Archiv der Kategorie: Feierabend! #18

Rechtsradikal macht Schule

In Dresden wurde ein NPD-nahes Bildungswerk eröffnet

Seitdem die NPD in den Landrat von Sachsen mit 9,2 % der Stimmen einmar­schierte und damit 12 der insgesamt 124 Sitze besetzt hält, steigt ihr rechtsextremes Selbstbewusstsein unaufhörlich an. Damit erlangte die Rechte einen parlamen­tarischen Arm, um ihre faschistischen Ideologeme nach bürgerlichen Spielregeln verbreiten zu können. Immer mehr beginnt die NPD ihren menschen­ver­achtenden Parolenfaschismus in ein theoriegeleitetes Format zu packen, um damit ihre Anhängerschaft zu erweitern, mit dem Ziel, bis tief hinein in die bürgerliche Mitte zu kommen. Dabei bedient sie sich zwar der traditionellen Propaganda vom Antisemi­tismus über Antiamerikanismus bis hin zu diffusem Antikapitalismus, kleidet diese aber in ein neues Gewand. Systematisch wird ver­sucht, öff­en­t­­liche Diskurse mit völkischen Inhalten zu speisen. Ein entscheidender Schritt zur Ideologie­verbreitung war die Gründung eines NPD-nahen „Bildungs­werks“ am 18. April 2005 in Dresden. Das „Bildungs­werk für Heimat und nationale Identität e.V.“ soll durch Spenden, Mit­glieder­beiträge und parlamentarische Zuschüsse – notfalls auch über Gerichts­beschluss erwirkt – finanziert werden. Ziel ist es, tagespolitische Themen zu ver­handeln und dabei eine Bewertung nach völkischen Interpretationsmustern zu transpor­tieren. Über Publikationen, Vorträge, Seminare und Exkursionen werden na­tionalistische Inhalte ent­sprechend ver­mittelt. Vorsitzender des „Bildungs­werkes“ ist Peter Dehoust ein ehemaliger Heraus­geber des rechts­extremistischen Kampf­blattes „Nation & Europa“ und bekannter Neonazi, bis 1992 NPD-Mitglied und Mitbegründer der „deut­schen Liga für Volk und Heimat“. Seinen Stellvertreter spielt Karl Richter, der ebenso Redakteur von „Nation und Europa“ war, sowie parallel beim par­lamentarischen Bera­tungs­dienst der NPD-Fraktion Sachsen arbeitet. Ein weiterer faschist­ischer Kopf im Hintergrund ist das Vorstandsmitglied der NPD, der sich in der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stim­me“ mit antisemi­tischen sowie ausländer­feindlichen Äuße­run­gen be­sonders kräftig hervortat. Karl Richter und Jürgen Gansel gehören beide zu einem losen Kon­glomerat rechts­intellektueller Köpfe, die im Umkreis der NPD-Fraktion ihre neo­nazistische Ideologie theoretisch ze­men­tieren möch­ten. Diese Gruppe be­zeichnet sich selbst als „Dresdner Schule“ und wählten diesen Begriff analog zur Frank­furter Schule (1) um eine Art Gegen­position zu formulieren. Das „Bildungs­werk“ dient dabei als Plattform den rassistischen Theorien Verbreitung zu verschaffen.

Nach Auffassung der „Dresdner Schule“ be­stimme die von Horkheimer und Adorno in den 40ern und 50er Jahren for­mulierte Gesellschaftskritik das „gei­stige Grundklima in der BRD“. Auch wenn sich die Gruppe als Gegenkonzept zu der Kritischen Theorie versteht, ist ihre Kritik an dieser haltlos, schon weil es an einer ausgiebigen Rezeption mangelt. Vielmehr blieb es bei den publizierten Aufsätzen bei vagen Bezügen und wüsten Unter­stel­lungen. Das lässt vermuten, dass es mehr darum geht seine eigene Position auf­zuwerten, indem das eigene Denk­kon­strukt in Form eines „Gegenentwurfs“ als die selbe philo­sop­hische Ebene dargestellt wird. Ebenso wird die kritische als politische Theorie verstan­den, was sie aber nicht war und ist (2).

Inwieweit es um die Kritik an der Frank­furter Schule bestellt ist, zeigt nicht zuletzt Jürgen Gansel, der das Hauptwerk der kritischen Theorie, „Die Dialektik der Aufklärung“, als ein „un­appetitliches jüdisches Buch“ beschimpfte, was die Wurzeln der Adornokritik der „Dresdner Schule“ aufzeigt.

In ihrer ersten Verlautbarung stellen sie den „ethnisch homogenen Gesell­schafts­körper“ einer von ihnen denunzierten „multikulturalistischen Gesellschaft“ gegenüber und argumentieren, dass sich Identität nur auf die „genetische Mitgift“ beziehen kann.

Die soziale Identität bestimmt sich jedoch durch die Beziehungen, die Menschen mit anderen Menschen bestreiten, und durch ihre Umwelt, welche uns prägt und nicht durch irgendeine chromosomale Beschaf­fen­­­heit. Zentral bei Richters Erklärungs­schrift zur „Dresdner Schule“ ist also ein Blut-und-Boden-Biologismus, der Begriffe wie „Abstammungsgesellschaft“ wieder stark machen soll.

In seiner Propaganda gegen das von ihnen deklarierte egalitäre Weltbild in der bun­desdeutschen Gesellschaft das durch die „kulturelle Hegemonie der 68iger“ getra­gen würde, postuliert Karl Richter die „Men­schenrechtslüge“ und spricht damit dem Menschen (nach seiner Vorstellungen einem bestimmten Teil von Menschen) die Würde ab.

Ebenso fordert Richter, wie jeder ordent­liche Nazi, dass die „Frage der deutschen Souveränität und Staatlichkeit“ erneut in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskus­sion rücken müsse, wohl damit sich Deutschland seines Führungsanspruches wieder bewusst werde, wie einst 1933.

Zuschlechterletzt wird in der letzten Hetzthese der Erklärungsschrift eine Reform des parlamentarischen Systems gefordert, wobei nicht näher erläutert wird, welche gruselige Idee von Staat­lichkeit sich hinter dem Ausdruck „Reform“ verbirgt.

Eine Verbindung von „Bildungswerk“ und Theoriewerkstatt dient vornehmlich zwei Zwecken: Zum einen der Schaffung einer lückenlosen Ideologie, die ihren zeit­geschichtlichen Rahmen abdeckt (so verstanden unter einer „globalisierten Rechten“) und zum anderen der Ein­flussnahme auf die bürgerliche Mitte und deren Diskurse.

Die menschenverachtenden und rassis­tischen Inhalte dieser „Schule“, sind typisch für ihre Gattung, die Art und Weise jedoch, wie die einzelnen Inhalte transportiert werden, bedient sich bürger­licher Attitüde. Durch den rechten parlamentarischen Arm findet ihre Ver­brei­tung einen günstigen Kanal und die Anschlussstellen zur Mitte sind schnell gefunden. Gerade durch die Aufwertung von Begriffen wie Nation und Volk von rechtsliberaler Seite (3) bekommen rassis­tische Theorien wieder Aufwind und Anhang in den verschiedenen gesellschaft­lichen Bereichen.

Karotte

(1) Bezeichnung für eine philosophische Strömung ausgehend von dem Institut für Sozialforschung aus Frankfurt, die in den 30er und 40er Jahre des 20. Jh. entstand und welche u.a. von den Gesell­schafts­wissenschaftlern Theodor Wiesengrund Adorno und Max Horkheimer getragen wurde.
(2) Siehe dazu auch aus Feierabend! #16 den Artikel „Feier­abend! – Mehr als antideutsch“
(3) Siehe dazu das Thesenpapier der jungen Union Sachsen „Werte-Strategie-Papier“

NazisNixHier

„Streik der Schmerzen“

Proteststundenpläne im SoSe ´05

Um vielleicht die Dimen­sio­nen zwi­schen Protest und Widerstand in ihrer Wei­­te aufzuzeigen, sollen folgendem Be­richt über gerade laufende Aktivitäten der Stu­die­renden hierzulande Be­ge­­ben­heiten aus anderen Erdteilen voran­gehen:

Am 18. März verlief die alljährliche Pup­pen-und-Wagen-Demo „Huelga de Do­lo­res“ (1) der Studierenden Guatemalas über­­raschend friedlich bzw. wenig re­pres­siv: Tau­sende übten kreativ-theatralische Kri­­tik an Staat und Gesellschaft.

In Quebéc haben im April über 230 000 Stu­­­dis gegen die dortigen Stu­dien­ge­büh­ren, bzw. eine weitere Erhöhung ge­­streikt.

In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai be­­­setzten in Athen „Anarchistische Genos­sen des Polytechnikums“ die Technische Uni­­­versität und hielten so ca. 100 Gäste in einem Hörsaal fest, nachdem bei Aus­ein­­­andersetzungen mit der Polizei einem „Ge­nossen“ ins Bein geschossen wurde.

Die erschütternden Geschehnisse in Süd­ka­­­merun jedoch, wo im Verlauf eines Uni­streiks im April insgesamt drei Studierende er­­­schossen und mehrere Personen verletzt wor­­­den sind, bedürfen besonders einer in­ter­­­nationalen Solidarität und mahnen alle­mal zu einer bewussten Tonart gegenüber den hiesigen Repressionen.

Sag Ja zum Nein!

