Taler, Taler, Du mußt wandern…

…von der einen Hand zur andern. Warum die Banken überschuldet sind

Wer nicht völlig medienabstinent lebt, hat es längst er­kannt: Die Weltwirtschaft be­­findet sich in einer Krise, welche vom Aus­maß die New-Economy-Blase weit über­steigt und von selbsternannten Ex­perten inzwischen häufiger mit dem „Schwarzen Freitag“ von 1929 verglichen wird. Es ist längst nicht absehbar, wie lan­ge noch Betriebe verramscht, Arbeits­kräfte „weg­rationalisiert“ und von den National­regierungen Konjunktur­förder­programme ini­tiiert werden müssen, ehe ein Ende der Krise absehbar wird. Solche Spekulations­blasen, die im globalisierten Finanzmarkt­kapitalismus, wo ein Räd­chen ins andere greift, von Zeit zu Zeit unvermeidlich sind, offenbaren aber auch Handlungs­mög­lichkeiten, die zur Über­windung des Systems beitragen können. Aus Platzgrün­den kann hier leider nicht genauer auf den Wandel der Welt­wirtschaft oder den Fetischcharakter des Kapitals einge­gangen werden, vielmehr präsentiere ich hier einen Über­blick über die Geschehnisse des ver­gangenen Jahres, für Menschen, aus revolutionärer Weitsicht oder trotziger Existenzeuphorie keine Wirtschaftsnachrichten mehr konsumieren

Der Faktor „Vertrauen“

Das gab es in Europa seit den 30er Jahren nicht mehr: Tausende britische Klein­sparerInnen standen im September 2007 tage­lang vor Filialen der Bank Northern Rock an, in der Absicht, ihr Geld vor der sich abzeichnenden Pleite des klammen Kre­ditinstituts zu retten (sogenannter „bank-run“). Dabei waren ihre Spar­ein­lagen angeblich gar nicht ge­fährdet, denn per Gesetz sind die Banken ver­pflichtet, Rücklagen (in Form eines Ein­lagen­sicherungsfonds) in einer Höhe zu bilden, welche die Sicherheit sämtlicher Spar­buchguthaben auch im schlimmsten Falle gewährleistet. Die vielen kleinen Ar­beiter_innen haben Northern Rock den Todesstoß versetzt, weil der Hypotheken­fi­nan­zierer nach Medienberichten in Zah­lungs­schwierig­keiten steckte. Daran waren nicht einmal in erster Linie Manage­mentfehler schuld, sondern vor allem das Miss­trau­en der anderen Banken, die aus Mangel an eigener Liquidität keine Kre­dite an Hypothekenbanken mehr verge­ben wollten und deshalb den Geldhahn ab­drehten. Dieses Beispiel zeigt exem­pla­risch, wie der Kapitalismus Rendite schafft: Geld, das zu Hause im Spar­strumpf liegt, ver­mehrt sich nicht, es muss da­her ständig von einer Hand zur nächs­ten gereicht werden. Kreditinstitute leihen sich enorme Summen voneinander, in der Hoff­nung, noch einen Dümmeren zu fin­den, dem sie zu einem noch höheren Zins­satz das Geld weiter­borgen können. Weil aus Profitgier diese Summen das Eigenka­pital der Banken in der Regel um ein Viel­faches übersteigen, ist so der Kreislauf schnell durchbrochen. An irgendeiner Stelle entsteht plötzlich Zahlungsunfähig­keit und durch das Miss­trauen der Anderen hortet jeder im großen Maßstab Geld. Dies ist bei allen ins Trudeln geratenen Kreditinstituten des letzten Jahr­­­es der Fall gewesen – einer langen Euphorie­phase folgte das böse Erwachen.

