Über-Leben unter Ahmadinedschad

Arbeiter im Iran wehren sich erfolgreich gegen Privatisierung

57 Tage lang streikten die Arbeiter der „Textilfabrik Kurdistan-Sanandaj“ am Rande der gleichnamigen kurdischen Stadt. Zwischen dem 24. September und 20. November 2005 befanden sich die 403 Arbeiter, aus Solidarität mit ihren von der Kündigung bedrohten Kollegen, im Ausstand.

Anlass der Unruhe war die Entlassung von 37 Arbeitern am 22. 9. 05, denen die Leitung ihre Stechkarten entzogen und sie damit faktisch vom Lohnzettel gestrichen hatte. Der Grund dafür war kein Fehlverhalten der Arbeiter, sondern die schrittweise Reduzierung der Beschäftigten um ca. 100 Stellen innerhalb eines Jahres, bis März 2006. Ein solches Geschäftsgebaren ist in der islamischen Republik kein Einzelfall. Wie überall sonst auch, ist die iranische Regierung bemüht, die Bedingungen für kapitalistische Unternehmen möglichst angenehm zu gestalten. Ergebnis dessen sind massiver Privatisierungsdruck, Massenarbeitslosigkeit, Kinderarbeit und Nichtauszahlung der niedrigen Löhne. Der Durchschnittslohn liegt teils bei ca. 100 Euro im Monat, wobei Frauen nur 30 Prozent des männlichen Durchschnittslohns erhalten. Anerkannte Gewerkschaften, die die Arbeiter unterstützen würden, gibt es im Iran nicht. Die einzige offizielle Arbeitnehmervertretung, die islamischen Arbeiterräte, gebärden sich als rechte Hand des Arbeitsministeriums und sind eher für Angriffe auf Arbeiteraktivisten als für ihre solidarische Kampfbereitschaft bekannt.

Um den Verkauf staatlicher Unternehmen zu beschleunigen, gewährt die iranische Regierung Preisnachlass, wenn der Käufer ein ehemaliger Angestellter des Betriebes ist und wenn der Betrieb unrentabel arbeitet. So bemühen sich viele Angestellte in leitenden Positionen darum, das Personal zu reduzieren, Gelder verschwinden zu lassen und die Produktion zu senken, um den Eindruck der baldigen Insolvenz zu erwecken und anschließend die Produktion als neue Inhaber wieder aufzunehmen.

Die Leitung der Textilfabrik in Sanandaj, begründete die Entlassungen offiziell mit notwendigen Rationalisierungsmaßnahmen und angeblichen finanziellen Problemen. Der reine Hohn, wenn man wie die Arbeiter von den 17 Milliarden Tuman (ca. 15.740 Euro) weiß, die der Fabrikchef für die Erneuerung von Maschinen erhalten hat, die aber in dessen Taschen verschwunden sind, oder von den 18 Millionen Tuman (ca. 16.666 Euro), die für Aktienanteile von den Arbeitern gezahlt wurden, die ebenfalls unauffindbar seien. In der Fabrik, die einer staatlichen Stiftung (für Invalide und Kriegsveteranen) gehört und seit 15 Jahren existiert, wurden in den letzten zwei Jahren 374 Arbeiter entlassen.

Um sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und die Entlassungen zu wehren, kam es im selben Zeitraum dreimal zu von den Arbeitern organisierten Streiks, die lediglich mit mündlichen Versprechungen endeten. So sollte niemand mehr gekündigt, langfristige Verträge (über ein Jahr, statt der üblichen 89 Tage) ausgegeben und die Arbeitsbedingungen verbessert werden.

Diese Zusagen wurden alle gebrochen, die Arbeitsbedingungen haben sich so gut wie nicht verändert: Die Arbeiter atmen ständig sehr schmutzige Luft, die krebserregende Stoffe enthält. Atemmasken, Ohrenschutz, Arbeitshandschuhen oder ähnlichen Schutzmaßnahmen wurden nicht getroffen, obwohl bereits 300 Arbeiter die Fabrik gesundheitsbedingt verlassen mussten. Einige von ihnen haben diese Arbeit mit dem Leben bezahlt.

