…werden Anarchisten verfolgt

Nach dem Attentat auf den Premierminister am 12. März 2003 begann eine bis heute andauernde At­tacke auf die Anarchosyndikalistische Or­ganisation Serbiens und die Anarchisten im allgemeinen. In deren Verlauf wurde unter anderem der Sekretär der Anarcho­syndikalistischen Initiative Serbiens (ASI) verhaftet und nach drei Tagen aufgrund mangelnder Beweise wieder freigelassen ­nicht einmal für Anschuldigungen nach den Gesetzen des Kriegsrechts reichte es.

Sein Verbrechen war es, Sekretär des anarchistischen Syndikats zu sein, welches noch am Tag der Ermordung Djincjics eine Stellungnahme verfasst, aber nicht veröffentlicht hatte. Darin war zu lesen, dass die Anarchosyndikalisten den An­schlag weder bedauern noch begrüßen, da es ihnen nicht darum ginge, wer regiert, sondern dass sie keine Regierung brau­chen. Sie schrieben, dass sie auch nach dem Tod des Premiers den Fortgang der Privat­isierungen in Serbien erwarten. Sie riefen die Bevölkerung auf; sich revolutionär zu organisieren, um Kapitalismus und Staa­ten los zu werden und sich nicht um der ausgerufenen Ausnahmezustand zu küm­mern. Dieses Schreiben und unerwünsch­tes Gedankengut mussten herhalten, um Hausdurchsuchungen und Gefängnis zu rechtfertigen. Bis zum heutigen Tag läuft im serbischen Staat eine Kampagne von Gewerkschaftsbürokraten und Repräsen­tanten des Staates und der Regierung zur Denunziation der anarch(osyndikal) istischen Bewegung.

Um sich dagegen zu wehren, ver­öffentlichte das Syndikat folgenden Text, der am 10. Juli 2003 in der größten serbi­schen Wochenzeitung „NIN" (Wöchent­liche Informationszeitung), abgedruckt wurde, den wir in gekürzter Fassung hier abdrucken. Offenbar darf man nun, da der Ausnahmezustand vorbei ist, wieder un­gestraft laut denken…

Der Klassenkonflikt als ein Anreiz für erfolgreiche Kommunikation

[…] Seit einigen Monaten warnt Herr Milenko Smiljanic (1), Präsident der SSSS, die serbische Regierung ständig, dass – würde sie die Zusammenarbeit mit ihm verweigern – sich der Protest radika­lisieren würde, anarchistische Gewerk­schaften entstehen und somit die Mas­sen toben werden.

Jeder, der die Positionen der Anarcho­syndikalisten ein wenig kennt, hier und anderswo in der Welt, weiß, dass dies bil­lige Propaganda eines Bürokraten ohne Unterstützung und Verhandlungsop­tionen ist, dessen Position von un­befriedigten und hintergangenen (Ge­werkschafts)Mitgliedern ernstlich an­gegriffen wird. Anarchosyndikalisten ha­ben nie und nirgends sinnlose Gewalt und Ausschreitungen in den Straßen propagiert. Worauf wir immer wieder hinge­wiesen haben ist, dass wir – wenn wir unsere Rechte nicht auf zivilisierte Weise durchsetzen können – den Barbaren auf der anderen Seite dennoch nicht gestat­ten werden, unser Leben nach ihren Maß­stäben zu gestalten. Im Gegenteil, wir werden auf die einzige Art und Weise ant­worten, die sie verstehen.

Den Politikern ist es ein leichtes, ih­ren kriminellen Aktivitäten nachzugehen, nachdem sie ihrer Posten enthoben sind; aber der Arbeiter, der nach vielen Jahren Arbeit gefeuert wird, hat in dieser Gesellschaft keine Perspektive.

Anarchosyndikalisten wurden wäh­rend aller vergangenen Kriege für ihren Antimilitarismus verleumdet, eingesperrt, gefoltert und ermordet. Gewalt ist für uns kein Fetisch. Das bedeutet aber nicht, dass wir auf unseren Hintern hocken und zu­lassen werden, dass unser Leben unter den Teppich der Privatisierung gekehrt wird.

Um unsere Ziele zu erreichen, werden wir alle brauchbaren Mittel anwenden, die nicht im Kontrast zu unseren ethischen Positionen stehen und tatsächlich zur Ver­besserung der Lebensumstände der Ar­beiter/innen und anderer unterdrückter Menschen beitragen.

Betrachten wir die Sache mal von der anderen Seite: Fragen wir den Staat und die Bosse, was sie über Gewalt denken. Wer beginnt die Kriege und warum? […] Wer holt die, privaten Sicherheitsdienste und Bodyguards, wenn er die Arbeiter/ innen feuert und die Fabrik mit Gewalt übernimmt? […] Das ist Gewalt, die mehr als offensichtlich und sehr brutal ist. […]

Wir erwarten nicht, dass Politiker viel von uns halten, es kümmert uns auch nicht was sie denken (wenn sie überhaupt den­ken). Aber es gibt einen anderen interes­santen Grund, warum die Gewerk­schaftsbürokraten versuchen, unsere Me­thoden für die Rechte der Arbeiter/innen zu kämpfen verfälschen und verzerren. Enttäuschte Mitglieder der „großen" Ge­werkschaften, die sich über die Verknö­cherung der Gewerkschaftsbürokratie im klaren und angewidert sind von den Un­mengen von Lügen, beginnen den Gewerkschaftszentralen massenhaft den Rü­cken zu kehren.