Seitdem per Karlsruhe-Beschluss im Januar die Bundesländer selbst ´Wissen gegen Geld´ anbieten dürfen, droht den Stu­die­renden v.a. in CDU-regierten Bun­des­län­dern die baldige Einführung bzw. dras­tische Erhöhung von Studienge­bühren. Dem entgegen wurde der „sum­mer of resis­tance“ (2) ausgeru­fen. Im Mai gab es als­bald die ers­ten Rek­to­­rat­s­­be­setz­ung­­en: in Frei­burg hielt sie fast zwei Wo­chen und in Ham­burg (wo es am Vor­mittag des 19. Mai sogar ei­nen Verdi-Warnstreik der Uni Be­schäftigten), in Stuttgart, Braun­schweig, Hil­desheim, Göttingen und Lüneburg wur­den jeweils für ein paar Stunden oder ei­nen Tag die Präsidien belagert. Aber auch vie­le kleinere Städte organisieren z.T. sehr aus­geklügelte Pro­test­formen wie Alter­na­tiv-Vor­lesungen und gesellschaftskritische Sem­inare im öff­entlichen Raum. Auch das Cam­pus-Cam­pen erfreut sich an vielen Unis eben­sol­cher Beliebtheit, wie die di­versen Ju­bel­­demos und subversive Aktionen, bei de­­nen Leute als „Elite­studenten“ ver­kleidet Pro­pa­ganda für Studien­gebühren machen, um so neue Aufmerk­samkeit zu be­­kom­men und drohende Konse­quen­zen zu ill­ustrieren. Einen ersten Höhe­punkt bzw. die letzte Motivationsbewegung stellten die bun­des­wei­ten Demons­trationen am 2. Juni dar, an denen sich in Halle, Dresden, Pots­­dam, Frank­furt a.M. und Hannover ins­­gesamt über 20 000 Menschen betei­ligten.

Auch in Leipzig soll Sommer sein!

Nach einer von ca. 1% aller Imma­tri­ku­lier­­ten besuchten Vollversammlung am 10. Mai gab es auch in Leipzig eine kleine Spon­­tandemo zum CDU-Sitz, von wo aus dann ein solidarischer Apell gegen Stu­dien­­­ge­bühren an Regierende gefaxt wer­den kon­nte (PolizistInnen wurden derweil vor der Tür handgreiflich). Wenn nun aber so­gar der StuRa-Sprecher in der taz einräumt, es sei „erst mal Ruhe im Karton“ (3), weil am 2.Juni zur Demo nach Dresden „nur“ 500 statt der erwarteten 3000 Leuten mit­­gefahren sind, fragt es sich schwerlich nach Sonnenschein. Will sagen, das Grund­­problem der Punktualität entsteht durch die z.T. überforderten, naiven oder gleich­gültigen, weil in vergangenen Se­mes­tern (wie im WS 03/04) gescheiterten Widerstands­ansätze oder -aussetzer ständig wech­selnder Akteure.

Nichts­des­to­trotz gibt es durch­aus wieder ein Protest-Tref­fen (4). Wenn der Zu­sam­­menhang zu an­de­ren so­zialen Bewe­gungen und et­­waige Wah­­len ins Blick­feld tre­ten, wä­re dies eine Chan­­ce; zu­mindest ließe sich hoffen, dass die Stu­di-Be­we­gung­en in Zu­­­kunft kon­se­quen­­­ter an die Ur­sa­chen geh­en und sich in Wort und Ta­t ent­­­­schie­­den­er ge­­­­gen die her­r­­­sch­en­den Ver­­häl­t­nis­se rich­ten. An ei­­nem kür­z­lich ge­führten In­ter­view der Zei­­­tung Die Welt lässt sich ja schon der nächste Sozialschlag er­kennen: Anette Scha­van, Kul­tus­minis­terin Baden-Wür­tem­bergs und stell­ver­tretende CDU-Vorsitzende (mit Am­bitionen aufs „Schat­ten“-Bil­dungs­minis­terium) ant­wortete auf die Fra­ge nach mög­lichen Bildungsreform­schrit­­ten nach ei­nem etwaigen Wahlsieg: „Aller­­­dings muß das Bafög noch so lange er­­­hal­­ten blei­ben, bis es einen tatsächlich at­trak­tiven Markt der Bildungs­fin­anz­ie­r­ung gibt.“ (5)

Also sollten weiterhin und auch im hierar­chischen Alltag der Vorlesungen und Se­m­i­nare Grenzen überschritten und De­mo­sprüche, wie der aus dem Aufruf zur „Norddemo“ in Hannover realisiert wer­den: „Bildung für Alle! Alles für Alle! Alle für Alle!“

clara

(1) Übersetzt in der Überschrift
(2) entlehnt von diversen glo­ba­li­sie­rungs­kri­ti­schen und -betroffenen Widerstands­be­we­gun­gen der letzten Jahre. Auf der Homepage www.summer-of-resis­tance.net wird jedoch weniger Inhalt, als vielmehr bloßes Mer­chan­di­sing angeboten.
(3) taz 02.06.05 „Pragmatische Proteste angesagt“
(4) und zwar immer mittwochs, 19 Uhr am Felix-Klein-Hörsaal im Hauptgebäude am Augustusplatz.
(5) Die Welt am 04.05.05: „Das Mäzenatentum ist not­wendig“

Bildung

„Eigentum ist Diebstahl“

Von Umsonst-Kampagnen und Pinken Punkten

„Eigentum ist Diebstahl“(1) ist nicht nur phi­losophisch dahingesagt. Diese Ansicht ist auch ein Ausgangspunkt für die „Um­so­nst-Kampagnen“ oder auch „An­eig­nung­s­­bewegungen“ der letzen Jahre in der BRD und auf aller Welt, ob Spa­nien, Süd­af­rika, Polen, Argentinien (Feier­­abend! #2). In ihr ver­leihen Menschen der recht pau­scha­len For­derung „Alles für Alle – und Zwar Um­­sonst“ Aus­druck. Diese For­de­rung lässt sich ei­nerseits aus der Fest­stellung ab­lei­ten, „dass bestimmte men­sch­liche Be­dürf­nisse zum Le­ben da­zugehören und da­her für jeden erfüllbar sein müs­sen.“(2). An­der­­erseits lässt sich fest­halten, dass „es fak­tisch un­möglich ist, den Anteil zu be­stim­men, der in der ge­genwärtigen Pro­duk­tion ei­­nem jeden zu­fallen könn­te“(3). Wer will sich anmaßen, angesichts der mo­dernen Ar­­beitsteilung, die nicht zuletzt ein Er­ge­bnis ge­sell­schaft­licher Prozesse ist, die also ge­rade nicht in­dividuell zuschreib­bar sind, zu berechnen, wel­cher Teil vom ge­sell­schaft­lich ange­häuften Reich­tum der/m Ein­zelnen zu­steht?

Bei der „Umsonst-Kam­pag­ne“ geht es nicht um die gewalttätige Aneig­nung aller Gü­­ter, die mensch begehrt. Nein. Viel­mehr ist es ein Versuch, mit praktischen Ak­­tionen wie „Frei­­schwim­men“ oder frei­er Bahnfahrt, Räume in der Gesellschaft zu­­rückzu­erobern, die durch Privatisier­ung, Aus­grenzung oder dras­tische Preis­er­­höhungen für viele zu verbotenem Ter­rain oder uner­schwinglich geworden sind.

In dem Maße wie die Preise stiegen, schei­nen die finanziellen Mittel Vieler ge­sun­ken zu sein. Sei es der Ver­lust des Arbeits­platzes, die Strei­ch­ung von So­zial­leis­tun­gen (Hartz IV) oder leere Lan­des­kas­sen, die Sub­ven­­­­tio­nen für Schwimm­­­­­bäder und an­dere öffent­liche Ein­rich­tungen nicht mehr mö­g­lich ma­chen.

Um aus dieser Misere zu ent­kom­men, raten die von Oben: WIR sol­len alle mehr konsumieren, um die Wir­t­schaft an­zu­kurbeln und gleichzeitig müs­sen WIR sparen (d.h. weniger Lohn, Ren­­te,..), um das Staats­­säckel wieder zu fül­­l­en. Und dann wird all­es schon wieder gut… irgendwann… später.

Die­­se Argumentation mutet sicher nicht nur den „Umsonst-Kampagnieros“ ab­­surd an, die sich deshalb nicht da­rauf be­schränken vom Staat zu fordern, er solle es den „Bedürftigen“ ermöglichen auch teil zu haben am öffentlichen Leben, son­­­dern eher auf die ‚direkte Aktion‘ bauen. Die können sowohl symbolischen, als auch konkret verändernden Charakters sein.

Schon im Sommer 2002 fand daher eine eh­­er symbolische Aneignungsaktion, der „Sturm aufs Prinzenbad“, in Berlin statt. Hier haben die „autonomen Frei­schwim­mer­Innen gegen exorbitante Ein­tritts­prei­se in den Berliner Bäderbetrieben pro­tes­tiert. Prinzenbad umsonst lautete die Pa­role“ (www.berlin-umsonst.tk). Die Ant­wort der Staats- und Senatsgewalt da­rauf hieß, wie nicht anders zu erwarten: Re­pres­sion, was in drei Verhandlungen mün­­dete. Die letzte endete am 11.5.2005 mit der Einstellung des Ver­fahr­ens gegen 600 Eu­ro Strafe und der Fest­stellung, dass es sich beim Sturm aufs Prin­zenbad nicht um schwe­ren Land­frie­dens­­bruch handelte. Ein Bade­be­triebs­lei­ter fasste vor Gericht das Anliegen der Frei­schwimmerInnen noch einmal passend zusammen: „die woll­ten alles, BVG (Berliner Verkehrs Ge­sell­schaft), Strom, Freibad, alles umsonst, bloß nicht ar­bei­ten“ (taz 12.5.2005).

