Tanzen gegen Arbeit

Pfützensprünge auf der „Karli“

 

Montags blau machen wollten einige auch kurz vor der Wahl. Am 12. Septem­ber fanden sich um die 100 Leute nach­mittags am Connewitzer Kreuz zu­sammen, um „gegen Arbeit für mehr Spaß“ zu de­mons­trieren. Dem zu­sätz­lichen Motto „Reclaim the streets!“ (siehe Kasten) konnte die Veranstaltung schon allein dadurch, dass sie angemeldet worden war, aber auch in ihrem sonstigen Verlauf nicht gerecht werden. Die Polizei störte dennoch mit lächer­lichen Auflagen, wie z.B. durch eine Aufforderung, sämt­liche Nietenarm­bänder bei den Teil­nehmer­Innen zu ent­fernen, da diese potentielle Waffen dar­stellen würden.

Trotzdem: im strömenden Regen über die Karl-Liebknecht-Strasse zu flanieren, hat nicht nur im Frühling Laune gemacht, als die Politparade „Global Space Odyssey“ durch die Straßen gedonnert war: Dort war es in diesem Jahr ja auch ziemlich feucht­fröhlich zuge­gangen, als ca. 500 Frei­drehen­de zu elektronischer Musik aller Art aus den liebevoll deko­rierten Parade­wagen von Connewitz über Schleus­sig zum Volkspark zogen und sich zwar als De­monstration, dennoch selbst­be­stimmt und lebenslustig an verdutzten Bürger­Innen vorbeifreute. Am Haupt­wagen war damals zu lesen: „Das System ist schwarz-rot-ocker – Und bald fällt es vom Hocker!“

Dem dahinter stehenden An­liegen, un­ge­stört von „normalen“ Lebens­mustern und Macht­struk­tu­ren zu le­ben, soll­­te in der Sep­tem­ber­demo ein wei­teres Mal Aus­­druck ver­liehen werden. Auf den kurzen Kund­­­­ge­bungen am Volks­­haus und vorm Ver­wal­tungs­­­ge­richt ka­men Ver­tre­ter­Innen der anti­faschis­tischen „Ini­tia­tiv­gruppe 1. Ok­to­ber“, der libertären Anti-Wahl-Gruppe, des Er­werbs­lo­sen­syn­di­kates der FAU Leipzig und der freien Theater­gruppe „Sehstörung“, die zusammen mit anderen politisch mo­tivierten Partyorgani­satoren die Demo auf die Beine gestellt hatte, zu Wort:

„Arbeit macht krank!“

Harry von der Sehstörung machte in einem erfrischend authentischen Rede­beitrag u. a. auf gesundheitliche Risiken einer unter Druck und Zwang arbeitenden Gesellschaft als Betroffener aufmerksam. Dankbarkeit könnten weder ältere Ge­nera­tionen noch der Staat verlangen, wenn mensch nicht arbeitet und trotzdem lebt. Reichtum sei in den Händen heutiger BesitzerInnen eine Waffe, so der Sprecher, mit der nicht Armut getilgt, sondern der Reichtum anderer ver­mindert wer­den soll. Reich sei aber nur, wer seinen Lebens­sinn nicht bloß in Konsum und Arbeit sucht. Für ein Leben nach eigenen Vorstellungen muss u. a. entschieden gegen die Aus­grenzung alternativ bzw. un­kommer­ziell arbeitender Menschen vorgegangen werden, indem mensch sich nicht aus der Mitte des sozialen Raumes ver­drängen lässt. Ohne Ein­tritts­geld und nötiges Kleingeld ließe sich das Leben auch genießen, ließen sich trotzdem kulturell wertvolle Erfahrungen machen. Wenn die Polizei in letzter Zeit nicht nur in Leipzig vermehrt alternative Parties stört oder gar Festivals brutal auflöst (siehe dazu S.20ff im Heft, „CzechTek), würde das Nein zu verordneten Spielen und verord­netem Brot nur umso lauter. Ein Sprecher der Anti-Wahl-Gruppe ­wies später darauf hin, dass gegen Ausbeutung und Vereinze­lung nur ge­mein­sam gekämpft werden kann. Weder in einem Patent­rezept noch im Arbeiten ge­geneinander oder im War­ten auf bessere Zeiten, sondern im Zusam­menschluss liege der Schlüssel für ein selbst or­ganisiertes und freies Leben aller.

Auch wenn es keine fetzigen Sprechchöre gab und – wie so oft – mitunter auf offene Türen bei den Beteiligten und nasstaube Ohren bei den meisten Zuhörern gestoßen wurde, motivierend war´s trotzdem. Denn ob nun kritische AktivistInnen, kultur­schaffende oder einfach Leute, die sich das Feiern nicht verbieten lassen wollen – zusammen tanzt sich die Revolution immer noch am besten.

 

clara

Reclaim The Streets

„Holt euch die Strassen zurück!“ Die Aktionsform aus Großbritannien erfreut sich dort spontaner Beliebtheit, wo der öffentliche Strassenraum nur noch für Einkauf und Transport genutzt werden darf und wo Leute genau das wenigstens zeitweise ändern wollen. Die treffen sich dann spontan zum Musik hören, spielen, den Verkehr aufhalten u. ä. und sind in der Lage, ihr Aktionsfeld beliebig zu wechseln, je nachdem, wie schnell die Ordnungshüter vor Ort sind.

U. a. in Berlin findet das Konzept häufig Gefallen, siehe z.B. rts.squat.net/: „Reclaim the streets ist keine Or­ga­ni­sa­tion – rts ist Desorganisation! rts ist keine politische oder sonstwie geartete Gruppe. […] Gemeinsam ist das Ziel, auf lustvolle Art und Weise die herrschenden Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.“

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