Wahrheit als Ware?

Wie der Kapitalismus die Medien korrumpiert

Jemand, der/die öfters die Medien liest, stellt sich vielleicht manchmal Fragen wie: Warum werden gerade diese Nachrichten in den Medien behandelt? Wieso wird ein Thema, das ich als sehr wichtig für die Gesellschaft empfinde, gar nicht oder nur am Rande behandelt? Warum werden öffentliche Diskussionen in den Zeitungen nur in einem bestimmten Rahmen diskutiert? Und wieso scheinen die Medien manchmal allzu bereit zu sein, Fakten nur selektiv wahrzunehmen und Propaganda für bestimmte Zwecke zu betreiben?

Wer sich solche Fragen stellt, hegt berechtigte Zweifel am kapitalistischen Mediensystem. Doch ist es schwer darum bestellt, welche Gründe zur Beantwortung dieser Fragen herangezogen werden könnten. Ich möchte in diesem Artikel ein Modell darstellen, welches – wie ich meine – interessant für alle sein sollte, die darum bemüht sind, Nachrichteninhalte kritisch zu beurteilen. Dabei will ich auf mehrere Aspekte und Themen zu sprechen kommen, wie: Wie funktioniert kritisches Denken? Wie könnte eine bessere Berichterstattung aussehen?

Es gibt so manche Fälle, in denen JournalistInnen wissentlich oder unwissentlich unkritisch Lügen der Eliten übernommen und sich so mit deren Sache gemein gemacht haben. Besonders gut lässt dies sich an Mili­tär­ein­sätzen wie den beiden Irak­kriegen und dem Koso­vo­krieg be­­obachten. Bei letz­te­rem war die un­­kriti­­sche Ak­zep­­tanz der Aussagen der rot-grü­nen Regierung ein Grund, warum die Bundeswehr bei den Angriffen der NATO auf die Bun­desrepublik Jugoslawien teilnehmen konnte. Ihren Höhepunkt fand diese Propaganda in der Behauptung, dass das Regime von Slobodan Miloševic Gräueltaten gegen die kosovo-albanische Bevölkerung durchgeführt hätte, die in ihrer Qualität mit dem Holocaust vergleichbar seien. Ebenso gibt es den Trend der Mainstream-Medien, linke Parteien und Graswurzel-Bewegungen zu marginalisieren und ignorieren. Besonders dies hat wohl auch dazu geführt, dass die Grünen (mensch denke mit Hinsicht auf die Bundestagswahl an den Veggie-Day ) im Laufe ihrer Geschichte immer weiter in Richtung politische Mitte gedriftet sind, um als „seriös“ gelten zu können.

Angesichts dessen stellen sich mehrere Fragen: Sind Phänomene wie Kriegspropaganda oder die Verunglimpfung kleinerer Neueinsteiger-Parteien lediglich zufällige Ergebnisse eines freien Mediensystems? Oder sind sie das Ergebnis der Medienstrukturen, die eine bestimmte Berichterstattung nach sich ziehen?

Noam Chomsky und Edward S. Herman (C&H) meinen, die zweite Frage energisch bejahen zu können. Die beiden Politikwissenschaftler versuchen in ihrem 1988 erschienenen Buch „Manufacturing Consent” zu erklären, aus welchen Gründen Propaganda in demokratisch-kapitalistischen Gesellschaften entsteht. Ihr „Propaganda Model” will systematisch darlegen, wie Wahrheitsverfälschung im marktwirtschaftlichen Mediensystem nicht nur eine Anomalie , sondern ein logisches Ergebnis desselben darstellt, das ferner dazu führt, dass ärmere Klassen notwendig eine geringere mediale Repräsentation erfahren.

Die Schlussfolgerungen, die sich aus dieser Analyse ergeben, sind dramatisch: Anstatt ihrer Rolle als demokratisches Aufklärungsorgan nachzukommen, dienen die Medien den Interessen von Machteliten.

C&H sind bis heute die einzigen, die Propaganda in westlichen Gesellschaften auf nicht-subjektive und nicht-konspirative Faktoren zurückführen und ein überprüfbares Modell dafür aufstellen konnten. Dieses ist attraktiv, da es auf den Vorannahmen eines freien Markts beruht, d.h. alle Personen und Institutionen im System lediglich ihren eigenen Interessen nachgehen.

