…und aufsteh´n bei Sonnenaufgang

Proteste, Bewegungen und Streiks in Nicaragua

Streiken…Wer streikt? Für was? Für wen? An wen gerichtet? Und wie?…. Nicaragua, ein Land so fern und doch so nah… eine Streikkultur, die uns nicht fremder und doch vertrauter zugleich erscheinen könnte. Lebensumstände, die so „ganz andere“ sind und der Mensch, der förmlich über die Auswirkungen des Kapitalismus bei jedem Schritt stolpert, auch ohne hinzugucken. Der Alltag ist geprägt vom täglichen Überlebenskampf, in den Zeitungen wird hauptsächlich über die korrupten Machenschaften der Politiker geredet und ab und zu gibt es kollektive Proteste. Während meines Aufenthaltes 2005 beeindruckten mich besonders die Streiks über die ich im Folgenden berichten möchte und in die ich vor allem durch Gespräche mit Betroffenen und Nachrichten in Zeitung und TV einen Einblick bekommen konnte. Die drei Proteste, die jeweils von Lehrer/innen, Landarbeiter/innen, Busfahrer/innen und Studis ausgingen, sind auch ein Spiegelbild unserer eigenen Realität, da es einige Parallelen zu den Protesten und Streiks hier zu Lande gibt. Auch wenn gravierende Unterschiede im Niveau der Ausbeutung bestehen, so ist das systemimmanente Profitstreben doch gleich und auch Probleme, die sich in der Organisierung und Solidarität, der Art des Kampfes, den Forderungen, den Zielen und Reaktionen ergeben, ähneln sich.

Mit langem Atem gegen Vergiftung

Ende Januar brachen über 1000 Landarbeiter/ innen (zum Großteil in der „Asotraexdan“( 1) organisiert) aus Chinandega zu einem tagelangen Fußmarsch in die Hauptstadt Managua auf, ein „marcha sin retorno“ (Marsch ohne Rückkehr), um dort so lange zu verharren, bis ihre Forderungen an die Regierung erfüllt sein würden. Die Bauern aus dem Norden – genauer gesagt die Bananenpflücker/innen – harrten zum Teil 8 Monate aus, um von der Regierung Ausgleichszahlungen für gesundheitliche Schäden zu bekommen, die jahrelang durch das hochgefährliche Pestizid Nemagón (siehe unten) ausgelöst wurden.

Dieses Warten sollte lange dauern. In Zelten aus dünner Plastikfolie campierten sie (z.T. in der Regenzeit) vor dem Regierungsgebäude, schliefen in Hängematten oder auf dem Boden auf engstem Raum und konnten ihr Überleben nur durch die Solidarität der einheimischen Bevölkerung und einiger internationaler NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) sichern. Die Forderungen, die sie an die Regierung stellten, waren: kostenlose Gesundheitsversorgung für die Geschädigten, Pensionen für Menschen, die durch das Gift keine Erwerbsarbeit mehr ausführen können, Maßnahmen zum Schutz der Natur und Unterstützung durch die Regierung bei Klagen gegen die transnationalen Unternehmen. Durch verschiedene Aktionen und Hungerstreiks versuchten sie zusätzlich Druck auszuüben, obgleich ihr Protest ohnehin nicht ignoriert werden konnte, zumal das mittelgroße Gelände, auf denen in größter Armut 1000 Menschen monatelang campierten, deutlich sichtbar war. Trotzdem dauerte es 3 Monate bis die Regierung einlenkte. Weil es allerdings schon so oft in der Geschichte Nicaraguas bei leeren Versprechungen blieb, harrten einige hundert aus, bis das dortige Parlament, die Nationalversammlung, die Forderungen auch absegnete. Dies geschah dann im August, acht Monate nach dem Beginn des Aufstandes der Betroffenen. Ein Sieg zur Linderung der Qual, wenn auch ein kleiner im Vergleich zu den Toten und Opfern.