Der Auslöser: Vom eigenen Wachstum berauscht

Die Quelle des letzten Erdrutsches ist wie schon so oft in den USA zu verorten und machte sich zuerst darin bemerkbar, dass viele ein­kommensschwache Hypothek­en­zahler in den Vereinigten Staaten ihre Schulden nicht mehr begleichen konnten oder woll­ten, weil die Grundstückspreise (und da­mit auch die Hypothekenraten) kon­ti­nu­ierlich stiegen sowie die Ein­kommen (v.a. in­fla­­tionsbedingt) sanken. Das Wachs­tum der Profite hatten die Banken und die Zwischenhändler nämlich dadurch noch zu verstärken versucht, indem sie mit durch­trie­­be­nem Eifer massenhaft Kredit­karten und Hypo­theken­kredite an die Bürger_innen brachten, weil diese nur zu gerne an das Versprechen vom ewig anhaltenden Wachstum glauben wollten. Manche Institute hatten sich darauf spezialisiert, Kredite an Kun­den mit geringer Zah­lungs­fähigkeit zu ver­leihen, zu enormen und zugleich variablen (d.h. risiko­abhängigen) Zinsen, häufig ohne jegliche Prüfung wie vertrauens­würdig die Kredit­nehmer sind. Oft konn­ten diese aber nicht einmal die zweite Ra­te zah­len. Das ging einige Zeit gut, weil die Wirt­schaft wuchs, der Leitzins niedrig war und die Immo­bilienpreise stiegen. Die Hypo­thek schien auf dem Papier durch den errech­net­en Wert der Immobilie ge­deckt, die Kredit­geber konnten also damit rechnen, dass im Fall einer Insolvenz des Schuldners zumindest kein Verlust ent­stünde. Zu­nächst gab es zwar nur wenige In­solvenzen, aber das Risiko für die Ban­ken erhöhte sich dadurch ständig. Also wurden die Zinsen auch für die übrigen Hypo­thekenzahler er­höht. Darauf jedoch folgte eine Lawine von Zahlungs­un­fähigkeiten, Zwangsvoll­streckungen und Kauf­kraft­ver­lusten – die Grenze war überschritten. Als die Klein- und Mittelverdiener dann reihenweise über­schuldet waren, ordneten die Gläu­bi­ger wegen der sin­ken­den Grund­stückspreise – was Zwangs­versteige­rungen unrentabel machte – die Schuldbe­tei­li­gun­gen vielfach neu und verteilten sie auf verschiedene Fonds, die von Rating­agen­turen je nach Risiko mit bestenfalls ima­gi­nären Real­werten ge­schätzt wurden. Die Fonds, in denen solche höchst riskanten Immo­bilienspeku­lationen zu­sammen­gefasst sind, wurden munter weiter­verschachert und die eigene Sta­bilität dabei zu hoch bewertet, weil die jeweiligen Be­tei­ligungen in hohem Maße als sicher betrachtet und daher in den Quartals­bilanzen viel zu niedrige Verluste abge­schrie­ben wurden. Der IWF (Inter­nat­io­nal­er Währungs­fonds) schätzte die weltweiten Ab­schreibungen der Finanzins­titute allein bis April 2008 auf 603 Milliarden Euro. Eine der Folge davon ist zum Beispiel, dass derzeit häufig unklar ist, wie mit den Grund­stücken wei­ter verfahren wird, weil die Besitz­ver­hältnisse so weit gestreut sind. Es liegt nun in der „Natur der Sache“, dass auch euro­päische und deutsche Finanzins­titute gierig genug waren, in den ver­lock­enden US-Immo­bilienmarkt zu investieren. In kurzer Folge ge­rieten deshalb hierzulande unter anderem die IKB Deutsche Industrie­bank und die Sachsen LB in Zahl­ungs­schwie­rigkeiten, die Deutsche Bank, Bayern LB, West LB und un­zählige andere wiesen Verluste in Milliardenhöhe aus, zum Teil jetzt schon das vierte Quartal in Folge. In Spanien et­wa sind die Auswirkungen noch größer, weil sich der inländische Immo­bi­lien­markt als noch größere Blase erwiesen hat: mit gut 18 Prozent Anteil am BIP war der Bau­sektor wichtiger für die Konjunktur als die In­dustrie (13 Prozent). Wegen der güns­tigen Zinsen wurde hier in den letzten zehn Jahren mehr gebaut als in Doitsch­land, Frank­reich und Italien zusammen. Das Land ist stark verschuldet und weist der­zeit ein Handelsbilanzdefizit von rund zehn Prozent aus, Inflation und Arbeits­lo­sigkeit sind auf Rekordhoch.

Abhilfe?

Sobald eines der Kreditinstitute zu stark ins Trudeln geriet, war für die Reg­ierungen klar, dass hier die Steuerzahler einspringen müssen und mittels Sofor­t­hilfe der Euro­pä­isch­en Zentralbank (EZB) die Unter­nehmen zu retten hätten. In den USA übernahm diese Aufgabe die Federal Reserve Bank (FED), welche so viel neues Geld verteilt hat, dass von einer haus­gemachten Inflation gesprochen werden muss. Dieser Umstand entlarvt die un­seri­öse Konstruktion des „Finanz­markt­kapitalismus“, der im Prinzip genauso wie ein Kettenbrief/Pyramiden­spiel funk­ti­oniert. Irgendwann ist der Zeitpunkt er­reicht, wo sich die Summen, die zu steigenden Zinssätzen weiter­verliehen werden, eben nicht mehr steigern lassen und das Platzen der Spekulations­blase unvermeidlich wird. Es wird ruckartig weniger investiert, was ein Stagnieren oder gar Schrumpfen der Gesamtwirtschaft zur Fol­ge hat, die Arbeitslosigkeit wächst, die Kauf­kraft sinkt und die Wirtschaft schrumpft weiter. Die Herangehensweise in den USA unterscheidet sich jedoch von derjenigen der EZB: Die FED hat das Zinsniveau gesenkt, um den Banken zu helfen, sich aus dem Dilemma raus­zukaufen, das Außen­handelsbilanzdefizit niedriger erscheinen zu lassen und die Kaufkraft der Bevölkerung zu stärken, nimmt dabei aber Hyperinflation und Überschuldung in Kauf. Mensch befindet sich also im Ausverkauf, alles wird ver­ramscht, damit wenigstens der Geldfluss nicht zu sehr ins Stottern gerät. Die EZB sah sich seit ihrer Gründung 1998 vor allem der Ein­dämmung der Inflation verpflichtet und erhöhte daher die Zinsen, was die Kon­junktur abwürgt und die Menschen finan­z­iell immer schlechter dastehen lässt. Dafür kann die Liquiditätskrise nicht mehr so leicht auf andere Branchen übergreifen. Dem Aktienmarkt hat das freilich nicht geholfen, so fiel etwa der DAX, der im Juni 2007 noch ein Allzeithoch von 8.100 Punkten erreicht hatte, innerhalb von nur einem Jahr auf knapp über 6.000 Punkte. Anders ausgedrückt, die 30 wichtigsten deutschen Aktien­unter­nehmen haben in einem Jahr ein Viertel ihres Wertes verloren.

