Archiv der Kategorie: Feierabend! #52

Leserbrief

Hallo!
Wieder ein super Feierabend!! Und wieder habe ich was zu kritisieren und mach das endlich schriftlich. Das Interview zum „christlichen Anarchismus“ finde ich voll daneben:
Ein allmächtiger Gott, der Gnade (= unverdiente Milde gegenüber Straftätern) den Menschen nach Gutdünken gewährt, ist das Feindbild jedes selbstbewussten, denkfähigen Menschen. Darauf basiert aber jede Gottgläubigkeit, also ist jede Gottgläubigkeit unbedingt unanarchistisch. „Christlicher Anarchismus“ ist also die Quadratur des Kreises, vielleicht mal nicht aus Böswilligkeit, wie es bei den meisten Pfaffen o.ä. der Fall ist, sondern aus Dummheit (= mangelnde Logikfähigkeit). Wenn jemand diesen Schwachsinn in ein Buch packen will, ist das schade, aber mensch muss das ja nicht lesen. Wenn dieses dumme Buch aber in einer ansonsten super-guten Zeitung besprochen wird, liest das einer erstmal und ärgert sich grün und schwarz, dass der richtige Satz „Religion ist scheiße“ als bloße Rhetorik diffamiert wird, unwidersprochen!! Sieht momo den Wald vor lauter Bäumen nicht? Ist die Kirche mit ihren Kreuzzügen etc. nicht etwa eine logisch entstandene Konsequenz aus dem Axiom des gnadespendenden Gottes mit seinen Gesetzen (!!!) und deren menschlichen Verkündern und Interpreten?!?!
Okay, sorry für meine Heftigkeit, aber ich hab 10 Jahre als Krankenpfleger bei der Diakonie gearbeitet und weiß jetzt genau, warum es Nationalsozialismus gibt, wie die Hexenverfolgungen funktionierten und dass Heuchelei, Hetze und Verleumdungen zentrale und essentielle Bestandteile jeder gottgläubigen Religion sein müssen.
Dieses Interview ist ein leider unkritisches, also Gefälligkeitsinterview gewesen, bitte sowas nicht mehr!!
Venceremos, Otto
*nix für ungut, ihr macht ´ne super Zeitung (jeder langt mal in die Schüssel)

Hallo Otto!
…Erst einmal vielen Dank für deinen Leserbrief – Feedback ist uns wichtig, gerne auch kritisch. Und deinen Beitrag verstehen wir als eine wichtige Position zur kontroversen Debatte um christlichen Anarchismus, die wir auch gerne fördern wollen. Eben weil sie viele anarchistische Herzen bewegt. Das haben wir auch bei der Lesung zum besagten Buch hier in Leipzig feststellen können. Gerade deshalb wollten wir auch den Herausgeber inhaltlich zu den behandelten Themen und seiner Motivation sprechen lassen. Nicht als Propaganda, sondern als Darstellung einer existierenden anarchistischen Strömung.
Da der Fokus dieses Buches in der Verbindung (nicht in den Unterschieden) zwischen christlichem Glauben und Anarchismus liegt – bisher ein ziemlich blinder Fleck in der hiesigen Literatur – ging es auch im Interview vor allem um die inhaltlichen Schnittstellen zwischen christlichem Glauben und Anarchismus, obgleich auch nach den Grenzen gefragt wurde.
Natürlich, das Thema ist umstritten und nicht wenige Anarchist_innen vertreten eine Position, wie du sie beschreibst. Auch innerhalb der Redaktion gibt es sehr unterschiedliche und religionskritische Haltungen dazu. Dass die institutionalisierte Kirche mit Anarchismus unvereinbar ist, darüber brauchen wir uns nicht streiten, nicht einmal mit christlichen Anarchist_innen. Allerdings ist Glaube auch was sehr Persönlich-Individuelles und wird auch abgekoppelt von institutionalisierten Herrschaftsverhältnissen von einigen praktiziert. Und nicht jede_r Gläubige betet zu Gott, weil er_sie sich nach Gnade und Vergebung sehnt. Wie bei allem in der Welt hilft ein pauschales Schwarz-Weiß-Denken m.E. hier nicht weiter. Um so begrüßenswerter finde ich den Versuch mittels eines Buches herauszuarbeiten, wo Glaube mit Anarchismus vereinbar ist und welche Argumente die christlichen Anarchist_innen verwenden. Ein weiterführendes Buch, das inhaltlich die Grenzen dieser Vereinbarkeit beleuchtet, wäre aber genauso begrüßenswert. Mir geht es da eher um die individuelle Ebene, vielleicht bringt ja der Diskurs Einige dazu, seinen_ihren Wertekanon mit Anarchismus in Verbindung zu bringen. Anarchismus ist in meinem Verständnis eine politische Haltung jenseits des Dogmatismus. In diesem Sinne haben dort alle Menschen Platz, die gegen Herrschaftsverhältnisse und Kapitalismus sind. Ob sie privat dann an einen Gott glauben, ist mir ehrlich gesagt egal, so lange sie ihm_ihr nicht die Herrschaft über sich selbst erlauben.
momo und Teile der Redax