C&H geht es in ihrer Darstellung lediglich um Medien, die in der Hand privater EigentümerInnen sind und sich größtenteils aus kommerziellen Quellen finanzieren. Die Rolle eines öffentlichen Rundfunks, der in Europa allgemein, auch hier in Deutschland, weitaus stärker ausgeprägt ist, sowie des Internets und unabhängiger Informationsquellen werde ich in einem späteren Artikel beleuchten.

Nach C&H erfüllen die kapitalistischen Medien neben ihren anderen Funktionen aufgrund ihrer Beschaffenheit die grundlegende Funktion, Propaganda im Interesse der Eliten zu verbreiten. Diese haben weitreichende Vorstellungen davon, wie die Gesellschaft zu ihren Gunsten strukturiert werden soll und wie dies gegen den Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt werden kann.

Der Grundpfeiler des US-amerikanischen Mediensystems, das die Autoren untersucht haben und ihren Annahmen zugrunde liegt: der Staat greift selbst nie direkt in die Berichterstattung mittels Zensur ein, um einen ideologischen Konsens herzustellen. Staatliche Zensur ist ein grundlegendes Merkmal autoritärer und diktatorischer Staatssysteme, in demokratischen Systemen jedoch sind andere Mechanismen am Werk.

Eine viel wichtigere Rolle in der Presse spiele die Einstellung von „richtig denkendem” Personal sowie die Internalisierung von Werten und Prioritäten, die bestimmen, welche Informationen als nachrichtenrelevant angesehen werden und letztlich den politischen und wirtschaftlichen Grundsätzen der jeweiligen Institution angemessen sind (1).

Die Grundpfeiler des Propaganda Models bilden fünf „Filter”, d.h. Faktoren, die den Inhalt der Berichterstattung sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht bestimmen. Diese Filter entfalten in unterschiedlichem Grad ihre Effizienz und komplementieren sich gegenseitig in ihrer Wirkung. Aus ihnen erklärt sich, welche Inhalte und Sachverhalte als nachrichtenwürdig angesehen werden und warum es automatisch zu propagandistischer Berichterstattung seitens der Medien kommt.

1) Die Besitzverhältnisse der Medien

Eine strukturelle Komponente, die der europäischen, der amerikanischen und anderen kapitalistischen Gesellschaften zugrunde liegt, ist die, dass ein Großteil der Märkte dazu tendiert, sich zu Oligopolen zu entwickeln. Der Medienmarkt bildet hier keine Ausnahme, und so ist ein Großteil der Medien in den USA und anderswo von wenigen Großkonzernen dominiert. Dass diese Strukturen nicht leicht aufzubrechen sind, ist auch daran ersichtlich, dass es für heutige NeueinsteigerInnen überall im Westen kaum möglich ist, in den Markt der etablierten Zeitungen einzutreten. Eine Ausnahme für Deutschland bildet die taz, die 1978 gegründet wurde und sich aktuell mit einer niedrigen Auflage von circa 55.000 Ausgaben hält, auch wenn sie mehrmals kurz vor der Pleite stand.

Die Besitzer der großen Medienkonzerne, die meist ein großes Repertoire an Produkten von Dokumentationen bis hin zu Entertainment-Shows in mehreren Formaten und auf mehreren Kanälen anbieten, haben als Mitglieder der oberen wohlhabenderen Schichten das Ziel, die Interessen ihrer Klasse zu verteidigen und sind auch gewillt, ihre Macht dafür einzusetzen.
Je kleiner die Anzahl der großen Anbieter, die den Medienmarkt unter sich aufteilen, desto kleiner die Anzahl der Gatekeeper. Als Gatekeeper bezeichnet man im Kontext der Nachrichten jene Individuen und Institutionen, die bestimmen, welche Nachrichten veröffentlicht werden.

Auch in Deutschland wird der Zeitungsmarkt immer kleiner und damit monopolisierter. Die Anzahl der erscheinenden Tageszeitungen hat sich seit 1965 bis heute von 543 auf 329 reduziert. Große Verlage wie Springer und Bertelsmann haben mit ihrem Großaufgebot von Medien einen überproportionalen Einfluss auf die Inhalte, die von den meisten Menschen täglich konsumiert werden.

