Zum Beitrag „Hand in Hand mit den Bossen“ (FA! #38)

Mit dem Urteil vom Bundesarbeitsgericht in Erfurt am 23. Juni 2010 gegen das Prinzip der Tarifeinheit, also ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag, kam eine Diskussion zur Gestaltung der Tariflandschaft in Gang.

Eine gemeinsame Erklärung des BDA und des DGB sorgten im Vorfeld des Urteils für berechtigte Kritik. Richtigerweise ist dieses Thema auch ein Thema des Feierabend!. Allerdings ist für mich das gezeichnete Bild im Beitrag nicht trennscharf genug. Der kritische Blick einzig auf große Gewerkschaften und dem DGB-Vorstand wirkt stark verengt. Dem Thema wird man nicht gerecht indem man sich unter dem Motto: „Stimmt Feindbild, stimmt Weltbild“ abarbeitet. Deswegen der Versuch einige, aus meiner Sicht, teilweise falsch dargestellten Punkte inhaltlich anders zu beleuchten und auch die wirkliche Problematik des gemeinsamen Papiers vom DGB und BDA zu benennen.

Im Beitrag wird behauptet, dass „Bis dato… die DGB-Gewerkschaften dank des „Mehrheitsprinzips“ eine fast uneingeschränkte Monopolstellung gegenüber kleineren Gewerkschaften…“ hatten.

Tatsächlich umreißt der Autor damit genau die Situation, die nach der von BDA und DGB geforderten Gesetzesänderung entstehen sollte.

Es gab bisher das Prinzip der Tarifeinheit. Dieses Prinzip wurde von den Gerichten anerkannt und in der Praxis gelebt. Gesetzlich oder verfassungsrechtlich niedergeschrieben war es nicht. Weiter gab es bisher das Spezialitätsprinzip. Soll heißen, derjenige Tarifvertrag der räumlich, fachlich und persönlich speziellere Regelung enthält, geht vor einen Tarifvertrag, der allgemeiner geregelte Bedingungen für den Betrieb enthält.

Aktuell kann somit auch eine Gewerkschaft mit wenigen Mitgliedern tarifbestimmend sein. Beispielsweise der Fall Nexans in HanBelegschaft organisiert. Das hatte zur Folge, dass der Einzelne auf bis zu 40% seines Lohnes hätte verzichten müssen. Nur durch einen harten Arbeitskampf wurde annähernd wieder der alte Tarifvertrag erkämpft. Gleiches können wir auch in vielen Handwerksbranchen mit den christlichen Arbeitgeber-Gewerkschaften erleben. Kaum Mitglieder, aber eine Belegschaft wird dabei ganz bitter verkauft. Unhaltbar bleibt, dass eine gelbe (noch) Gewerkschaft mit keinen oder wenigen Mitgliedern die Normen für eine Belegschaft setzt, die das nicht möchte.

Gleiches Prinzip, andere politische Bewertung bei den Stan­desgewerkschaften (im Beitrag Spartengewerkschaften genannt): Mit Sicherheit haben Gewerkschaften wie die Gewerkschaft der Flugsicherung (GDF), Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Marburger Bund, Unabhängige Flugbegleiter Organisation (UFO), Füh­rungs­kräfteverband Chemie (VAA) und Vereinigung Cockpit nicht ohne Grund den eher linksgerichteten Ar­beitsrechtsprofessor Dr. Wolfgang Däubler und den Prof. Dr. Volker Rieble mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens zum Thema beauftragt. Diese Gewerkschaften sind mit Sicherheit der Beweggrund, wenn BDA-DGB das Mehrheitsprinzip als Krücke vorschlagen.

Im Beitrag werden die Gewerkschaften mit den in Deutschland eher energischen Kämpfen verbunden. Auch eine Frage der Betrachtung und der Wahrnehmung: Denn zum einen kämpfen sie einen Kampf für eine sehr kleine und sehr spezielle Gruppe von Facharbeitern. Diese besetzen in den Arbeitsprozessen herausgehobene Stellungen. Das erlaubt in kurzer Zeit einen hohen Druck auf den Gegner auszuüben. Einen größeren Anspruch darüber hinaus ist nicht wahrnehmbar. Gesellschaftliche Veränderung, Engagement für alle Teile der Gesellschaft von Kindern über Jugendliche, Hartz-IV-Empfänger oder beispielsweise Rentner ist nicht zu spüren. Selbst für einen gemeinsamen Kampf für Beschäftigte mit geringerer Qualifikation im gleichen Unternehmen, reicht die Solidarität schon nicht mehr. Das führt auch innerhalb von Belegschaften zu großen Verwerfungen. Auch die Höhe der Forderungen der Standesgewerkschaften ist in letzter Zeit merklich zurückgegangen.

