Vom konstruktiven Streik zur Streikpause

Zu der Zeit als wir mit Feierabend! #10 die StudentInnenbewegung vom November vorstellten und bei der bundesweiten Demonstration vom 13.12. ein Extrablatt verteilten, war in Leipzig noch tote Hose. Damals wusste noch niemand, ob es einen „Streik“ geben würde und wie er aussehen sollte. In unseren Köpfen spukten Fragen herum, wie: Inwieweit erkennen die Studierenden die Tragweite der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklung, die zur Verschlechterung der Lebensbedingungen der Mehrheit der Bevölkerung führt? Inwieweit können sie sich von ihrem Vorlesungs- und Klausuralltag lösen? Sind sie überhaupt in der Lage zu kämpfen oder kapitulieren sie bereits, bevor sie angefangen haben? Wird der Streik wie so oft zum Knallfrosch, zwei Wochen aktiv zu sein um danach in der Versenkung zu verschwinden oder Auftakt einer längerfristigen Organisierung?

Diese Fragen können wohl erst nächstes Semester beantwortet werden. Schließlich hat die letzte Vollversammlung der Studierenden eine Aussetzung des Streiks beschlossen. Am 14.4. wird eine erneute Vollversammlung über den weiteren Verlauf entscheiden. Wie sind die hochschulpolitischen Rahmenbedingungen, in denen sich die Studierenden bewegen? Seit Jahren verschlechtern sich die Zustände an den Universitäten dramatisch, die stetig steigenden Studierendenzahlen fallen mit dem Rückzug des Staates aus der Bildungsfinanzierung zusammen. Die Folge sind überfüllte Vorlesungen und Seminare, schlechte Ausstattungen der Bibliotheken, kein Geld für Exkursionen und neue Technik. Der letzte Paukenschlag war die Erhöhung des Semesterbeitrags auf 69 Euro um „die Essenspreise für Studierende stabil zu halten“.Ursache hierfür sind die Kürzungen des Freistaats Sachsen an den Zuschüssen, die voraussichtlich bis 2006 von derzeit ca. 2,1 Mio. auf 1,2 Mio. Euro sinken sollen (2001 noch 3,5 Mio.). Gleichzeitig werden allgemeine Studiengebühren immer wahrscheinlicher. Alle Studienbereiche sind bereits zugepflastert mit Gebühren: für Zweit- und Langzeitstudien (Zwangsexmatrikulation in Sachsen), für ausländische Studierende und Sprachkurse, Erwachsenen- und Fortbildung. Nur noch das Erststudium in der „Regelstudienzeit“ ist bisher aufgrund des Verbots im Hochschulrahmengesetz für Gebühren noch nicht zugänglich.

Doch Bundesländer wie Sachsen und Bayern klagen beim Bundesverfassungsgericht gegen dieses Verbot mit der Begründung, daß Bildung Ländersache sei. Auch wenn es mancherlei Ausweichmanöver gibt, wird es, sollte dieses Verbot fallen, womöglich schon im Wintersemester Studiengebühren geben. Mit dem Propaganda-Terminus „sozialverträglicher Studiengebühren“ soll den Studierenden und allgemein der Bevölkerung Sand in die Augen gestreut werden. Das Problem ist nicht nur die weitere Ausgrenzung der unteren Schichten von der Bildung. Der Bildungsbereich steht vor einer weitgehenden Verökonomisierung. Das heißt Bildung als Ware, die ihren Preis hat – sprich Studiengebühren. Doch kann Bildung überhaupt abgerechnet werden? Würde dies nicht der Vergewaltigung eines lebendigen kommunikativen Prozesses gleichkommen?

Ebenfalls im Wintersemester sollen alle Studiengänge auf BAchelor und Master umgestellt werden. Hier gibt es noch Unklarheiten bei den Studierenden, dem Konzept werden positive Punkte abgerungen, wie der europaweiten Vergleichbarkeit. Vor lauter Konstruktivität wird vergessen, daß damit eine europaweite Zweiklassenhochschule kommt. Auch die derzeitigen Anpassungsprobleme werden irgendwann gelöst sein, dann steht für 80% der durchgeplante und mit wenig Freiräumen ausgestattete Regelabschluß Bachelor zur Verfügung, während die Elite einen wissenschaftlichen Abschluß machen darf. Eine Möglichkeit diese Quote zu erreichen, wären Studiengebühren für den Master, der auch als Zweitstudium interpretiert werden kann. Diesen Zweiklassenabschluß zu begrüßen verrät eine gehörige Portion Blindheit, und zu meinen, man könnte dort mehr als kosmetisch mitwirken, Naivität und Unkenntnis der Kräfteverhältnisse. Die Rahmenbedingungen sind über Hochschulgremien nicht veränderbar.

Nimmt man noch andere Bausteine dazu, wie die Chipkarten, die auch zur Zugangskontrolle eingesetzt werden können, Hochschulgremien mit Wirtschaftsvertretern und nicht zu vergessen der abzusehende universitäre Konkurrenzkampf um den Status der Elituniversität, dann lässt sich das zukünftige Hochschulmodell erahnen: eine Universität als Unternehmen, dem Rektorat als Führung (1), den DozentInnen und Hilfskräften als Lohnabhängige und den Studierenden als Kunden, deren Einfluß auf ihr Bares und die Ausfüllung von Fragebögen zur Evaluation beschränkt wird.

Diese Entwicklung ist nicht neu, bereits bei den Studierendenprotesten 2001 war sie absehbar. Es bleibt nicht mehr viel Zeit dem entgegenzutreten. Schritt für Schritt wird eine Verschlechterung nach der anderen durchgesetzt werden, wenn wir passiv bleiben. Und da die zugestandene Mitbestimmung und der kreativ-brave Protest bereits in den letzten Jahren nichts an der Situation geändert hat, sollten wir endlich mal das Selbstbewußtsein aufbringen NEIN! zu sagen und uns nicht weiter verarschen zu lassen.

kater francis murr

(1) anlässlich einer Diskussionsrunde in ihrem Seminar äußerte sich die Prorektorin Schubert zur Legitimation des Rektorats dahingehend, daß schließlich auch niemand auf die Idee käme Unternehmensführungen abzuschaffen.

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