Im Mai 2003 wurde dann die Kam­pagne „Ber­­linUmsonst“ ins Leben gerufen, um im konkreten Alltag gegen aus­schlies­sen­de, re­­pressive und diskriminierende Struk­­tu­ren anzugehen. Aktions­mög­lich­kei­ten gibt es in diesem Rahmen viele. Ob der kos­ten­lose Schwimmbadbesuch, die freie Fahrt mit öffentlichen Ver­kehrs­mitteln, die Rückeroberung öffentlicher Plätze mit dem „Reclaim The Streets“-Mo­dell („Die Stras­­se zurückerobern“-Stras­senfest, na­türlich nicht genehmigt vom Ordnungs­amt) oder gar Hausbesetzungen.

Die aktuellste Aktion, die im April 2005 für alle KostenlosFahrer im Berliner Stadt­verkehr (und überall) startete, ist der „Pin­ke Punkt“. Sie interveniert konkret im All­­tag eines jeden mobilen Menschen und bie­­tet die Möglichkeit vor Ort, in der Bahn, Widerstand gegen ausgrenzende Preis­politik und die damit verbundene Re­pression und Kontrolle zu leisten. Der „Pin­ke Punkt“ bedarf und bewirkt, auf­grund des kontinuierlichen Charakters, zu­­dem die Vernetzung der Beteiligten und kann so Raum für gemeinsame Politik auch in anderen Bereichen des Alltags schaff­en, am Arbeitsplatz, auf dem Amt oder im Einkaufszentrum. Bereichert wur­de der „Pinke Punkt“ durch eine Plakat­ak­­tion Ende April diesen Jahres, die einige der 225 Berliner Kontrolleure im Fahn­dungsfotostil der Öffentlichkeit bekannt machte. Was die BVG Sprecherin „Einfach ge­­schmacklos“ fand, diente laut Aussage der PlakatMacher der Verhinderung von „Fahr­schein-Kontrollen, indem ihr euch Kon­­trolleure merkt und sie wieder er­kennt. Sie beim Umsteigen begleitet. An­de­re Fahrgäste frühzeitig auf sie auf­merk­sam macht.“ (BZ, 27.04.05).

Es ist egal, ob die Aktionen tatsächlich in den Alltag eingreifen, oder zunächst sym­­bo­lisch bleiben. Was zählt, ist in allen Le­­bens­lagen an den vermeintlich natur­ge­­ge­ben­en Verhältnissen des Kapitalismus und spe­ziell seinen neoliberalen Aus­wir­kungen, zu rütteln und sich mit Un­ge­hor­sam die ‚Räu­me´, die allen gehören wieder an­­zu­eig­nen. Gegen Verschärfung der Le­bens­­be­dingungen, Ausgrenzung und un­be­­zahl­ba­re Fahr­karten! Solidarität von un­ten!

wanst

Nachsatz:
Nachdem die Deutsche Bahn En­de Ap­ril 2005 den Anbieter des Web­raumes der Kampagne drängte, die alte Sei­te www.myblog.de/berlin-umsonst vom Netz zu nehmen, ist sie jetzt wieder on­line unter *www.berlin-umsonst.tk.
Hier fin­den sich auch Informationen zur recht­lichen Seite des „Schwarz Fahrens“: *www.nulltarif.tk

(1) in: Pierre Joseph Proudhon: Was ist Eigentum? 1840)
(2) aus: „Dresden. Umsonst“ in Beilage zu Contraste April 2004 (www.dresden-post­platz.de)
(3) in: Kropotkin „Der Wohlstand für Alle“

*How to think pink…

Der Pinke Punkt soll an Bahnsteigen als Treff­punkt und an Kleidung als Er­kennungs­zeichen die­­nen, für alle, die umsonst ans Ziel wollen. Und das ohne Angst vor Kontrolleuren.

Ge­meinsam gegen Einschränkungen der Mo­bi­li­tät vorzugehen ist immer besser. Men­sch kann sich zum einen eher über­win­den etwas „Verbo­te­nes“ zu tun, zum anderen fällt es in der Grup­pe viel leic­h­ter, den Kontrolleuren zu er­klären, dass sie jetzt Pause haben. Aber auch allei­ne kön­nen Kontrollen durch einen wach­samen Blick, Warnungen an andere oder Ver­zö­gerungs­tak­tiken (lange nach dem Fahr­schein suchen) so­li­darisch verhindert und so die „freie Fahrt“ ge­sichert werden. „Pink“-Bekenner fordern aber auch das En­de diskriminierender Praktiken ge­gen Flücht­linge und MigrantInnen, die von der „Resi­denzpflicht“ in ihrer Beweg­ungs­frei­heit ein­ge­schränkt werden. Ein Ausflug vor die Stadt kann da schnell im „Ab­schie­be­lager“ enden.

MOBILITÄT FÜR ALLE!

Wo es Einschränkungen der Be­wegungs­frei­heit gibt, gibt es Strategien, trotzdem in Bewegung zu bleiben.

THINK PINK!

Bewegung

Editorial FA! #18

Allen plötzlich hereinbrechenden tech­nischen Wi­drigkeiten zum Trotz hat es der neue Feier­abend! auf die Straße geschafft. Dies­mal gibt es sogar im Artikel „Der Irak nach 25 Jah­ren Be­­satzung“ (S. 21) nicht nur billig-aus-goo­gle-ge­zo­ge­ne Bildchen, sondern Fotos von ei­nem Vor-Ort-Fotografen. An dieser Stel­­le: Dan­ke!

Auf unser Preisrätsel aus der letzten Aus­ga­be, in dem wir nach Verkaufs­stellen der Na­tio­nal-Zei­tung fragten, haben wir leider nur ei­ne Ant­wort erhalten. Positiv ge­deutet, könn­ten wir freu­dig meinen, diese Stadt sei fast frei von sol­chen Publikationen; rea­lis­tisch…na ja. Dann doch lieber an die guten Din­ge des Lebens den­ken: nach vier Wochen Ur­laub, wird die #19 An­fang Sep­tem­ber die Druc­ker­schwärze er­blicken.

Also haltet nochmal Ausschau, nach rechten Zei­tungen, und macht und lest auch an­sons­ten weiter Feierabend!

Eure Redax

Hand in Hand

Überlegungen zum Begriff der Selbstorganisierung

Selbstorganisation ist nicht nur ein gegenwärtig wie­der häufig ge­brauch­tes Schlagwort. Im Kontext des Innovations­bedürfnisses staatlicher Verwal­tung, wie sie ja selbst die hohlen Phrasen von „Entbüro­kratisierung“ und „Bürgeren­ga­ge­ment“ allenorts einfordern, ist der Ruf nach Selbstorganisation aktueller denn je (1). Leider dominiert im gegenwärtigen Verständnis jedoch immer wieder der liberal-triviale den emanzipativen Gehalt. Und das nicht zuletzt deshalb, weil das staatsbürgerliche Verständnis in beiden ehemaligen deutschen Satellitenstaaten den Begriff verkürzt mit dem von Selbständig­keit identifiziert hatte und in dem Sinne immer noch unter gesamtdeutschem Banner identifiziert.

Diese Dominanz der liberalen Weltan­schauung, die die Gegenwart nicht abzu­schütteln vermag, weist die moderne, gesellschaftliche Entwicklung als bürger­staatliche aus.

Als politische Parole, die auf gesellschaft­liche Veränderung und Emanzipation jedes Einzelnen zielt, meint Selbstorgansation aber gerade nicht ein bloßes Allein-Stehen-Können, wie es etwa Eltern von ihren Kindern in der Pubertät, oder staatliche Behörden aktuell von Erwerbslosen einfor­dern. Im Gegenteil, allein am Wortlaut wird schon deutlich, daß der Begriff der Selbstorganisation in seinem Gebrauch von je her in Konkurrenz zu jenem Komm-alleine-klar gestanden hat. Die Rede von der Selbständigkeit bezieht sich nämlich eher auf eine gedachte ursprungs-natürliche Fähigkeit des Men­schen (2), den aufrech­ten Gang, und sie begnügt sich damit auch. Der Begriff der Selbstorganisierung dagegen hebt darauf ab, anstatt „nur“ alleine dazustehen, sich eben auch und gerade zu organisieren, um die Geselligkeit und soziale Kultur gegen die Anfechtung von Staat und Kapital zu verteidigen. Und nicht umsonst ist das Wort von der Scheinselbständigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft nicht gern gesehen. Alltag zwar, eingeschossen in die staatliche Verwaltung und nur für die obersten Schichten überhaupt erreichbar, kratzt es doch am Selbstbewußtsein des Bürgers, der partout nicht wahrhaben will, was ihm da schwant. Während Selbstän­digkeit allein also gar nicht über den Status isolierter Indivi­dualität hinausweist, und somit weder einen historischen noch einen praktischen bzw. technischen Aspekt aufweist, ist Selbstorganisation eng an Fragen der Organisierung gebunden, wie sie im Laufe der Entwicklungsgeschichte der Arbeiterbe­wegung aufgeworfen wur­den. Darin bestehen ihre Stärken und Schwä­chen zugleich.

Wenn Selbstorganisation also den Kampf um die Köpfe aufnehmen soll, gegen den Nationalismus im Bürgerstaat, um letzt­lich auch über diesen hinauszuweisen, ist eine Reflektion auf das, was mensch denn da meint, wen er/sie von Selbst­organi­sierung redet, unerläßlich. Einige mögliche Ansatz­punk­te will ich deshalb im Folgen­den skizzieren:

Selbstorganisierte Arbeiterklasse?