Statt der nach den letzten Streiks zugesagten 1-Jahres-Verträge, bot die Geschäftsleitung 6-monatige Verträge an, die nach Ablauf jederzeit mit einer Abfindung kündbar sein sollten. Je nach Arbeitsjahren wollte man die Arbeiter mit einem Monatsgehalt pro Jahr abspeisen. Dieses „Angebot“ wurde allerdings von niemandem akzeptiert.

Stattdessen streikten die Arbeiter erneut, organisierten fast täglich Vollversammlungen, wo sie darüber berieten, unter welchen Bedingungen sie die Arbeit wieder aufnehmen würden. Während des gesamten Streiks wurden alle Beschlüsse vom Plenum gefasst und Ergebnisse dahin zurückgetragen. Nach 38 Tagen Streik ohne dass eine Reaktion erfolgte, riefen die Streikenden zu einer Demonstration zur Provinzverwaltung auf. Sie forderten, dass der Provinzgouverneur und der Fabrikverantwortliche mit ihnen redeten, was diese dann auch taten. Dazu wurden letztere unter anderem durch den iranischen Geheimdienst gedrängt, der angesichts des großen Durchhaltewillens keine weiteren Unruhen provozieren wollte.

Die Gespräche endeten damit, dass die Forderungen der Arbeiter formal akzeptiert wurden. Diese waren:

– Alle kurzfristigen und ungesetzlichen Verträge sind nichtig!

– Einhaltung der gesetzlichen Richtlinien (gelten für Unternehmen ab 20 Beschäftigten)!

– Alle Löhne auszahlen! – Durchschnittslohn eines Arbeiters?

– Alle entlassenen Arbeiter wieder einstellen!

– Rückgabe der 18 Mio. Tuman an die Arbeiter!

– Periodische Gesundheitschecks! Die eventuell nötige Behandlung wird durch den Arbeitgeber übernommen!

– Akzeptable Arbeitssicherheit und Hygienebedingungen: weniger Luftverschmutzung, weniger

Staub und weniger Krach!

– Medizinische Versorgung!

– Lohnfortzahlung für die Streikdauer!

Allerdings wurde der noch am selben Tag aufgesetzte Vertrag vom Fabrikchef letztlich nicht unterschrieben und auch die Zusagen der Verantwortlichen der Stiftung blieben unerfüllt. Deshalb beschlossen die Arbeiter, den Streik solange fortzusetzen, bis sie ihre Ziele erreicht haben würden.

In den folgenden Tagen und Wochen kam es zu keinen größeren Ereignissen. Es wurde die ganze Zeit gestreikt, wobei die Fabrik tagsüber von den Arbeitern besetzt wurde, die sich dort versammelten und die jeweils nächsten Schritte diskutierten. Sie betonten dabei immer wieder, dass sie bereit sind an die Arbeit zurückzukehren, allerdings nur nach Erfüllung ihrer Forderungen.

Um den Druck zu erhöhen, beschlossen sie am 57. Tag vor staatlichen Radio- und Fernsehstationen öffentlich zu protestieren und Kundgebungen vor der Provinzverwaltung und auf öffentlichen Plätzen zu organisieren. Jedoch wurde die angestrebte Öffentlichkeitsarbeit von Militär und Polizei behindert, die die Fabrik für die gesamte Streikdauer bewachten. So konnten die Arbeiter die Fabrik nur in kleinen Gruppen verlassen, was beispielsweise eine Demonstration Aller verhinderte.

Die Strategie der Ordnungskräfte bestand darin, die Arbeiter zusammen und unter Kontrolle zu halten und so eine Ausbreitung des Streiks zu unterbinden. Auch ist die Gegend um Sanandaj für ihre kämpferischen Einwohner bekannt. Hätte die Polizei versucht, alle Streikenden zu verhaften, hätte dies einen Flächenbrand verursacht.

