Verdammt lang quer

Wer sind eigentlich diese „Revolutionären Zellen“ (RZ) und was  haben die mit dem aktuellen Prozess in Frankfurt gegen Sonja und Christian zu tun?

Vergessene Zeiten – Vergessene Taten?

Es sind Episoden, die Linksradikalen der gegenwärtigen BRD lediglich aus Büchern oder anderen Staaten bekannt sind (aber keineswegs als momentane politische Option erscheinen): Ein Bombenanschlag auf ein Maschinenbauwerk der Firma KSB im pfälzischen Frankenthal soll die kleineren Profiteure des erst anlaufenden AKW-Baus in der BRD treffen, denn hier werden die passenden industriellen Pumpen dazu hergestellt. Im August ’87 verursachen Anschläge in neun Filialen des Modegeschäfts Adler enormen Sachschaden, der zum Erfolg eines Textilarbeiterinnen-Streiks in Südkorea beiträgt. Durch einen Bombenanschlag auf das Ausländerzentralregister in Köln versucht eine revolutionäre Zelle den riesigen Datensatz zu beschädigen, der über alle „Nichtdeutschen“ in der BRD zur rassistischen Kontrolle und Verwaltung geführt wird.

Solche aber auch weniger spektakulären Aktionen gehen auf das Konto einer Stadtguerilla-Gruppe, die häufig im Schatten der schon längst popkulturell verarbeiteten Roten Armee Fraktion steht. Paradox ist dabei, dass gerade dem Zusammenhang der „Revolutionären Zellen“ (RZ) und ihrer eigenständigen Frauengruppe „Rote Zora“ viel eher die Aufmerksamkeit einer linken Bewegung gebühren sollte. Denn die RZ beanspruchten für sich im Gegensatz zur RAF keinen leninistischen Führungsanspruch über die Bewegung, kehrten in ihren Texten nicht ständig eine allwissende Arroganz heraus und fanden häufig Anschluss an die Debatten des radikaleren Teils der sozialen Bewegungen. Es kann sogar behauptet werden, dass ihr politischer Ansatz einen entscheidenden Orientierungspunkt für die entstehende autonome Bewegung der 80er Jahre bot. Sie schafften es, durch eine eigene Zeitung und durch Debattenbeiträge die Diskussion mit der radikalen Linken zu halten.

Diesem Zusammenschluss von lose koordinierten Gruppen aus verschiedenen Teilen Westdeutschlands (Rhein-Main-Gebiet, Westberlin, Norddeutschland usw.) gelang es, eine gut 20-jährige (Anfang 70er bis 90er Jahre) politische Praxis – mit einigen Brüchen – zu entfalten. Zur Kontinuität trug sicherlich bei, dass sie dezentral und autonom organisiert waren und ihre Militanten grundsätzlich ihr Leben in der Legalität weiterlebten. Polizei und Geheimdienste schafften es kaum ihre Gruppen zu infiltrieren und wussten bis zur ersten Verhaftungswelle 1987 kaum mehr über die RZ als sie aus deren Texten erfahren konnten.

Die bewaffnete Antwort auf die Fragen der Zeit und antisemitische Irrwege

Die politischen Erfahrungen der begründenden RZ speiste sich ebenso wie beim Rest einer Generation von Linken aus dem Zerfall der antiautoritären Bewegung von Student*innen, dem Vietnamkrieg, antizionistischer Palästina-Solidarität, der Auseinandersetzung der Mittäter*innenschaft der Elterngeneration im NS und der aufkommenden Frauenbewegung. Besonders aktuell war 1973 der von den USA unterstützte, faschistische Putsch in Chile gegen die gewählte sozialistische Regierung. Auf die Frage: „Wie kann der Kampf eigentlich weiter aussehen, wie könnte eine neue revolutionäre Strategie aussehen?“ (1) antworteten einige Linke vor diesem Hintergrund anders als die K-Gruppen, Spontis und Jusos dieser Zeit mit der Perspektive „bewaffneter Kampf“. Während aber die RAF mit ihren Aktionen eher auf „das Herz des Staates“ zielte und implizit die Machtfrage stellte, suchten die RZ (meist) die Verbindung zu bestehenden sozialen Konflikten. Neben dieser Verankerung sollten die Aktionen verständlich und vermittelbar sein bzw. im besten Falle sich zu einer massenhaften Praxis ausweiten sowie inhaltlich bestehenden Bewegungen eine sozialrevolutionäre Perspektive „anbieten“. In den 80er Jahren mischten sie unter anderem in der Anti-Atom-Bewegung, der Anti-Startbahn-Bewegung in Frankfurt, der Hausbesetzungsbe­wegung in Westberlin mit und machten Ak­tionen gegen Gentechnik, rassistische Behörden – um nur einige The­men­felder zu nennen

Doch daneben hielt ein Zirkel innerhalb der RZ in den 70er Jahren internationale Kon­takte zu Gruppen im bewaffneten Kampf, die meist ihre gemeinsame antiimperialistische Stoßrichtung zusammen­führ­te. Besonders enge Beziehungen bestanden zu einer palästinensischen Gruppe (PFLP) und dem zweifelhaften Söldner Carlos. Zwei Kommandos, an denen sich RZ-Militante beteiligten, können als die dunkelste Etappe der RZ bezeichnet wer­den. Die Entführung einer Air-France-Maschine von Tel Aviv nach Entebbe stellte die Politik der Beteiligten in ihrer Offenheit für Antisemitismus bloß und wurde erst in den 90ern vor diesem Hintergrund diskutiert: Die Flug­zeug­entführung sollte palästinensi­sche Ge­fangene freipressen, indiesem Zuge wurden die jüdischen von den rest­lichen Passagieren ausgesondert – dies ließen zwei RZler*innen geschehen. Die Aktion endete im Desaster: Beide Militante starben, die anderen palästinen­si­schen Beteiligten wurden schwer verletzt (2).