Auch wenn viele der Organisierungsfrage auf den ersten Blick und eben wegen ihrer ideologischen Verortung ablehnend gegen­überstehen, zählt sie m. E. zu den frucht­barsten, die im Kontext des auf­kläre­rischen Politikverständnisses aufge­wor­fen wurden. Die Infragestellung der korpora­tions­theoretischen Verbindungs- und Ver­bands­lehren des Mittelalters und damit auch der ständischen Festschreibung unter­schied­licher gesellschaftlicher (noch als natür­lich angesehener) Ausgangslagen, wie sie im Zuge der Industrialisierung und dem Einsetzen der Kritik an deren Auswir­kun­gen gegeben ist, erreichte mit dem Gleich­heits­­postulat des frühen Sozialismus eine enorme gesellschaftliche Breitenwir­kung. Die Frage nach der richtigen Organi­sierung hat das politische Leben des 19. Jahrhun­derts geprägt, wie kaum eine an­dere Frage, inspiriert von Humanismus und einem grund­­­sätzlichen Optimismus in die eman­zi­pa­tiven Potenziale mensch­licher Verge­sell­schaftung. Mit ihrem Aufkom­men und in ihr zeigt sich erstmals das Selbst­bewußt­sein gesellschaftlicher Kräfte jen­seits der bürgerlichen Groß­spurigkeit, der moderne National­staat wäre die ultima ratio der Weltge­schichte. Die Frage nach der rechten Art und Weise der Organisation hat nicht nur die patriarchische Herr­schafts­­struktur in der Großfamilie aufge­deckt, sondern auch die Projektion dersel­ben auf die ver­schie­denen hierar­chischen Dis­posi­tionen (3) in der bürger­lichen Ge­sellschaft. In der Phrase „Prole­tarier aller Länder, vereinigt euch“ war letztlich mit der Or­ganisierung der Armen und Ausgebeute­ten dieser Welt die größte Anfechtung der bür­gerlich kapita­listischen Vergesellschaf­tungs­form bereits gegeben. Nicht zuletzt deshalb wurde der Begriff der Selbstorgani­sie­rung seit seiner poli­tischen Taufe vehe­ment ideologisch und von staats­wegen bekämpft. Und noch darüber hinaus: Es ließe sich ohne große Umschwei­fe die Durchset­zungs­ge­schichte des moder­nen Staates im und als Kampf gegen alter­native Organi­sierungsmodelle schrei­ben. Mit der Ver­schär­fung der sozialen Span­nun­gen, wie sie die krisen­hafte Entfaltung der bürger­lichen Gesell­schaft hervorbrach­te, setzte auch eine politische Verfolgung völlig neuer Qualität ein. Verwaltungs­macht und Ge­walt­­mono­pol sind seitdem stets ange­wach­sen. Histo­risch betrachtet, ist deshalb die Fra­ge der Selbstorganisation auch nicht ab­zu­­lösen von einer Gegenmacht wider die staat­liche Verwaltung des gesellschaft­lichen Lebens.

Freilich wurden in der Euphorie der Bewe­gungen auch und insbesondere viele Fehler gemacht, es gab nur wenig Wissen und Er­fah­run­gen, einen überhöhten, idea­lis­tischen Kollektivismus und viele Adap­­tionen aus dem bürgerlichen Ver­bands- und Ver­waltungswesen. Viele Organisations­ideen waren wesentlich dem Zweck unter­wor­fen, mit der Machtergrei­fung und dem Gewalt­monopol die staat­liche Verwaltung zu kon­trol­lieren. Interne Hierarchien, Büro­­kra­ti­sierung, Kontrolle, Partizipa­tions­verluste wur­den in Kauf genommen oder gar nicht reflektiert. Darin wurden die Or­ganisationen der „Arbeiter­klasse“ den bürgerlichen immer ähnlicher, und damit dem Vorschein Marxens von der Assoziation freier Menschen immer unähn­licher. Aus dem „Arbeitskampf“ insti­tu­tio­na­li­sierte sich in der Nachkriegszeit recht schnell die „Tarifrunde“. Schließlich zei­tig­­te die Ineinssetzung von Selbstorganisa­tion und staatlicher Verwaltung fatale gesell­schaft­­liche Folgen, wie die national- und auch staatssozialistischen Regime im 20. Jahrhundert die bittere Beweisführung an­tre­ten. War das Subjekt selbstorga­nisierter Prozeße am Anfang noch durch konkrete In­di­viduen bestimmt, wurde daraus in der Folge der Verwirklichung selbiger inner­halb der Arbeiterbewegung ein immer abstrak­teres Subjekt, welches mit dem Selbst, das sich da organisiert, identifiziert wurde, ohne dessen Partizi­pations- und Gestaltungs­spiel­räume genügend zu beach­ten. Der Eindruck, den die Rechts­staatlich­keit (4) der bürger­lichen Gesellschaft auf solche „selbstorgani­sier­ten Projekte“ mach­te, wäre eine eigene Untersuchung wert.

Feststellen läßt sich, daß die Organisie­rung der „Arbeiterklasse“, so wie sie sich historisch vollzog, weit hinter den Erwar­tungen zurückblieb, die man zuförderst in sie gesetzt hatte. Da, wo sie als Institu­tio­nszusam­men­hang heute noch existiert, Verwaltungs­mas­se eini­ger weniger, hat sie jede Hoff­nung der Überwindung bürgerlicher Ver­ge­sellschaf­tungs­formen aufgegeben und damit jeden emanzipa­torischen Gehalt. Durch revisionis­tische Strö­mungen (5), unaus­gereifte Orga­ni­sationsmodelle und mangeln­de herr­schafts­kritische Reflek­tion auf die eigenen Strukturen, durch eben jene Identi­fizierung von Organisation mit Staat, ist aus einer progressiven Bewe­gung umhegte Institution geworden. In einem gewissen Sinne sind viele Versuche der Selbstorgani­sation innerhalb der Arbei­ter­bewegung in der bloßen Selb­ständigkeit geendet, und damit zu stumpfen Waffen im Kampf um bessere gesellschaft­liche Verhältnisse geworden.

Wer? Wo? Wie? – Hauptsache organisiert?

Ich habe versucht zu zeigen, daß mensch in gewissem Sinne auch anhand der histo­rischen Entwicklung der Arbeiterbe­wegung von Selbstorganisation sprechen kann. Und zwar genau dann, wenn man das Subjekt einer solchen Organisierung unter der Kate­gorie „Arbeiterklasse“ faßt und diese bspw. auf die Mitgliedslisten der sozialistischen Bewegung bezieht. Daran konnte zum einen der historischen Hinter­grund ausgeleuch­tet werden, auf dem über­haupt von einer gesellschaftlich-progressi­ven Organi­sie­rung geredet wurde, und zum anderen zeigte sich, daß gerade das Verhält­nis von Subjekt der Selbstor­ganisation und Art und Weise der Organi­sation von zen­tra­ler Be­deu­­tung ist. Eine nähere Bestim­mung so­wohl jenes Subjek­tes, das sich da organi­siert, scheint notwendig, ebenso wie die Prüfung der Mittel, Techniken und Prak­tiken von selbstorganistierten Projek­ten. Denn deutlich ist: heute bspw. Mit­glied in einer der klassischen Gewerk­schaf­ten zu sein, hat weder emanzipatives Poten­tial, noch hebt sich diese Organisierungs­form wesentlich von staatlicher Verwal­tung ab. Interne Hierarchien und Kontroll­sys­teme, Legiti­mations- anstelle von Parti­zipations­pro­zeßen, zentrale Bürokra­tie und Verwal­tung prägen das Bild.

Dabei haben sich die Mittel von Kommu­ni­kation und Assoziation im letzten Jahr­hundert enorm ausgewachsen. Über­haupt scheint mit der fortschreitenden Entwick­lung der Mittel und Techniken, die An­wen­dung immer weiter degeneriert zu sein. Dem Anspruch und der Not­wendigkeit, sich den Problemen der bürgerlichen Ver­ge­sellschaftung gemein­sam und solidarisch zu stellen, steht die individuelle Isolation in der modernen Gesellschaft gegenüber. Und von hier ist auszugehen. Denn diese gesellschaftliche Isolation, die dem Indivi­duum so unüber­windlich scheint und durch allerlei Mecha­nismen der bürger­lichen Gesellschaft reproduziert wird, ist eben nicht Folge der je eigenen Indivi­dua­tion, sondern Ausdruck der gesell­schaft­lichen Verhält­nisse. Und genau hier findet eine wie auch immer stilisierte Individua­lität ihre Grenze in dem Sinne, daß dahin­ter ein breites Feld von Mög­lich­keits­spiel­räumen da­rauf war­tet, von Men­­schen ge­mein­sam und so­li­darisch ge­stal­tet zu wer­den. Es ist genau das Feld, in dem das Indivi­du­um seine/ihre je ein­zel­nen Be­dürf­nis­sen als mit an­deren ge­mein­­same ent­deckt. Diese Ge­stal­tungs­macht ist der (rechts)staat­lichen not­wendig entgegenzu­stel­len. Des­halb soll und muß Selbst­organi­sierung das Indivi­duum nicht etwa ein­gren­zen oder unterdrücken, sondern soll und muß sich neben der ge­mein­samen Lö­sung kollek­tiver Not­wen­dig­­keiten auch gerade da­­durch aus­weisen, daß sie die konkret in­di­viduellen Hand­lung­spiel­räu­me erwei­tert. In dem Sin­ne, wie da­durch Emanzi­pation von staat­licher Bevor­mun­dung mög­lich und wirk­lich wird, ist Selbst­organisierung auch ak­tuell, progres­siv und emanzipativ, auf eine bessere Gesel­lig­keit der Menschen ge­rich­tet. Und eben das un­ter­scheidet Selbst­or­gani­sie­rung auf ihrem historischen Hin­tergrund von kor­pora­tistischen und hierar­chischen Organi­sa­tionsformen, die immer auf die Beschnei­dung individueller Entfal­tung jedes Einzel­nen und aller zielen. Ver­ant­­wor­­tung statt Loyalität, Vertrauen statt Kont­­rolle, Solida­rität statt Kon­kur­renz, Gemeinsam­keit statt Isolation, Gesel­lig­keit statt Verwal­tung – so könnte mensch die Signatur der richtigen, weil bedürfnis­be­frie­­di­­genden und emanzipativen Orga­ni­sie­­rung be­schrei­ben. Es ist dies die Ideal­form der Selbstorganisierung, die auch nur dann eine Chance auf Verwirklichung hat, wenn sie die gestalten, die auch betrof­fen sind. Über die Mittel und Art und Wei­se dage­gen kann und muß viel gestrit­ten werden. Sowohl ein monatlicher Lek­türe­­kreis als auch eine wöchentliche Nach­bar­­schafts­runde können entwickelte For­men der Selbst­organisation sein, genauso wie dem Namen und Anspruch nach „selbst­or­gani­sierte Projekte“ in der Pflicht sind, ihre ei­ge­ne Organisatiosnform selbst­kri­tisch auf korporatistische Elemente, Kont­rollmecha­nismen, interne Hierar­chien und Parti­zipa­tionsver­luste zu prü­fen, wollen sie ihrem eige­nen Anspruch gegenüber gerecht bleiben. Nie­mand ist vor der Fehlbarkeit der eigenen Vor­stel­lungen sicher, aber das ist kein Grund, es nicht zu ver­suchen. Schließlich ist Organi­sation kein Muß, wie die linke Orthodoxie nicht müde wird zu predigen, die Welt muß nicht besser werden, aber sie kann, das allein ist den Gedanken und den Versuch wert. Selbstor­ganisation ist deshalb für mich in dem oben beschrie­benen Sinne der Vor­schein eines besseren Lebens, das über meine bloße Selb­stän­digkeit hinausweist, eben auch eine Kulturfrage.

