„Wo ist die Streikzentrale?“

Streiken, Demonstrieren, Protestieren und kreative Aktionen. Die Studierenden haben ihr tradiertes Handwerkszeug seit 68 nicht verlernt. Die Inhalte bleiben dabei bisher leider auf der Strecke. Der Versuch eines Kaleidoskops mit Spektralanalyse.

Da schießen sie aus dem Boden, die AK’s und AG’s, Plena werden abgehalten, Vollversammlungen und Demos organisiert. Beeindruckend viele Protestseiten gibt es im Netz, wie zum Beispiel die www.streikzentrale.de.vu der Freien Universität Berlin. Bis heute fanden in Berlin eine Vielzahl von Protesten und Demonstrationen statt, wie am 27.11. in Berlin mit 20.000 Teilnehmern und anschließenden Straßenblockaden in der Innenstadt.

Seit dem 6.11. streiken die Studierenden der Technischen Universität, am 19.11. setzte der Streik an der Humboldt-Universität ein, auf der Vollversammlung vom 26.11. wurden Streikforderungen beschlossen. (1) Die Freie Universität macht seit dem 20.11. mit, als 3500 Studis auf einer Vollversammlung (VV) den Streik beschlossen. Gleichzeitig wurden alle Studierenden aufgerufen, am 24.11. an der Informationsveranstaltung des Präsidenten teilzunehmen, während der alle Lehrveranstaltung ausfielen, ein Privileg das der anschließenden VV nicht zugestanden wurde.

Das Band zwischen Studierenden und Hochschulleitung scheint oft gar zu eng, in Erlangen lädt man sich zur Demo anlässlich des bayernweiten Protesttages gegen Kürzungen, den Rektor und Gebührenvertreter Gürske als Hauptredner. Wie passend, dass nach Willen der Demoleitung nicht gegen Unileitung und Studiengebühren demonstriert werden sollte, schließlich heißt der Semesterbeitrag ja schon Studiengebühr.

Auch in München, wo zwischen 20.000 (Tagesschau) und 40.000 (Veranstalter) auf die Straße gingen, war zwecks Bündnisfähigkeit der Protest gegen „das kontrovers diskutierte Thema“ Studiengebühren und Sozialabbau nicht gern gesehen (2). Obwohl Bayern zusammen mit anderen CDU-geführten Bundesländern Klage vor‘m Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot allgemeiner Studiengebühren eingereicht hat und der neue Wissenschaftsminister Goppel im Wintersemester 2004/05 zwischen 400 und 600 Euro Studiengebühren einführen will.

Ebenso wie in Hessen, wo Roland Koch mit seinem radikalen Sparprogramm „Operation Sichere Zukunft“ den Sozialabbau forciert und mit dem Studienguthabengesetz (StuGuG) ab nächstem Semester (!) Verwaltungsgebühren (50 Euro), Langzeit- (zwischen 500 Euro im 12.Semester und 900 Euro ab dem 14.Semester) und Zweitstudiengebühren (1500 Euro) einführen will. Damit hat er sich nicht nur eine Demonstration gegen Sozialabbau am 18.11. mit „antikapitalistischem Block“, sondern auch einen Studistreik eingehandelt. Dieser nahm am 4.11. in Frankfurt seinen Anfang und hat inzwischen Marburg, Kassel und Gießen erreicht. Auf der Frankfurter Vollversammlung wurde Roland Koch ein Hausverbot erteilt. Der Ministerpräsident schien dieses demokratische Votum allerdings nicht akzeptieren zu können und brach das Hausverbot, indem er im benachbarten Senckenbergmuseum anlässlich dessen Wiedereröffnung eine Rede hielt. An die 3000 Studierende besetzen Ein- und Ausgänge und bevölkerten die umliegenden Straßen. (3) Allein durch Gewalteinsatz der Polizei konnte er das Museum nach dreistündiger Belagerung verlassen, musste seine Limousine zurücklassen und mit einem Einsatzfahrzeug der Polizei „in Sicherheit“ gebracht werden. Dabei wurden mehrere Studenten durch Schlagstöcke der Polizei leicht verletzt.

