„Vom Rand her schrumpfen“

Fritjof Mothes im Interview

Fritjof Mothes, geboren 1970, innerhalb des Vereins für Nutzerbetreuung und Eigentümerberatung zuständig, ist Stadt- und Regionalplaner, Mitherausgeber der „Leipziger Blätter“ und einer der Initiativgeber zur Gründung von HausHalten e.V. sowie Vorstandsmitglied.

FA!: Sie sind von Beruf Stadt- und Regionalplaner, wie kam es zur Idee, zum Verein HausHalten und wann?

Fritjof Mothes: Als Stadtplaner produziert man ja viel Papier, nur an der Umsetzung ha­­pert es meistens. Wir wollten 2003 mal pro­­bieren, ob man das Konzept der Stadt­teilplanung für den Leipziger Westen auch in die Tat umsetzen kann. Damals haben wir uns pro Haus nur eine Person vorgestellt, die dort lebt und arbeitet. Letzt­end­lich hat sich ein Team aus Beteiligten, welche sich aus diesen Zusammen­hängen kannte, zusammengefunden mit dem Ziel, ein praktisches Beispiel zu schaffen und zu sehen, ob das tragfähig ist.

FA!: In knapp 4 Jahren von einer lokalen Initiative zu einem staatlich gefördertem Kompetenzzentrum. Sind sie zufrieden mit den Fortschritten des Vereins? Werden ihnen Steine in den Weg gelegt?

FM: Wir sind von der Resonanz, vor allem von der Nachfrage, was Interessenten für die Nutzung der Gebäude betrifft, über­­rascht. Wir hatten schon Zweifel, ins­be­­­­­­­­son­­­dere als wir im letzten Jahr den Schritt in den Osten getan haben, wo wir mit der Ludwigstraße und der Eisenbahn­stra­­ße zwei Häuser haben, die sehr groß sind. Aber auch dort hatten wir nach we­nig­­­­­en Besichtigungen das Haus quasi voll. Nur manch­mal hatten wir Schwierigkeiten, die Eigentümer zu überzeugen, weil die sich unter dem Konzept nichts vor­stel­­l­­­­en konnten. Generell können wir uns über mangelnde Unterstützung nicht be­schwe­­r­­en. Problematisch ist eher, dass wir als kleiner Verein mit rund zehn Mitgliedern mit den Kapazitäten an die Grenzen stoßen.

FA!: Das Wächterhaus-Konzept ist eigentlich unabhängig vom Interesse der Stadt, be­vor­­zugt die Substanz an vorhandenen Grün­der­häusern zu erhalten. Warum also stehen ge­rade diese Häuser im Zentrum der Aktivi­tä­ten des Vereins und können Sie sich vorstellen, dass etwa auch Plattenbauten bspw. in Grünau als „Wächterhäuser“ fungieren?

FM: Grundsätzlich orientieren wir uns da­nach, dass wir bewusst nicht in Stadtteile wie Südvorstadt oder Connewitz gehen, die es auf dem Immobilienmarkt leich­ter ha­ben. Wir glauben, dass sich da auch nor­male Investoren zur Genüge finden. Wir ge­hen ganz bewusst in die Stadtteile, wo wir Probleme sehen, wie bei­spiels­­­weise im Leip­ziger Osten und Westen. Man kon­nte vor einigen Jahren nicht sagen, dass Lin­denau jetzt der hippeste Stadt­teil ist. Wir hatten Anfangs in einem Haus in der Dem­meringstraße auch durch­aus eine hohe Fluktuation, weil Bewohn­er wieder zu­­rück nach Connewitz ge­zogen sind, da ihnen der Stadtteil nicht kre­ativ und hip ge­­nug war, das hat sich mitt­ler­weile geän­dert. Wir glauben, dass das durchaus ein Bau­stein ist, dass Wächter­häuser sich in­zwi­schen dort auch konzentrieren. Mitt­ler­­weile gibt es dort meh­re­re, die sich gegen­­seitig befruchten und Ge­gen­den, die vor­her eben nicht so ange­sagt waren, mit in den Fokus rücken. Zur Aus­wahl der Ge­bäu­de kann ich nur sagen: Unser Hauptziel ist es, die his­torisch­en, das Stadtbild prä­­gen­den Gebäude zu hal­ten und für Leip­­zig über die Zeit zu ret­ten. Wir gehen ganz bewusst nicht nach Grün­au, weil wir der Überzeugung sind, dass wir es dort mit einem erheblichen Leer­stand zu tun ha­ben und natürlich auch sehen, dass es Ge­­biete und Wohnungs­­­­überhänge geben wird, die abgebaut wer­den müssen. Und da sagen wir: den his­torischen, urbanen Kern zu behalten ist wich­tig. Das heißt auch, dass wenn man schon schrumpft, man vom Rand her schrumpft.

FA!: Es ist aber vorstellbar, dass der Verein etwa in Reudnitz oder Neustadt/Schönefeld Häuser übernimmt?

