Wallenstein-Trilogie

(Jürgen Engel, Schauspielhaus Leipzig, D)

… Und damit auch die Langeweile und der schlechte Hunger auf das Event, das sich gerade dadurch vom Happening unterscheidet, dass es im Vollzug jede Überraschung ausschaltet, nur geschehen läßt, was jedeR bereits weiß und schon erwartet. Wenn dann noch grenzenlose Beliebigkeit die letzte Möglichkeit auf ein ganz gerades Spektakel verdirbt, bleibt wirklich nichts als der Griff in die Schatulle der alt bewährten Rauschmittel oder ein Termin beim biochemischen Designer …

 

Dass Leipzig in vielerlei Hinsicht zurückgeblieben ist, dürfte nicht neu sein. Indiz hierfür ist die aktuelle Umsetzung des größten Bauprojek­tes der jüngeren Stadtgeschichte, das auf Plänen aus den Dreissiger Jahren beruht, der Umbau der Universität nach dem Vorbild der Zwanziger oder etwa der Einsatz von Lohnabhängigen als 24h-Streifen nach Manier längst überkommener Milizen. Da wundert es kaum, dass das Leip­ziger Schauspielhaus etwas verspätet zum Schillerjahr ruft. Die Geschichte passt halt nicht zu jedem beliebigen Zweck. Die Wallenstein-Trilogie als buntes Spektakel, so kreischen die Plakate ihre Parolen. Die große Bühne Leipzigs lädt anläßlich des 50jährigen Bestehens seit Wiedereröffnung 1957 ein. Auch damals stand Wallenstein auf dem Programm. Und so möchte der Intendant Jürgen Engel, der gleichzeitig Regie führte, es auch verstanden wissen. Die Aufführung 2007 sei eine „Reminiszenz“ an die von 1957. Noch so eine mysteriöse Rückbezüg­lichkeit, schließlich dürfte kaum jemand aus dem heutigen Publikum damals zu­gegen gewesen sein oder sich gern an die bleiernen 50er zurückerinnern. Doch die Phrase Engels, der nun endlich abtreten sollte, bleibt hohl, denn das aufgeführte Stück hat gar keine Stoßrichtung, also auch keine konservative. Es wabert völlig bedeutungslos dahin zwischen der Beliebig­keit der Mittel und der Willkür der dargestellten Haltungen. Es trivia­lisiert das Drama des glühenden Patrioten Schiller so sehr, dass sich der/die interessierte ZuschauerIn hinterher fragen musste: So schlecht kann doch Schiller gar nicht gewesen sein!? Doch gehen wir ins Detail:

