein! Ich weiß auch nicht warum, aber irgendwie habe ich mich nicht so sicher gefühlt.

FA!: Du hast von Alterglobalisierern (1) gesprochen, nicht von Globalisierungsgegnern. Was ist der Grund? In Deutschland gibt es einen solchen Begriff meines Wissens nicht.

J: Ich denke es gibt ihn nicht nur in Polen. Aber wir verwenden diesen Namen, weil wir damit unterstreichen wollen, dass wir nicht gegen jede Globalisierung sind. Zum Beispiel haben wir nichts gegen kulturelle Globalisierung. Wir sind gegen die Globalisierung des Kapitals. Wir ziehen Alterglobalisierung der Antigloba­lisierung auch vor, weil oft nationalistische Gruppen sich selbst Globalisierungsgegner nennen und wir mit denen nichts gemein haben.

FA!: In anderen europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Italien werden die großen Events der Antiglobali­sierungs­bewegung von reformistischen Parteien und Organisationen organisiert bzw. dominiert, wie attac, Rifondazione Comu­nis­ta oder hierarchischen NGO’s. Hier in Warschau wurden die Gegenaktivitäten vom „libertären Milieu“ organisiert. Was ist besonders in Polen?

J: Es gibt einen Unterschied zwischen Ost- und West­europa. Das sind historische Gründe. Die radikale Bewegung in Polen hat eine anti­stalinis­tische Tra­­dition, weil Stalinismus offensichtlich eine Form von Herrschaft war, die das Leben der Leute kontrolliert hat. Deshalb vertrauen viele Menschen keiner Bewegung mehr, die von einem Staat spricht, der kommen wird um die Probleme der Menschen zu lösen und ihnen Gerechtigkeit zu bringen.

FA!: Haben linke Parteien oder andere reformistische Organisationen an der Demonstration teilgenommen. Und wer hat noch mitgewirkt?

J: Es nahm eine Partei namens „Neue Linke“ teil, die aus der Polnischen Sozialistischen Partei kommt, dazu die Grüne Partei, die hier etwas Neues ist, und die trotzkistische Organisation „Arbeiterdemokratie“, die von der englischen Socialist Workers Party finanziert wird. Aber keine der mehr oder weniger radikalen Protestbewegungen hat eine große soziale Basis.

Aber es waren einige Farmer da und Bergarbeiter aus Walbrzych (²), die nicht Teil der reformistischen Gewerkschaft sind, sondern ihre eigene Organisation haben. Da waren Leute von der OKP, einem Netzwerk von Arbeiter­protest­komi­tees aus Fabriken in ganz Polen, die umstrukturiert werden sollen: von Oza­row, Cegielski in Poznan, von UnionTex in Lodz.

FA!: Gab es Probleme zwischen AnarchistInnen und diesen Parteien?

J: Natürlich gab es Probleme. Wir wollten verhindern, dass sie aus unserer Arbeit eine Wahlkampagne machen. Zum Beispiel versuchte die „Neue Linke“ den Eindruck zu erwecken, dass sie Mitorganisatoren des Alternativen Wirt­schafts­forums wären.

FA!: Denkst Du, daß diese selbstorganisierten Arbeiterkomitees in Zukunft eine größere Rolle spielen werden?

J: Ich hoffe es! Sie haben gezeigt, dass Menschen aus verschiedenen Fabriken mit ähnlichen Bedingungen zusammenarbeiten können. Aber da sind einige Minuspunkte: oft gehen die Unterstützungs- und Solidaritätsaktionen nicht über Worte und Erklärungen hinaus. Ein richtiger Durchbruch kann kommen, wenn die Leute die Bedeutung des Solidaritätsstreiks wieder entdecken.

FA!: Zurück zum Alternativen Forum. Denkst Du, dass es ein Erfolg war?

J: Es kommt auf die Perspektive an. Eine friedliche Demonstration zu machen, war gut um die Ansässigen, die ängstlich waren, auf unsere Seite zu bringen. Und als sie die Demonstration mit Picknick-Atmosphäre sahen, haben sie sich uns angeschlossen und nach unserer Meinung gefragt. Aber auf der anderen Seite ist eine friedliche Demonstration kein gutes Argument den Ort des European Economic Forum zu wechseln. Eines unserer Ziele war es, zu verhindern, dass das Forum nächstes Jahr wieder in Warschau organisiert wird. Aus dem lokalen Blickwinkel war es ein Erfolg, aus der allgemeinen Perspektive nicht notwendigerweise. Aber für die meisten ist die lokale Betrachtung wichtiger.

FA!: Du sagtest, es gab eine positive Reak­tion der Einwohner. Was wird sich an Deiner alltäglichen politischen Arbeit ändern? Was ist Deine Perspektive?

J: Einige Leute sind jetzt stärker an den Themen interessiert, über die wir reden. Es ist für sie jetzt weniger abstrakt. Aber natürlich braucht es nun eine Menge Arbeit um anhaltende Ergebnisse zu erzielen.

FA!: Ich habe jetzt keine Fragen mehr, aber vielleicht möchtest Du noch etwas sagen, sozusagen die berühmten „letzten Worte“!

J: Das Alternativforum zu organisieren, war sehr interessant, brachte viele Leute zusammen und wir sind sehr froh neue Kontakte zu haben. Aber die wahre Veränderung kommt von der täglichen Arbeit und nicht von einmaligen Großereignissen.

FA!: Danke schön!

(1) alter, lat.: der/die/das Andere
(2) Social Committee in Defence of the Biedaszyby

Nachbarn

Schreibe einen Kommentar