[…] Jedem vernünftigen, zivilisiertem Menschen leuchtet ein, dass seine Stim­me am ehesten in einer nicht-hierarchi­schen, direkt-demokratischen Gewerk­schaft Gewicht hat, in der Entscheidun­gen nur von den Mitgliedern getroffen werden – und nicht von den Bürokraten, die von oben eingesetzt sind und deshalb andere Interessen haben als diejenigen, die sie vertreten sollen.

Anders als bei den Mainstream-Ge­werkschaften werden in unseren Syndikat Entscheidungen nicht von einer bestochenen Führung (SSSS), der ser­bischen Regierung (ASNS) (2) oder aus­ländischen Geldgebern (Nezavisnost (3)) getroffen, sondern nur von den Mitglie­dern. […]

Während des Protestmarsches am 25. Juni versuchten Smiljanic und seine Cli­que ständig, uns von dem Protest zu sepa­rieren, und riefen die Arbeiter/innen auf, uns zu boykottieren. Dennoch wurden sie mit der ungestümen Antwort der Arbei­ter/innen konfrontiert, die die echten Be­weggründe hinter diesem Aufruf durch­schauten. Aufgebrachte Waffenbauer hät­ten die Sache fast handgreiflich mit einem Bürokraten der SSSS geklärt, der geschrien hatte „Schmeißt diese Leute mit den schwarz-roten Fahnen und antistaatlichen Transparenten raus!“

Wiederholen wir noch einmal die Grundlagen unserer Aktivitäten: […] Wir alle leben in einem ständigen Krieg des Staates gegen die Gesellschaft und der Chefs gegen die Arbeiter/innen. Dies wird an der Beziehung des Staates zu den Me­dien sichtbar. (4) Wir reagieren auf ihre Attacken. Wir verteidigen uns.

Die Gesellschaft kann ihren Wider­stand auf verschiedenen Wegen zeigen, aber die einzige Möglichkeit die Aus­beutungsgesellschaft, die Macht von Men­schen über Menschen, das Leiden, den Schmerz, die Armut und die Lügen ein für alle mal zu beenden, ist es, sich hier und jetzt in den revolutionären Syndika­ten zu organisieren, die nicht aufhören werden zu kämpfen, bis wir beginnen in Freiheit zu leben. […]

Lassen wir sie mit ihren Kämpfen al­lein und konzentrieren wir uns auf unsere Ziele: Ein besseres Leben hier und heute. Bedeutet dass, in den Straßen zu protes­tieren? Straßenblockaden? Besetzung der Fabriken bis wir bekommen, was wir ver­langen? Forderungen nach dem Vier-Stun­den-Tag? Generalstreik bis alle unsere Zie­le erreicht sind? Kann uns jemand diese Aktionen verbieten?

Wie auch immer, ein diktatorisches Regime wurde auf diese Weise gestürzt und ein anderes kam an dessen Stelle, in­dem es das Chaos nutzte. Wir sollten nie wieder zulassen, dass Politiker und Bosse unsere Kämpfe für ihre Ziele nutzen. Wir brauchen keine Kooperation mit politi­schen Parteien. […] Um neue soziale Be­ziehungen zu schaffen, gleichberechtigte, nicht-hierarchische Beziehungen zwischen den Menschen, dazu brauchen wir keine Schafherden/Hirten. Aber wie für alle po­sitiven Errungenschaften der Zivilisation, die wir gegen die dunklen Kräfte des Aber­glaubens besitzen, benötigen wir nur ein wenig Selbstbewusstsein. […]

Belgrader Gruppe der Anarcho-Syndika­listischen Initiative

Anmerkungen des Übersetzers:
(1) Führer der größten Zentralgewerkschaft in Serbien (SSSS in serbisch), eine Gewerkschaft, die ihre Wurzeln in der staatskommunistischen Ära Jugoslawiens hat und Milosevic während seiner Regierung unterstützte.
(2) ASNS ist die „gelbe“ Gewerkschaft der Regierung, ihr Kopf ist der Arbeitsminister.
(3) Nezavisnost [Unabhängigkeit] ist die Gewerkschaft, mit engen Verbindungen zur AFL­CIO. dem größten Gewerkschaftsdachverband in den USA.
(4) Die serbische Regierung hat kürzlich verschiedene Gerichtsverfahren gegen mehrere Zeitschriften und Radio-/Fernsehstationen (darunter NIN) angestrengt, da diese die Arbeit der Regierung kritisiert hatten.

Nachbarn

Schreibe einen Kommentar