Der Arbeitskampf endete schließlich am 57. Tag mit einem Erfolg der Arbeiter. An diesem Tag wandelte sich die bisherige Polizeipräsenz in eine vollständige Blockade der Fabrik und der Zufahrtsstraßen durch das Militär. Doch nicht nur die Fabrik Sanandaj stand unter Bewachung, dieselbe Erfahrung machten auch die Arbeiter in der nahe gelegenen Textilfabrik „Shahoo“, in der sich die Arbeiter am selben Tag solidarisiert hatten, und ebenfalls vom Militär blockiert wurden. Derweil trafen sich Vertreter der Regierung und der Fabrikleitung mit den Arbeitern, um über deren Forderungen zu debattieren.

Letztlich unterzeichneten Vertreter des Arbeitsamtes, des Geheimdienstes, der Provinzregierung, des Militärs, und sechs Vertreter der Arbeiter eine Übereinkunft, dass fast alle Forderungen umgesetzt werden. Konkret bedeutet das, dass:

o die Produktion wieder gesteigert wird und somit auch die 37 Arbeiter, die anfangs entlassen werden sollten, weiterbeschäftigt werden;

o Überstunden bezahlt werden;

o langfristige Arbeitsverträge abgeschlossen werden (in Betrieben mit über 20 Arbeitern haben alle Anspruch auf langfristige Verträge);

o die Streikkosten des Arbeitgebers durch die Sozialversicherung übernommen werden;

o die Produktion wieder aufgenommen wird;

o der Arbeitgeber für die Streikdauer die Hälfte des Lohns auszahlt;

o Positionen in der Fabrik nach Qualifikation besetzt werden;

o 18 Mio. Tuman an die Arbeiter zurückgezahlt werden.

Diesen Erfolg konnten die Textilarbeiter erzielen, da sie vereint gehandelt und entschieden hatten und mit ihrem Durchhaltewillen bewiesen, dass sie auf ihren Forderungen bestehen. Auch wenn es keine längerfristige gewerkschaftliche Organisierung gab, handelten sie nach dem Prinzip der direktdemokratischen Selbstorganisierung, der Delegation und der direkten Aktion, anstatt auf Vertreter oder Petitionen zu vertrauen.

Dieser 57-tägige Streik ist durch seine Effektivität ein Beispiel dafür, dass Kämpfe gemeinsam gewonnen werden können. Gleichzeitig läßt sich an der Vehemenz, mit der die Arbeiter für ihre Ziele eintraten ablesen, wie stark der Druck sein muss, der auf ihnen lastet, denn auch die iranischen Arbeiter sind nicht an sich revolutionärer als andere. Aber irgendwann hat man die Schnauze einfach voll…

worudschak, hannah

Unvollständige Chronik:

9. Tag: Auslieferung der Produktion verhindert

10. Tag: Aufforderung an gesamte Belegschaft (Wachleute und Bürokräfte), sich dem Streik anzuschließen, Verhandlungen mit der Stiftung und dem Arbeitsministerium

12. Tag: Arbeiter drohen Waren selbst zu verkaufen

31. Tag: Militär und Polizei wollen 10 Arbeiter als Rädelsführer verhaften. Bei deren Aufrufung, melden sich jeweils alle 300 versammelten Arbeiter

35. Tag: Textilarbeiter wollen Streikgelder sammeln, wird vom Militär verboten, Androhung von Verhaftungen, falls Arbeiter Streikkasse mit sich führen, sie organisieren einige gut besuchte Infoveranstaltungen in der Stadt, großes Interesse bei Passanten, über Arbeiterproteste wird offiziell nicht berichtet

57. Tag: die seit dem ersten Streiktag vorhandene Polizeipräsenz wandelt sich in eine Blockade, es folgen die Abschlussverhandlungen, bei denen die Arbeiter ihre Forderungen weitgehend durchsetzten können.

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