Zwischen Farbkacke und Stahlgewittern

Der „deutsche Maler“ Neo Rauch wird 50

50 Jahre alt ist er geworden, Neo Rauch, der erfolgreichste noch lebende Maler Deutschlands. Zu seinem Geburtstag werden ihm derzeit gleich zwei Ausstellungen gewidmet, eine in München, eine im Leipziger Museum der Bildenden Künste. In seiner Eröffnungsrede bedankte sich OBM Burkhard Jung bei Rauch, dass dieser trotz seines Erfolges der Stadt u.a. mit seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst treu geblieben sei. Aus gutem Grund: Rauchs Bilder erzielen Preise von bis zu 680.000 Euro, werden weltweit ausgestellt und gekauft. Als Aushängeschild der Neuen Leipziger Schule (1) hat Neo Rauch damit fast im Alleingang den Kunststandort Leipzig als global player auf die Landkarte gerückt.

Rauchzeichen

Die Leipziger Ausstellung macht die Entwicklung Rauchs in den letzten 17 Jahren nachvollziehbar. Vom Abstrakten ausgehend nähert sich seine Malerei stetig einer surreal getönten Neoromantik an. Die betont sachlichen Motive der frühen Arbeiten werden dabei zunehmend von ausufernder Symbolik verdrängt, die monochromen Erdtöne treten zugunsten leuchtender Farben zurück, Bildraum und Figuren gewinnen an Tiefe. Die verödeten urbanen Räume werden durch Wald- und Berglandschaften ersetzt und füllen sich zusehends mit Personal. Feuerwehrmänner und Bergsteiger stehen da neben Gestalten, die Grimms Märchen oder den Bildern des Biedermeier-Malers Spitzweg entsprungen sein könnten – eine Motivwahl, die oft den Eindruck erweckt, als solle hier ein imaginäres Deutschland heraufbeschworen werden.

Rauch würfelt Versatzstücke verschiedener Zeiten durcheinander, das frühe 19. mischt sich mit dem 20. Jahrhundert (warum dort der Soldat in historischer Uniform einen Schlagbohrer in der Hand und Turnschuhe an den Füßen hat, weiß wohl nur der Künstler selbst). Anklänge an die romantische Malerei Caspar David Friedrichs lassen sich ebenso finden wie Anleihen beim sozialistischen Realismus und der Pop Art. Wo aber die Pop Art sich munter aus dem kapitalistischen Warenkatalog bedient, sind Rauchs Bilder meist von schwermütigem Pathos gefärbt, das Spiel mit den Zitaten hat hier wenig Spielerisches an sich. Anflüge von Humor lassen sich zwar erahnen (etwa in dem Bild „Versprengte Einheit“, wo Männer in verschneiter Landschaft mit übergroßen Silvesterböllern herumhantieren), durch unklare Lichtverhältnisse und Perspektiven werden sie aber sofort wieder in eine bleischwere Atmosphäre getaucht. Die Art, wie Rauch seine Bilder mit „archetypischen“ Figuren vollpackt, verstärkt diese Stimmung noch – der Maler scheint geradezu eine Strategie der Überwältigung durch Redundanz zu verfolgen.

Da wirken gerade die Momente wohltuend, in denen er den Zeichen Luft zum Atmen lässt. In dem Bild „Das Gut“ (2008) gleitet er glatt ins Groschenromanhafte ab: Zwei altertümlich gewandete Herren kämpfen mit Degen und Messer um eine in der Mitte stehende Dame, einer der beiden liegt halb auf der Motorhaube eines Sportwagens. Im Hintergrund ein düster beleuchtetes Haus, in der geöffneten Garagentür sieht man die gleiche Szene ein paar Sekunden später: Die Dame und der Typ mit dem Degen beugen sich über den Messerstecher, der tot am Boden liegt. Wenn Rauch solcherart in Trash macht, die Messerkämpfe aus den Geschichten von Jorge Luis Borges mit Schiller-Drama und billigen Kriminalromanen verrührt, um am Ende ungefähr bei David Lynch herauszukommen, hat das durchaus Stil – selbst wenn der Maler es sich nicht verkneifen kann, noch eine Portion Symbolik oben drauf zu packen und dem Kerl mit dem Messer Fischschwänze an Stelle der Beine zu malen. Vermutlich würde Rauch mehr solche Bildern zustande bringen, wenn ihm nicht ständig der Wille zum Kunstwerk dazwischen käme.

