„Streik der Schmerzen“

Proteststundenpläne im SoSe ´05

Um vielleicht die Dimen­sio­nen zwi­schen Protest und Widerstand in ihrer Wei­­te aufzuzeigen, sollen folgendem Be­richt über gerade laufende Aktivitäten der Stu­die­renden hierzulande Be­ge­­ben­heiten aus anderen Erdteilen voran­gehen:

Am 18. März verlief die alljährliche Pup­pen-und-Wagen-Demo „Huelga de Do­lo­res“ (1) der Studierenden Guatemalas über­­raschend friedlich bzw. wenig re­pres­siv: Tau­sende übten kreativ-theatralische Kri­­tik an Staat und Gesellschaft.

In Quebéc haben im April über 230 000 Stu­­­dis gegen die dortigen Stu­dien­ge­büh­ren, bzw. eine weitere Erhöhung ge­­streikt.

In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai be­­­setzten in Athen „Anarchistische Genos­sen des Polytechnikums“ die Technische Uni­­­versität und hielten so ca. 100 Gäste in einem Hörsaal fest, nachdem bei Aus­ein­­­andersetzungen mit der Polizei einem „Ge­nossen“ ins Bein geschossen wurde.

Die erschütternden Geschehnisse in Süd­ka­­­merun jedoch, wo im Verlauf eines Uni­streiks im April insgesamt drei Studierende er­­­schossen und mehrere Personen verletzt wor­­­den sind, bedürfen besonders einer in­ter­­­nationalen Solidarität und mahnen alle­mal zu einer bewussten Tonart gegenüber den hiesigen Repressionen.

Sag Ja zum Nein!

Seitdem per Karlsruhe-Beschluss im Januar die Bundesländer selbst ´Wissen gegen Geld´ anbieten dürfen, droht den Stu­die­renden v.a. in CDU-regierten Bun­des­län­dern die baldige Einführung bzw. dras­tische Erhöhung von Studienge­bühren. Dem entgegen wurde der „sum­mer of resis­tance“ (2) ausgeru­fen. Im Mai gab es als­bald die ers­ten Rek­to­­rat­s­­be­setz­ung­­en: in Frei­burg hielt sie fast zwei Wo­chen und in Ham­burg (wo es am Vor­mittag des 19. Mai sogar ei­nen Verdi-Warnstreik der Uni Be­schäftigten), in Stuttgart, Braun­schweig, Hil­desheim, Göttingen und Lüneburg wur­den jeweils für ein paar Stunden oder ei­nen Tag die Präsidien belagert. Aber auch vie­le kleinere Städte organisieren z.T. sehr aus­geklügelte Pro­test­formen wie Alter­na­tiv-Vor­lesungen und gesellschaftskritische Sem­inare im öff­entlichen Raum. Auch das Cam­pus-Cam­pen erfreut sich an vielen Unis eben­sol­cher Beliebtheit, wie die di­versen Ju­bel­­demos und subversive Aktionen, bei de­­nen Leute als „Elite­studenten“ ver­kleidet Pro­pa­ganda für Studien­gebühren machen, um so neue Aufmerk­samkeit zu be­­kom­men und drohende Konse­quen­zen zu ill­ustrieren. Einen ersten Höhe­punkt bzw. die letzte Motivationsbewegung stellten die bun­des­wei­ten Demons­trationen am 2. Juni dar, an denen sich in Halle, Dresden, Pots­­dam, Frank­furt a.M. und Hannover ins­­gesamt über 20 000 Menschen betei­ligten.

Auch in Leipzig soll Sommer sein!

Nach einer von ca. 1% aller Imma­tri­ku­lier­­ten besuchten Vollversammlung am 10. Mai gab es auch in Leipzig eine kleine Spon­­tandemo zum CDU-Sitz, von wo aus dann ein solidarischer Apell gegen Stu­dien­­­ge­bühren an Regierende gefaxt wer­den kon­nte (PolizistInnen wurden derweil vor der Tür handgreiflich). Wenn nun aber so­gar der StuRa-Sprecher in der taz einräumt, es sei „erst mal Ruhe im Karton“ (3), weil am 2.Juni zur Demo nach Dresden „nur“ 500 statt der erwarteten 3000 Leuten mit­­gefahren sind, fragt es sich schwerlich nach Sonnenschein. Will sagen, das Grund­­problem der Punktualität entsteht durch die z.T. überforderten, naiven oder gleich­gültigen, weil in vergangenen Se­mes­tern (wie im WS 03/04) gescheiterten Widerstands­ansätze oder -aussetzer ständig wech­selnder Akteure.

Nichts­des­to­trotz gibt es durch­aus wieder ein Protest-Tref­fen (4). Wenn der Zu­sam­­menhang zu an­de­ren so­zialen Bewe­gungen und et­­waige Wah­­len ins Blick­feld tre­ten, wä­re dies eine Chan­­ce; zu­mindest ließe sich hoffen, dass die Stu­di-Be­we­gung­en in Zu­­­kunft kon­se­quen­­­ter an die Ur­sa­chen geh­en und sich in Wort und Ta­t ent­­­­schie­­den­er ge­­­­gen die her­r­­­sch­en­den Ver­­häl­t­nis­se rich­ten. An ei­­nem kür­z­lich ge­führten In­ter­view der Zei­­­tung Die Welt lässt sich ja schon der nächste Sozialschlag er­kennen: Anette Scha­van, Kul­tus­minis­terin Baden-Wür­tem­bergs und stell­ver­tretende CDU-Vorsitzende (mit Am­bitionen aufs „Schat­ten“-Bil­dungs­minis­terium) ant­wortete auf die Fra­ge nach mög­lichen Bildungsreform­schrit­­ten nach ei­nem etwaigen Wahlsieg: „Aller­­­dings muß das Bafög noch so lange er­­­hal­­ten blei­ben, bis es einen tatsächlich at­trak­tiven Markt der Bildungs­fin­anz­ie­r­ung gibt.“ (5)

Also sollten weiterhin und auch im hierar­chischen Alltag der Vorlesungen und Se­m­i­nare Grenzen überschritten und De­mo­sprüche, wie der aus dem Aufruf zur „Norddemo“ in Hannover realisiert wer­den: „Bildung für Alle! Alles für Alle! Alle für Alle!“

clara

(1) Übersetzt in der Überschrift
(2) entlehnt von diversen glo­ba­li­sie­rungs­kri­ti­schen und -betroffenen Widerstands­be­we­gun­gen der letzten Jahre. Auf der Homepage www.summer-of-resis­tance.net wird jedoch weniger Inhalt, als vielmehr bloßes Mer­chan­di­sing angeboten.
(3) taz 02.06.05 „Pragmatische Proteste angesagt“
(4) und zwar immer mittwochs, 19 Uhr am Felix-Klein-Hörsaal im Hauptgebäude am Augustusplatz.
(5) Die Welt am 04.05.05: „Das Mäzenatentum ist not­wendig“

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