Streiken für den Mindestlohn

Anfang des Jahres streikten auch über 80% der Lehrer/innen landesweit für bessere Gehälter, die Schule fiel für ca. 1,2 Millionen Schüler/innen ca. einen Monat lang aus. Aufgerufen dazu hatte die Lehrergewerkschaft ANDEN und durch Protestmärsche, friedliche Straßenaktionen und einer Großdemonstration mit 15 000 Beteiligten versuchten die Lehrer/innen Aufmerksamkeit zu erregen. Der Präsident hatte lange Zeit nur ein müdes Lächeln dafür übrig, wie zum Beispiel bei einer kleinen Spontandemonstration, wo er meinte: „Geht mit Gott, aber geht, Jungs“. Vom Arbeitsministerium diffamiert, wurden ihre Gehälter ab der zweiten Streikwoche einbehalten und man drohte mit Entlassungen. Das Gehalt eines/r Grundschullehrers/in beträgt ca. 1140 Cordoba (69,5 US $) monatlich, deckt nicht einmal 50% der Grundbedürfnisse einer Familie und liegt weit unter dem zentralamerikanischen Verdienstdurchschnitt für Lehrer/innen von ca. 375 US $. Die bereits erkämpften und vielfach zugesagten Gehaltserhöhungen im nicaraguanischen Bildungssystem aber wurden, mit dem Verweis auf die leeren Staatskassen, nie umgesetzt, was letztendlich zum Streik führte.

Eine Einigung wurde dank der Ausdauer der Lehrer/innen schlussendlich dann doch erzielt und man hob den Lohn auf 1820 Cordoba an, mit dem Verweis darauf, dass die versäumten Stunden nachzuholen seien. Obgleich sie ihre Forderungen nicht in vollen Umfang erfüllt sahen und Grundbedürfnisse bei Weitem nicht gedeckt sein würden, traten die ca. 30 000 Lehrer/innen ihren Dienst wieder an, da die Überlebensnotlage, ohne Lohn, bei den meisten über alle Grenzen hinweg ausgereizt war.

Mit Mollys gegen Preiserhöhung

Anders bzw. schneller reagierte die Regierung bei dem dritten großen Streik im Jahr 2005, als Teile von Managuas Straßen eine Woche lang brannten und die Polizei „höchste Alarmstufe“ ausrief. Dem anfangs unbefristeten „friedlichen“ Streik der Busfahrer/ innen (denen sich auch die Vereinigungen der Taxifahrer/innen und die Gewerkschaft FNT(2) anschloss) um die stark erhöhten Erdöl-/ bzw. Benzinpreise, folgten Verhandlungen zwischen der Regierung, dem „Nationalen Rat der Universitäten“ (CNE) und den Busunternehmer/ innen, die jedoch erfolglos blieben. Dadurch radikalisierte sich der Protest und die Studierenden bastelten Bomben und Molotowcoctails, verbrannten Busse und Polizeimotorradräder und brachten die Stadt zum Qualmen. Die extreme Gewalt, die von der Polizei brutal erwidert wurde, brachte dennoch die von den Akteuren geforderte Subvention der Buspreise durch den Staat und die Stadt Managua mit sich, ebenso wie das Versprechen, sich nach günstigeren Energiequellen, wie denen aus Venezuela, umzusehen.

Konkret ging es um von der Regierung festgesetzte Fahrpreise in der Stadt Managua, die aufgrund des verteuerten Benzins nicht mehr gehalten werden konnten, die Menschen allerdings nicht in der finanziellen Lage waren eine Erhöhung zu tragen (umgerechnet sprechen wir von 2,5 Eurocent Fahrpreisaufschlag – 0,5 Cordoba). Neben Solidarisierungsbewegungen gab es aber auch gewaltvolle Auseinandersetzungen zwischen Busfahrer/ innen und Studierenden als letztere die Busse anzündeten und aus den Bussen, als Reaktion darauf, Steine und Bomben auf die Uni flogen. Die (grundlose) sich aufwiegelnde Konfrontation zwischen den eigentlich betroffenen Gruppen schwächte allerdings in dem Moment die Bewegung und die Regierung konnte sich kurze Zeit beruhigt „zurücklehnen“. Nach einer Großdemonstration aber, an der sich unter anderem auch viele Arbeiter/innen der FETSALUD (3) beteiligten, und sowohl den Preisanstieg bei Erdöl, als auch bei den Grundwaren anklagten, wurde der Forderung nach Subventionierung der Fahrkarten durch die Regierung Folge geleistet.

Und nun?

Im Kontext der riesengroßen Armut, Korruption der Regierenden und des offenen Kapitalismus ist mir auf der einen Seite die Machtlosigkeit der Menschen bewusst geworden, zum Anderen aber auch die Energie, durch den Unmut über die bestehenden Verhältnisse, die in jedem/r Einzelnen/r steckt und zu langen Kampf befähigt. Um ohne Essen und Dach über dem Kopf einen so langen Atem haben zu können, braucht es so denke ich, sowohl die eigene, innere Überzeugung das „Richtige“ zu tun, als auch die Solidarität der Bevölkerung. Ein Feuer, das durch Organisierung und Bildung genährt werden kann und somit auch Wirkung erzielt, wenn die Menschen ihre Lage erkennen, sich zusammenschließen und für ihre gemeinsamen Interessen kämpfen.