Wenn mehrere Zeitungen zu einem Verlag gehören, kann es auch zu einer Vereinheitlichung der Nachrichten kommen. Der Madsack Verlag z.B. entschied 2011, dass 53 Stellen, 30 davon in der Redaktion, bei der Leipziger Volkszeitung gestrichen werden sollen. Der Großteil der überregionalen Nachrichten für die 18 Madsack-Zeitungstitel solle zukünftig in einer Berliner Zentralredaktion angefertigt werden.

2) Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing!
Finanzierungsquellen

Die Rolle der Werbung für die Finanzierung der Medien ist im vergangenen Jahrhundert immer weiter gestiegen. Eine gewöhnliche deutsche Zeitung finanziert sich heute zu über 50% aus Werbeeinnahmen – noch vor dem Platzen der Dotcom-Blase Anfang 2011 des neuen Jahrtausends lag dieser Anteil bei 66%. Die Verlagerung der Berichterstattung in das Internet (der Großteil der LeserInnen nutzt die Angebote heute online) hat ebenso dazu geführt, dass die Werbebranche weniger in die Anzeigen der Printausgaben investiert. Das stellt für die Tageszeitungen und Magazine eine finanziell krisenhafte Situation dar, die zu weitreichenden Rationalisierungen bei den Verlagen geführt hat. Beim privaten Fernsehen liegt der Werbeanteil hingegen bei 100%. Sie sind gekennzeichnet durch einen Mix aus Sport, Sensationalismus, seichtem Entertainment, Lifestyle-Shows und Sex und bieten so gut wie gar keine Informationen, die für öffentliche politische Debatten relevant sind.

In einem System, in dem die Medien sich vorrangig durch Werbung finanzieren müssen, bleibt wenig Platz für eine Presse, die einen konstruktiven politischen Austausch der unteren Klassen garantieren kann. Große Unternehmen, die vorrangig Anzeigen schalten, bevorzugen für ihre Werbeumgebung „feel good”-Inhalte, die die RezipientInnen zum Konsumieren anleiten und nicht dazu, das System des Kapitalismus und der Konsumgesellschaft anzuzweifeln, dem die EigentümerInnen ihren Reichtum und ihre Monopolstellung verdanken. Diese wollen vor allem die wohlhabenderen Schichten ansprechen. Arbeitslose, MinijobberInnen und andere benachteiligte Schichten geben den größten Anteil ihres Einkommens für grundlegende Güter aus und haben nicht das Geld für Autos, IT, Schmuck oder andere hochwertige Konsumwaren. Es kann sogar sein, dass Zeitungen ihre Ausrichtung ändern, um besser jene Teile der Gesellschaft zu erreichen, die bei Werbe- und Marketingmaßnahmen angesprochen werden sollen.

Ein markantes Beispiel für den Zusammenhang zwischen der Menge der Werbeeinnahmen und der weltanschaulichen Ausrichtung bietet die britische Presse. Nach dem 2. Weltkrieg wurden in Großbritannien die drei sozialdemokratischen Zeitschriften, der Daily Herald, News Chronicle und der Sunday Citizen aufgelöst oder in andere Establishment-Publikationen absorbiert. Die drei vereinigten täglich gemeinsam 9,3 Millionen LeserInnen auf sich. Mit einer Auflage von 4,7 Millionen hatte der Daily Herald mehr LeserInnen als die Times, die Financial Times und der Guardian gemeinsam. Umfragen aus dem Jahr 1964 zeigen, dass seine LeserInnen mehr von ihrer Zeitung hielten als RezipientInnen anderer Zeitungen und dass sie, obwohl sie größtenteils zur Arbeiterklasse gehört haben, mehr in ihrer Zeitung lasen als die KäuferInnen anderer bekannter Publikationen.

Der Herald konnte, obwohl er 8,1 % der LeserInnen auf sich vereinigen konnte, lediglich 3,5% der Werbeeinnahmen sein Eigen nennen und musste Mitte der 60er Jahre Bankrott anmelden. Mit dem Ende dieser Zeitungen fielen wichtige Elemente weg, die in der Lage waren, die Interessen der ärmeren Schichten zu vertreten und die Grundlagen des Kapitalismus zu kritisieren. Man stelle sich vor, man würde das Wahlrecht an das Einkommen der BürgerInnen knüpfen – die Konsequenzen wären desaströs. So ähnlich ist es jedoch mit der Repräsentation der Interessen der ärmeren Schichten in den Massenmedien bestellt. Die Werbeindustrie kann normative Standards setzen, an die sich die Medien halten müssen, wenn sie ihre eigene Existenz absichern wollen. Es ist bisher nicht vorgekommen, dass Großkonzerne Publikationen der Arbeiterklasse und radikaler linker Politik, also die der ideologischen Feinde unterstützt haben. Daraus ergeben sich ernsthafte Schwierigkeiten für jede Form von alternativer Presse, die konkurrierend mit dem Mainstream durchgehend herrschaftskritisch und doch mit hoher Qualität Nachrichten anbieten will.