FM: Wir sind da dran und wenn sich Partner finden, sowohl auf Eigentümerseite als auch bei den Nutzern, dann werden wir das auch angehen. Uns ist es allerdings wichtig, besonders die den Stadtteil prägenden Gebäude anzugehen und das sind vor allem die Eckgebäude an den Haupt­ver­kehrsstraßen. Ich glaube, das kann man ja an der allgemeinen Sanierungsent­wick­lung sehen, dass sich die ruhigen Seitenstraßen oft von ganz alleine entwickeln, aber sich an den Hauptverkehrsstraßen, die das Bild der Stadt ganz besonders prägen, die Probleme konzentrieren. Das ist unser Hauptbetätigungsfeld. Da befinden wir uns übrigens vollkommen im Einklang mit den Stadtentwicklungszielen der Stadt Leipzig. Da arbeiten wir eigentlich Hand in Hand und haben auch keine gegen­sätzlichen Auffassungen.

FA!: Der Verein bildet ja einen runden Tisch der Interessen. Neben denen des Eigentümers und der Stadt sollen auch die NutzerInnen-Interessen eine Rolle spielen. Wie deckt sich die Arbeit im Verein mit ihren Idealvorstel­lungen von Stadtentwicklung insbesondere in Bezug auf die soziale Entwicklung von Quartier und Milieu?

FM: Unser Ansatz verfolgt mehrere As­pek­­­te, das ist zum Ersten der bereits er­wähn­­­te Substanzerhalt. Der Zweite ist, dass dort Stadtteile belebt werden sollen. Aber wir wollen auch ganz bewusst jene un­­ter­stützen, die es auf dem klassischen Markt schwer haben. Das bedeutet ei­ner­seits, Räumlichkeiten zu bieten für Kreative, Künstler, für soziale Initiativen, die oft auch am Anfang stehen. Manche haben vor ihrem Einzug nur auf dem Papier ex­­istiert, weil sie sagten: „Wir können nicht arbeiten, wenn wir keine Räume haben.“ Wir bieten zu sehr günstigen Kon­­­ditionen die Räume, aber auch Zeit – aufgrund dessen weil es nicht so teuer ist – zu probieren und sich zu entwickeln. Das Andere, was uns auch sehr wichtig ist, ist für Existenzgründer Möglichkeiten zu bieten. Wir haben mehrere kleine Büros, zum Beispiel ein Grafikbüro, oder eine Sei­fen­siederei, die es sich überhaupt nicht hät­ten erlauben können, sich eine klassische Einheit irgendwo auf dem regulären Markt zu mieten, aber sich jetzt ausprobie­ren können und vielleicht irgendwann so­weit entwickeln, dass sie damit auch Geld verdienen können und sich in den normalen Wirtschaftskreislauf einbringen.

FA!: Wenn sich nun viele soziale Vereine für ein leerstehendes Ladenlokal bewerben würden, wie würden sie entscheiden, wem sie den Vorzug geben?

FM: Wir machen mehrere Besichtigungen und meistens fügt es sich dann, dass sich im Prinzip so ein oder zwei be­son­ders sinnvolle für den Laden zusamm­en­finden. Dann sehen wir, was uns auch im Zusammenspiel mit den anderen Nut­zern am sinnvollsten erscheint und dann ver­suchen wir auch relativ schnell, die Nut­­zer im Haus gemeinsam entscheiden zu lassen, was dort sinnvoll ist. Weil die Nut­­z­ungen sich ja auch vertragen müssen, also wenn auch mal wo länger Musik ge­spielt wird, passt das nicht, wenn da­run­­ter etwa ein Yogakurs gemacht wird. Das ist immer ein sehr diffiziler, spannender und einzelfallbezogener Prozess.

FA!: Inwieweit hilft und berät der Verein bei der Planung und Finanzierung der NutzerInnen-Interessen?

FM: Im Grundsatz sind die Leute für ihr Kon­zept selbst zuständig, wir hoffen – und das hat bisher auch immer geklappt – dass es innerhalb des Hauses eine Mischung gibt und die sich gegenseitig helfen können. Zum Beispiel funktioniert in­zwi­sch­en auch die Kommunikation zwischen den Wäch­terhäusern ganz gut. Das betrifft nicht nur Nutzerkonzepte, sondern auch bau­liche Sachen, weil am Anfang der Ausbau dominiert – die Häuser sind ja teil­weise in nicht gerade berauschendem Zustand. Wir sehen es aber nicht so sehr als unsere Aufgabe an, dort inhaltliche Unter­stützung zu geben, das ist in anderen Städten ganz anders. Wie jetzt in Halle oder auch in Chemnitz, wo ein Verein die Wäch­terhäuser etablieren will. Dort will der Verein die Kreativen auch in den in­halt­lichen Konzepten unterstützen, das ist hier in Leipzig nicht so sehr das Thema.

