Wider die Konsumgesellschaft – aber wie?

Die Konsumgesellschaft, als Kehrseite der kapitalistischen Produktion, ist von linker, emanzipatorischer Seite immer wieder kritisiert worden – sei es nun theoretisch aus einer generellen Kapitalismuskritik heraus, oder ganz konkret aufgrund ihrer zahlreichen und unleugbaren negativen Auswirkungen wie Umweltzerstörung, Ressourcenverschwendung, Menschenrechtsverletzungen, Armut, sozialer Ausgrenzung, etc. Peter Marwitz versucht in Überdruss im Überfluss. Vom Ende der Konsumgesellschaft einen knappen Überblick über die Probleme der Konsumgesellschaft zu bieten sowie mögliche Auswege aus dem Status quo zu diskutieren.

Begrüßenswert ist die vom Autor gleich zu Beginn getätigte Klarstellung, dass Konsumkritik „nur ein Teil einer grundsätzlichen Systemkritik sein kann“ und „veränderte Konsummuster“ nicht das „Allheilmittel“ sein könnten (S. 6). Im ersten Teil des Buches, das sich der Kritik des Bestehenden widmet, erfährt man viel über „grundlegende Probleme“ der Konsumgesellschaft. Konzernkritik wird behandelt, TheoretikerInnen der Konsumkritik werden vorgestellt und der Einfluss von Werbung diskutiert. Dass in dem kleinformatigen Büchlein von nicht mal 80 Seiten die Schilderungen teilweise sehr holzschnittartig daher kommen, ist ein Problem, dass sich schnell einmal bemerkbar macht. Wobei der inhaltliche Gehalt des Geschriebenen durchaus schwankt, trotz betonter Knappheit in den Ausführungen. So findet man teilweise sehr informative und pointierte Einblicke zu diversen Aspekten des Konsums. Andere Stellen sind dagegen erstaunlich oberflächlich, die gebotenen Argumente wenig stichhaltig. Stellenweise wirken sie wie bloße persönliche Meinungen, wie verschriftlichtes Brainstorming: „Shopping und Konsum hält uns von anderen, mitreißenden Aktivitäten ab“. (S. 29)

Der zweite Teil des Buches widmet sich Gegenstrategien und Auswegen. Auch hier ist die Grundintention sehr sympathisch. Marwitz betont, dass „die Probleme der Konsumgesellschaft nicht auf einer rein persönlichen Basis zu lösen sind“ (S. 65). Erstaunlich ist dann jedoch, dass man im gesamten Kapitel fast nur etwas über derartig individualisiertes Ausbrechen aus dem Kreislauf des Konsumismus erfährt. So z.B. eher allgemein über ethischen/politischen Konsum, etwas konkreter über Reparaturcafés, Vegetarismus und Veganismus, über Flohmärkte, Upcycling und Kleidertauschpartys ebenso wie über Tauschringe, Car-Sharing, Couchsurfing, Leihen, Containern etc. Bei seinem oben genannten, völlig richtigen Anspruch verwundert es, dass der Autor auf dieser individualisierten Ebene hängen bleibt. Phänomene wie Solidarische Ökonomie, Commons, Open Source, Parecon (Participatory economics) bleiben ebenso unerwähnt wie andere Ansätze, die individuelles Handeln mit einem fundamentalen Wandel in wirtschaftlichen, politischen und sozialen Belangen verknüpfen wollen. Und wenn der Autor die Macht des politischen/ethischen Konsums diskutiert, dann fällt auf, dass das wohl bekannteste und wirksamste Mittel des/der widerständischen KonsumentIn ebenfalls nicht substantiell behandelt wird: der Boykott.

Eine weitere Frage die sich stellt und in dem Buch glücklicherweise auch behandelt wird, ist, ob das positive Pendant zu Konsumkritik, der ethische/kritische/politische Konsum, als „erster Schritt in die richtige Richtung“ verstanden wird (also als notwendige und, ja, durchaus wichtige Symptombekämpfung, ohne aber die Grundlage des Problems aus den Augen zu verlieren), oder bloß tendenziell einkommensstarken Teilen der Bevölkerung dazu dient, sich vom schlechten Gewissen (so es da ist) freizukaufen und somit ein Phänomen der westlichen Wohlstandsgesellschaft und einer reichen „Oberschicht“ bleibt – eine Goodwill-Aktion der Wohlhabenden sozusagen, die sich mit der Hoffnung auf einen möglichen „Trickle-down-Effekt“ verknüpft. Wenn Konsumkritik und kritischer Konsum nicht mit einer generellen Kapitalismuskritik einhergehen, ist das Ganze, zumindest aus anarchistischer Perspektive betrachtet, nur begrenzt hilfreich (sicherlich aber nicht sinnlos!). Prinzipiell ist dem Autor aber zuzustimmen, wenn er schreibt: „[S]elbst wenn es kein ‚richtiges Einkaufen im falschen Wirtschaftssystem‘ gibt […], so gibt es dennoch ein ‚falsches Einkaufen‘.“ (S. 49)

An tiefgreifenden und umfassenden Lösungs- und Handlungsvorschlägen mangelt es diesem Buch etwas. Es kann aber auf einer individuellen Ebene durchaus die nötige Sensibilität für das Thema verstärken und die persönliche Kreativität anregen, wie man dem „Hamsterrad“ entkommen kann. Und die Hoffnung stirbt zuletzt, dass politischer/ethischer Konsum dem gedankenlosen Konsumismus im Kapitalismus die Stirn bieten und zu einem echten Wandel beitragen kann. Auch dafür ist Überdruss im Überfluss durchaus hilfreich.

(Sebastian Kalicha)

Peter Marwitz: Überdruss im Überfluss. Vom Ende der Konsumgesellschaft. Unrast Verlag, Münster 2013. 76 Seiten, 7,80 Euro, ISBN 978-3-89771-125-9.

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