Wider den Mythos vom Heiligen Staate

Das Erschreckendste an der derzeit grassierenden Finanzkrise ist nicht der Verlust virtueller Werte, ohne die wohl schon länger alle Volkswirtschaften rund um den Globus stagnieren würden, auch nicht das naive Gerede vom Ende des Kapitalismus, obwohl sich an den Eigentumsverhältnissen im Wesentlichen rein gar nichts ver­än­dert hat – erschreckend ist vor allem dieser um sich greifende Glau­be an den Heiligen Staate, der da kömmt, um uns alle zu er­­ret­ten.

Dabei ist doch offensichtlich, dass jener Retter in der Not selbst zu den Akteuren gezählt werden muss, die die aktuelle Krise erst verursacht haben. Als wären „Privatisierung“ und „Liberalisie­rung“ der Märkte Allheilmittel gegen den asozialen Kapitalismus. Ganz umgekehrt hei­zen sie ihn nur weiter an. Statt die Warenpalet­ten zu verbreitern, die Innovation voranzutreiben und die Preise sin­ken zu lassen, fällt es Großinvestoren um so leichter, „privatisier­te“ und „liberalisierte“ Märk­te zu destabilisieren und zu monopo­li­sieren. Denn in Zeiten von Marktbereinigungen, wie sie derzeit statt­finden, setzen sich nicht nur die Finanzstärksten durch, auch al­ternative Innovationen und we­ni­ger kapitalistisch orientierte Un­ter­nehmungen werden einfach ver­drängt. Zwar verfallen in solchen Kri­sen kurzfristig auch die Prei­se, weil ein Überangebot bereits pro­du­zierter Güter entsteht, lang­fristig jedoch steigen die Preise höher als zuvor, da sie nun von den wenigen verbliebenen Marktakteuren um so ungehemmter dik­tiert werden können.

Neu ist das alles nicht. Die krisenhafte Entwick­lung kapitalistisch organisierter Märkte wur­de vielfach untersucht. Sie ist eben kein ausschaltbares Beiwerk eines op­ti­malen Systems, nein, diese Krisen sind der systemrelevante Teil, der gern ausge­blen­det wird, um sich um so naiver das kapi­ta­listische Wirt­schaf­ten als funktionierend vorgaukeln zu können. Zy­nisch wird es, wenn dann als schlimmstes Ausmaß der Ver­trauens­ver­lust der Groß­kapitalisten untereinander beklagt wird, während Milliarden von Menschen durch ihre Abhängigkeit von stabilen Märk­ten in noch tieferes Elend stürzen. Ganz so, als wäre in der ka­pi­talistischen Kon­kurrenz das Vertrauen der höchste Wert und nicht der Mehrwert der Produktion, als könne Vertrauen allein den Hun­ger stillen und al­le Bedürfnisse befriedigen. Nein, neu ist dieses La­tein für die Mas­sen nicht. Neu ist höchstens die Ohnmacht und Schlaffheit der Ge­dan­ken, die sich dieser Litanei von oben, von den Kanzeln und Füh­rungsetagen dieser Welt, entgegen stellt. Nein, wir brauchen kei­ne allgegenwärtige Bevormundung, keinen starken Staat, der sich mit Regeln vollfrisst, bis er kotzen muss. Das was wir brau­chen, ist in­di­viduelle und kollektive Selbstermächtigung, damit wir den kapi­ta­listischen Zumutungen nicht schutzlos ausgeliefert sind.

clov

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