FA!: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Inte­gration der Nutzungsinitiativen der „Wäch­ter“ mit ihrer nach­bar­schaft­lichen Um­gebung/ihrem Milieu?

FM: Unterschiedlich. Ich habe den Eindruck im Gespräch mit den Nutzern, dass die Akzeptanz steigt und man sich auch damit auseinandersetzt, was hier im Stadtteil passiert. Ich glaube, dass es wichtig ist, für eine gewisse Offenheit einzustehen, das ist der positive Aspekt. Auf der an­deren Seite ist es aber auch so – und da­für gibt es auch ein, zwei Beispiele – dass wenn Abends mal Party ist und das nicht unbedingt Konzept des Ladens war, dass sich Leute gestört fühlen, wenn da Leute auf der Straße stehen mit ’ner Bierflasche und drinnen Musik kommt. Da gibt’s dann auch mal Nachbar­schaftskon­flikte, wo wir dann wieder dran sind und gucken müssen, das im Zaum zu halten, zu vermitteln und die Nutzer aufzufordern, sich an die Regeln zu halten. Man kann eben nicht bis 24 Uhr Techno spielen, wenn ein anderes Konzept eigentlich vereinbart war.

FA!: Ziel des Vereins ist es ja, irgendwann aus der Betreuung der Wächterhäuser auszu­stei­gen, sie sozusagen in die „Selbstbestimmung“ zu entlassen. Bisher ist das nur mit dem Wäch­terhaus in der Kuhturmstraße gelung­en. Was waren hier die besonderen Umstände, die dies er­mög­lichten? Und werden bald weitere „Wächterhäuser“ diesem Beispiel folgen?

FM: Grundsätzlich ist es so, dass wir eine Art Durchlauferhitzer sind. Unser Ziel ist es, eben nicht unendlich viele Wächterhäu­ser zu haben, sondern es geht darum, die Nut­zergemeinschaften so zu bilden, dass sie irgendwann in die Selbständigkeit ent­lassen werden können. Dass das bei der Kuh­turm­straße gut funktioniert hat, liegt da­ran, dass es in diesem Haus nur wenige Nut­zer gibt, so drei oder vier an der Zahl, die sich unter­einander sehr gut kennen, und auf der anderen Seite haben wir eine Ei­gen­tümerin, die selbst Leipzigerin ist, mit der wir sehr gut zusammenarbeiten und eng verbunden sind, also eine Ver­trau­ensbasis da ist. Bei den anderen Häusern ist es grundsätzlich ein bisschen kompli­­­zierter, weil es einfach sehr viel mehr Nutzer gibt und das Verfah­ren ja so ist, dass wir als Verein mit dem Haus­ei­gen­­tümer eine ‚Gestattungsverein­ba­rung Haus’ auf der einen Seite treffen und auf der anderen mehrere ‚Ge­stat­tungs­­ver­ein­ba­r­ungen Raum’ mit den Nut­zern. Wenn nun die Nutzer eines Hauses sich zu einer Ge­mein­schaft zusammen­schlie­ßen und statt mehrerer nur noch einen Vertrag mit uns haben als Zwischenstufe und dann die­ser eine Vertrag mit dem Eigentümer di­rekt zusammengeführt wird, da können wir uns dann herausziehen. Und das ist na­tür­lich in einem Haus, wo es zehn verschie­dene Nutzer gibt, sehr viel kom­pli­zierter als in einem kleinen Haus wie in der Kuhturmstraße. Wir haben jetzt auch zwei Häuser, wo wir uns vor­stellen können, dass das sehr bald der Fall sein wird. Man darf aber auch nicht ver­gessen, dass die Eigentümer auch froh sind, einen seriösen „Puffer“ zwischen den Nutzern und sich selbst zu haben.

FA!: Hoffen sie denn, dass sich der Verein durch positive Entwicklung eines Tages selber überflüssig machen könnte?

FM: Ja, wir sehen das Projekt ‚Wächterhäuser’ bewusst als temporär. Wir glauben oder erhoffen, dass wenn man sich die Sanierungsentwicklung in Leipzig anschaut und auch die weniger wertvollen Häuser, die diese extremen Probleme haben, dass man uns in zehn Jahren nicht mehr braucht, weil dann dieses Problem der geflickten Häuser hoffentlich weitgehend befriedigt ist. Wir sind gerade dabei – das wird unser Schwerpunkt in nächster Zeit sein – dieses Modell in andere Städte zu exportieren; der andere Schwerpunkt ist es, das Modell weiter zu entwickeln, uns zu überlegen, ob es nicht auch andere Varianten des Hauserhaltes gibt. Da werden wir schauen, ob es gerade für Kleinstädte, wo die Probleme ja noch viel, viel größer sind als in Leipzig, noch weitere Modelle gibt und uns dann darauf konzentrieren in Zukunft.

FA!: Vielen Dank für das Interview.

bonz

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