Allerdings wird der DGB auch dieses Thema mit einer solchen Änderung des Gesetzes nicht lösen. Für eine Diskussion halte ich folgende Fragestellung für notwendig weiter zu beleuchten:

1. Mit der Gesetzesinitiative wird scheinbar ein demokratisches Mittel (Mehrheitsprinzip) zur Sicherung der Tarifhoheit der DGB-Gewerkschaften eingesetzt. Wo und in welchem Gremium, auf welchem Gewerk­schaftstag, auf welchem Kongress haben denn die Mitglieder der DGB-Gewerkschaften diesem Einschnitt in die Verfassung und in das Tarifvertragsgesetz zugestimmt?

2. Welche Fehler haben denn beispielsweise ver.di, transnet oder andere selbst begangen, dass sich bestimmte Gruppen der Belegschaften nicht mehr vertreten fühlen? Und warum stellen sie sich nicht der Auseinandersetzung mit solchen Gewerkschaften im fairen Miteinander?

3. Das Tarifvertragsgesetz wurde oft genug von konservativen und neoliberalen Kräften angegriffen. Abstruse Pläne mit massiven Einschnitten in das Streikrecht gibt es ausgearbeitet in deren Schubladen. Bisher wurden alle Angriffe abgewehrt. Wie will der DGB, wenn er selbst das Tarifvertragsrecht in Frage stellt, den Damm halten? Der DGB öffnet Tür und Tor für gefährliche Änderungen.

4. Mit welchem Recht sind gerade Arbeitgeber aufgerufen, sich um das Tarifrecht zu sorgen? Sie haben doch Verbände „Ohne Tarifvertrag“ gegründet, Unternehmen aufgefordert, Tarifverträge zu kündigen und Gewerkschaften zu beschimpfen, gesellschaftliche Stimmung mit Hilfe der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft gegen Tarifverträge erzeugt, Öff­nungsklauseln und Sa­nierungstarif­ver­träge gefordert, das Pforz­heimer Abkommen bejubelt, sich christliche Gewerkschaften in die Betrieb geholt, einseitig Regelungen gebrochen, und arbeiten auch europaweit an der Einschränkung der Mitbestimmungsrechte, zum Beispiel der Montanmitbestimmung. Diese Politik entzieht den Arbeitgebern die Glaubwürdigkeit sich für einen Tarifvertrag einsetzen zu wollen. Hat das der DGB-Vorstand vergessen?

5. Darüber hinaus wird es nicht selten sein, dass auch die großen Gewerkschaften in der Minderheit sind. Ist das für ver.di, Metall und Co egal?

6. Die geforderte Friedenspflicht solange die Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern einen Tarifvertrag hat, ist praktisch ein Streikverbot. Warum sollte ich als Arbeitgeber es nicht schaffen 51% meiner Belegschaft zu begeistern, in eine von mir vorgeschlagene, selbst gegründete Gewerkschaft (wir denken an die AuB) einzutreten? Dann sind die DGB-Gewerkschaften raus und können sich nicht mal mehr zurück streiken. Fahrlässig!

7. Wo ist denn die reale Gefahr, dass sich viele neue kleine Standesgewerkschaften gründen? Bisher ist diese Gefahr nicht auszumachen.

Der harte blutige Kampf für Tarifvertrag, Streikrecht und Mitbestimmung sollte nicht untergraben werden. Die bisher bestehenden Gewerkschaften sind zum Teil auch eine positive Bereicherung (FAU) für die demokratische Landschaft. Insofern sollte der DGB die Finger davon lassen und ich hoffe der Feierabend! schaut sich die Entwicklung weiterhin sehr kritisch an. Denn es ist ein grundsätzlich sehr entscheidendes Thema für die abhängigen Beschäftigten darüber hinaus. Vielen Dank für die Setzung des Themas!

