300

(Zack Snyder, Warner Bros. Pictures, USA)

Spätestens seit der Erfindung des sechs-lagigen Toilettenpapiers dürfte auch dem letzten Skeptiker klar sein: Die Moderne ist der lebendige Beweis da­für, dass Primitivität und Hochkultur keine ausschließenden Kategorien sind, wenn mensch sich an die Beschreibung der Geschichte macht. Und in­sofern hat die moderne Epoche auch schon alle Versprechungen erfüllt, von der tiefsten Barbarei bis zum feinsinnigsten Kunstwerk. Angesichts dieser span­nungsreichen Vergangenheit wundert es nicht, dass die Reste des Bildungsbürgertums sich aktuell auf einen abgeschotteten Zynismus zurückgezogen haben, während der letzte Pöbel gut bewacht abseits der Aufmerksamkeit höhnisch deren Abgang feiert. Es herrscht das Kleinbürgertum, allüberall! …

Der Titel des neusten hollywoodianschen Machwerks für den deutschen Markt ist so erschreckend einfach wie treffend. Die Hohlheit wird hier schon in ihrer hohlsten Weise, der Leerheit, ausgedrückt. Aber es geht in dem Filmstreifen selbstverständlich nicht um einen beliebigen Punkt in einem leeren Koordinatensystem, wie die nackte Zahl im Titel suggeriert, sondern um eine Gruppe entwurzelter, spartanischer Soldatenseelen (Hopliten), deren genaue Anzahl ansonsten ziemlich egal ist. Der Einfall persischer Heere unter der Drohung, alles und jeden und für alle Zeiten zu versklaven, zwingt die „300“ in eine aussichtslose Schlacht. Die dann auch einen Großteil der erzählten Zeit des Films ausmacht. Doch dieser Trupp aus hart disziplinierten und von ihren Frauen & Kindern getrennten Superhelden ist gar kein wilder Haufen oder glückliches Kollektiv, wie der überbordende Pathos von Blut, Land und Ehre imaginiert, sondern ein ganz gewöhnliches Kommando, eine Spezial-Force unter Führung des spartanischen Königs höchstselbst. Der Zusammenhang erscheint so selbstverständlich wie die unzähligen Darstellungen aus der Zeit der historischen Großdramen des Holly­woods der 50er und frühen 60er. Selbstverständlich kämpft der oberste Führer ganz vorn, selbstverständlich schweißen dessen charismatische Reden alle zusammen. Doch auffällig bei „300“ ist: Die Filmemacher legten scheinbar Wert darauf, die Dif­fe­ren­zierung zwischen einfachem Soldat und königlichem Führer möglichst auszuschalten. Während sich der überlieferte Historienschinken noch auf einfache Klassengegensätze stützte, soll unser spartanischer König „nur“ einer unter vielen sein, gleichzeitig jedoch DER Besondere, derjenige Held mit der ausgezeichneten Mission bleiben.

„Angst ist die Mutter des SOLDaten.“

Solch Widersprüchlichkeit wäre freilich span­nungsreicher Stoff für einen Film. Doch anstelle moderner Sozialpsychologie zogen Dramaturg und Regisseur offensichtlich früh­mit­tel­­alter­liche Korporations-Theorien zu Rate. Denn damals lehrte man tatsäch­lich, dass ein organisiertes Ganzes (bspw. eine Gruppe) sich aus einem Kopf und seinen Gliedern zusammensetze, wobei der Kopf zwar die Glie­der, diese aber nicht den Kopf repräsentieren könnten (corpus-caput-Schema). (1) Die Folgen für die Handlung von „300“ sind fatal. So vor­gestellt, werden die 300 Soldaten zu willenlosen Helfershelfern, deren psychologischer Haushalt völlig durch die königliche Psyche bestimmt ist. Das ist vielleicht „produk­tions-ökonomisch“ in Hinsicht auf die Ersparnis von Nebenrollen, aber letztlich ziemlich billig. Quasi mo­ti­va­tionslos verrichten die Spartaner ihren „Dienst“, schlachten Gegner um Gegner ab, schichten Leichenberge, pflegen ihre Wunden und Schil­de, stets wartend und bereit, den nächsten mörderischen Befehl des Königs wortlos auszuführen. Und wo es keine Heimlichkeiten, keinen Einspruch, keine Unzufriedenheit gibt, keine individuierende Geschichte, da gibt es eben auch wenig zu erzählen. Dieser Umstand wiegt umso schlimmer, als es in dem Film ja nicht um eine muntere Urhorde auf der Gänse­blümchenjagd geht, sondern um einen modernen Kampf-Verband, der durch die Psyche des spartanischen Königs einzig motiviert, eine selbstmörderische Kampagne startet. Und hierin liegt dann auch über­haupt die unausgesprochene Aktualität des mythischen Stoffs der Schlacht an den Thermopylen, deren Gehalt der Film „300“ völlig verfehlt. Denn inmitten der Gegenüberstellung von militärisch kultivier­tem Griechen und barbarisch übermächtigem Perser, ist ja ein Zwangs-Kollektiv Protagonist, das moralisch völlig unentschieden ist zwischen Ge­walt zum guten Zwecke (Special-Force) und absolut sinnloser Gewalt (Selbstmordkommando). Doch anstatt diesen Abgrund dem Zuschauer zu verdeutlichen und zu übersetzen, anstatt den Kontext zu erzählen, bleibt der Film sprachlos, und hüllt all die brennenden Fragen in eine bi­zarre Stilistik, die nichts als Mode und Trend verrät. Die ohnehin durch die viele Weichzeichnerei verwischten Details, erreichen so nicht einmal die Ebene des Banalen oder Profanen. Das Apfelessen am Rande des Schlacht­feldes, der unverblümte Blick auf den nackten Hintern des Königs, die sexuelle Diskriminierung der Königin, alles gerinnt zur trivialen Ausstaffage einer pathologischen Handlung.