…Und noch mal danke für Dein Feedback zum Interview, es ließ mich noch einmal über den sog. Diskurs zum christlichen Anarchismus nachdenken. Im Nachhinein betrachtet waren wir als Redaktion m.b.M.n. nicht kritisch genug mit dem Interview, bzw. den Gefahren, die darin stecken, „den christlich-anarchistischen Diskurs zu verbreitern und zu intensivieren“. In Zeiten, in denen sich durch alle gesellschaftlichen Schichten und in allen Breiten der Welt ein religiöser Rollback abzeichnet, in denen gerade anarchistische und linksalternative Strömungen mehr und mehr von Spiritualität und Esoterik durchsetzt sind, da obliegt es auch unserer Verantwortung, Diskurse durchaus zu lenken und nicht blind zu befeuern. Sebastian hatte im Interview leider auch nur zwei Argumente auf die Frage nach der Vereinbarkeit von Gottgläubigkeit und der anarchistischen Idee. Das eine Kropotkins Autoritätsargument, dass andere von Gott gesandt. Doch wer sich Hab und Gut nur teilt, weil es in einer Apostelgeschichte geschrieben steht, der hat mit Emanzipation nichts am Hut, im Gegenteil. Solche vorgeblichen Überschneidungen mit dem Anarchismus, gepaart mit dem undifferenzierten Fokus auf Gemeinsamkeiten, führen schnell zur Religionsaffirmation, mindestens jedoch ist die offene Diskurshaltung religionsoffen. Als kritische Geister sollten wir diese nach Otto „Quadratur des Kreises“ jedoch nicht verschweigen, negiert sie doch alle vorgeblichen Gemeinsamkeiten des Christentums mit dem Anarchismus. Viele kleine Gemeinsamkeiten machen eben den entscheidenden Unterschied nicht wett. Man mag mir Dogmatismus vorwerfen, doch die „Dogmatismus ist Scheiße“-Rhetorik nervt!
shy

Das Vokü-Rezept (FA! #52)

Hey, bei der letzten Ernte im Gemeinschaftsgarten sind urst viele Kürbisse rausgekommen, die wir gern bei einer Vokü verarbeiten würden. Aber immer nur Kürbissuppe ist langweilig. Gibt es da nicht auch noch was anderes?

Herbstliche Grüße, Matze“

Liebe Matze,

klar doch! Kürbisse eignen sich für so viele leckere Gerichte, dass ein ganzer Feierabend! damit gefüllt werden könnte! Hier die Vokü-Idee (für ca. 25 Personen):

Gang 1: Feldsalat mit gebratenem Kürbis

Zutaten:

1,5kg Kürbis

400g Zwiebeln

10 EL Balsamico

10 EL Kürbiskernöl

750g Feldsalat

400g Tofu

5 EL Kürbiskerne, gehackt

Salz

Pfeffer

Kokosfett oder Margarine

Zubereitung:

Kürbis in dünne (ca. 0,5cm) Scheiben schneiden und stückeln. In Fett von beiden Seiten anbraten. Zwiebeln fein würfeln, in Fett dünsten, Kürbis dazu geben. Essig, Öl, Salz und Pfeffer mischen und über den Kürbis geben. Alles eine Stunde ziehen lassen.

Tofu fein würfeln, kurz anbraten, leicht salzen. Feldsalat waschen. Kürbis mit Marinade dazu. Tofuwürfel unterheben. Fertig.

