Vom Krieg, der Raumfahrt und den Bildern

oder: Zum Schluss wird abgerechnet!

Gerade bevor das Bier zur Neige ging, 1:0 in der neunzigsten Minute. St. Pauli hat´s nochmal geschafft. Schlecht gespielt, aber egal, Hauptsache die drei Punkte. Da gehen die 20.00 Uhr Nachrichten doch gleich viel leichter runter. Paramilitärische Auseinandersetzungen in Columbien, Massenpanik in Chicago, Kinderpornoringskandal in ‚Hinterwaldungen‘, Bürgerkriege in Afrika, Hubschraubereinsatz in Tschetschenien, blutige Demonstrationen in China, und zu allem Überfluss noch Erdbeben im dicht besiedelten Japan, Flut und Hunger in Bangladesch, schließlich nicht zu vergessen, Mordattentate auf Zivilisten in Israel, Räumkommandos im Westjordanland und die tägliche Truppenverlegung an den Golf. Gut das St. Pauli doch noch gewonnen hat. Und die Nicht-St.-Pauli-Fans? Die können ja anschließend den neuen Superstar der Unterhaltungsindustrie in d-Mohl beäugen. Spätestens danach ist St.-Pauli-Fan oder nicht wieder aufnahmefähig, um noch einmal beim Scheitern des letzten Raumfahrtprojektes hautnah dabei zu sein, den Tod der sieben Gardeoffiziere zu betrauern und sich gemeinsam mit den Experten zu fragen, wie das passieren konnte. Nach Siegesgefühl, Ohnmacht, empfundenen Glücksversprechen und der Trauer um einen vom Scheitern bedrohten Traum ist dann auch jeder Nicht-Fußballfan reif für die Koje und ein wenig froh, der medialen Dauerbeschallung zumindest im Schlaf entronnen zu sein. Der jedoch verläuft sehr unruhig. Die Bilder wirken nach. Kann Pauli die Klasse halten? Sind die Amerikaner Schuld an allem, oder transnationale Unternehmen? Ach gegen das Walten von Mutter Natur ist eh kein Kraut gewachsen! Und die Glückschance im Fernsehen ist auch nicht wirklich echt, wer will sich schon vom Bohlen beleidigen oder anbaggern lassen? Aber das mit dem Spaceshuttle ist wirklich schade, denn wer wollte nicht die Erde einmal als Ganzes erblicken! Wie hieß der eine doch gleich? Auch egal, werd eh nicht in die Gelegenheit geraten, steht ja auch alles erst am Anfang! Während sich die Träumer durch die Nacht wälzen, müssen sie feststellen, dass für sie kein Platz ist in der Startelf von St. Pauli, ihnen kein Weg in den Sinn kommt, die Konflikte in der Welt zu beheben, sie niemanden retten können, nie „groß rauskommen“ und der Traum von der Eroberung des Weltalls doch nicht der ihre ist. Oh welch segenreiche Unterhaltung in der Abendglut der Freizeit, global, virtuell und universal. Wieviel leichter fällt da das alltägliche Aufstehen, zur Arbeit gehen, produktiv sein, einen Platz haben. Hier ist alles so lokal, real und partiell, dass mensch schon fast wieder an die Möglichkeiten seiner Selbstverwirklichung zu glauben beginnt. Was ist es doch für ein Glück, dass ich Arbeit habe, so anstrengend ist sie ja auch nicht. Was für ein Glück, dass mich mein Boss mag und die Familie ja auch. Was für ein Glück, auf befriedetem Territorium zu leben, ein paar Freunde zu haben und den Supermarkt um die Ecke. Nachher hol´ ich mir noch ein, zwei Bier, dann in die Wanne und heute Abend spielt St. Pauli ja auch noch im Pokal, live im Fernsehen.

Und dann: 0:1 verloren. Ausgeschieden. Gut gespielt. Tja, das Glück ist eben doch schicksalsbehaftet. Kommt und geht, wie beim Fußball, Kriegen, Stars und der Forschung. Man hat´s eben nicht in der Hand. Is´ ja auf Arbeit und im Alltag genauso. Man hat Glück oder keins. Zufall, sonst nichts. Da kann man nichts machen.

Oh Elend, gegen soviel Pessimismus in Alltag und Freizeit wage einer, den Wahlspruch der Aufklärung im Munde zu führen: Sapere aude! Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen! Aber was kann mensch schon machen? … angesichts der schicksalshaften Bewegung der Welt? … die doch das Glück nur dem Zufall gemäß verstreut? Ich meine, anfangen sie nach eigenem Bilde zu verändern!

clov

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