Parallelen zu „europäischen Verhältnissen“ lassen sich zum Teil in dem Aufbau von scheinbaren Konfliktlinien zwischen der betroffenen bzw. ausgebeuteten Bevölkerungsschicht finden, die immer eine Schwächung der Bewegung zur Folge haben. Auch der Unterschied zwischen gewaltvollen Protesten, die zu schnelleren Ergebnissen führen, und friedlichen, lang anhaltenden Streiks, die nur langsam Mühlen in Bewegung setzen, ist auffällig. Die Trennlinie zwischen der Bevölkerung auf der einen Seite und dem korrupten Staat auf der anderen scheint für viele klar zu sein, obgleich immer wieder Hoffnungen in ihn projiziert werden, was sich vor allem in den Forderungen ausdrückt. Der Adressat ist immer der Staat, vielleicht, weil er ein greifbarerer Angriffspunkt ist, als transnationale Firmen bzw. das kapitalistische System. Vielleicht aber auch, weil es vielen nicht so sehr bewusst ist, dass das herrschende Wirtschaftssystem eben auch Ursache für die miserablen Lebensbedingungen ist.

Schade auch, dass es meist nur in Forderungen endet, wo eigentlich das Potential zu mehr besteht, in Nicaragua wie überall…

Zeiten verändern sich

Ich möchte gern mit einer kleinen Anekdote schließen, die ein wenig verdeutlicht, dass ein gelebter Protest Realitäten verändert. Durch das Potential vieler Menschen, die sich aus Überzeugung kollektiv verweigerten, standen die „Mächtigen“ machtlos da:

Zum zweiten Mal in der Geschichte Nicaraguas sollte im Jahr 2005 die Uhr auf Sommerzeit umgestellt werden, weil die Regierung meinte, dadurch Energie sparen zu können und dachte, dass mit den USA auf einer Zeithöhe zu sein auch von Vorteil wäre. Die Tatsache, dass in Nica die Sonne immer um 6 Uhr auf- und untergeht war dabei eher nebensächlich, ebenso, dass die angrenzenden Nachbarländer Honduras und Costa Rica ihre „alte Zeit“ behielten.

Nun denn, so sollte die Zeit umgestellt werden, leider wusste nur keiner so recht wann. War es nun Sonntag oder Montag? Vor oder zurück? Gesprächsthema war es allemal, weil jeder irgendetwas wusste, egal woher. Als es dann Dienstag zumindest in den städtischen Gebieten einigermaßen klar war wie, hieß das aber noch lange nicht, dass auch so gerechnet wurde. Nun gut, die Busse fuhren ´ne Stunde früher, die Menschen in festen Arbeitsverhältnissen gingen eine Stunde zeitiger zur Arbeit (und schalteten morgens dann eben das Licht ein), aber gerechnet wurde noch lange nicht so. Fragte ich jemanden nach der Zeit, so nannte man sie mir, meistens mit dem Nachtrag „alte Zeit“, denn gewöhnen wollte sich keiner so recht dran, und die Uhr ist bei den meisten auch nie umgestellt worden. Besonders auf dem Land konnte man tollen Kampfesreden lauschen, wenn die Menschen über die Blödsinnigkeit der Zeitumstellung schimpften. Fortan lebte Nica für einige Monate in zwei Zeiten, die meisten in der „alten Zeit“ die „Offizielleren“ in der „neuen Zeit“. Irgendwann war dann auch den Regierenden die Sinnlosigkeit und Wirkungslosigkeit der Zeitumstellung bewusst (zumal der Energieverbrauch sogar anstieg) und man kehrte auch offiziell zur „alten Zeit“ zurück. Eigentlich hätten sie´s besser wissen sollen, denn schon vor fünf Jahren scheiterte der Versuch den Nicaraguaner/innen etwas aufzuzwingen von dem niemand, außer der Regierung, überzeugt ist.

momo

(1) „Asociacion de trabajadores y ex trabajadores del banano afectado por Nemagón“ (Vereinigung der Nemagón-Geschädigten Bananenarbeiter/innen und -exarbeiter/innen)
(2) „Frente Nacional de los Trabajadores“ (Nationale Arbeiterfront), ein, der sandinistischen Partei (FSLN) nahestehender Zusammenschluss von Gewerkschaften
(3) „Federación de Trabajadores de la Salud“ (Gewerkschaft der Arbeiter/innen im Gesundheitssektor)
Quellen:
www.nicaragua-forum.de
www.labournet.de
www.npla.de
www.nicaragua-verein.de
Zahlen und Fakten auf den entsprechenden Seiten widersprechen sich zum Teil aufgrund schwer zugänglicher und widersprüchlicher Berichterstattung vor Ort.