Da diese Aktionsidee so gut war, belagerten am 21.11. in Berlin 200 Leute, darunter an die 100 Studierende der Humboldt-Universität, Wowereit in einem Restaurant, bis sie von der Polizei weggetragen wurden. Wenn das nicht zur Anarchie führt…

Am 25.11. wurde in Berlin für mehr als 24 Stunden das Büro des Wissenschaftssenators Flierl (PDS) und darauf die PDS-Bundesgeschäftsstelle besetzt. Die Studiosi bringen die PDS damit ganz schön ins Schwitzen. Wie soll sie ihre dialektische Herangehensweise an das Problem erklären? Sowohl Sozialabbau bekämpfen wollen und selbst Kürzungen durchführen, letztendlich werden sie sich schizophrenerweise selbst bekämpfen müssen. Nicht nur in Berlin, wo am 28.11. noch das Büro von Finanzsenator Sarrazin besetzt wurde, auch in Niedersachsen wurde einem Regierungsmitglied der Respekt verweigert: Studierende verwandelten die Rundreise des Wissenschaftsministers Stratmann an verschiedenen Universitäten in ein Debakel.

Nicht nur Aktionsideen, auch Slogans gehen um die Welt. Der Leitspruch der Umsonstkampagnen (siehe Feierabend! #9) „Alles für alle und zwar umsonst!“ wurde zu „Bildung für alle und zwar umsonst!“ und tauchte auch am 12.11. in Hannover zur Demonstration „Rettet die Bildung – Bildet die Rettung“ (22.000 TeilnehmerInnen) gegen das Hochschuloptimierungskonzept und die Kürzungspläne der niedersächsischen Landesregierung auf. Das war auch das Radikalste, zumindest auf der Internetseite www.bildet-die-rettung.de, auf der beteuert wurde, dass mensch ja mit umstrukturieren will, aber anders, und mehrmals beschworen wurde, dass man friedlich demonstrieren wolle. Man hätte auch gleich das Fronttranspi mit „Bitte, bitte, nehmt uns nicht ernst!“ beschriften können

Allein in Göttingen steht ein Sparvolumen von zwölf Millionen Euro im Raum und damit die Schließung von Studiengängen und ein massiver Stellenabbau bevor. Dagegen organisierte auch der bürgerliche AstA (RCDS, ADF) und sein „Bündnis für ein starkes Göttingen“ zwei Demonstrationen mit 2000 bzw. 8000 Teilnehmern und versprüht den eiskalten Charme der Standort-Rhetorik: die Universität Göttingen müsse verschont bleiben und dafür beispielsweise die Uni Vechta geschlossen werden.

Dagegen gründete sich das „Bündnis gegen Bildungsklau“ (www.bildungsklau.de um den „Widerstand von unten“ zu organisieren. Es gab Vollversammlungen an vielen Fakultäten, auf der Demo einen Lautsprecherwagen mit offenem Mikro (unter der AstA-Bedingung, von dort nicht kritisiert zu werden) und eine offene Mailingliste. Sie wollen Widerstand in Solidarität mit anderen „Standorten“ leisten und den Zusammenhang zwischen Bildungsabbau und Sozialabbau herstellen. Der Zwiespalt scheint inzwischen (wie auch immer) gelöst zu sein: in Göttingen wurde inzwischen ein Streik beschlossen, in der entsprechenden Pressemitteilung stehen beide Gruppierungen einträchtig nebeneinander

Die Standortrhetorik ist allgemein ein großes Übel bei StudentInnenprotesten, wenn sich der Blick der Protestierenden auf das eigene Lokale und die eigenen Interessen fixiert und ignoriert was anderen sozialen Schichten und an anderen Orten passiert, wenn mensch sich für den Standort Deutschland stark macht , weil man selbst ja das beste Kapital dafür wäre. Das ist Selbstzurichtung par excellence. Auch der Leipziger StuRa meint in seiner Solidaritätserklärung er müsse sich Sorgen um den Standort Deutschland machen. Den Zacken aus der Krone haut da aber die selbstentmündigende Äußerung „Bildung ist die Aufgabe des Staates“. Hat schon jemand ´nen Staat neben sich im Hörsaal gesehen? Eben!