Gang 2: Kürbiseintopf mit Bohnen und Räuchertofu

Zutaten:

1kg weiße Bohnen, trocken

1kg Soja-Schnetzel

4kg Kartoffeln

3kg Kürbis

2kg Lauch

1kg Tomaten, geschält, gestückelt

10 Zwiebeln

5 Zehen Knoblauch

2,5l Gemüsebrühe

2 Bund Majoran

Kokosfett oder Margarine

Salz

Pfeffer

Zubereitung:

Bohnen über Nacht einlegen, kochen bis sie weich sind (frisches Wasser). Soja-Schnetzel einweichen, abgießen. Kartoffel schälen, würfeln und in Salzwasser garen (bissfest). Kürbis entkernen, bei Bedarf schälen und in 2cm-Würfel schneiden. Zwiebeln und Knoblauch fein hacken, in Fett dünsten. Soja-Schnetzel hinzugeben, leicht anbraten. Kürbis unterrühren. Majoran waschen, zupfen und hinzufügen. Tomaten und Brühe dazu und 20 Minuten köcheln lassen. Lauch putzen, in feine Ringe schneiden, dazugeben. Bohnen hinzufügen und 10 Minuten bei geringer Hitze ziehen lassen, immer wieder umrühren. Zum Schluss noch die Kartoffeln dazu, mit Salz und Pfeffer abschmecken, 5 Minuten ziehen lassen. Fertig.

Gang 3: Kürbiskuchen mit Walnuss-Streuseln

Zutaten (für 2 Springformen):

60g Margarine (Alsan – kalt)

160g Walnüsse, gehackt

120g Rohrohrzucker

1 TL Zimt

250g Margarine (Alsan– raumwarm)

300ml Agavendicksaft

400g Kürbisfleisch, gekocht und püriert

Vanille von 2 Vanilleschoten

200ml Soja-Joghurt

500g Mehl

1 Pk. Backpulver

4 EL Sojamehl mit 4 EL Sojamilch

Zubereitung:

Die kalte Margarine mit den Walnüssen, Zimt und Zucker zu einer krümeligen Masse verarbeiten.

Margarine schaumig rühren. Agavendicksaft, Sojamehl mit Sojamilch und Vanille hinzugeben. Kürbis und Soja-Joghurt unterrühren. Mehl und Backpulver einsieben und schnell zu einem glatten Teig verarbeiten.

Den Teig auf zwei Springformen aufteilen. Die krümelige Masse als Streuseln über beide Kuchen geben. Alles für 45 Minuten bei 180 Grad in den vorgeheizten Ofen. Kurz auskühlen lassen. Fertig.

mv

Die Redaktion … fährt

fixed

Wie es sich für ordenliche anarchistische Hipster in Hypezig gehört, fahre ich ein Fixie. So ein Fahrrad mit starrem Gang, Ihr wisst schon. Kein Leerlauf, kein Rücktritt. Da kann ich an der Kreuzung stehend auf dem Rad balancieren und den ganzen zurückgebliebenen Normalos zeigen, wie cool ich bin. Oder mir von zugezogenen Teens Respekt zollen lassen, wenn ich an ihren Bremsmanövern und Beschleunigungsversuchen vorbeiziehe und auf die Frage „Ist das auch ein Fixie, Digger?“ mit ebensolchem Bremsmanöver antworten kann, so dass ich auch da ein ehrenvolles „Cool, Digger!“ als Anerkennung erhalte. Hach ja… Fixie fahren ist eben weitaus mehr als ein runder Tritt und das Einswerden der Beine mit den Pedalen, des Körpers mit dem Rad. Es ist Lifestyle, purer Lifestyle. Auch mit dem Flat Bar werde ich mich noch anfreunden, die passenden Karten für meine Rückgradspeichen suche ich noch. Soll ja schön individuell sein, so ein Fixie. Mich repräsentieren und meinem höchsteigenen Subjekt Geltung verschaffen in der Welt der Uniformitäten. Ich fahre Fixie, also bin ich ich.

(shy)

…nicht Fahrrad

Von meinen lieben Mitanarchist_innen beim Feierabend! bin ich mittlerweile ein paar Mal gefragt worden, warum ich zur Überbrückung der Distanzen zwischen Redaktions- und Wohnraum denn nicht ein Fahrrad nehme, die Strecke zu Fuß zurück zu legen, dauere doch zu lange und sei bestimmt recht anstrengend. Und mit beidem haben sie recht! Doch irgendwie gefällt mir das Laufen. Es ist meditativ. Oder um es mit Milan Kundera zu sagen, man spürt sich selbst, Alter und Gewicht.

