Zur Not auch gegen ihren Willen

Die nun vollendete Arbeitsmarkt­reform nach dem Hartz-Konzept ist schon seit einigen Monaten, seit 1. April 2003, in der Wirklichkeit zu erleben. So erfolgreich wie die Reformer erwartet hat­ten, war die staatlich vermittelte Leiharbeit bisher noch nicht. Davon unbeirrt verab­schiedete der Bundestag am 13. August die letzten beiden großen Gesetze – „Hartz III und IV“.

Mit dem Hartz-III-Gesetz wird das Arbeitsamt umgestaltet zur „kunden­orientierten Bundesagentur für Arbeit“. Diese Neuorientierung tritt zum I. Janu­ar 2004 in Kraft und bedeutet zunächst einmal „intensivere Beratung“: verschärf­te Kontrollen und erhöhter Druck. Ein Mitarbeiter soll sich um 75 Erwerbslose kümmern – das wären etwa 50,000 „Fall­manager“, womit die Bundesagentur als ABM von landesweiter Bedeutung gelten darf. Mit der „Gewährung passiver Leis­tungen“ ist es jedenfalls vorbei. Und auch mit der amtlichen Ruhe. Das Ar­beitsamt soll künftig wie ein Unternehmen geführt werden, mit einem verant­wortlichen Management und strikter Erfolgskon­trolle. Wer erinnert sich da nicht an die Deutsche Bahn? Mittels „definierter Kennzahlen“ soll die Er­füllung der Zielvorgaben – klar, Reduktion der Arbeitslosigkeit – überprüft werden. Sta­tistik ist alles, der Mensch ist nichts.

Hartz IV etabliert durch die Zusammen­legung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe eine „Grundsicherung für Arbeitssuchen­de“. Das ganze tritt am 1. Juli 2004 in Kraft und heißt Arbeitslosengeld II; Sozialhilfe erhalten dann nur noch erwerbs­unfähige Menschen, diejenigen die weni­ger als drei Stunden täglich arbeiten kön­nen. Die „glücklichen“ Erwerbsfähigen er­fahren eine „intensivere Beratung“, einen erhöhten Druck seitens der neuen Bun­desagentur. Denn wer sich der Beratung oder Wiedereingliederung verweigert, muss die nächsten drei Monate mit etwa 100 Euro weniger (30 Prozent) auskom­men. Weigern sich Jugendliche unter 25 Jahren, bekommen sie drei Monate lang überhaupt kein Arbeitslosengeld. Dieses Prozedere kann zweimal in gleichem Ausmaß wiederholt wer­den. In der Presse­erklärung heißt es, eine Verweigerung sei eine „Pflichtverletzung“ – Arbeitspflicht?

In diesem Zusammenhang sei an eine Pas­sage in Schröders Agenda-2010-Rede (14.3.) erinnert: „Ich akzeptiere nicht, dass Menschen mit der gleichen Bereitschaft zu arbeiten, Hilfen in unterschiedlicher Hö­he bekommen. So kann erfolgreiche Inte­gration nicht aussehen.“ Es geht also um die „Integration“ derjenigen, die eine „Be­reitschaft zu arbeiten" zeigen. Als Partei mit 140jähriger, sozialistischer Tradition weiß man in der SPD sehr wohl, was „ar­beiten“ heißt: „ausgebeutet werden“. Schröder und die Partei wären nicht sozi­aldemokratisch, würden sie dabei nicht an alle Menschen der „deutschen Gesell­schaft“ denken. So kommt mangelnde „Bereitschaft" einer Pflichtverletzung gleich. Die Regierung geht mit ihrem Ar­beitseifer voran und will mittels Sonder­programm (1.9. die­ses Jahres bis 31. Au­gust 2005) 100.000 „Langzeitarbeitslose“ vermitteln – die So­zialhilfe wird in Höhe des Lohns gekürzt.