Getrieben vom Hunger auf Geld und Event, entschloss sich das Leipziger Schauspielhaus, bekannt für seine Außen-Auftritte und dem Drang nach erlebnisreichen Spielorten außerhalb des großen Hauses, die Wallenstein-Triologie Schillers gemäß seiner Dreiteilung auf drei Spielorte zu verteilen. Angefangen in der Baumwollspinnerei (Plagwitz) über die große Hausbühne (Zentrum) zum Völkerschlachtdenkmal (Stöt­teritz) und verbunden durch Shuttle-Busse der LVB sollte den Zu­schauerInnen ein lebhafter Theatertag geboten werden. Das Interesse war dementsprechend und angesichts des relativ kostengünstigen Eintrittspreises von 17 Euro sehr rege. 50 Jahre Stadttheater, Schiller, Wallen­stein – die Erwartungen auf Happening, Spektakel und ein Stückchen aufgeklärter Kultur zog nicht nur die Theater-Groupies an. Und der An­fang versprach auch vieles. Mensch stieg irgendwo der Linie 14 zu und wusste sofort: Dies ist kein gewöhnlicher Haufen von Straßenbahn-NutzerInnen, sondern eine Gruppe mit besonderer Mis­sion. Endstation Plagwitzer Bahnhof. Die Special-Force formierte sich und steuerte, durch die innere Dynamik wie von unsichtbarer Hand bewegt, zielsicher Richtung Baumwollspinnerei. Mob-Action im Anzug und mit Ausgeh­schuhen, in akkuraten Blüschen und legeren Hemden, herrlich. Der Spielort war auch gut gewählt. Meine Bezugsgruppe wälzte sich über den langgezogenen Innenhof der Spinnerei bis zu einem der hinteren Ge­bäude und dann durch einen ziemlich heruntergekommenen Trep­penaufgang im Gieszer-Style in eine riesige Fabrikhalle fort. Leider reichten dort schon zwei unbewaffnete Kartenabreisser, um meinen wilden Haufen auszubremsen und letztlich aufzulösen. Wieder vereinzelt standen wir nun in dieser düsteren, großen Halle, deren Dach von schweren Metallsäulen gehalten wurde. Überall hatte die Ausstattung unbenutzte Flutsandsäcke in diversen Fluchtlinien und Arrangements aufgeschichtet und am Rande erstreckte sich eine beinahe endlose Kleiderstange, an der jedeR ganz anarchistisch seine/ihre Klamotten deponieren konnte. Erwartungsvoll folgte ich den wegweisenden Sand­sackbarrieren in den hinteren Teil der Halle. Um die Bühne hatten die fleißigen Techniker des Hauses eine runde und nach vorn hin offene Tribüne aufgebaut. Freie Platzwahl. Beim Setzen fühlte ich mich ein wenig an die alten Hör­säle der Universität erinnert. Die Enge und der kalte Sitz aus blan­kem Holz, ich sah aufs Etikett: Oper Leipzig. Wohl eine ältere Bestuhlung. Im Programmheft stand: „1. Teil – Die Piccolomini. Aufführungsdauer: 1h 30 min. Keine Pause.“ Vorlesungslänge. Perfekt. Ich sah auf eine hohe Wand mit offenem Putz, einen großen Vorhang und ein breites, ziemlich angestaubtes Weinregal. Die Spannung stieg, der Auftakt war gelungen.

„Das bist DU: Ein Feigling und Verräter an der Heimat!“

Doch was dann kam, lässt sich kürzer paraphrasieren: Bleierne Gänge, großes Stühlerücken, totes Stel­lungs­piel und ein derart langweiliges Dialog-Gehaspel, dass der harte Stuhl bereits nach 30 Minuten schmerzlich drückte. Die Inszenierung war grotesk! Anstelle der von Schiller vorangestellten Einstimmung durch seine prosaisch-rhythmischen Texte zum Söld­nerlager Wallensteins, stieg Engel sofort in die intrigante Handlung ein. Mit der Folge, dass kaum einer der ZuschauerInnen wirklich reali­sierte, worum es in dieser überhaupt gehen sollte. Albrecht von Wallen­stein (Waldstein), böhmischer Adliger und aufgestiegen zum Herzog von Friedland und obersten Befehlshaber des schlagkräftigsten kaiserlich-katholischen Söldnerheeres, lagerte vor Pilsen, seit Wochen einge­gra­ben und ließ die Männer ruhen. Kein Wunder, denn nach der ersten modernen Frontenschlacht bei Nürnberg und dem gewaltigen Blut­vergiessen bei Lützen (1632), waren Ausrüstung und Landsknecht völlig erschöpft. Die schwedische Expansionsarmee war zwar weitestgehend geschlagen, deren König Gustav II. Adolf selbst auf dem Schlachtfeld gefallen, aber die eigenen Verluste höher denn je. Wir befinden uns mitten in den greulichsten Kapiteln des Dreissigjährigen Krieges, inmitten der Brutstätte moderner Kriegsführung. Denn Wallenstein ist ein moderner Kriegsfürst, ein Warlord, der durch die Schlachterfolge und Ausplünderungen ganzer Landstriche, durch kaiserliche Titel- und Landgeschenke, letztlich durch seine militaristische Wirtschaftspolitik, zu den einflußreichsten Kriegsprofi­teu­ren seiner Zeit empor gestiegen war. Keiner aus dem kaiserlich-katho­lischen Lager außer Wallenstein sah sich 1631/32 in der Lage, ein schlagkräftiges Heer auszuheben, um sich den auf Wien zurückenden, prote­stan­tisch orientierten Schweden in den Weg zu stellen. Dement­sprechend erhielt er vom Kaiser Ferdinand II., der nach dem Verlust eines Großteils seiner Eroberungen nun auch seine Erbländereien bedroht sah, weitreichende diplomatische und militärische Vollmachten.