Denn das wäre doch von der zukünftigen Entwicklung von Geselligkeit zu erwarten, daß sie Zufriedenheit, Glück und ein schönes Leben ermöglicht, unabhängig von den denkbarsten individuellen Un­wäg­bar­kei­ten. Dazu ist meines Erachtens und im Blick auf die historische Ent­wicklung das Zurück­drängen der staat­lichen Verwal­tung nur die Kehrseite derselben poli­tischen Aufgabe, die da heißt: Laßt Euch nicht organisieren, organisiert Euch selbst!

clov

(1) Der sächsische „Landesvater“ Milbradt sprach sogar jüngst im Landesparlament von der notwendigen Selbstorganisation der Bürger. Im Alter kann mensch schon einmal durchein­anderkommen, oder weiß Herr Milbradt letztlich gar nicht, wie Selbst­organisation und Selb­ständigkeit zu unter­scheiden wären. Ein Hoch auf die Weisheit der politischen Führer.
(2) Der Begriff zielt hier auf die liberalen Versuche ab, den Menschen mit einem quasi unveränderlichen Kern, seiner Natur, über die er nicht hinaus kann, zu identi­fizieren. Freilich sind diese Versuche alle ohne wesentliche Ergebnisse geblie­ben, da der Mensch sich gerade durch seine Varianz, Offenheit und Geselligkeit aus­zeich­net, die eben nur im Kontext sozialer Beziehungs­gefüge erklärbar wird.
(3) Hier ist vor allen Dingen gemeint, daß bestimmte, eng umschriebene Rollener­war­­tungen an das Individuum herantreten, innerhalb derer die Entfaltungsspielräume extrem begrenzt bleiben. In diesen Rollen­bildern werden so Hierarchien bspw. als selbstverständlich geltende Konvention reproduziert und psychologisch durchge­setzt.
(4) die nur abstrakte Subjekte, die Rhetorik der Kommentare und die Willkür der Richter kennt.
(5) Eduard Bernstein (s. auch Feierabend! #16: „Zum Revisionismus in der deutschen Sozial­demokratie“) bspw. identifizierte staatliche Verwaltung eindeutig mit sozia­listischen Organisationen und trieb damit die Degene­ration der Sozial­demokratie voran.

Theorie & Praxis

Gut, daß es die Verwaltung gibt

Dank den Fortschritten im Bereich der Disziplinarmaßnahmen und den diversen Praktiken der sozialen Kontrolle ist es der deutschen Verwaltung endlich gelungen, einen neuen Arbeitnehmer-Typus auf dem weltweiten Markt zu etablieren: den homo buerocraticus. Dieser hochentwickelte Leistungsträger der deutschen Wirtschaft zeichnet sich durch die Ambivalenz aus, trotz seines engstirnigen Formalismus flexibel einsetzbar zu sein. Ob als Ordnungstifter, Paragraphenreiter oder Nahkampfpsychologe, der Bedarf wächst mit dem Wunsch, durch möglichst einfache Regelungen alles im Griff weniger Hände zu behalten.

In diesem Zusammenhang ist auch die breitangelegte Initiative der Verwaltungspitze zu sehen: Die Agenda 2010 war nicht nur eine Manöverübung der loyalen Beamtenschaft, um ihre Kennt­nisse in Seelsorge, Rechtskommentar oder Objektschutz zu aktualisieren, sondern sollte insbesondere das Heer der Arbeitslosen an den Umgang mit Formularen und Rechtssätzen heranführen. In einem genialen Dreischritt wollte die Führungsspitze sowohl Arbeitsplätze vermitteln, die Sicherheit befestigen, als auch wirtschaftlich langfristige Interessen wahren. Leider mußte man im Zuge der Reform feststellen, daß es mit dem patriotischen Eifer und dem individuellen Verzichtsethos hierzulande doch nicht soweit her ist. Erschreckender Weise schlägt dieser sittliche Verfall bereits auf die Beamtenschaft zurück. Anfang Juni kam es in diesem Zusammenhang in Leipzig zu einem skandalösen Vorgang: Als Aktivisten eines örtlichen Wagenplatzes Gewächshäuser zur Selbstversorgung auf einem angrenzenden Grundstück errichteten, schritten die Behörden nur halbherzig ein. Betroffene berichteten, wie sich Beamte in schwerer Uniform nur träge in der Sonne rekelten, während Verantwortliche des Ordnungs- und Liegenschaftsamtes verzweifelt nach der Grund­stücksgrenze suchten und sich partout nicht über die Begründung klar werden konnten, warum nun gerade (trotz Zusagen) eine solche „gärtnerische Pflege“ des Grundstücks neben der Ordnung wäre. Wenigstens wurde eine Räumung bis zum 10. Juni verfügt.

Umso erschütternder war, daß sich trotz der Folgeleistung der Wagenplatzbewohner­Innen, die die Pflanzen kurzentschlossen auf die nahegelegenen Betonflächen verfrachteten, kein Beamter zum Räumungstermin sehen ließ. Lediglich am darauffolgenden Montag will ein Anwohner eine Beamtin beim Photographieren auf dem Grundstück gesichtet haben. Sollte die Inkompentenz der Leipziger Beamten weiter Schule machen, ist in Zukunft mit einer drastischen Verschärfung auf den lokalen Arbeitsmärkten zu rechnen. Eine Entlassungswelle innerhalb der deutschen Beamtenschaft könnte das allgemeine Lohnniveau, das Wirtschaftswachstum ebenso wie die Innere Sicherheit und den Ruf des Exportweltmeisters Deutschland erheblich gefährden. Angesichts dieser Entwicklungen empfehlen anerkannte Experten schon jetzt eine umfangreiche Selbstversorgung. Dem ist nur zuzustimmen.

clov

Kommentar

Non! Nee! Nö!

Zur EU-Verfassung

Schadenfreude über den gebückten Kanzler.

Nachrichten machen wieder Spaß. Anstatt von der politischen Klasse täglich zu­frie­den und selbstgefällig irgend­welche Hiobs­­­­bot­schaf­ten verkün­det zu be­kom­­men, kann mensch sich gegen­wär­tig ihrer ins­gesamt be­­drück­ten Stimmung erfreuen. Denn zwei ihrer größten Projekte schei­nen in den letz­ten Wo­chen zu schei­­tern. Wäh­rend auf na­tio­naler Ebe­ne Rot-Grün mit ihr­em Mo­derni­sie­rungs­­­kon­­zept „Agenda 2010“ in NRW eine schwere Niederlage er­litt und seitdem krampf­haft nach Mög­lich­keiten der Selbst­­auflösung sucht, ist auf euro­päischer Ebene der bisher glatte Durch­­marsch des Pro­jekts „EU-Ver­fas­sung“ durch das französische „Non!“ erst­mal gebremst worden, letztlich gescheitert, in­­so­fern die Ver­fassung der letzte Versuch war, die Brüssler Bürokratie irgendwie an ei­ne eu­ropäische Bevölkerung rück­zu­bin­den und zu legitimieren. Die langen Ge­sich­ter Schrö­ders und des Kommissions­prä­si­denten Barroso ähneln sich und Rat­lo­sig­keit herrscht bei den europäischen Eli­ten, die sich nur noch ungern vor die Ka­me­­ras wa­gen, um halbherzige Durchhalte­pa­­­rolen aus­zugeben. Einigen Politikern wur­­de hier durch deutsche Landtags­wah­len bzw. ein französisches Referendum ihr per­­sönliches Lebenswerk versaut, sie sind zu hoch geflogen und auf die Schnauze ge­­fallen.

Großmachtpläne.

