Über die Kriminalisierung öffentlicher Kommunikation

Das Programm zur Bekämpfung illegaler Grafitti

Ausgangspunkt für die Diskussion um Graffiti kann nicht die staatliche, in diesem Fall behördliche Sicht auf die Gesellschaft sein, denn viel zu oft schon wurde die staatliche Gesellschaftsnorm mittels seiner Repressionsorgane zur staatlich normierten Gesellschaft.

Ausgangspunkt kann nur die Gesellschaft mit den Menschen in sozialen Beziehungen sein. Und in unseren Zeiten gibt es da nicht nur die Bürger und ihr Privateigentum (das nicht mit Graffiti „beschmutzt“ werden soll) oder die Stadt mit ihrer Standortideologie (Graffiti sei schlecht um neue Investoren zu gewinnen, die die Stadt Leipzig in der Konkurrenz mit anderen Städten vorwärts bringen sollen), sondern auch die Menschen, die sich anders ausdrücken, als es die behördliche Norm verlangt.

Hier ist die Frage nach dem öffentlichen Raum relevant. Öffentlicher Raum bedeutet öffentliche Kommunikation und diese öffentliche Kommunikation muß allen möglich sein. Wer hat denn das Geld sich eine Werbetafel zu mieten? Wer hat denn eine öffentliche Stellung inne, die die Macht verleiht, der eigenen Stimme Gehör zu verschaffen?

Sowohl Graffiti, egal in welcher Form, als auch „wilde“ Plakate sind Formen öffentlicher Kommunikation, die immer weiter eingeschränkt werden. Öffentliche Kommunikation ist ein Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens, das in dieser Gesellschaft hinter Eigentum und kapitalistischen Konkurrenzkämpfen (zwischen den bürgerlichen Individuen, Unternehmen, Städten und nationalen Standorten) rangiert. Das „Programm zur Bekämpfung illegaler Graffiti“ ist ein eindeutiges Signal für die weitere Marginalisierung öffentlicher nichtnormierter Kommunikation, zeigt deutlich, dass dieses Unkontrollierbare den Behörden ein Dorn im Auge ist, dass schärfstens bekämpft werden soll. Wie schade nur, dass es bis vor kurzem kein Straftatbestand war. Nichtsdestotrotz wurde in der Stadtratsvorlage ständig von Straftat geredet, obwohl die Ergänzung der Polizeiverordnung erst später in Kraft trat.

Nach dieser ist jetzt „jedes Anbringen von Beschriftungen, Bemalungen, Besprühungen oder Plakaten, die weder eine Ankündigung, noch eine Anpreisung oder einen Hinweis auf Gewerbe oder Beruf zum Inhalt haben, (…) verboten. Dieses Verbot gilt nicht für das Beschriften, Bemalen und Besprühen speziell dafür zugelassener Flächen bzw. das Plakatieren auf den dafür zugelassenen Plakatträgern (…)“ (neu eingefügter §2a der Leipziger Polizeiverordnung)

Begründet wird diese Verschärfung damit, daß Graffiti „gesellschaftliche Verrohung, Rücksichtslosigkeit und Vernachlässigung städtischer Bereiche“ signalisieren, und dieser Zustand der „allgemeinen Werteordnung“ widerspricht.

Welche Anmassung einer staatlichen Stelle, eine einheitliche Werteordnung für alle zu bestimmen! Welch repressive Strategie zur Ausgrenzung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen! Welch unsägliches Denken, eine Initiative „sauberes Leipzig“ gründen zu wollen, und um dieses „saubere Leipzig“ willen, „die derzeit bestehende Lücke in der Verfolgungskette“ zu schließen und Graffitiprojekte nur noch unter polizeilicher Aufsicht zuzulassen!

Diese Ergänzung bedeutet eine Kriminalisierung von nichtkommerziellen Plakaten und Zeichnungen. Wo keine Veranstaltungen oder Preise draufstehen, muß gezahlt werden, falls mensch erwischt wird. Wer zum Beispiel ein Plakat verklebt, auf dem gegen „Sozialabbau“ argumentiert wird, macht sich strafbar. Wer Bier für 99 Cent bewirbt, muß nichts befürchten. Der Staat mit seinen Organen beansprucht die Kontrolle über immer weiterer Bereiche des öffentlichen Lebens. Dies ist ein Prozeß der parallel läuft zu dem der Privatisierung & Kommerzialisierung des öffentlichen Raums. Wer öffentlich kommunizieren will, muß sich staatlichen Normen beugen, braucht Geld oder Status! Das kann nicht die Basis einer sozialen Gesellschaft sein, nimmer und nirgends, auch nicht in der „Leipziger Freiheit“!

francis

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