Viele hatten keine Wahl

Europa-, Landes- und Kommunalwahlen – Wahlbeteiligung sinkt kontinuierlich!

Was andere nur für ein Vermittlungsproblem halten, ist für die demokratische Verfasstheit der europäischen Nationen ein handfestes Problem. Franz Müntefering scheint nach monatelanger Analyse der drastischen WählerInnen­verluste der SPD am Montag nach der Europawahl und den Ergebnissen der Landes- und Kom­mu­nalwah­len ernüchtert. Die SPD hat ein Ver­­ständnis­prob­lem. Soll heißen zwischen Partei und Basis, zwischen Wählerin und Funktionär, zwischen Parteiprogramm und politischer Meinung geht nunmehr nicht nur ein Riß, sondern ein handfester Bruch. Der Niedergang der Sozialdemokratie an der Schwelle des 21. Jahrhunderts indes hat symbolischen Gehalt. Er steht stellvertretend für die sinkende Legitimität des Parlamentarismus im Allgemeinen. Die Entwicklung der Wahlbeteiligung zum Europäischen Parlament z.B. steht im umgekehrten Verhältnis zur Entwicklung der europäischen Institutionen und den politischen Spielräumen ihrer Macht und Machtausübung. Seit die Wahlen stattfinden, ging die Wahlbeteiligung in Ländern wie Deutschland (22,7)*, Frankreich (17,56), den Niederlanden (18,7), Spanien (22,96) oder Finnland (19,2) um ca. 20 Prozent zurück. In Portugal gar um 33,66 Prozent. Die neuen Beitrittsländer blieben, bis auf die kleinen Länder Zypern und Malta, alle unter 50 Prozent. Die Schlußlichter bilden Polen und die Slowakei, die mit 20,42 und 16,66 Prozent das Wahldesaster komplettieren. Macht Summa summarum einen europa­wei­ten Rückgang der Wahlbetei­ligung seit ihrer Veranstaltung um satte 17,5 Prozent auf nunmehr noch 45,5 Prozent. Mehr als die Hälfte aller wahlberechtigten Bürger also hat sich in der Wahl 2004 gegen die weitere Legitimierung des europäischen Parlamentarismus entschieden.

Ich prophezeie also – daß eine Unzahl von denen, die am 16ten zur Wahlurne laufen, am 17ten, wenn sie die Zeitungen lesen, sich dasselbe sagen, wie vor fünf Jahren: Alter Esel, du hättest ruhig zu Hause bleiben können! …“

Aber auch auf Landes- oder Kommunalebene sinkt die Beteiligung ständig. Bei den Stadtratswahlen in Leipzig sackten die Zahlen unter die 40 Prozentmarke auf 38,6. Von den 3 Prozent ungültigen Stimmen ganz abgesehen. Auch bei den Landeswahlen in Thüringen entschlossen sich mehr WählerIn­nen als sonst, der „Urne“ fernzubleiben. Nach 59,9 Prozent 1999 wählten diesmal nur noch 54 Prozent.

… Ich wäre auch ohne meine höchsteigene Bemühung fer­nerhin regiert und geschuh­riegelt und mißhandelt worden! Es wäre auch ohne mich ferner­hin jedes sachliche Bemühen um die Förderung der Kultur und das Wohlergehen der einzelnen untergegangen in dem lumpigen Streit herrschwütiger Parteien!“

Gustav Landauer, 1898

Bleibt nur die Hoffnung, daß all die Nicht­wählerInnen neben einem geruhsamen Sonntag noch genug Zeit finden werden, endlich auch an politischen Alternativen mitzuwirken. Denn eins scheint doch klar: Gegen Monarchie und Oligarchen, gegen Götter und die Diktatur, gegen Kapital und Lohnarbeit müssen doch bessere Kräuter als der Parlamentarismus gewachsen sein.

clov

* manche Wahlkreise blieben unter 25 Prozent!
Alle Zahlen aus Berechnungen der Collabora­tion EP – Eos Gallup Europe bzw. von den zuständigen Sta­tistik­ämtern.
Weitere Zahlen unter:
www.destatis.de oder
www.bundeswahlleiter.de

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