Große Geister

Dieser Wille kann dabei durchaus zu beeindruckenden Ergebnissen führen (solch komplexe, großformatige Kompositionen wollen schließlich erstmal bewältigt werden), aber auch fatale Folgen haben: So fällt z.B. der LVZ-Reporter Meinhard Michael mit Rauchs Bildern konfrontiert sofort ins Delirium und beginnt in fremden Zungen zu sprechen: „Kafkaeskes Grauen und die Schrecken der Sciencefiction entstehen als malerischer Genuss. Farbkacke muss sich überall hindrücken. Teigig labert sich manch andrer Stoff, die Bäume krümmen sich nach dem psychischen Bedarf des Regisseurs. Licht gleißt von fern, es bewegt sich, Horror-Schlinger steigen auf ins friedliche Land, und Gnome aus der Parawelt kommen zu Besuch.“ So kann man es natürlich auch ausdrücken: Rauchs Malerei regt nicht gerade zu sinnvollen Gedanken an.

Auch der Maler selbst ist offenbar der schlechten Angewohnheit verfallen, jeden Gedanken für tief zu halten, wenn er nur diffus genug daherkommt. Das beweist er z.B. im Interview mit der LVZ, wenn er meint, die Entwicklung seiner Malerei scheine „einem Magnetberg“ zuzuströmen, „den ich, der ich mich selbst im Dickicht meiner Verfänglichkeiten aufhalte, nicht sehen aber spüren kann.“ Rauch wähnt sich also von nebulösen kosmischen Kräften gelenkt. Seine Verbundenheit mit Leipzig erklärt er z.B. so: „Mir wachsen hier die besten Einfälle zu“ – nicht Rauch selbst hat Einfälle, sondern diese wachsen ihm zu. Darum sind die so zahlreich in seinen Arbeiten auftauchenden Zitate für ihn eben keine Zitate, die sich von benennbaren Quellen herleiten ließen, sondern das sichtbare Endprodukt unsichtbarer „Materialströme“, die von ihm nur ausgelichtet werden müssten. Dass er schon mal irgendwo Feuerwehrmänner und Motorradfahrer gesehen hat, diese Figuren also aus seiner Erinnerung den Weg in seine Bilder gefunden haben könnten – diese Möglichkeit will Rauch offenbar nicht in Betracht ziehen.

Sein Image als von kosmischen Kräften gelenktes Genie kultiviert er auch in seiner Malerei, etwa in dem Bild „Morgenrot“ von 2006. Die Komposition wird von einer in Rot gekleideten, großen weiblichen Engelsfigur beherrscht. Zu deren Füßen hat Rauch sich selbst porträtiert, als Schmied mit Zange und Amboss hantierend – der Künstler als Diener höherer Mächte. Auch alchemistische Motive klingen an, der Schmelztiegel des Schmiedes als symbolische Gebärmutter und Ort der Wiedergeburt (Rauch hat wahrscheinlich Mircea Eliade und C.G. Jung gelesen (2)). Anderswo zeigt er sich selbst im Bett liegend, an dessen Fußende drei Männergestalten wild gestikulierend den „Aufstand“ (so der Titel des Bildes) proben. Den Seinen gibt´s der Herr bekanntlich im Schlaf, oder wie Rauch selbst es sagt: „Ich bin zwar Regisseur mit stählerner Faust, aber bis ich die zum Einsatz bringe, bin ich ein Somnambuler. Einer, der eher gleitet und schwebt, als dass er energisch dazwischenfährt.“

Ein deutscher Maler

Dieser Tonfall entspricht perfekt einem Denken, das sich tatsächlich weitgehend im Modus des „Ahnens und Wähnens“ (O-Ton Meinhard Michael) bewegt, es also gar nicht für nötig hält, sich seinen jeweiligen Gegenstand mal genauer anzuschauen. Die Selbstironie eines Sigmar Polke (3), bei dem der angebliche Kontakt mit höheren Wesen nur dazu führte, dass der Künstler statt Blumen doch lieber Flamingos malte, ist Rauch schon darum fremd, weil er tatsächlich an solche Wesen glaubt. Rauch meint es völlig ernst, wenn er z.B. erklärt, als Konservativer orientiere er sich weniger am „ewig Gestrigen“ als vielmehr am „ewig Gültigen“.