Beide Projekte, Rot-Grün und die EU-Ver­­fassung, ähneln sich und auch ihr Schei­­tern. Die EU-Verfassung war der Ver­such, ei­nen militärischen, ökonomischen und poli­tischen Großraum zu schaffen und zu zen­tra­lisieren, damit die Herrschaft und de­ren Effizienz zu intensivieren, um im glo­balen Maßstab nicht nur mithalten, son­­­­dern auch mitgestalten zu können, also das, was oft die „neoliberale Globalisie­rung“ genannt wird, nach eigenen Vor­stellung­en und militärisch flankiert welt­weit durch­­­­zu­setzen. Rot-Grün hat nicht nur Deut­­­schland wieder zum militärischen Ak­­­­teur wer­den lassen, son­dern kämpfte ver­­­­biss­en, um eine welt­weite und eu­­­ro­päi­sche Spit­­zen­po­si­tion Deut­schlands, nicht was Lebens­qualität son­dern was po­­li­­tische und wir­t­­schaf­­t­liche Macht, al­­so letzt­­­­­­­lich die Macht deut­­­scher po­li­­ti­­scher E­li­­­­ten an­­­­geht. Deut­­­­sch­­­land als Groß­macht war aller­­­­dings nur mög­lich, im Rah­men ei­­ner Welt­macht EU, de­ren Ent­wicklung von der Bun­des­re­gierung vor­angetrieben wur­de. Auf wirt­schaft­licher Ebe­ne sind hier beispielsweise der Wachs­tums- und Sta­bilitätspakt im Rah­men der Währungs­union und die Lissabon-Stra­tegie1 zu nen­nen, die von der deut­­schen Politik in der EU durchgesetzt wur­den und innen­poli­tisch in allen EU-Staaten einen Zwang zu So­zialabbau dar­stellen, dem gerne weit­geh­end entsprochen wur­de. Ähnliches gilt für die Mili­tari­sie­rung, die unter dem La­bel GASP (Gemein­same Außen- und Sicherheitspolitik) vor all­em von Deutsch­land und Frankreich ini­tiiert und voran­ge­trieben wurde. Im Ver­fa­s­sungs­­vertrag der EU ist ausdrücklich ei­ne Auf­rüstungs­verpflichtung2 ent­hal­ten und die Grün­dung einer europäi­schen Rüstungs­­agen­tur vorgesehen. Durch die Gründung des EU-weiten Rüstungs­kon­sortiums EADS und die gemeinsame Be­stellung von 180 Großraumtransportern Air­bus A400-M wurden die industriellen und logistischen Voraussetzungen für welt­weite ro­buste Militäreinsätze geschaffen. Sei­ne rot-grüne nationale Entsprechung fand dies in der Beteiligung der Bun­deswehr an zahl­reichen Einsätzen seit 19993 und deren Um­strukturierung zur In­ter­ven­tions­streit­macht, verschleiernd als „Stand­ort­schlie­ßung“ diskutiert. Flankiert wur­den diese, im Allge­meinen un­popu­lären, Entschei­dungen von nationa­listischer Rhe­torik, dem Gefasel von Sachzwängen der Globa­li­sierung (die von den gleichen Ak­teuren er­zeugt und vertraglich fest­ge­hal­ten wur­den) und auf nationaler wie euro­pä­ischer Ebe­ne mit verschärfter Repression und Sicher­heitsgesetzen. (Feierabend! #16 „Lust auf Ver­fassung“)

Ein Grund zum Feiern?

Der Linken in Europa ist es bislang nicht ge­­lungen, diesen Großmachtplänen effek­ti­ven Widerstand entgegenzusetzen, wäh­rend die extremen Nationalisten in Deut­schland, den Niederlanden, Italien, Frank­reich und Spanien vom Schreckgespenst der Globalisierung und der Tatsache, dass sich der Staat zunehmend unbeliebt mach­te, profitieren konnten und als Rechts­außen, von dem sich die Regierungen als Mit­te abgrenzen konnten, von diesen oft un­ter­­stützt wurden4. Für die Herr­schen­den Euro­pas eine gute Ausgangsposition, um Re­formen in ihrem Sinne durch­zu­setzen, Aus­beutung und Unterdrückung zu in­ten­si­vieren und sich so die Ressourcen an­­zu­ei­gnen, um weltweit führend zu wer­den. Wi­derstand ließ lange auf sich warten: Die Stu­dentenproteste der letzten Jahre zün­­d­e­ten nicht, Teile der Frie­dens­be­we­gung lie­ßen sich von Zivil­machts-Rhetorik ein­­lullen, die Montags­demons­tra­tionen eb­b­­ten ab und wurden später ignoriert. Nicht durch wütende Massen­pro­teste, son­dern durch nüchterne Wahlen wurde nun den Re­gierenden ein Strich durch die Rech­­nung gemacht.

Eine Analyse fällt schwer: In Nordrhein-West­­falen muss aus bürgerlicher Sicht von ei­­nem Rechtsruck gesprochen werden, denn von den etablierteren Parteien konn­ten nur CDU und NPD Stimmen hin­zu­­ge­winnen, während v. a. SPD, FDP und Grüne deutlich Stimmen einbüßten. Deut­­lich mehr Menschen als im Mai 2000 wähl­­ten allerdings unbedeutende Kleinst-Par­­teien oder ungültig. Beim Referendum in Frankreich stellt sich die Sache noch kom­­plizierter dar. Einerseits deutet die ho­he Beteiligung (knapp 70%) und die zu­letzt intensive öffentliche Debatte darauf hin, dass die Wähler gute Gründe für ihre Ent­­scheidung hatten. Die europaweiten Pro­­tagonisten des Verfassungsvertrages und die parlamentarische Opposition in Frank­­reich versuchten die gelaufene De­batte über das Machwerk zu negieren und das Re­fe­rendum auf ein Votum gegen Chi­rac zu re­duzieren. Die politische Mitte ver­sucht, v. a. nationalistische, also die Ar­gu­men­te der Rechten, und kleingeistigen Kon­­ser­vatismus für die Ablehnung der Ver­fassung ver­antwortlich zu machen, währ­end die fran­zösischen „Sozialisten“ und europaweit die Linke die Ent­schei­dung für sich ver­ein­­nahmen wollen: Die Ver­fassung sei ab­ge­­lehnt worden, weil sie neo­liberal ist.

Bei­des, nationalistische und glo­ba­li­sie­rungskritische Beweggründe, passen je­doch zusammen, v. a. in Frankreich, wo sich auch die kämpferische Arbeiter­be­we­gung oft national, z. B. hinsichtlich ihrer Streik­­kultur, als etwas Besonderes begreift und reflexartig widerständig auf Beeinflus­s­ungs­versuche aus Deutschland und den USA reagiert.

Wahlen verändern nichts, sonst werden sie verboten

Letztendlich hat das „Volk“, also eine bü­ro­kratisch abgegrenzte, vielfältige Menge von mehre­ren Millionen Menschen ab­ge­stim­mt. Die Ergebnisse solcher Verfahren sind zwangs­läufig absurd und lassen nie ein­­deutige logische Schlüsse auf die Be­weg­­grün­de der Einzelnen zu. Dennoch zeigt sich selbst bei solch minimalen demo­kra­­tischen Elementen, dass die politische Klas­­se sich erklären muss und nicht zu weit ab­­­heben kann, da sie dann doch, alle vier bis sechs Jahre, wieder zwischenlanden muss und dann evtl. ausgewechselt wird. Das haben die Regierenden in den letzten Jah­­ren offensichtlich vergessen und so tat­säch­lich viel Vertrauen in das politische Sys­­tem verspielt. Dieses Vertrauen mag nun kurz­fristig wiederhergestellt sein, denn die Re­­gierenden erhielten ja nun ihre Quit­tung. Und doch ist hier nicht nur die CDU ge­wählt worden, sondern in Frank­reich wie in NRW ist auch ein „Non!“ ge­wählt wor­den. Die Krise ist nicht vorbei, denn in den westeuropäischen Staaten kann es sich ge­­genwärtig kaum eine Re­gierung realis­tisch ausmalen, wieder ge­wählt zu werden, außer aus reiner Alter­na­tiv­losigkeit heraus, wie zuvor schon in Groß­britannien Blair wie­der gewählt wur­de, in Frankreich Chi­rac gegen Le Pen ein­deutig das kleinere Übel war und Schrö­der eigentlich auch nur mit „Weg mit Kohl“- und „Stoppt Stoi­ber“-Kampag­nen erfolgreich sein konnte. Auch die, die in Deutschland im Herbst CDU wählen, wis­sen, dass das Ergebnis wie­der nur eine All­parteienregierung sein wird, die in der fol­genden Wahl erneut abg­ewählt, d.h. per­sonell umbesetzt wird, und damit kei­ne­swegs eine Wende zum Gu­ten erreicht wird, sondern nur der illu­sorischen Hoff­nung auf ein kleineres Übel ent­sprochen wird. Dieser Teufelskreis kann sich noch ewig hinziehen, solange die Men­schen erst auf die Frage der Regierenden, auf ver­fas­s­ungsmäßig obligatorische Wah­len, war­ten, um ihr „Non!“ zu artikulieren. Doch die gegenwärtige und sich weiter ver­schär­fende Vertrauenskrise ist ein guter An­lass, das „Non!“ zunehmend auf die Straße und in den Alltag zu tragen. Hoffnungs­volle Vor­bilder gibt es derzeit: In Mittel- und La­­teinamerika wurden in den letzten Mo­n­aten nicht nur reihenweise Re­gierungen ge­stürzt und durch Links-Par­teien ersetzt. Nein, auch diesen Linkspar­teien wird kei­ne Ruhe gelassen, ihre all­täg­lichen Ent­scheidungen werden von Massen­protesten be­gleitet und es ist den Re­­gierenden nicht mehr möglich, eine Außen- und Wirt­schaftspolitik zu betrei­ben, die ka­pi­ta­lis­tischen, „westlichen“ Stan­dards genügt. In Bolivien und Ve­nezuela wur­den die Steu­ern für Auslän­dische För­der­un­ter­neh­men von Erdöl und Erd­gas auf Druck der Be­völkerung so weit er­höht, dass ein Ein­grei­fen der USA droht, den­noch hält der Druck an und in Bo­li­vien musste Mesa An­fang Juni erneut seinen Rück­tritt er­klären. Der brasi­lia­nische Prä­sident „Lula“ wird durch Massen­proteste der Land­losen­be­wegung zur Fortsetzung sei­ner Umver­tei­lungs­­po­li­tik gezwungen, die bei den Pro­tagonisten des Neo­li­beralismus und in Dip­lomaten­kreisen Kopf­schütteln bis blan­kes Entset­zen her­vorrufen. Die Bevöl­kerungen schei­nen im wahrsten Sinne des Wor­tes „unregierbar“ zu werden. Wenn sol­che Ver­hältnisse nicht auch hier Schule machen, und die Men­schen sich darauf be­schränken, ihrem Un­mut in Wahlen Aus­druck zu verleihen, wird deren Bedeutung von der politischen Klas­se zunehmend ein­ge­schränkt werden (So wie es auch durch die Verfassung ge­plant war, die dem EU- Par­lament, einer ohn­ehin nicht re­präsen­ta­tiven, aber im­merhin gewählten Insti­tu­tion kaum Rechte ein­räumte). Das zu­neh­mende Misstrauen ge­­genüber dem li­be­ral-demokratischen Sys­tem kann dann von nationalistischen Kräften genutzt wer­den und sich in wachsenden Stimman­tei­len rechtsradikaler Par­teien, weiterem De­mo­kratieabbau und ei­ner zunehmend faschistoiden Ge­sellschaft auswirken.