Das zeigt überhaupt das Dilemma der angeblichen „Führungsfiguren“ weltweit auf: In einem System der freien Markt­wirt­schaft ist der politische Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung marginal, eigent­lich kaum messbar. Präsident_innen können jedoch mit Hilfe ihrer Verlautbarungen das Konsumverhalten der Bevölkerung be­einflussen, indem sie Vertrauen in die Zukunft des eigenen Standortes erzeugen. Das erscheint ihnen sinnvoller, als den von Arbeitsplatzverlust, Lohnkürzungen oder Zwangsversteigerung betroffenen Men­schen finanzielle Linderung zu verschaffen und so die Kaufkraft der breiten Be­völkerung zu stärken. Und wie die aktuelle Krise wieder einmal beweist, erreichen die staatlichen Hilfen nur jene, die zuvor völlig verblendet Unsummen (die ihnen nicht einmal gehörten) in hoch­spekula­tiven Investments verzockt haben. Mitt­ler­weile rechnen sogar hochrangige EZB-Vertreter damit, dass das Schrumpfen der Wirtschaft in Europa bis Mitte 2009 anhalten wird. Weil es um die Volks­wirtschaften in den USA und Japan noch schlimmer bestellt ist, wird auch der Exportweltmeister Doit­schland die Folgen noch viel stärker als bisher zu spüren bekommen.

Ankämpfen!

Wer nun denkt, mit der Einführung einer Kapitalertragssteuer für Risikogeschäfte wie der Tobin-Steuer, wie es vor allem von attac beworben wird, könnte das Problem eliminiert werden, glaubt sicher auch, dass das Verbot von Alcopops für Minder­jährige verhindert, dass Jugendliche Alkohol trinken. Zum einen würden von der Tobinsteuer nur Devisenspekulationen begrenzt, die aber ohnehin nur einen sehr geringen Teil der Gesamtmenge umfassen. Damit würde zwar Entwicklungsländern enorm geholfen, für die momentan vor­liegende Situation ist sie aber ohne Bedeutung, da sich die Blase innerhalb der jeweiligen Volxwirtschaften entwickelt hat. Der Zeitraum zwischen zwei Spe­ku­la­tions­blasen würde zwar größer, diese aber unvermeidlich immer wieder platzen und weiterhin Steuereinnahmen zur Sanierung der Großverdiener miss­braucht. Wie aber die britischen Klein­sparer_innen bewiesen haben, bildet das Sparvermögen der Geringverdiener den Grundstock für die Spekulationsgeschäfte der Finanzinstitute. Weil es im höchsten Maße un­wahr­scheinlich ist, dass Aktien­spekulationen, die ja im Grunde nichts anderes als Wetten auf die Entwick­lungs­chancen eines Unter­nehmens darstellen, in absehbarer Zukunft abgeschafft werden und so der Huldigung des Mammon ein Riegel vorgeschoben wird, sind die Alternativen für ethisch saubere Geld­anlagen äußerst begrenzt. Hier bieten sich folgende Möglichkeiten an: Zuerst einmal der altbackene, heimische Sparstrumpf, mit den bekannten Vor- und Nachteilen. Zweitens eingeschränkte, „moralisch saubere“ Investitionen, wie es inzwi­­schen häufig auch unter dem Stich­wort „islamic banking“ angeboten wird. Dabei ist allerdings zu beachten, dass auch die jeweiligen ethischen Standards durch viele juristische Kniffe unterlaufen werden und ebenfalls in Investmentfonds angelegt wird. Daher lautet mein Rat an die Leser: Die finanziellen Mittel, welche nicht zur unmittelbaren Bewältigung des Alltags benötigt werden, in alternative Projekte zu investieren, welche sich der Rettung der Um­welt, einem breit gefächerten Kultur­angebot und vor allem der Bildung sozial Be­nachteiligter verschrieben haben. Auf dass in Zukunft mehr Menschen erkennen, was schief läuft und was getan werden muss!

(bonz)

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