(carlos)

… ab auf Literatur!

Ich weiß nicht, seit wann es so ist. Früher konnte ich mich nie wirklich dazu aufraffen, ein paar Seiten Belletristik am Stück zu lesen. Je älter ich werde, desto mehr scheint sich dies zu ändern. Es liegt nicht mal am Inhalt der Bücher, denk ich. Was mich mehr interessiert, ist der Stil, in dem das Werk geschrieben wurde. Metaphern, Allegorien, Bildnisse, wortgewaltige Reden, inspirierende Formulierungen, flinke und scharfe Witze und seltene Begriffe, die man sonst nie oder nur kaum im Leben so hört. Insgeheim suche ich wohl immer nach Inspiration. Die Sprache erscheint mir wie ein riesiges Kochbuch, aus dem wir meist nur die simpelsten Nudel- und Reisgerichte nutzen. Ein gutes Buch ist da wie ein Besuch in das feine Nobelrestaurant. Und danach denkt mensch sich: Kann ich das nicht auch vielleicht? Manche mögen mit meinen Gedanken nichts anzufangen wissen. Was spielt es für eine Rolle, wie man sich im Alltag ausdrückt? Wäre es nicht lächerlich, wenn sich Menschen so hochgestochen und langatmig ausdrücken würden, wie sie dies teilweise in der Literatur machen?

Vielleicht, aber ich glaube doch, dass sprachliche Kreativität ungemein wichtig ist. Ich denke, dass in seiner Sprache jeder ein kleiner Künstler sein kann! Vielleicht hat man zu unruhige Hände für das Malen und Zeichnen, zu wenig Geld und Zeit um Musik zu lernen oder zu wenig Geschick und räumliches Verständnis, um sich Faltarbeit wie Origami zu widmen. In seiner eigenen Gedankenwelt kann mensch hingegen immer rumstöbern und neue Assoziationen ausgraben, wie in einer frischen Goldgrube, um seinen Gedanken und Gefühlen die richtige Form zu geben. Die demokratische Kunst überhaupt, könnte mensch meinen. Die Dichtung gehört ja auch zu den ersten Künsten, die in der Antike bereits einige ihrer Höhen erklommen hat. Aber ach Gott, Gefühle! Die empfindet mensch ja heute als eher nervig und störend (die eine Bevölkerungshälfte wohl mehr als die andere). Vielleicht dichtet mensch heute deshalb ja nicht mehr so gern. In meiner Schulzeit hat glaub ich nie irgendjemand freiwillig gern gedichtet und es dann auch noch vorgetragen. Durch Wortwahl und Ausdrucksweise entblößt mensch sich ja vielleicht mehr als durch das Abfallen seiner Kleider. Gefühle, die Schamteile des Menschen?

(alphard)

… frei Bahn und aus der Haut

Man geht durch die Straßen, setzt sich in die Bahn und plötzlich ist die Batterie des MP3-Players alle. Auf einmal ist man mittendrin im alltäglichen Wahnsinn, und nicht nur die beißenden Gerüche fallen einem stärker auf und lassen leichte Übelkeitsgefühle entstehen, sondern ebenso kommt hinzu, dass man sich der laufenden Gespräche der Mitfahrenden nicht weiter des Hörens entziehen kann. Von rassistischen Äußerungen bis kruden, nach Mobbing mutenden Sprüchen von Halbwüchsigen ist die ganze Palette vorhanden. Ganz zu schweigen von Eltern, die die Versuche ihrer Kinder, Aufmerksamkeit zu bekommen, ignorieren oder gar niedermachen. Vor ein paar Tagen las ich einen Spruch, an den ich mich nicht mehr zur Gänze erinnern kann, aber er ging in etwa so: „Deutschland definiert: Alle sitzen in der Bahn und gucken grimmig. Ein Kind lacht. Die Eltern schimpfen, bis es genau das Gleiche macht.“ Erstaunlich passend, wenn man sich die Leute in der Bahn betrachtet. Ein paar Haltestellen weiter steigen dann Kontrolleure hinzu und man macht, dass man schleunigst aus der Bahn kommt. Skeptisch hinterher guckend zücken sie bereits ihr Scan-Gerät.