Einen anderen Beweis für die Abhängigkeit von den Werbeeinnahmen bietet das ehemalige britische Boulevard-Blatt News of the World. Dieses war 2011 in Verruf geraten, als bekannt wurde, dass seine ReporterInnen die Handys von Todesopfern und deren Angehörigen gehackt hatte, um so an Top Storys zu gelangen. Der öffentliche Aufschrei in Großbritannien war groß, und die 168-jährige Zeitung musste letztendlich komplett eingestellt werden, weil die großen Werbeinserenten ihre Marke nicht mit solch unlauteren Methoden verbunden sehen wollten.

3) Nachrichtenquellen

Die Medien benötigen, im digitalen Zeit­alter mehr als je, einen stetigen Fluss an Informationen, um ihrer Aufgabe nachzukommen. Sie können nicht überall ReporterInnen und Kameras haben, um alle möglichen Themen abzudecken. Ökonomische Zwänge verpflichten sie dazu, ihre Ressourcen dort zu konzentrieren, wo wichtiges Berichtsmaterial entstehen könnte. Die Medien gehen daher aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeiten und gegenseitiger Interessen eine symbiotische Verbindung mit anderen bürokratischen Organisationen ein, die sie mit Informationen versorgen. Regierungsstellen, Großkonzerne und einflussreiche Verbände geben mit hoher Wahrscheinlichkeit Informationen her, die als ver­lässlich und öffentlich­keits­relevant angesehen werden. Diese wiederum richten sich Pressestellen ein, um die Medien mit frischen Neuigkeiten zu ver­sorgen. Der rest­liche Großteil der Nachrichten, der in der Presse erscheint, kommt direkt von großen Nachrichtenagenturen in Form von Pressemitteilungen und wird oft nur, wenn überhaupt, minimal bearbeitet und überprüft. Alternative und unabhängige Quellen, die nicht offensichtlich vertrauenswürdig sind, müssen nochmal genau überprüft werden – ein gewaltiger Kostenpunkt. Ferner entspricht es dem Interesse der Medien, als verlässlich und objektiv eingestuft zu werden, indem sie ihre Informationen aus offiziellen Quellen beziehen. Diese hingegen, wie z.B. Regierungsstellen, verfügen bei abweichender Berichterstattung über genug Autorität, die Presse effektiv zu kritisieren und zu diskreditieren.

Dem Propaganda Model zufolge werden den Medien damit Anreize geboten, sich auf offizielle Quellen zu stützen und nicht mehr investigativen Journalismus zu betreiben. Wenn ein Medium Reformen ansetzt, werden öfter Stellen eingespart und neue Designs entworfen, die das Pro­gramm ästhetisch attraktiver machen. In­vestigativer Journalismus ist in diesem Sys­tem einfach nicht profitabel und steht auf der Prioritätenliste der Medien unten.

Ein aktuelles Beispiel dafür, wie offizielle Quellen bevorzugt werden, bietet der Giftgasangriff in Syrien im August 2013. Die westlichen Staatschefs wie Obama hatten reichlich Möglichkeit, in den Medien ihre Behauptung kundzutun, es sei ausführlich belegt, dass Assad den chemischen Kampfstoff Sarin gegen die eigene Zivilbevölkerung eingesetzt hätte. Als der Pulitzer-Preisträger und Journalist Seymour Hersh im Dezember hingegen einen Bericht veröffentlichte, wonach die USA entgegen ihren Aussagen keine Beweise dafür hätten, dass diese Theorie stimmt, wurde dies fast komplett ignoriert. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) etwa, die den Bericht am 11. Dezember auf ihrer Website behandelte, war sogleich bemüht, diesen mit Verweis auf mehrere „Experten“ zu widerlegen. Genannt wurden nur drei: Shawn Turner, Angestellter beim Direktor der nationalen Nachrichtendienste, Lieutenant General James R. Clapper, der die Arbeit von 16 amerikanischen Geheimdiensten koordinieren soll, sowie Eliot Higgins, ein britischer Blogger aus Leicester, der seine Expertise aus dem Durchforsten von Twitter, Facebook und Youtube bezieht. Anscheinend reicht ein Experte im Googlen doch aus, insofern er nur die offizielle Linie unterstützt.