Doch bis auf die Sandsack-Arrangements im Einlaßbereich hat Engels Inszenierung diese notwendigen, historischen Kontex­tualisierungen völlig ausgeblendet. Schillers Stück, das historisch einsetzt, als man 1633/34 von Wien aus versucht, den gefähr­lichen Wallenstein zu entmachten, ist im ersten Teil reduziert auf ein minimalistisches, teilweise unerträg­lich psychologisierendes Sprach­spiel um Loyalität und Intrige. Ein be­wußt gewollter theaterhistorischer Anachronismus!? Will Engel uns damit etwa sagen: SO langweilig war das Theaterspielen einst? Durch den Mangel an Kontext jedenfalls fällt auch jede Aktualisierung und Über­setzung in die Gegenwart aus, und die handelnden Figuren ver­weisen dadurch auf keinerlei Hintergrund, nur auf sich selbst, sie führen gar keine Haltungen vor. Schillers dra­ma­­turgische Überlegung, die Darstellung des Söldnerlagers der Wallenstei­ner an den Anfang zu setzen, wird in der Inszenierung all zu achtlos ans Ende verschoben. Es wird hierdurch gar nicht recht deutlich, worum es Schiller bei der Betrachtung der loyalen und illoyalen Offiziere um Wallen­stein herum geht: Deren Gewissens- und Gesinnungslosigkeit nämlich. Sie stehen stellvertretend für all die entwurzelten Söldnersee­len, die seit über einem Jahrzehnt Europa verheerten, für ihre völlige Auf­ga­be von Idealen und Überantwortung an eine militärische Hierarchie, an deren Spitze die profitorientierte, charismatische Führerfigur Wallenstein agiert, der eigentlich nur noch an verquere astrologische Deutungen und seinen De­gen glauben kann und hierdurch absolut blind geworden ist gegenüber den realpolitischen Ereignissen, die nun seine Machtposition bedrohen. Die Entleerung der konfessionellen und politischen Motive durch die privatwirtschaftliche Re-Organisation des Kriegswesens, das ist das zentrale Thema Schillers und nicht ein triviales Hin und Her von Vertrauen, Enttäuschung und Manipulation. Das „Jesus Maria!“ der Katholiken gegen das „Gott mit uns!“ der Protestanten, diese Schlach­­tenrufe sind unter dem Eindruck des über ein Jahrzehnt fortdauernden Menschen­schlachtens auf den Lippen der Söldnerhaufen kalt geworden, und stattdessen rufen sie nun: ‚Heil unserem Führer‘ und verherrlichen ihr elendes, entwurzeltes Dasein. Zielsicher ver­fehlt Engel diesen Gehalt des Stücks und bleibt so auch sprachlos gegenüber der Brisanz, die darin noch immer steckt. Für Schiller beginnt das Drama des Krieges gerade da, wo aus einem Kampf für eine gute Sa­che sinnlose Gewalt wird. Die Figur des Max Piccolomini ist hier auch keine Ne­ben­handlung um Liebe, Sex und Zärtlichkeit, wie Engels Ins­ze­nierung viel zu oft suggeriert, sondern geradezu DAS Kontrastmit­tel, mit welchem Schiller die Haltlosigkeit der Söldner Wallensteins an­zeigt. Seine Flucht in die Liebe zu Wallensteins Tochter Thekla ist die Flucht vor der Ehrlosigkeit, Rohheit und Untreue verlorener Mör­der­seelen, die ihn kameradschaftlich und väterlich umgeben. Von hier ver­steht sich auch, warum sich Max im zweiten Teil pathetisch in den Selbst­mord stürzen MUSS. Würde er desertieren, ob nun mit Thekla allein oder mitsamt seinen Kürassieren, der sinnlos gewordene Krieg hätte wieder einen Hoffnungsschimmer. Solcherlei Happy End fällt aber für Schiller aus, denn die schlimmste Zeit des Dreis­sigjährigen Krieges steht noch bevor. Erst 1648, mit den Beschlüssen des Westfä­lischen Frie­dens, endet der verheerendste mittelalterliche Krieg um Einfluß und Vor­macht in Kontinentaleuropa, und die 30 Jahre lang geschundene Erde kann endlich wieder aufatmen.