Aus der Bahn raus überlegt man, auf die nächste zu warten oder einfach den Weg zu Fuß fortzuführen. Die Entscheidung geht zum Laufen.

Als es nach wenigen Minuten zu regnen beginnt, stellt man sich dann schon die Frage, ob das jetzt ernst gemeint ist. Aber wie auch immer, es ändert ja nichts. Eh man sich versieht, fährt dann ein Auto in gefühlter Höchstgeschwindigkeit durch eine durch ein Schlagloch entstandene Pfütze. Klasse. Aber weiter. Noch im Tran bemerkt man nicht, dass ebenfalls mit hoher Geschwindigkeit hinter einem ein Fahrrad anrollt und so knapp vorbei fährt, dass man fast noch hin fällt und bei dieser Gelegenheit tritt man dann gleich noch selber in eine Pfütze und man beginnt zu überlegen was zur Hölle man denn falsch gemacht hat. Entnervt kommt man dann seinem Ziel näher und bemerkt, dass man wohl den Schlüssel vergessen hat, und ein pöbelnder Mensch, der augenscheinlich mit einem Alkoholproblem zu kämpfen hat, plärrt einen sinnentleert voll. Erfolgreich entkommen geht man nun Nummern im Handy durch, um aus der entstandenen Misere zu entkommen. Es regnet noch immer, mittlerweile aber als leichter Nieselregen, doch nun kommt noch ein toller Wind hinzu. Ans Handy scheint keiner zu gehen. Gut, dann eben zurück. Diesmal aber wieder mit der Bahn. Ja – Glück gehabt, da kommt sie bereits. „Endlich mal was Gutes“, denkt man sich, um sich etwas zu beruhigen, und lässt sich erleichtert auf den Sitz fallen. Den Kopf ans Fenster gelehnt und mit zynischem Lächeln über den bisherigen Tag, als vom hinteren Ende der Bahn ein Mensch auftauchte. Ein Mensch, den man bereits am gleichen Tag gesehen hat. Doch nicht auf den Menschen achtet man, nein. Denn er hält ein Gerät in der Hand, und feist grinsend kommen die Worte: „Fahrausweis bitte“ über seine Lippen.

(R!)

.weeeeiiiit weg.

Auch wenn ich aus Teilen der Redaktion dafür kritisiert werde, dass es inhaltlich falsch ist, vom Fahren zu sprechen, wenn ich doch nach Indien fliege, schreib ich hier jetzt trotzdem weiter.

Denn ich fahr mit einem modernen Luftschiff namens Flugzeug.

Viel spannender als die korinthenkackerische Begrifflichkeit ist aber derzeit mein Gefühl zur bevorstehenden gut drei Monate dauernden Reise. Gute Frage. Im Moment wird mögliche Vorfreude durch den Stressfaktor verhindert. Zu viele Punkte auf der ToDo-Liste, die vorher abgehakt werden müssen, damit es endlich losgehen kann. Aber irgendwie ist dieses Gestresstsein auch nicht wirklich ein neues Gefühl, wenn ich so an meinen Alltag denke…

Wenn ich dann doch mal Zeit habe, über Indien zu sinnieren, dann fällt mir auf, dass ich eigentlich gar nicht groß weiß, was mich erwartet. Aber ich freu mich trotzdem darauf. Oder gerade deshalb? Warum – weil ich Fernweh habe. Weil ich raus will. Weil ich neugierig bin. Weil mich fremde Welten interessieren und faszinieren. Angst hab ich eigentlich nur vor mir selbst: dass ich schlecht damit klar komme, mitunter viel krasse Armut zu erleben und gleichzeitig vielfach meinen Stempel als reiche Weiße zu bekommen. Damit umzugehen und sich selbst treu zu bleiben wird eine Herausforderung. Aber daran kann ich wachsen. Ja, ich freu mich darauf nach Indien zu fahren.

(momo)

Israel im Krieg

Ansichten aus einer Israel-Reise während der Gaza-Offensive „Protective Edge“, Juli 2014

Der folgende Text ist eine Reisebericht und kein journalistischer Report. Er ist kaum recherchiert und beschreibt hauptsächlich eigene Erfahrungen und die Aussagen bestimmter Personen in Israel. Er kann keine Beschreibung der Leiden und Zerstörungen, Emotionen und Stimmungen auf der Seite der Palästinensergebiete liefern, da der Autor Julian Bindewald nicht dort war.