Dieser Glaube ans „ewig Gültige“ verbindet den Maler mit seinem Idol und „väterlichen Freund“(4) Ernst Jünger. Aus seiner Verehrung für diesen Autor, der in den „Stahlgewittern“ die Blutbäder des I. Weltkrieges bejubelte und in den 20er Jahren als nationalistischer Freischärler das deutsche Vaterland vorm Niedergang bewahren wollte, macht Rauch kein Geheimnis. Dass es der Schriftsteller Uwe Tellkamp in seiner Rede zur Ausstellungseröffnung für nötig hielt, seinen Freund Rauch u.a. gegen den Vorwurf des Faschismus zu verteidigen, kommt also nicht von ungefähr – wobei Tellkamp selbst sich redlich bemühte, das eigentliche Problem zu umgehen, indem er Rauch gegen einen Vorwurf in Schutz nahm, der von niemandem ernsthaft erhoben wird.

Nicht umsonst zählt Rauch gerade „Auf den Marmorklippen“ (das Buch, mit dem Jünger auf Distanz zu den Nationalsozialisten ging, nachdem er zuvor einiges dazu beigetragen hatte, sie an die Macht zu bringen) zu seiner Lieblingslektüre – O-Ton Rauch: „diese Aufwirbelung der Pöbel-Massen, die schauderhaften Vorgänge im Unterholz menschlicher Perversionen, denen er [Jünger] sein parfümiertes Zurückgezogensein auf die Marmorklippe und in die darunterliegenden Sedimente der Kultur und des Wissens entgegensetzte“. Rauch ist also schon deshalb kein Faschist, weil ihm Hitler und die Nazis viel zu ordinär sind. Er steht eher dem späten Jünger nahe. Wie dieser ist Rauch ein „unpolitischer Rechter“: Eben weil er an eine natürliche Ordnung der Welt glaubt, hält er es nicht für nötig, etwas ändern zu wollen – wo ewige Gesetze walten, ist Politik (und überhaupt alles menschliche Handeln) ohnehin sinnlos.

Wie Jünger kann Rauch sich Ordnung nur als Über- und Unterordnung denken: Wenn die „Pöbel-Massen“ gegen die natürliche Ordnung aufbegehren, dann kann daraus eben nur Chaos folgen – die wahre geistige Elite schaut dem barbarischen Treiben derweil aus der Ferne kopfschüttelnd zu. Indem er das NS-Regime so als Naturereignis interpretiert, kann sich Rauch eine politische Kritik z.B. an Ideologien wie Antisemitismus und Nationalismus sparen.

Stattdessen hält er dem Nazi-Pöbel die „wahre“ deutsche Kultur entgegen, die er auch in seiner Malerei beschwört – auch die Nation ist für ihn eben nur als Naturgegebenheit denkbar. So hat er auch kein Problem mit seinem Image als „deutscher Künstler“, wie er in einem Spiegel-Interview erklärt: „Ich würde mich jedenfalls nicht dagegen wehren, weil ich glaube, dass die Welt nur dann wirklich farbig ist, wenn es stark ausgeformte Regionalismen gibt, auf hohem Niveau. Im Gegensatz zu irgendeinem kulturellen Esperanto.“ Dem künstlich-grenzüberschreitenden kulturellen Esperanto stellt Rauch hier implizit die Nation als naturwüchsige, abgegrenzte Kulturregion entgegen – wobei er freilich von den Nationalstaaten, die Grenzen und nationale Monokulturen erst produzieren, nicht reden will.

Dieses Weltbild schlägt sich auch in Rauchs Kunst nieder. Die „Rätselhaftigkeit“ seiner Bilder zielt weniger darauf ab Fragen aufzuwerfen, sondern vielmehr darauf, ein kritisches Hinterfragen unterbinden – die Fülle an Symbolik soll die Betrachter_innen überwältigen, nicht zum Denken anregen. Ein paar zündende Ideen würden auch seiner Malerei nur gut tun.

(justus)

 

(1)    Im Gegensatz zur vom sozialistischen Realismus geprägten „Alten Leipziger Schule“ der u.a. Maler wie Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig und Arno Rink zugerechnet werden.

(2)    Mircea Eliade, rumänischer Religionswissenschaftler und Schriftsteller, politisch aufgrund seiner zeitweise sehr ausgeprägten Sympathie für die faschistische „Eiserne Garde“ eine eher zwielichtige Gestalt. Zu Jung siehe FA! 34.

(3)    Neben Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Gerhard Richter einer der wichtigsten (und besten) deutschen Pop-Art-Künstler.

(4)    www.zeit.de/2005/49/Titel_2fRauch_49

Schreibe einen Kommentar