Das Nein geht auf die Straße, das Ja sieht auf Zusehen hin zu.

maria

(1) „Beim Lissaboner Früh­jahrsgipfel der Europäischen Union Jahr am 23. und 24. März 2000 haben die Staats- und Regierungschefs eine wirt­schafts- und sozial­poli­ti­sche Agenda be­schlossen. Ziel dieser so genannten Lissa­­bon-Strategie ist es, die EU bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dy­na­mischsten wis­sens­basierten Wirt­schafts­­raum der Welt zu machen.“ (www.bundes­re­gierung.de)
(2) „Die Mit­gliedsstaaten verpflichten sich, ihre mili­tä­ri­schen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ (Artikel I-40, Abs. 3)
(3) KFOR (Kosovo, seit 1999), INTERFET (Ost-Timor, 1999), Task Force Fox (Mazedonien, 2001), Enduring Free­dom (versch. Orte, seit 2001), ISAF (Afghanistan, seit 2002), Artemis (Demokratische Republik Kongo, 2003), Concordia (Mazedonien, 2003), UNMIS (Sudan, 2005)
(4) Hinsichtlich Deut­schlands sei dabei an den durch das Innen­minis­terium vereitelten Verbotsantrag ge­gen die NPD erinnert, in dessen Verlauf sich herausstellte, dass ein Drittel der NPD-Ka­der auf der Ge­halts­liste des Ver­fassungs­schutz/Innen­minist­eriums steht.

EURO.pa

LVB bleibt sich treu

Für 1. August hat der MDV erneut eine Preiserhöhung angekündigt – und hält damit (min.) das dritte Jahr in Folge eine Tradition lebendig. Im Schnitt sollen die Preise um 3% im ländlichen, um 5% im urbanen Raum angehoben werden.

Für die 123 Millionen Fahrgäste der LVB (2004) heißt das: Einzelfahrkarten im Stadtgebiet werden 10 Cent, 4-Fahrten-Karten werden 30 Cent und Monatskarten werden um 2,10 Euro teurer.

Der Verbund öffentlicher Verkehrsunter­nehmen verweist zur Begründung auf sinkende Zuschüsse aus Bundes- und Landes­haushalten und auf Kraftstoff­kosten, die jährlich um durchschnittlich acht Prozent steigen. Dadurch entsteht, nach Angaben des MDV im gesamten Verbund ein Defizit von 6-7 Mio. Euro.

Die Portokasse reicht anscheinend aber noch hin, um im Nachgang des 1. Mai Plakate des vergangenen Jahres rauszu­kramen, mit denen Vandalismus als Tat armer Irrer individualisiert wird. Freilich gibt es auch andere Vorgehens­weisen, den Alltag zu durchbrechen (siehe Seiten 1/13). Und eines Tages führt die Subversion des Fahrscheins dazu, dass man sich die 800.000 Euro für Ticket-Automa­ten einfach spart.

A.E.

Lokales

„It’s going to be Anarchy“

Aktivist zum G8-Gipfel 2005 in Schottland

Der diesjährige G8-Gipfel findet vom 6. bis 8. Juli im Hotel „Gleneagles“, Schot­tland, statt. Dort treffen sich, umgeben von ei­­nem ziemlich großspurigen Golfplatz, die politischen Repräsentanten der acht stärksten Ökonomien der Welt, um in ihren eigenen Worten, „die Effe­kte der Globali­sierung zu verwalten“. Das Treffen ist im Wesentlichen eine der Ver­waltungsinstitutionen des interna­tio­nalen Kapitals.

Für die gesamte Woche sind Protestak­tio­nen geplant, wie z.B. „Make Borders His­tory“ (Grenzen zu Geschichte machen), ein „Carnival for Full Enjoyment“ (Kar­ne­val der vollen Freude), eine Blockade der Fas­lane Raketenbasis, lokale Aktio­nen gegen Straßen­bau in Glasgow, Aktionen an ­ei­nem Flüchtlingsinter­nier­ungslager, Blockaden am 6. Juli, Aktionen gegen Klima­ver­änderung am 8.Juli. Neuigkeiten über Ak­tionen, Anlaufpunkte (convergence center) und Schlafplätze sind unter www.dissent.org.uk zu finden.

Als sich die G8 das letzte Mal in Großbri­tan­­nien (UK) im Jahr 1998 trafen (mit dem Umbau der Ökonomie ganz oben auf der Tagesordnung), fand eine street party mit einigen Auseinandersetzungen statt, die nur wenig Aufmerksamkeit bekam. Das G8 Treffen in Köln 1999 wurde durch einen Karneval gegen Kapital in der Lon­­doner Innenstadt begleitet, der zu einem massiven „festival of the oppressed“ (Fes­­tival der Unterdrückten), Angriffen auf Banken und anderen Zentren des Ka­pi­tals und der größten Straßenaktion seit den Poll Tax Riots von 1990 führte. Dies ins­pirierte Aktionen in Seattle im November 1999 und die ‚antikapitalistische‘ Be­we­gung, die sich daraus entwickelte.

Nun, da G8 in das UK zurückgekehrt ist, ha­ben wir mehr soziale Kürzungen in Eu­ropa und darüber hinaus gesehen, Privati­sie­rungen und Zwangsarbeitsmodelle. Wir sind uns über die Kritik im Klaren, daß Mas­senaktionen zu Gipfeln sehr spektakulär sein können, aber nur wenig zu Ver­­­­än­derungen im täglichen Leben der Leu­te beitragen. Einige betrachten solche Dinge nach fünf oder sechs Jahren als alten Hut, am Rande der Ri­tualisierung. Doch viele von uns sind auch an lokalen Kämpfen beteiligt – zu Arbeitslosigkeit, am Ar­beitsplatz oder zu Wohn­be­dingungen. Zum Beispiel bildete sich in den 90ern ein Ar­beitslosen-Widerstands-Netzwerk, das die Kräfte von Arbeitern, die gegen die Aus­dehnung prekärer Arbeitsverhältnissse käm­pften, wie etwa die Reinigungskräfte im Hillingdon Krankenhaus und die Liver­pooler Hafen­arbeiter, vereinigt. Die­ser Widerstand wurde internationalisiert, indem sich Ha­fenarbeiter in den USA und andernorts weigerten, Container aus dem Hafen von Liverpool zu entla­den. Gleichzeitig argumentieren Leute, die an direkten Aktionen beteiligt sind, daß Ar­beits­losen­ak­tivismus demoralisierend sein kann, es sei zu wahrscheinlich, daß das Ganze in einer Fall-zu-Fall Konfrontation endet und man den Blick für das ganze Bild verliert.

Die diesjährige G8 bieten eine Gelegenheit, diese Verzettelung zu überwinden und dauer­hafte internationale Verbindungen im Kampf gegen Prekarität zu schaffen. Wir sind auch von den jüngsten Ak­tivi­täten in Rom und Mailand inspiriert wor­den und denken, daß es an der Zeit ist, im UK etwas neues zu probieren.

Der „Carnival for Full Enjoyment“ ist eine Ini­tiative von verschiedenen Graswurzel­grup­pen in Schottland und darüber hinaus, die das Ziel verfolgen, am 4. Juli mit viel Party und Protest eine starke Verbindung zwischen dem Widerstand gegen G8 und unseren täglichen Kämpfen auf Arbeit, außerhalb von Arbeit und in unseren Gemeinschaften herzustellen. Es wird ein lauter Karneval mit Sambabands und Mu­sikanlagen werden, der sich durch die In­nenstadt von Edinburgh bewegt und ver­schiedene Gewerbe und Institutionen, die für die wachsende Unsicherheit unseres Leben im Kapitalismus verantworlich sind, anläuft. Das Ziel ist nicht, einzelne Be­reiche des Kapitals zu fetischisieren (wie etwa Banken oder Feindbilder wie Mc­Donalds), sondern sich auf die gesell­schaft­lichen Verhältnisse des Kapitals zu fo­kussieren, wo sie das tägliche Leben do­mi­nieren und es in Überlebenssituationen verwandelt.

Die Gruppe, die diese Aktion organisiert, zu­nächst Arbeitsgruppe gegen Arbeit genannt, entstand im Oktober 2004 auf dem Beyond–ESF–Treffen in London (s. Feier­abend! #15) aus einer Dis­kussion über Arbeitslosenkämpfe und über Widerstand gegen die vom Kapitalis­mus erzeugten Unsicherheiten. Das heißt nicht, daß wir denken, jeder sollte ei­nen „echten“ Job haben, sondern, daß un­sichere Be­ding­un­gen mehr Arbeit bedeuten und ein stärkeres Vor­dringen der Welt der Arbeit in alle Be­reiche des Lebens.