Der Luftschutzalarm wirft mich aus dem Bett. Okay, es ist schon später Vormittag hier in Tel Aviv, aber es war auch spät gestern. Weniger als 30 Sekunden haben wir um uns ins Treppenhaus zu flüchten und zu warten bis die Rakete unter dumpfen Explosionen zerstört wird. Bis jetzt ist noch jede auf israelische Städte gefeuerte Hamas-Rakete getroffen worden, aber die Raketenteile haben doch einige Schlagkraft. „Gehen der Hamas die Raketen nicht bald mal aus?“ fragt meine israelische Gastgeberin Gehudert (1). Und ich hoffe, dass dem israelischen „Iron Dome“ die Abwehrraketen nicht ausgehen, denn so fühle ich mich doch relativ sicher. Der Spuk ist jeweils schnell vorbei – und doch könnte es jederzeit passieren und mich irgendwo draußen oder auf dem Klo erwischen.

Die Angst der Israelis ist spürbar. Erst bei genauerem Hinsehen und Hinhören, aber sie ist da. Schaut man oberflächlich scheint es die ideale Reisezeit – wenig Menschen am Strand, wenig Menschen an den Sehenswürdigkeiten. Das Leben scheint normal weiter zu gehen an diesen Orten, die weiter weg liegen vom unmittelbaren Geschehen in Gaza. Kontrollen gibt es fast keine, Angst vor persönlichen Angriffen muss ich keine haben.

Der Krieg wirkt weit weg, hat aber deutlichen Einfluss auf das Leben: Menschen gehen nicht zur Arbeit, Kulturveranstaltungen werden abgesagt, Einnahmen aus dem Tourismus brechen ein. Jede_r Israeli_n hat nahestehende Menschen in der Armee, kennt zumindest über Ecken auch einen der über 50 gestorbenen Soldaten. Das Fernsehen ist voll von Expert_innenrunden zum Krieg, Bildern von abgeschossenen Raketen, verletzten Soldat_innen im Krankenhaus, von der bildschirmgesteuerten Zerstörung von Häusern in Gaza, Soldat_innen in der Bodenoffensive und Zerstörungen der Hamas-Tunnel. Leichen werden nur unkenntlich dargestellt, Zahlen von getöteten Palästinenser_innen selten genannt.

Auf der Friedensdemo in Tel Aviv sehe ich ca. 3000 Menschen (die Medien sprechen von 1000), die die militärischen Operationen verurteilen, die wollen, dass Palästinenser und Israelis in Frieden zusammen leben und andere Lösungen für den Umgang mit der Hamas suchen. Mehr sind es nicht. Mehr Menschen haben nicht mehr den Mut und die pazifistische Überzeugung um hier auf die Straße zu gehen. Zu Zeiten Yitzhak Rabins waren es noch hunderttausende. „Die Angst seine Meinung frei zu äußern besteht jedoch nicht wegen der Gesetze“, so Chana, eine Aktivistin für Feminismus und LGBT-Rechte, die ich auf der Demo tref­fe. Das Recht auf freie Mei­nungs­äußerung werde auch in diesem „demokratischen“ Land gesetzlich geschützt.

Es ist der größer und aggressiver werdende rechte Mob, der nach linken Demonstrationen durch die Straßen zieht. Eine aus unserer Gruppe hätte fast ein Ei getroffen, das aus einem fahrenden Auto geworfen wird. Eine andere Gruppe hat es schlimmer getroffen: Prügel mit Gesichtshämatomen und Verletzungen durch Pfefferspray. Ich habe leider kein Maalox und keine Milch dabei um zu helfen. Ein T-Shirt mit politischem Aufdruck anzuziehen („Arabs and Jews refuse to be Enemies!“, „Combatants for Peace“, „Free Gaza“) sei undenkbar, sagt Chana. Schilder und Fahnen versteckt man lieber schnell, und wir sind nur in größeren Gruppen unterwegs. Jede noch so kleine Provokation gegenüber der Polizei werde von den Teilnehmer_innen dieser „extrem linken“ Demo vermieden, aus Angst vor Prügel und Verweigerung des Demonstrationsrechts, schätzt Chana die Situation ein.