Zurück nach Göttingen: Bei der ersten inoffiziellen VV soll die inhaltliche Basis noch recht dünn gewesen sein, so wurde sowohl jemandem applaudiert, der die Zusammenarbeit mit der Hochschulleitung forderte, wie auch jemandem, der diese kategorisch ausschloß, weil sie für Studiengebühren wäre. Allgemein sind die Hochschulleitungen schlicht der Verwalter des Unternehmens Hochschule und somit um dessen Wohlergehen und nicht das der Studierenden besorgt. So werden sie folgende Fragen meist mit Ja beantworten: Studiengebühren, wenn es der Uni zu Gute kommt? NC und frühzeitige Selektion, wenn dadurch die Uni profiliert wird? Weg mit den LangzeitstudentInnen, damit die Statistik besser aussieht?

Einem Streik oder Protest, der sich selbst an die Zustimmung oder das Wohlwollen der Hochschulleitung kettet, sind von vorneherein die Zähne gezogen um Druck auszuüben. Mit kreativen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen (wie die Bildung zum xten Mal zu Grabe zu tragen oder baden gehen zu lassen) alleine, wird keine gesellschaftliche Auseinandersetzung gewonnen. In Halle gab es am 18.11. eine Vollversammlung mit 500 Leuten, die eine Resolution (4) zum geplanten neuen Hochschulgesetz und Hochschulstrukturgesetz verabschiedeten und für den 20.11. einen Warnstreik beschlossen. Dies alles geschah im Rahmen eines sachsen-anhaltinischen Protesttags gegen die Landeshochschulpolitik. Für den 8. bis 12.12. wurden Warnstreiks beschlossen. Auch in Hannover soll in dem Zeitraum eine Aktionswoche veranstalten. Ob in Leipzig ein nennenswerter und ernstzunehmender lokaler Protest in Gang kommt, wird sich erst in den nächsten Tagen und Wochen zeigen. Ein solcher entsteht natürlich nicht aus dem Nichts und auch nicht durch Abschieben der Verantwortung an die Studierendenvertretung, sondern durch aktive Teilnahme möglichst vieler Studierender. Gründe gibt es jedenfalls genug, seien es die Kürzungen der Zuschüsse für die Studentenwerke und damit die Erhöhung der Mensapreise bzw. des „Semesterbeitrags“, die Teilnahme Sachsens an der Klage für allgemeine Studiengebühren oder die Zwangsexmatrikulation nach dem 13. Semester. Und es ließen sich sicherlich noch weitere Gründe finden.

Viel Zeit zur Vorbereitung ist nicht mehr. Auf einem Koordinierungstreffen Ende November wurden nämlich für den 13.12. ein europaweiter (5) dezentraler Aktionstag und drei Demonstrationen beschlossen, zu denen bundesweit mobilisiert wird: in Frankfurt, Berlin und Leipzig. Stand: 30.11.

kater

(1) www.refrat.hu-berlin.de/sowi/alle/allenews/vvbeschluss.html
(2) www.denkstop.de; zudem kreuchten auf bayrischen Demos Burschenschafter, eine Deutschlandfahne, Transparente mit Slogans wie „Wir sind Deutschlands bestes Kapital“; siehe auch www.jungle-world.com/seiten/2003/48/2107.php.
(3) eine andere Version spricht vom Blockieren seiner Limousine
(4) Resolution VV Halle www.stura.uni-halle.de
(5) Es waren auch AktivistInnen aus anderen europäischen Ländern anwesend.

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