Zeiten des Kampfes

Martin Luther King, vielleicht noch Malcom X … viel mehr ist hierzulande über die damalige antirassistische Bewegung in den USA oft leider nicht bekannt. Mit der Übersetzung von Clayborne Carsons ‚Zeiten des Kampfes’ hat der Verlag Graswurzelrevolution jetzt den verdienstvollen Versuch unternommen, dies zu ändern und mit dem SNCC (sprich: Snick; Student Nonviolent Coordinating Committee) eine der bedeutendsten antirassistischen Organisationen der Südstaaten zu dieser Zeit stärker in das Blickfeld zu rücken. Carson, der als Untergrundjournalist selbst am Rande des SNCCs engagiert war, und mittlerweile an der Stanford University Geschichte lehrt und außerdem Martin Luther Kings Schriften herausgibt, stellt in seinem Werk ausführlich dessen Entwicklung dar, wobei er sich v.a. auf Dokumente des SNCCs und seiner AktivistInnen stützt. Zur Sprache kommen dabei die inhaltlichen Auseinandersetzungen im SNCC, Personen die für seine Entwicklung wichtig waren, die jeweilige Art der Organisation, die Projekte und die äußeren Umstände, wobei ob dieser Fülle an Themen und Informationen leider der rote Faden mitunter verloren geht.

Das SNCC entstand aus der Sit-In Bewegung gegen die Segregation (Rassentrennung) in den Südstaaten, welche am 1. Februar 1960 in Greensboro, North Carolina, ihren Anfang nahm. Dort blieben vier afroamerikanische Studenten nach ihren Einkauf bei Woolworth einfach an einer für Weiße reservierten Theke sitzen, an der sie nicht bedient wurden. Am nächsten Tag saßen dort dann bereits 30 schwarze StudentInnen, am folgenden Tag wurden alle 66 Plätze an der besagten Theke besetzt. Diese Aktionsform wurde schnell in anderen Städten übernommen und auf andere Ziele als Restaurants ausgeweitet. Mit der Gründung des SNCCs im April 1960 sollte dieser Protest auf eine dauerhafte Basis gestellt werden. Zu dieser Zeit war es eine Vernetzung der entstandenen lokalen Aktionsgruppen und inhaltlich hauptsächlich von gewaltfrei-idealistischen christlichen Strömungen geprägt.

Ab Anfang 1961 kam es dann zur ersten Wandlung des SNCCs, als es (schlecht) bezahlte hauptamtliche OrganisatorInnen anstellten, die lokale Bewegungen aufbauen oder unterstützen sollten. Auch die inhaltliche Schwerpunktsetzung verschob sich vom Kampf gegen die Segregation auf den Kampf um Bürgerrechte. Dieser drückte sich zum einen darin aus, dass durch gewaltfreie Aktionen rassistische Übergriffe ‚provoziert’ wurden, welche die Bundesregierung zum Eingreifen gegen die Institutionen der Südstaaten bringen sollte und zum anderen darin, dass AfroamerikanerInnen ermuntert wurden, sich in die Wahllisten einzutragen, damit sie rassistische Sheriffs, Abgeordnete etc. abwählen konnten. Inhaltliche Inspiration war zu dieser Zeit ein radikaler Humanismus, der sich u.a. auf Camus und Marx, aber v.a. auch auf die eigenen Erfahrungen in den Projekten stützte. Ab 1964 setzte dann ein erneuter Wandlungsprozess des SNCCs ein, in dessen Verlauf sich das SNCC de facto in eine kleine Organisation von KundgebungsrednerInnen verwandelte. In diese Zeit fallen die Hinwendung zum schwarzen Nationalismus (inkl. des Ausschlusses aller Weißen aus der Organisation), zum Versuch einer straffen Organisation sowie zu einem mit Gewaltankündigungen gespickten Verbalradikalismus, der seinen Ausdruck auch darin fand, dass 1969 das ‚Nonviolent’ im Organisationsnamen in ‚National’ geändert wurde. Interne Streitereien, Austritte und Ausschlüsse, aber auch die zunehmende Repression seitens des Staates und das steigende Misstrauen untereinander, ob der Unterwanderung des SNCCs durch Spitzel, trugen schließlich dazu bei, dass das SNCC in Bedeutungslosigkeit versank, so dass selbst das FBI 1973 die Überwachung der Organisation aufgab.

Auch wenn diese Entwicklung im Nachhinein sicher zu kritisieren ist, so finde ich es doch bedauerlich, dass der Autor am Ende des Buches angesichts ihrer in eine Idealisierung der Anfänge des SNCC verfällt – und das obwohl er selbst vorher die jeweiligen Gründe geschildert hat, weshalb ein Weitermachen wie bisher den AktivistInnen unmöglich war. Auch wenn dies kaum Aufgabe eines geschichtlichen Buches sein kann, wäre es angesichts dessen sinnvoller gewesen, nach alternativen Möglichkeiten der Weiterentwicklung zu suchen. Leider geht auch Lou Marin – der für den Verlag das Vorwort zur deutschen Ausgabe schrieb – nicht auf diese Problematik ein, obwohl er das Buch sogar als „Lehrstück“ für soziale Bewegungen betrachtet haben möchte. Stattdessen beschränkt er sich darauf, sämtliche Fehlentwicklungen als „Abwege“ zu denunzieren, denen er aber zugestehen muss, dass sie „verständlich“ sind, ohne zu berücksichtigen, dass dann auch mit der Ausgangslage etwas nicht gestimmt haben kann. Daran, dass ‚Zeiten des Kampfes’ für an der Geschichte des antirassistischen Kampfes und/oder der von sozialen Bewegungen (viele Themen und Probleme werden AktivistInnen sicher bekannt vorkommen) Interessierte mit Erkenntnisgewinn zu lesen sein dürfte, ändert dieses kleine Ärgernis aber selbstverständlich nichts.

j.e.mensch

Clayborne Carson: Zeiten des Kampfes. Das Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) und das Erwachen des afro-amerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren. Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim, 2004.

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