Nicaragua – historische Facts

+ + Ab 1522 spanische Kolonialisierung an der Westküste + + 1633 Besiedlung der Atlantikküste durch die Briten + + ab 1823 Unabhängigkeitserklärungen zentralamerikanischer Staaten + + 1823-63 Bürgerkrieg zwischen Konservativen und Liberalen. Die Verhandlungen über die Rechte für den (die zwei Meere verbindenden) Kanalbau führen zur Intervention der US-Amerikaner, die 1910 Präsidenten Zelaya stürzten und den Präsidenten Díaz einsetzten + + 1927-33 Befreiungskrieg zwischen der Guerilla des General Augustino Sandino gegen die USA + + Nach Abzug der US-amerikanischen Truppen, Mord an Sandino und der Guerilla durch die neu entstandene „Nationalgarde“ + + 1936 Oberbefehlshaber der Nationalgarde, General Somoza García, putscht sich zum Präsidenten, Beginn einer langjährigen Familiendiktatur. Korruption, Repression, Verelendung und Bereicherung der Familie Somoza folgen. Als Partner der USA unterstützt dieser logistisch US-Interventionen in Zentralamerika + + 1961 Gründung der FSLN „Frente Sandinista de liberación nacional“ – sandinistische Befreiungsfront, Guerillatruppe + + 1972 Erdbebenkatastrophe. Ein Großteil der internationalen Hilfsgelder landen in Somozas Taschen + + 1972-79 FSLN gewinnt immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung, es folgen: politischer Generalstreik, Volkserhebungen in den Städten, Besetzung des Nationalpalastes und Guerillakampf. Krieg + + 1979 Somoza flieht nach Miami, die Sandinisten ziehen in Managua ein. Auflösung des Staatsapparates und der Nationalgarde, ein kollektiver Staatsrat JGRN „Junta de Gobierno de Reconstrucción Nacional“ wird eingesetzt. Verstaatlichung des Besitzes des Somoza-Clans, der Banken und des Außenhandels und Alphabetisierungskampagne folgen + + Wiederbewaffnung der geflüchteten Nationalgardisten („Contras“), durch Unterstützung der USA + + 1984 trotz zunehmender Contra-Angriffe gewinnen die Sandinisten die Wahl mit absoluter Mehrheit + + 1985-89 Contrakrieg und Wirtschaftsblockade der USA. Durch hohe Opferzahlen, Inflation, Versorgungsnotstand und Elend verlieren die Menschen den Glauben in die sandinistische Revolution + + 1990 FSLN verliert die Wahlen, der Krieg wird beendet + +

Exkurs: Nemagón

Die gesundheitsschädigende Chemikalie Nemagón (DBCP) wurde seit den 60ern von den Bauern auf den Plantagen eingesetzt, obwohl ihre gefährliche Wirkung bereits 1958 festgestellt, und das Mittel in den USA 1979 verboten wurde. Um allerdings aus den Lagerbeständen noch Profit schlagen zu können, verkaufte man sie an zentralamerikanische Staaten weiter, wo sie bis Mitte der 80er Boden, Grundwasser und Unterboden verseuchte. Bis heute sind bereits mehr als 1000 Menschen gestorben, 17000 sind geschädigt, leiden an verschiedenen Tumoren, an Erblindungen, Nervenstörungen und Haar- und Fingernagelausfall. Aber auch Unfruchtbarkeit und Missbildungen bei Neugeborenen sind Folgen des Pestizids, dessen gesundheitsschädigende Wirkung weder von den transnationalen Herstellern (Dow Chemical Company, Shell Oil Company), noch von den Vertreibern (Standard United Fruit Company, Dole Limited, Del Monte, Chiquita Brand) bis heute anerkannt wird. Um öffentliche Aufmerksamkeit zu vermeiden, streben diese transnationalen Firmen eher Vergleiche an, wenn es zu gerichtlichen Prozessen kommt.

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