Das können jedoch nicht alle Maßnahmen gewesen sein, denn der Arbeitsmarkt hat zwei Kundenkreise – wie der Zeitungs­markt für Leser und für Anzeigenkunden. Knute für die einen, Zuckerbrot für die anderen. Hartz III umfasst neben der Ori­entierung auf die Erwerbslosen auch eine Senkung der Lohnnebenkosten – aus Sicht der Unternehmer gehören diese „Neben­kosten“ zum Faktor Lohn – also Senkung der Lohnkosten und die Pauschalisierung von Eingliederungszuschüssen. Diese Zu­schüsse zu den Lohnkosten werden offizi­ell gezahlt, um die „Minderleistungen“ des ehemals Erwerbslosen auszugleichen – bei Einarbeitung maximal 30 Prozent für bis zu sechs Monate, bei erschwerter Vermitt­lung bis zu 50 Prozent für 12 Monate, bei Alter bis zu 50 Prozent für 24 Monate. Pauschalisiert werden auch andere, spezi­ell ostdeutsche Lohnkostenzuschüsse (SAM), Und für Herbst ist eine „Offensi­ve“ angekündigt, zur „Verbesserung der fi­nanziellen Situation des Mittelstandes“.

Für Erwerbslose steht eine „Verbesserung der finanziellen Situation“ nicht zur De­batte – ebenso wenig für RentnerInnen. Schröder weiß, worauf es bei Wirtschafts­politik ankommt: Politik für „die Wirt­schaft“, für’s Kapital. Dabei handelt es sich um eine spezielle Wirtschaft, denn Produktion und Handel an sich geraten nicht ins Stocken geraten – es geht um Rentabilität: die Arbeitskraft muss billi­ger werden und der Markt muss expan­dieren, um den Gewinn zu realisieren. Die Preissenkung der Ware Arbeit selbst reicht nicht aus – wie an der Bilanz der Personal Service Agenturen kenntlich wird: „Der­zeit haben die Arbeitsämter 671 Agentu­ren unter Vertrag mit Plätzen für 30.000 Arbeitslose. Beschäftigt waren nur 6100 Arbeitslose, in einen Job vermittelt wur­den bisher 117.“ (1) Die notwendige Ex­pansion vollzieht sich heute, da alle Kon­tinente erschlossen sind, durch Neuerun­gen, durch neuartige Waren. Daher rührt die neu entdeckte Liebe zu Wissenschaft und Bildung – der Etat des Bildungs­ministeriums sei „seit 1998 um 25 Prozent“ gestiegen, heißt es in einer weiteren Presse­erklärung. (2)

… nicht die Vernunft einer menschlichen Gesellschaft

All diese Maßnahmen sind vernünftig – sie folgen der Vernunft des Gewinns. Gewiss können auch Wochenende, bezahlter Ur­laub, 35-Stunden-Woche und Sozial­versicherungen in dieser Logik gedacht werden… die Vernunft einer menschlichen Gesellschaft ist es nicht. Wenn aber in ei­ner krisengeschüttelten Wirtschaftsord­nung sich seit 20 Jahren alle Hoffnungen immer wieder zerschlagen, dann werden diese Vergünstigungen und Rechte wieder undenkbar. Verteidigen wir uns, denken wir das Undenkbare! Nicht nur an Wohl­stand denken wir, auch an Freiheit … wir haben Stiefel im Gesicht nicht gern, wir wollen unter uns keinen Sklaven seh`n, und über uns keinen Herrn.

Bisher ist noch kein Land in Sicht für Po­litik und Wirtschaft – aller Erfolgsrhetorik zum Trotz. Sie haben uns nichts zu bieten. Bisher ist noch kein Land in Sicht für Le­ben und Emanzipation – niemand wird uns das bieten. Das können wir nur selbst schaffen.

A.E.

(1) Financial Times Deutschland, 11.8.03
(2) Zur Bildungspolitik, siehe auch S. 12 in diesem Heft: „Einsicht in die Notwendigkeit". Die Zahlen und Zitate stammen von der Bundes­regierung (www.bundesregierung.de) und vom Ar­beitsamt (www.arbeitsamt.de)

Hartz-Gesetze

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