Die Stimmung auf dem rechten Flügel, der Gegendemonstration, ist furchterregend und grotesk: wie in Deutschland nach einem Fußballspiel. Es werden Israel-Fahnen geschwenkt, muskelbepackte kahlrasierte Männer laufen durch die Straßen, das Hupen der beflaggten Autos erfolgt im Rhythmus der Fangesänge („Ole-eh, ole, ole, oleeh“). Absurd und doch irgendwie Augen öffnend ist diese Sportfeststimmung angesichts von über 1000 tausend getöteten Menschen in diesem bewaffneten Konflikt. Und der Ruf „Tötet alle Araber!“ wird hier laut und ohne Angst vor Konsequenzen skandiert.

Die Struktur rechter und linker Gruppierungen in Israel zu charakterisieren fällt schwer. Chana beschreibt die „echte“ Linke Israels als eher intellektuelle, weiße Elite deren Ursprung eher europäischen Aschkenasim-Juden (2) entspricht, deren Sozialstatus eher ein akademischer und Wohnort ein urbaner ist. Die Anhänger der rechten Kriegs-Parteien (nicht unbedingt religiöse Juden!) seien offenbar eher den orientalischen Mizrachim (3) oder den arabischen Sfaradim (4) zuzuordnen, die auf dem Lande lebten und in die Stadt kämen, um Tel Avivs Linken zu zeigen, wo es lang gehe, so Chana.

Aber die Unterstützung des Militärs sitzt tiefer in der israelischen Gesellschaft und wird nur von wenigen hinterfragt. Fast jeder in Israel muss zwei Jahre (Männer drei Jahre) dem Militär dienen, ausgenommen sind bspw. Muslime, Christen und ultraorthodoxe Juden. Jahrzehnte lang hat man als Reservist jährlich wochenlange Übungen und muss sich bereit halten. Einfach verweigern geht nicht, es bleibt bspw. sich eine schwere körperliche oder eine psychische Krankheit attestieren zu lassen. Die soziale Außenseiterstellung die man durch eine Verweigerung einnimmt, sei nicht zu vernachlässigen, sagt die israelische Musikerin Yael, die sonst in Berlin lebt. Ein Freund von ihr müsse bei der Rückkehr nach Israel eine Gefängnisstrafe wegen der Verweigerung fürchten.

Anfangs wundert mich eine Aussage der eher linksliberalen Aktivist_innen und Personen, die ich hier treffe: dass Gaza zwar unter Israel leidet, aber noch mehr unter der Hamas. Meine Gastgeberin sieht einerseits die Ursachen auf Seiten der israelischen Führung: die Besatzung, das „Freiluftgefängnis“, die Einschränkung des Zugangs zu Wasser, Elektrizität, Nahrung, die permanente militärische Überwachung. Und dennoch kritisiert sie auch die perfiden, brutalen und chauvinistischen Methoden der Hamas: Raketen werden in Schulen gelagert, Zivilisten werden als Schutzschilder missbraucht, UN-Gelder werden in den Bau von Tunneln und militärische Zwecklosigkeiten investiert. Zumindest ein Sohn aus jeder palästinensischen Familie werde zum Kämpfer ausgebildet und zur Auslöschung der Israelis erzogen („Werft die Juden ins Meer!“). Dinge, die in westlichen Medien selten genauer beleuchtet werden. So äußert Jehudith auch den Wunsch nach einem Eingreifen der USA gegen die Hamas – in einem Atemzug mit dem Ruf nach einem Kriegsverbrechertribunal gegen Netanjahu und seine Helfer und dem Wunsch nach einem Regimewechsel.

Woher kommt der tiefsitzende Patriotismus und Militarismus der israelischen Gesellschaft, und die Unterstützung des (wie Chana es nennt) „Apartheid-ähnlichen“ (5) Regimes gegen die Palästinenser? Die linke/feministische Aktivistin Leah, bei der wir nach der Demo zu Gast sind, beschreibt eine Ursache in der kollektiven Erinnerung des Holocaust. Schon von Kindesbeinen an werde gelehrt, dass Juden zu allen Zeiten in allen Ländern verfolgt waren und die Hilflosigkeit der jüdischen Glaubensgemeinschaften in die Verbrechen der Schoah mündeten. Ohne einen schützenden Staatsapparat, einer Nation und einer Armee, die gegen die Angriffe der Gojim (6) schützen konnten, seien Juden immer wieder ausgeliefert gewesen. Es solle nie wieder passieren, dass das jüdische „Volk“ nicht geschützt und das heilige Land nicht von diesem bewohnt sei, das ist offenbar Staatsräson und common sense. Und so erzeuge hier jede Kritik am Militär und am Staate Israel Wut und teils heftige Reaktionen beim Gegenüber, sagt Leah.