„Bevor der Feind mit UNS ein Ende macht, werden wir mit dem Feind ein ENDE machen!“

Selbiges tue auch ich, als dann das Black endlich kommt. Schöne Be­sche­rung. Ich schaue in das Programmheft: Zwei Stunden Pause und dann fast drei Stunden Aufführung des zweiten Teils auf der großen Büh­­ne des Hauses. Ich bekomme ein schlechtes Gefühl im Magen, suche meinen Begleiter, wir eilen zum Shuttlebus, brausen in die Innenstadt und suchen einen Imbiss. Als wir dann kurz vor Beginn des zweiten Teils im Foyer des Schauspielhauses stehen, haben wir das gemein­same Buf­fett verpasst. Ein Blick auf die Preisschilder genügt, um zu sehen: Gut so! Während wir im vollen Saal nach unseren Plätzen suchen, denke ich: ‚Wenn sie jetzt, beim Heimspiel, nicht zeigen können, was Theater heute kann, haben sie‘s völlig verrissen. Und „Teil 2: Wallensteins Tod“ beginnt tatsächlich höchst spektakulär, denn die Bühne dreht sich und die Lichtarsenale des Hauses schichten einen vieldeutigen Raum, der durch zivile Absperrbänder, wie mensch sie aus Büro, Amt und Agen­tur zur Genüge kennt, in mehre­re Bereiche zerteilt ist. Sogar die Ko­stüme sind aus ihrer rein historisch illustrativen Rolle des ersten Teils übersetzt worden. Wallenstein trägt einen deutschen Soldatenmantel, der sowohl an Verdun als auch an Stalin­grad erinnert. Ich atme ganz tief durch und genieße das dynamische Spiel, das durch die Drehbühne entsteht. Die Dialoge rauschen vor­bei, die Intrigen spinnen sich weiter. Wallenstein verhandelt mit den Schweden, während im Lager fernab der Bühne die Revolte tobt. Der Versuch, sich mit dem schwedischen Heer gegen den Kaiser aus Wien zu stellen, wird entdeckt und die kaisertreuen Offiziere sammeln sich. Wallenstein bleibt nur die Flucht mit den wenigen, noch Treue hal­ten­den Regimentern vor seiner eigenen Armee zur Festung bei Eger. Jetzt muss er mit den Schweden paktieren und ihr diplomatisches Diktat be­din­gungslos akzeptieren. Doch in seiner entseelten Blindheit verkennt er, auf wen er sich verlassen kann und wer falsches Spiel mit ihm treibt.