Die zweite große internationale Aktion zusammen mit Carlos unter dem Kommando-Namen „Arm der arabischen Revolution“ war eine Geiselnahme der anwesenden Minister auf der OPEC-Konferenz in Wien 1975. Ziel war es einige der ölexportierenden Länder dazu zu drängen, die Palästinensische Befreiungsbewegung zu unterstützen und sich der panarabischen Sache anzuschließen. Entgegen der sonstigen Praxis, niemanden zu töten, starben während der Geiselnahme drei Polizisten, woran auch die RZler*innen Gabriele Kröcher-Tiede­mann und Hans Joachim Klein beteiligt waren. Auch wenn nach der Aktion die politischen Implikationen der Sache nicht kritisch diskutiert wurden, sagten sich die RZ von den internationalen Kontakten los.

Der Staat vergisst seine entschiedensten Feind*innen nicht

Was die Repressionsbehörden in der aktiven Zeit der RZ kaum gelang, versucht nun die Staatsanwaltschaft Frankfurt nachzuholen. Über 30 Jahre, nachdem sich die verhandelten Delikte zugetragen haben. Mit einem besonderen Bestra­fungs­eifer erreichte die Frankfurter Staats­an­waltschaft erst 2006 mittels eines europäischen Haftbefehls, Sonja Suder (80) und Christian Gauger (71), aus Frankreich ausliefern zu lassen.Dort waren die bei­den vor 28 Jahren untergetaucht und konn­ten später wegen Verjährung frei leben .

Seit dem 21. September 2012 wird nun am Landgericht Frankfurt der Prozess gegen die beiden mutmaßlichen Mitglieder der RZ geführt. Konkret wird beiden die Beteiligung an zwei Anschlägen auf Industrieunternehmen im Zusammenhang mit Anti-Atom-Protesten sowie einem Brandschlag auf das Heidelberger Schloss im Kontext von Gentrifizie­rungsprotesten in den Jahren 1977 und 1978 vorgeworfen. Zusätzlich wird Sonja noch die logistische Unterstützung der oben erwähnten OPEC-Geiselnahme durch Waffenlieferungen angelastet.

Die Vorwürfe, und das macht den Prozess neben seiner enormen zeitlichen Distanz nochmal obskurer, basieren auf wackligen Aussagen von zwei Personen. Zum Einen dienen die, unter folterähnlichen Zuständen erlangten, Aussagen des ehemaligen RZ-Mitglieds Hermann Feiling als Grundlage für die Anklage in den Punkten der Anschläge. Hermann Feiling verletzte sich beim Vorbereiten eines Bombenzünders 1978 schwer (ihm wurden beide Beine amputiert und die Augen entfernt) und wurde kurz nach den OPs wochenlang von der Polizei verhört. Sämtliche dieser Aussagen hat er im Nachhinein widerrufen und die Verwertbarkeit ebenjener wird von Sonjas und Christians An­­wält­*innen stets angefochten.

Die Vorwürfe der logistischen Unterstützung bei der OPEC-Geiselnahme fußen auf Aussagen des medial als „Ex-Terroristen“ herumgereichten Hans-Joachim Klein. Dieser wurde 1975 bei der OPEC-Geiselnahme schwer verletzt, stieg 1976 mit großem Tamtam aus (er schickte seine Waffe und einen Brief an den SPIEGEL) und tauchte bis 1998 in Frankreich unter. Nur durch die Kronzeugenregelung konnte er in seinem Prozess 2001 einer lebenslangen Gefängnisstrafe entgehen und wird seitdem immer wieder als Zeuge in Prozessen mit Stadtguerilla-Kontext hervorgeholt. Bei einigen Prozessen (z.B. gegen Rudolf Schindler, 2001) wurden seine Aussagen schon als widersprüchlich erkannt und auch im aktuellen Prozess gegen Sonja und Christian brilliert er hauptsächlich durch kreativ ausgebaute Erinnerungslücken.

Welchen Ausgang der Prozess gegen Sonja und Christian nimmt, ist aktuell noch über­haupt nicht vorherzusehen. Bisher stehen wöchentliche Prozesstermine bis August 2013 fest. In der Zwischenzeit könnt ihr euch bei Soli-Aktionen beteiligen oder das Soli-Komitee mit Spenden oder durch Prozessbeo­bach­tungen unterstützen.

RH Leipzig

(1) Interview: „Holger, der Kampf geht weiter“ (1975)
(2) Kritisch dazu RZ: „Gerd Albartus ist tot“ (1991). Auch eine interessante Auseinandersetzung mit Befreiungsnationalismus.
Zum Weiterlesen:
www.verdammtlangquer.org
www.freilassung.de – die meisten Anschlagserklärungen und Texte der RZ
Redaktionsgruppe Früchte des Zorns (1993): Die Früchte des Zorns. Texte und Materialen zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora. Bd. 1 u. 2. ID-Archiv

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