Tom Sawyer

Vielen Dank, Tom

…dass du dir die Mühe gemacht hast, uns diesen (sehr umfangreichen) Leserbrief zu schreiben. Ich stimme dir zu, die Darstellung des Themas war wirklich zu „eng gefasst“, was aber auch daran lag, dass eine halbe Seite als Rahmen einfach zu eng ist für Erörterungen. Der wichtige Hinweis, dass das Prinzip der „Tarifeinheit“ bislang keine gesetzliche Grundlage hatte, sondern nur eine ungeschriebene Regel für die Rechts­sprechung der Arbeitsgerichte war, ist leider den vom Platzmangel erzwungenen Kürzungen zum Opfer gefallen. Das war tatsächlich ein Fehler. Vielen Dank, dass du diesen Punkt richtigstellst!

Auch auf den Sonderfall der christlichen Gewerkschaften konnte ich nicht eingehen. Aber du sagst ja selbst, dass sich der DGB mit der Gesetzesinitiative auch die eigenen Mög­lichkeiten einschränkt (eben auch dann zu streiken, wenn eine gelbe Gewerkschaft die Mehrheit hinter sich hat). Insofern ändert dieser Hinweis nichts an meinem Fazit.

Was Gewerkschaften wie GdL und Cockpit angeht: Es ging mir nicht darum, diese abzufeiern. Aber die Vehemenz, mit der sie ihr Eigeninteresse vertreten, finde ich durchaus sympathisch. Die Piloten und Lokomotivführer nutzen eben ihre Schlüsselposition im Arbeitsprozess aus. Das mag egoistisch sein, aber genau dafür wurden die Gewerkschaften ja gegründet: um die eigenen Interessen besser durchsetzen zu können.

Darum muss auch der DGB kritisiert werden, wenn er lieber auf „Sozialpartnerschaft“ setzt, wie es z.B. Herr Sommer sagt: „Die Gewerkschaften und die Arbeitgebervertreter […] arbeiten zusammen, wo dies möglich und nötig ist.“ Warum soll sich eine Gewerkschaft um die Interessen der sog. „Arbeitgeber“ kümmern?! Darum kümmern die sich schon selbst, zumal sie ja auch die Produktions- und damit die nötigen Machtmittel in der Hand haben. Im Gegensatz dazu sind die Lohnabhängigen zwar als Klasse unverzichtbar für die Unternehmer, als Einzelne aber beliebig austauschbar. Sie müssen sich also organisieren, um diesen strukturellen Nachteil auszugleichen und ihr Interesse zur Geltung zu bringen.

Im Rahmen der derzeitigen Verhältnisse würde das bedeuten, einen halbwegs guten Preis für die eigene Arbeitskraft zu erzielen. Schon bei dieser bescheidenen Forderung zeigt sich, wie falsch das heimliche Motto der Sozialpartnerschaft („Wenn´s dem Unternehmen gut geht, geht´s auch den Arbeitern gut“) ist. Denn dem Unternehmen geht es umso besser, je niedriger die Löhne sind. Umso größer ist die Gewinnspanne und umso besser steht die Firma in der Konkurrenz mit anderen Unternehmen da. Genau darum sind die „Arbeitgeber“ keine akzeptablen Bündnispartner. Nicht weil sie, wie du bei Punkt 4 meinst, sich durch ihr Verhalten in der Vergangenheit diskreditiert haben (wären sie denn akzeptabel, wenn sie dies oder jenes nicht getan hätten?), sondern weil ihr Interesse von vornherein im Gegensatz zu dem der Lohnabhängigen steht.

Darum finde ich es sympathisch, wie die Standesgewerkschaften ihr Eigeninteresse vertreten. Das ist natürlich auch problematisch, wenn es zur Entsolidarisierung mit den anderen Lohnabhängigen führt. Aber du sagst ja selbst, dass die von den Spartengewerkschaften erzielten Abschlüsse zunehmend niedriger ausfallen. Es wäre also möglich, dass sich der Spartenegoismus zugunsten größerer Solidarität von selbst korrigiert: Wenn nicht nur die Loko­motivführer_innen streiken, sondern auch der Rest der Belegschaft, dann kommt für alle mehr heraus. Und von dem Punkt könnte sich dann eine weitere Perspektive eröffnen, hin zu der Erkenntnis, dass es nicht nur darum geht, die eigene Haut so teuer wie möglich zu verkaufen, sondern dass es klüger wäre, das Abhängigkeitsverhältnis ganz zu beenden. Aber zu solch einer Perspektive hat der DGB (nicht nur seiner offiziellen Linie, sondern auch seiner hierarchischen Struktur wegen) meiner Meinung nach nichts beizutragen.

justus

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