Es endet, wie es enden mußte, Meuch­ler aus dem schottischen Dragoner-Regiment töten ihn im Schlaf. Der Vor­hang fällt, die Menge klatscht höflich und ich frage mich, warum. Bis mir beim Blick auf den Pro­gramm­plan auffällt, dass die Schauspie­lerInnen im dritten Teil gar nicht wieder auftreten. Ich zwinge mir eini­ge Klatscher ab und errege dann etwas Unmut, weil ich vor der zweiten Applauswelle meinen Platz verlas­sen will. Mir hats eben nicht gefallen, kann ja auch mal möglich sein. Als ich an der Garderobe umständlich in meinen Mantel schlüpfe und dabei scheinbar eine Frau hinter mir leicht touchiere, gibts dann sogar noch etwas Aufregung. Ein Mann, der scheinbar mein verfrühtes Ver­lassen des Zuschauerraumes beobachtet hatte, anders jedenfalls kann ich mir seine Aggression nicht erklären, schimpft auf mich ein. Ich zucke mit den Schultern und lasse ihn stehen. Kleinbürger sind und blei­ben die schlimmsten Pöbler. Auf dem Weg zum Völkerschlachtdenkmal dis­kutiere ich mit meinem Begleiter, zumindest darin hat sich die Auftei­lung der Spielorte bewährt. Wir fragen uns, welche Wirkung das Ge­sehene wohl auf das Publikum haben könnte. Mein Gegenüber sieht eine klare Verbindung zwischen dem Ausbleiben von inhaltlicher Ver­­mittlung und der gereizten Stimmung im Anschluß. Einig sind wir uns darüber, dass durch die entkon­textualisierte Darstellung von auf­klä­­re­rischer Bildung keine Rede sein könne. Die Mängel des ersten Teils setz­ten sich auch im zweiten, trotz der effektvolleren und zumindest tech­nisch übersetzten Inszenierung fort. Denn was vorerst nur als Über­sichtstableau, als Nabelschau des sittlichen Verfalls der ganzen Truppe erschien, wird im zweiten Teil zur psychologischen Introspektion eines ehrgeizigen Kriegsfürsten, den der Verlust an jedem Ideal geradewegs in die schick­sals­haften Fänge unausweich­licher Entwicklung treibt. Die Macht, an ihrem absoluten Gipfel angelangt, schlägt um in pure Hilflosigkeit, sie ist heillos. Doch anstelle der Aktualisierung solcher inhalt­lichen Spuren des Stoffs an der Gegenwart, wird auch im zweiten Teil jeder aktuelle Bezug von Engels Crew tunlichst vermieden. Die Handlung plätscherte über das krampfhaft bei sich verharrende Spiel der Schau­spielerInnen dahin und ich fragte mich dabei ernsthaft, inwieweit das bunt gemischte Publikum erahnen konnte, was Schiller letztlich zu DIESEM Stoff und DIESEM Drama getrieben hatte. Was sich im ersten Teil als sprachloses Ausblenden des notwendigen historischen Kontextes erwies, zeigte anschliessend deutlich, dass es in der Aufführung gar nicht darum gehen sollte, sich ein gemeinsames Verständnis der inne­ren Spannungen von Gewalt, Krieg, Soldaten­tum und Führerschaft zu verschaffen, sondern um billige Unterhaltung. Wallensteins innere Zwei­fel waberten haltlos in den Köpfen des Publikums, irgend­wo im Nirgend­wo zwischen Luther, Ham­let, Faust und Pfarrer Führer. Die vorgeführte Haltung blieb pathologisch, psychologisch über­zeich­net, und konn­te so keine Verbindung herstellen zwischen der Ohnmacht gegenüber dem selbstver­schuldeten Un­­heil Wallensteins und eben jener Ohnmacht des Ein­zelnen gegenüber der Über­macht des Ob­­jek­­tiven, wie sie sich uns heute ent­gegenstellt.

Derart nachsinnend, rauschten mein Begleiter und ich durch das spät däm­mernde Stötteritz zum architektonisch monumentalen Ungetüm namens „Völki“, an dessen Fusse der dritte und abschließende Teil statt­finden sollte. Allein der Gedanke an die lächerliche Überhöhung der so­ge­nannten „Völkerschlacht bei Leipzig“ ließ erneutem Unbehagen Platz. Was wür­de uns erwarten? Ein gigantisches Feuer­showspektakel? Oder gar Meuten von Trachtenvereinen auf der Suche nach Identität? Mir gruselte und einzig beruhigen konnte mich der Gedanke, dass die Sprachlosigkeit zu Anfang und die Pathologie danach deutlich an­kün­digten, dass Engel gar keine politische Inanspruchnahme Schillers be­zweckte und deswegen auch dessen glühenden Nationalismus in seiner Inszenierung wortlos begrub. Es war dementsprechend auch vom Ende keine deutschtümelnde Wendung mehr zu erwarten. Ich kramte nach dem Programmheft: „3. Teil Wallensteins Lager“, Aufführungsdauer: 30 Minuten. Ups, ganz schön kurz. Dafür gondelten wir grad durch die halbe Stadt? Außerdem waren eine Menge Namen aufgelistet, viele StatistInnen und einige StudentInnen der Schauspielschule.

