„Wir woll‘n Olympia!“

Der 18. November in Leipzig – 2000 bis 3000 BürgerInnen laufen bei der Montagsdemo „Leipzig 2012 – Wir wollen Olympia“ mit.

Mit lauten Sprechchöre wird der Begeisterung über das „nationale Großprojekt“ Ausdruck verliehen. Nach den vielen schweigsamen Friedensdemonstrationen und auch den weitestgehend durch „enthusiastische JungaktivistInnen für ein selbstorganisiertes Leben ohne Kapitalismus“ Stimmung eingehauchten Anti-Sozialabbau-Demos, ein Wunder.

Unterstützer Pfarrer Führer hält eine Rede mit chauvinistischem Ton, vermutet eine Verschwörung der „hohen Herren in Frankfurt und Bern gegen die Leipziger Bürger“ und der „Presse, die gegen Leipzig hetzt und zufällig aus Hamburg kommt“, vermischt internationalistische Rhetorik von „Völkerfreundschaft“ mit plattem Lokalpatriotismus („nicht in Stuttgart und auch nicht in Hamburg – nein! In Leipzig“).

30 bis 50 Leute sind allerdings mit anderem Anspruch gekommen: Bei der Abschlusskundgebung auf dem Augustusplatz findet die bisher größte (!) antiolympische Aktion statt. „NoLympia!“ ertönt es von der Opernhaus-Treppe, gegenüber der Demo. Provokante Transparente tauchen auf, darunter auch eins von ominösen „Linken Chaoten für Olympia“. Ironische Sprüche wie „Führer lass uns nicht allein, Olympia in Leipzig das muss sein!“ oder „Olé, olé – Tiefensee“ werden von der Demo aber teilweise ernst genommen. Nach Übergriffen von Olympiafans auf GegendemonstrantInnen und einigen Rangeleien mit der Bereitschaftspolizei beruhigt sich die Situation, Christian Führer kann mit leichten Störungen seine nationalistische Rede halten, und die Presse muss auch mal (ganz am Rande) über antiolympische Proteste berichten, wie mit einem Nebensatz in der Tagesschau.

Es begann 17 Uhr mit dem traditionellen Friedensgebet Pfarrer Führers unter dem Motto „Teufelskreise verlassen“. Die anschließende Demo wurde vom proolympischen Bürgerverein organisiert. Dabei blieb ihm die Unterstützung des „Aktionskreises Frieden“ (nennt sich jetzt „Leipziger Sozialforum“ (1), der die bisherigen Montagsdemonstrationen organisierte, versagt. Dieser wird Demos für Olympia auch weiterhin nicht unterstützen. Da es nicht ihr Problem ist, ob Olympia kommt oder nicht, sie sich nicht vereinnahmen lassen wollen, und es sich dabei doch wohl eher um Kommerz handelt. Pfarrer Führer handelte sich auch Kritik aus kirchlichen Kreisen ein. Nach dem Motto: Was wäre wenn in New York auch für Olympia gebetet werden würde? Für wen sollte sich Gott dann entscheiden? Einer anderen Kritik, dem Missbrauch der Montagsdemonstrationen, gegenüber wehrte er sich mit der Argumentation, 1989 wären sie bereits für ihr Land auf die Straße gegangen und mit Olympia wäre das das selbe. Nationaltheologe Führer stellt sich damit selbst ein Armutszeugnis aus. Wer für sein Land oder die Nation auf die Straße geht, anstatt für ein besseres und schöneres Leben der Menschen, dem ist wohl die Ideologie zu Kopf gestiegen. Armes „Volk“, wem bist du da hinterhergerannt?

Interessant jedenfalls das Zahlenverhältnis der Montagsdemonstrationen untereinander: Dreimal mehr Olympiafans als KritikerInnen des Sozialabbaus auf einer Montagsdemo und nur zwei Prozent davon protestieren dagegen. Ernsthafte, durchaus mehrheitstaugliche Anti-Olympia-Positionen, jenseits von Sprechchören und Spaßguerilla sind ungünstigerweise kaum in der Öffentlichkeit präsent – angesichts der Jubelstimmung liegt es allerdings auch nahe, beim Protest eine rein provokative Position einzunehmen. Immerhin gab es zumindest eine kritische Stimme innerhalb der Demo, so wurden bei einer Liveschaltung von mdr-info mehrere Leute interviewt. Von denen eine dachte, sie müsse ihren Bürgermeister den Rücken stärken, der andere unbedingt die Spiele sehen wollte, und einer schließlich nur zufällig da war und meinte, dem Pfarrer müsse wegen Missbrauch das Amt entzogen werden. Dem ist nur zuzustimmen, doch sollte Franz Häuser, Rektor der Uni, gleich mit rausfliegen, hatte er doch seine Mitarbeiter und Studenten ebenfalls aufgerufen, an der Demonstration teilzunehmen. Positiv gewendet, waren es gar nicht so viele Teilnehmer, Gerüchte besagen sogar, dass Busse aus Dresden rangekarrt werden mussten, und auch, dass im Grunde viel mehr DemonstrantInnen erwartet wurden. Wenn das bundesweite mediale Echo nicht so einseitig positiv ausgefallen wäre („Leipzig nimmt Montagsdemonstrationen wieder auf – diesmal für Olympia“, Financial Times Deutschland), könnte man auch sagen, es war ein Flop. Schließlich sind 2500 Leute zu wenig für eine schlagkräftige Leipziger Nationallokalpatriotische Front. Deutlich wurde die tendenziöse Berichterstattung der Presse. Der LVZ liegen nationale Großprojekte scheinbar sehr am Herzen, wie sonst wäre zu erklären, dass die Olympia-Demo ganz groß aufgezogen wurde, für die Sozialabbau-Demos, wenn überhaupt nur ne Kurzmitteilung zur Verfügung stand?

Gekippt ist der bewusstlose olympische Taumel bzw. die Illusion, Olympia würde was Gutes bringen durch die offensichtliche Korruption und Geldabzweigung noch lange nicht. Vielleicht beim nächsten Skandal? Dieser könnte schon bald ins Haus stehen: so ist der gefeierte neue Leipzig-Held Lothar Späth zufälligerweise auch ehemaliger Ministerpräsident von Baden- Württemberg und damals durch Korruptionsskandale aus dem Amt geflogen.

Angesichts soviel offensichtlichen Betrugs, geht sogar dem „Spiegel“ ein Licht auf: „Sind die Deutschen zu blöd, um olympische Spiele zu organisieren?“ – Die Frage drängt sich auf. Genau wie die nach dem Geisteszustand der Leipziger: Eine Pro-Olympia-Demo wie diesen Montag hat es weltweit bisher noch nie gegeben…

soja & kater

zur weiteren Meinungsbildung:
www.olympia-jetzt.de
www.nein-zu-olympia.de
(1) Es müsste diskutiert werden, ob die Umbenennung in ein „Sozialforum Leipzig“ angemessen ist oder ob damit der Idee nicht eher geschadet wird.

Lokales

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