Wir wünschen uns eine weitreichende Be­tei­ligung damit eine wirklich internationale Aktion zustande kommt. Das ist be­sonders wichtig, da viele der sozialen Kür­zung­en und ökonomischen Unter­drük­kungen, die wir in den letzten 20 Jahren in Groß­britannien erlebt haben, nun auf einer massiven Basis in ganz Europa (siehe etwa Hartz Gesetze) und darüber hinaus durchgesetzt werden. Hier können wir den Weg für die Verbindung unseres eigenen lo­kalen und persönlichen Widerstandes ge­gen die neo-liberalen Maßstäbe zu einer großen globalen Ablehnung des ge­sam­ten Lohnarbeitssystems, der Welt der Grenzen und des Geldes finden.

Carnival for Full Enjoyment

dissentagainstwork@yahoo.co.uk

(Übersetzung Feierabend!)

INFO:
www.wombles.org.uk
www.nodeal.org.uk
www.precarity.info
Anmerkung der Übersetzer:
Der Carnival for Full Enjoyment hat es auf die Titelseite der „Edinburgh Evening News“ gebracht. In großen Lettern sagt die Zeitung „Anarchy“ für den 4.Juli voraus. Sie druckte auch eine Karte der Innenstadt Edinburghs ab, mit vermeintlichen Zielen des Carnevals. Leider wird es am 4. Juli nicht zur Anarchie kommen, denn das ist nicht an einem Tag zu schaffen. Der Artikel zielt darauf ab, unter den „guten Bürgern“ Edinburghs Angst zu verbreiten und vorab eventuelle Polizeigewalt zu rechtfertigen.

Bewegung

Warnstreik der Lehrkräfte

In der Geschichte hat es, so u.a. das Museum für bildende Künste Leipzig, über Jahr­hunderte hinweg enge Beziehun­gen zwischen Frankreich und Sachsen gegeben. Auf diese Tradition scheint sich die CDU-SPD-Koalition besonnen zu haben und will sich wohl vom „gouverne­ment de combat“, von der „kämpferischen Regie­rung“ des inzwischen abgesetzten Premiers Raffarin ‘ne Scheibe abschneiden.

So lassen es zumindest die Ausmaße des Angriffs vermuten, den der sächsische Kultusminister Flath auf die Arbeits­bedingungen der LehrerInnen und der SchülerIn­nen unternahm. Daraufhin kam es im Mai an sächsischen Schulen zu einer der größten Streik­bewegungen der letzten Jahre in dieser Region.

Derzeit unterrichten 18.000 LehrerInnen an den weiterführenden Schulen des Landes. Bis 2009 sollen 4.700 dieser Stellen abgebaut werden. Die Arbeitgeber­seite stützt sich dabei auf Prognosen des Statistischen Landesamtes über den Schülerrückgang der kommenden Jahre, der bei 24 Prozent liegen soll. Um Entlassungen zu vermeiden, schlug das Ministerium eine Teilzeitregelung vor, die eine Absenkung von Arbeit und Gehalt auf 62 bzw. 73 Prozent vorsah. Sollten sich die Tarifpartner nicht einverstanden zeigen, drohte das Ministerium (mit Rücken­deckung von Ministerpräsident Milbradt) mit Änderungskündigungen. Daneben sollen mehr als 82 Schulen – betriebs­bedingt – geschlossen werden.

Unter diesen Vorzeichen sahen sich GEW im DGB und VBE/SLV im DBB(1) am 13. Mai gezwungen, einen Warnstreik auszu­rufen – die Verhandlungen waren ja nur vertagt. So kam es am 17.5. (mit Schwerpunkt in Dresden) an fast 20 Schulen zum dritten Ausstand des Lehrpersonals in 15 Jahren: die ersten drei Schulstunden fielen aus. In Sachsen ist ein Lehrerstreik rechtlich abgesichert, weil allein ein be­deutender Teil der Schulleiter verbeam­tet ist. Am Folgetag wurde die Aktion aus­­geweitet (3.000 Streikende an 80 Schu­len). Allein in Leipzig beteiligen sich, der GEW zufolge, 2.000 Lehrende aller 60 Schulen – allerdings kommen nur etwa 700 KollegInnen, und einige Dut­zend Schü­lerIn­nen, am 18. Mai bei der Streikkund­gebung im Stadtzentrum zusammen. In kurzen Schlaglichtern zeichnet sich ein ver­heerendes Bild der hiesigen Gewerk­schafts­­bewegung ab: zum einen verweigert die nahe gelegende Uni-Bibliothek den Streikenden einen Strom­anschluss, und begründet dies mit „Loya­lität zum Minis­te­rium“; zum anderen sind die Rede­beiträge zwar teils sehr kämpferisch – in dem Sinne, zur Not „nicht nur drei Stunden, sondern drei Tage, drei Wochen, drei Monate [zu] streiken“ – sie schlagen sich aber nicht auf die Stimmung nieder: die Kundgebung dauerte nicht etwa länger, sondern nur halb so lang wie angekündigt, nämlich etwa 30 Minuten. Auch die restliche Woche tourt der Warnstreik durch Sachsen, wobei etwa 500 Chem­nitzer LehrerInnen von 50 SchülerInnen unter­stützt werden. Die Presse raunt zwischen­­zeitlich von einer ersten Koali­tions­krise, während in den Schulen „die Kompetenz des Kultusministeriums […] ernsthaft in Frage gestellt“ werde – eine Einigung im Tarifstreit wird erst für Anfang Juli erwartet. Die Zeichen stehen auf Sturm: die GEW-Landesvorsitzende Gerold erklärt „Der Unmut in den Lehrerzimmern ist zum Zorn gewachsen.“ Doch in ihrer Drohung einer „vollen Konfrontation“ offenbart sich das korpo­ratistisch-institu­tionelle Modell der „Bonner Republik“, wenn sie damit „jahrelange Auseinander­setzungen um die Rechtmäßigkeit von Kündigungen“ meint.

Vor dem Einstieg in die 7. Verhandlungs­runde am 25. Mai wollten GEW, VBE und SLV aber noch einmal Stärke demon­strieren und riefen für den Vortag 25.000 Lehrende, also auch die der Grundschulen, zu einem ganztägigen Ausstand auf – an diesem branchenweiten Generalstreik, der auch der bisher letzte Aktionstag der Gewerkschaften gewesen sein sollte, beteiligten sich 19.000 LehrerInnen. Zu der Leipziger Kundgebung vorm „Volks­haus“ fanden sich an diesem Tag bis zu 3.000 TeilnehmerInnen ein – der Schüler­anteil hatte sich im Vergleich zum 18.5. deutlich erhöht. Über Stunden blockierten sie die Straße und diskutierten in kleineren Gruppen, was die Kollektivwahrnehmung sowohl der Lehrer als auch der Schüler gewiss gestärkt hat, wenn auch niemand wirklich zuversichtlich war. In Chem­nitz sollen es 4.000, in Dresden 3.000 Demon­stranten gewesen sein.

Grundschulen beteiligten sich nur zu 25 Prozent. Warum? Weil sie schon seit mehreren Jahren auf 57 Prozent Teilzeit gesetzt sind, und die GEW das mittrug und also auch durchsetzte. Ebenso wird es sich mit der Einigung verhalten, die am 31. Mai offiziell bekannt gegeben wurde: Arbeitszeitreduzierung auf 85 Prozent im kommenden und 77 Prozent in den drei folgenden sowie 79 im letzten Schuljahr und entsprechende Kürzung des Gehalts sowie des Weihnachtsgeldes; Neueinstel­lung von jährlich 80 bzw. 50 Lehrkräften im Mittelschul- bzw. Gymnasialbereich; Kündigungsschutz bis zum Auslaufen des fünfjährigen Tarifvertrags am 31. Juli 2010. Für die GrundschullehrerInnen wird die Mindestarbeitszeit im Vertrags­zeit­raum um 14 Prozent auf 20 Unter­richts­stunden angehoben. Die Rhetorik der GEW à la „das maximal Mögliche, freut euch“, die nun in Mitglieder­ver­sammlungen vor der Urabstimmung gras­sieren wird, erstickt geradezu jegliche Hoffnung und/auf Initiative heute, so wie es die im Tarif­vertrag vorgesehene zwei­jäh­rige Son­dierungs­phase für die Zukunft tut.

In die gleiche Richtung führen auch „moralisch-ethische Fragen“ über die Be­treuung und Beaufsichtigung der Kinder – gerade diesen Aspekt aber hebt die OECD als besonders wirksam hervor: „Der Streik der Lehrkräfte ist als solcher für die Regierung keine Bedrohung. Er ist aber, wie bereits festgestellt, indirekt ge­fähr­lich, da er die Jugendlichen befreit und diese demonstrieren können. Diese Streiks kön­nen sich also zu Kraftproben ent­wic­keln, die schwierig zu handhaben sind.“ (2)

Wenn es auch „nur“ ein Warnstreik war, so war die Streikerfahrung doch für viele LehrerInnen – oder gar für ganze Ein­richtungen! – ein absolutes Novum. Von daher ist es nachvollziehbar, dass die empfindlichen Punkte, nämlich Be­treuung und Prüfungen, unangetastet blieben – letztere wurden selbst 2003 in Frankreich nicht berührt.

A.E.

(1) Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW); Verband Bildung und Erziehung (VBE) und Sächsischer Lehrerverband (SLV); Deutscher Beamtenbund, DBB
(2) Aus: Centre de Développement (Hg.): Cahier de politique économique N° 13 – La faisabilité politique de l’ajustement. Dt.: Wirtschaftspolitisches Heft Nr.13 – Die politische Machbarkeit der Anpassung, November 2003. Eigene Übersetzung.

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