Als wir dann am Wasserbecken direkt vor dem Denkmal zwischen Fackelspalieren entlang liefen, wurde mir doch wieder etwas mulmig. Das legte sich erst, als ich von dem schwimmenden Bundeswehr-Brückenteil, das als Bühne diente, die wilden Stakkatos eines MCs vernahm, der auf den Beinamen Wallensteins als „Friedländer“ einen Song rappte. Wir traten näher und sahen nun auf einen bunten Haufen Söldner, die zu modernen Rhythmen tanzten, stampfen und allerlei Ver­renkungen machten. Ich dachte sofort an die neueren Formen des Körpertheaters und plötzlich wurde mir der dramaturgische Hintergedanke der Spielstättenteilung deutlich. Engel hatte mit jedem Teil eine andere technische Umsetzung des Inhaltes anvisiert. Erst das psycho­logische Stehtheater des 19., dann die Selbstinszenierung der Thea­termittel im 20. und abschließend den theatralen Körperkult des anbrechenden 21. Jahrhunderts. Doch anstelle von Kritik stand nur der Effekt, scheinbar dachte er wirklich, die Höhepunkte all dieser Phasen des modernen Theaters markiert zu haben. Allein, ohne den Inhalt blieb solche Inszenierung der eigenen Mittel selbst völlig sinnlos. Auch die Unterhaltung war einfach schlecht. Zum Ende war das Spektakulärste eigentlich der kurze Auftritt zweier echter Pferde, die nochmals Nachricht vom Kaiser brachten und die Söldner zu Ordnung rufen sollten. Doch die mahnenden Worte blieben ungehört. Die Revolte stand im Raum, in allen drei Teilen, allein ihre Inszenierung war viel zu trivial, um sie hervorbrechen zu lassen. Und von Schiller blieb ohne das Nationale nichts übrig als ein Scherbenhaufen nichtssagender Vieldeutigkeit.

Fazit: Es lohnt allemal mehr, den Text Schillers selbst zu lesen, als sich diese hohle Inszenierung des Leipziger Schauspielhauses anzusehen. Aus ihr lässt sich leider nichts lernen, als dass Theater überflüssig ist. Auch der eventhungrige Zuschauer oder die spektakelsüchtige Besucherin wird kaum viel Freude finden. Zu hölzern und ohne Hingabe an den Stoff vollzieht sich das Spiel. Alles in allem ein Reinfall, und wer trotz­dem noch hingehen will, soll­te zumindest das Programmheft der Dra­ma­turgin B. Roth erwerben. Wenig­stens hier finden sich auf­schluß­rei­che Spuren zu den Hintergründen, die auf der Bühne keine Rolle spielen. Für echte Schillerianer ist die Leipziger Aufführung aber sowieso sekun­där, denn Peter Stein hat für 2007 eben jenen Wallenstein in einer 10stündigen Aufführung mit dem Berliner Ensemble inszeniert (1). Trotz des hohen Eintrittspreises ist hier zumindest zu erwarten, dass die Inszenierung das Drama Schillers nicht an Qualität unterbietet.

… Mensch kann diesen Mangel an kultureller Erschütterung durchaus auch als eigene Qualität begreifen. Ich schlage hierzu den Begriff der Hohlkultur vor. Hohlkulturen nun haben ebenso wie andere Kulturformen Produkte, in denen sie sich ausdrücken: Artefakte wie ein reich verzierter Opferdolch oder etwa ein Intel-Pentium-D805-DualCore und Dokumente wie die Reden Ciceros oder etwa die amtsdeutsche Begründung bei der Ablehnung von Asylanträgen. In diesen Kulturprodukten wird die wesentliche Form selbst anschaulich. Für unseren aktuellen Fall: Es zeigt sich dessen Hohlheit. Unter der zahllosen Flut an Produkten der gegenwärtigen Hohlkultur hatte ich deshalb, streng unwissenschaftlich und am Leben orientiert**, zwei aus­ge­wählt, um die aktuelle kulturelle Hohlheit in ihrer dreifachen Dimension der Sprachlosigkeit, Trivialität und Pathologie der geneigten Leser­In­nenschaft zu exemplifizieren.

(clov)

 

* Die eingefügten Zitate sind aus Heiner Müllers nachwievor brandaktuellem Text: „Wolokolamsker Chaussee I-V“, Maximilian Verlag , München 1988

** Den „Genuß“ des Filmes „The 300“ verdanke ich einer Entdeckung im WorldWideWeb. Denn das chinesische Staatsfernsehen hackt nicht nur alle möglichen Sateliten, um regelmäßig europäischen Fußball oder amerikanischen Basketball ins ganze Reich zu übertragen, sondern streamt (klick and play) nebenbei auch alle möglichen alten und neuen Hollywood-Schinken (Player gibts kostenlos unter: www.sopcast.com). Zur Wallenstein-Aufführung des Leipziger Schauspielhauses dagegen wurde ich von einem guten Freund eingeladen. Denn wenn ich selbst zwischen Schiller und Goethe entscheiden müßte, wäre mir der kosmopolitische Geheimrat allenthalben lieber als der verkrampfte Nationalist.

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