4) Flak

„Flak” beschreibt die Möglichkeit von Akteuren, auf unliebsame Berichterstattung Einfluss zu nehmen und diese präventiv zu unterbinden. Dies kann mit unterschiedlichen Methoden erreicht werden: Telefonanrufe, E-Mails, Briefe, Anklagen, Drohungen, Beschwerden und so weiter. Flak hat die Aufgabe, die Medien zu disziplinieren und sie im ideologisch verträglichen Diskussionsrahmen zu halten. Ein deutsches Beispiel für Flak wäre Ulrich Wickert. Der damalige Nachrichtensprecher der Tagesschau zitierte bei einem Gespräch mit dem Magazin Max die indische Schriftstellerin und Aktivistin Arundhati Roy mit den Worten : „Osama Bin Laden ist Amerikas Familiengeheimnis, der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten“. Er fügte danach selbst hinzu, dass Bush weder ein Killer noch ein Terrorist sei, aber die Denkstrukturen dieselben wären. Nach der Reaktion vieler PolitikerInnen, u.a. Angela Merkel, die ihm die Qualifikation als Nachrichtensprecher absprach, war Wickert gezwungen, sich für seine Äußerungen zu entschuldigen und sie zurückzunehmen.

Dieses Instrument ist insbesondere für NGOs (z.B. Think Tanks) und andere finanziell gut ausgestattete Personen und Ins­titutionen ein effektives Mittel, um un­liebsame Berichterstattung abzuwürgen. Für normale Menschen bietet Flak oft kei­nen Weg, einen signifikanten Einfluss auf die Medien zu nehmen. Es ist für sie viel schwerer, sich in größeren Mengen zu or­ganisieren, kompetente AnwältInnen anzuheuern und dauerhaft den Druck aufrecht zu erhalten, der nötig wäre, um Einfluss auf eine Zeitung oder einen TV-Sender zu nehmen. PolitikerInnen und Wirtschaftsbosse haben mehr Prestige und Macht, ih­nen fällt es damit leichter von Seiten der Medien ernst genommen zu werden. Große Unternehmen etwa können diesen Hebel betätigen, um Akteure zu bestrafen, die negativ über den jeweiligen Konzern berichten, z.B. indem sie damit drohen, keine Werbung mehr im Blatt zu inserieren oder die Anzahl ihrer Abonnements runter zu fahren.

Ein Beispiel dafür wäre der Vorfall zwischen der Süddeutschen Zeitung und Lufthansa im März 2001. Beide Streitparteien hatten zuvor ein Ab­kommen abgeschlossen, welches keine Kürzung der Abonnements vorsah. Als jedoch die SZ mehrmals über die streikenden Lufthansa-PilotInnen be­richtet hatte, reduzierte die Lufthansa ihr Abon­nement um 10.000 Aus­gaben. Der britischen Jour­nalistin Kate ­Connolly nach war dies eine direkte Bestrafung für die Berichterstattung der SZ. Weiterhin wurde ihr Bericht darüber von den großen deutschen Zeitungen aus Angst vor den Konsequenzen abgelehnt. Es ist anzunehmen, dass der Großteil des Flakaufgebots hingegen verborgen bleibt und nicht an die Öffentlichkeit gelangt.