Der Film endet, wie er von An­fang an enden musste, im Selbstmord des Königs, dargestellt als kollektiver Selbstmord der gesamten 300. Der Attentatsspeer verfehlt sein Ziel, knapp, aber wahrscheinlich hätte auch dieser letzte Mord keine größeren Auswirkungen auf das Handlungsende gehabt. Die symbolische Verwundung des Gott­königs Xerxes bereitet es nur vor: Denn zum Schluss bekommt der/die gemarterte ZuschauerIn noch ein blühendes Morgengrauen voll kriegslüster­ner Spartaner serviert. Mensch kann nach Hause gehen, das „Perserprob­lem“ haben die Spartaner (in der nächsten Generation) dann doch noch gelöst. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Denn angesichts der faulen Dar­­stellung, die sich an dem Glanz der eigenen technischen Effekte befriedigt und jede inhaltliche Auseinandersetzung scheut, wundert es schon, wenn da nebenbei eine Ratsversammlung inszeniert wird, bei der die Köni­gin im Namen der 300 Soldatenmütter fordert, mehr Truppen in den Ira… ähm.. zu den Thermo­pylen zu entsenden. Diese haarsträubende, explizite Aufpfropfung kann mensch einfach nur als billige Propaganda für die gegenwärtige Kriegspolitik der USA verstehen. Sie ist aber noch harmlos im Vergleich zu einer anderen, impliziten. Es wird nämlich auch eine verräterische Negativ-Figur in eine völlig belanglose Nebenhandlung projiziert, die das hehre Ansinnen der für Blut und Boden streitenden Spartaner restlos hintertreibt. Der „Volksschädling“ würden hierzulande böse Zungen zischen. Ein einsamer, spartanischer Krüppel, dessen körperliche Voraussetzungen es nicht zulassen, in der Phalanx zu kämpfen. Unser charismatischer spartanischer König will ihn deshalb nicht in sein Kommando aufnehmen. Der Verstoßene ist schwer enttäuscht, rennt zum Feind über, lässt sich durch eine Mischung von Sex & Drugs & Rock´n´Roll zum Überlaufen bewegen und verrät so die „300“, die wenig später in der tödlichen Falle stecken.

Bieten uns die Filmemacher damit etwa einen anderen Ausweg aus dem selbstmörderischen Unterfangen? Hätten die 300 Spartaner ohne den Verrat vielleicht doch das gesamte persische Heer vernichtet und wären so der eigenen Ka­ta­strophe entgangen? Vermutlich nicht, denn der ganze Pathos des spar­tanischen Königs beruht auf seiner schicksalshaften Todesweihung. Er MUSS für die Sache sterben, und damit auch der gesamte, psychologisch an ihn gekettete Kampfverband – darin besteht ja eben das Pathologische, Unentwickelte der Handlung. Die Frage des Verrates bleibt ihr so also auch äußerlich, aufgepfropft, belanglos. Aber wozu ist es dann an­gesprochen? Soll etwa darauf verwiesen werden, dass es überall, selbst bei den Ameri… ähm.. Spartanern, Verräter gibt, die mensch noch dazu an ihrer äußeren „Miß“-Gestalt identifizieren kann? Es ist nicht die Bösartigkeit der Filmemacher, sondern ihre hohle Inszenierung, die aus sprachloser, trivial-pathologischer Leere besteht – ihre inhaltslose Form, die solcherlei bösartige Aufpfropfungen ermöglicht.

Fazit: Den MacherInnen von „300“ ist ein einmaliges Kulturprodukt gelungen, dass all den Hohlköpfen dieser Welt Freude bereiten dürfte. Anstelle von komplizierten Kontexten dominiert der technische Effekt, anstelle ethischer Fragen des kollektiven Überlebens und individuellen Hoffens blinder Selbstmord-Pathos, anstelle von kritischer Aufklärung der naive Mythos. In zynischer Art & Weise liegt der Film damit voll im Trend der Zeit.

(clov)

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