5) Ideologie

Da „Manufacturing Consent“ gegen Ende der 80er Jahre veröffentlicht wurde und sich alle Fallstudien auf die Nachkriegs-USA beschränken, stellt für sie der Anti-Kommunismus den entscheidenden Faktor dar, der die Berichterstattung ideologisch spaltet. ReporterInnen und JournalistInnen standen stets unter dem Druck, nicht als kommunistisch bezeichnet zu werden und verurteilten daher umso schärfer die Verbrechen von „kommunistischen” Ländern. Es können natürlich auch andere Feindbilder bemüht werden, die die Bevölkerung in Schrecken und Empörung versetzen sollen: die Serben, der Islam, Terroristen, Russland, Arbeitslose, Linke, etc.. Alternativ können auch andere ideologische Überzeugungen diese Funktion erfüllen, wie z.B. der Glaube an den freien Markt. Alles in allem ist der 5. Filter nicht wie die anderen institutionell begründet, sondern eher ein Zeichen des intellektuellen Überbaus der Gesellschaft. Er sagt voraus, dass Mängel und Verbrechen von FeindInnen heftiger und stärker herausgestellt und verurteilt werden, während die eigenen und die der eigenen Verbündeten kleingeredet oder missachtet werden. Daraus ergibt sich auch eine Unterscheidung in „würdige” und „unwürdige” Opfer. Das Propaganda Model sagt voraus, dass Menschenrechtsverletzungen von befreundeten Ländern weitaus weniger beachtet werden als diejenigen in feindlichen Nationen.

Wie der Ideologie-Filter funktioniert, war im Jahr 2012 zu sehen, als in Russland und den USA Präsidentschaftswahlen waren. Im Falle Russlands wurden vielerlei Bedenken über Wahlmanipulation geäußert, in dem der USA hingegen kamen solche Zweifel weitaus seltener auf. Das muss verwundern, schließlich sind die PräsidentschaftskandidatInnen in den USA finanziell komplett von Spenden abhängig, bekommen also keine staatliche Unterstützung in ihrem Wahlkampf. Das führt dazu, dass KandidatInnen öfter um die Gunst gut betuchter Finanziers buhlen müssen, während die unteren 70%, die nicht so stark in die Wahl „investieren“ können, quasi gar keinen Einfluss auf das Ergebnis haben. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Journalist eines deutschen Blattes demnächst anfangen würde, Barack Obama als illegitimen Anführer anzusehen.

Diese fünf Filter, die die Medien nach C&H in ihrer Berichterstattung einschränken, stellen keinen unerschütterlichen Rahmen dar, außerhalb dessen keine Berichterstattung passieren kann. Es ist zwar möglich, gewisse Tendenzen im öffentlichen Diskurs zu erkennen, doch besitzen einzelne etablierte Akteure des Sys­tems immer noch eine eingeschränkte Au­tonomie, die es ihnen ermöglicht, aus dem Konsens auszuscheren und unliebsame Fak­ten zu berichten. Darin liegt aber auch die Schönheit der kapitalistischen Medien und auch deren effektivste Schranke. Öffentliche Diskussionen sind nur in einem ein­geschränkten Rahmen möglich und geben dem System einen Anschein an Legitimität. Wo die Eliten entzweit sind, kann es durchaus kontroverse Debatten geben, wo sie sich einig sind, wird es diese meist nicht geben. Meinungen, die die Grundpfeiler des Kapitalismus oder der vorherrschenden Ideologie angreifen, werden marginalisiert und als „unseriös” abgetan.

Das Modell macht weiterhin keine Aussagen darüber, welche Effekte die Medien auf die RezipientInnen und deren Meinungen haben. Wo die Realität gar zu arg mit der Berichterstattung entzweit ist und die Bevölkerung eigene, alternative Quellen der Berichterstattung hat, kann es grundlegende Unterschiede zwischen den Eliten und dem Rest der Bevölkerung geben.

Ein wichtiger Bestandteil des Systems ist, dass es trotz eines eingeschränkten Raums für öffentliche Diskurse als funktionierend seitens der Bevölkerung angesehen wird. Diese vermag es nicht, ihre Einstellungen und politischen Vorstellungen, die oft den Interessen der Regierenden zuwider gehen, in eine eigene politische Realität zu übersetzen.

Chomsky und Herman legen eine interessante Sichtweise auf die Medien dar. Ob man diese nun teilt oder nicht, regt sie doch zu neuen Perspektiven an, wie man kritisch Medieninhalte beurteilen sollte. Darum soll es auch in der nächsten Ausgabe gehen.

(christopher)

Artikel zum kritischen Medienkonsum in der nächsten FA!-Ausgabe

(1) Ein Bericht auf Englisch, der erklärt, wie solche Selektions- und Internalisierungsprozesse funktionieren können: www.medialens.org/index.php/alerts/alert-archive/2008/552-intellectual-cleansing-part-2.html