Ich kann mir den Blick auf den Nahostkonflikt nicht leicht machen. Beide Seiten sind zu verstehen, beide Seiten verurteile ich innerlich, auf beiden Seiten sehe ich auch Potential zu Veränderung. Es ist ein unheimlich emotionaler Konflikt, bei welchem mich schon einzelne Worte tierisch auf die Palme bringen können und ich ganz schnell überschießend reagiere. Und dann erst hinterher feststelle, dass ich zu weit gegangen bin und meine Aussagen relativiere. Ich kann mir keine feste Meinung zu dem Konflikt machen – aber ich kann empfehlen mit den Menschen hier ins Gespräch zu kommen und sich ein Bild von der Situation zu machen. Israel ist (neben seiner Schönheit) eine Reise wert.

Julian

(1) Alle Namen von der Redaktion geändert.

(2) Aschkenasim: Juden, die seit der Spätantike in Nord- und Mitteleuropa gelebt haben.

(3) Mizrachim: Juden aus asiatischer, insbesondere kleinasiatischer Herkunft.

(4) Sfaradim: nordafrikanische und südeuropäische Juden.

(5) „Als Apartheid wird jede institutionalisierte Form einer Politik der Rassentrennung zur Unterdrückung einer Rasse durch eine andere bezeichnet“. Otto Trifterer, Bestandsaufnahme zum Völkerrecht in Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, Hamburg 1995, ISBN 3-930908-10-7, ISBN 3-930908-10-7

(6) Gojim: Nichtjuden/Andersgläubige

Rezension: Gai Dáo #44

Seit gut drei Jahren erscheint nun schon die Gai Dáo, die Zeitschrift der Föderation deutschsprachiger AnarchistInnen, und zwar mit schöner Regelmäßigkeit monatlich. Da könnten wir von der FA!-Redaktion fast neidisch werden, auch wenn´s natürlich albern wäre – Zeitschriftenmachen ist schließlich kein Wettbewerb. Aber es nötigt schon Respekt ab, weil die Gai Dáo sich zugleich auf inhaltlich konsequent hohem Niveau bewegt.

Schön auch, dass in der Zeitschrift viel Platz für Debatten und Polemiken ist (das ist in der hiesigen anarchistischen Szene ja sonst eher unüblich). So wird hier ein Artikel über Waldbesetzungen aus dem vorigen Heft für seine überbordende Naturromantik kritisiert – nicht zu unrecht, wie es scheint. Und auch über „christlichen Anarchismus“ wird diskutiert (wie bei uns, siehe S. 33 hier im Heft). Der Buchautor Sebastian Kalicha antwortet hier auf eine Kritik aus der letzten Ausgabe, wobei dann freilich eher technische Details und weniger die tiefgreifenden philosophischen Fragen geklärt werden.

Was gibt es noch? Ein paar Rezensionen natürlich, ein Nachbericht zum diesjährigen Erich-Mühsam-Gedenktag in Ludwigsburg sowie ein Statement kurdischer Anarchist_innen zur derzeitigen Krise im Irak.

Des weiteren wird das Projekt „Gepflegte Stümperei“ vorgestellt, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, klassische anarchistische Texte als Hörbücher zu vertonen. In dem Text „Das staatliche Strafen“ wird die bürgerliche Rechtsordnung kritisiert, die natürlich – oh Wunder! – keineswegs neutral, sondern mit Herrschafts- und Verwertungsinteressen untrennbar verbunden ist. Last but not least findet sich hier der dritte Teil einer Artikelreihe über „Wanderarbeiter und italienische Anarchisten im Osmanischen Reich (1870-1912)“.

Viel Stoff zum Lesen und drüber Nachdenken also… Unter http://fda-ifa.org/category/gai-dao/ können übrigens alle bisherigen Ausgaben (kostenlos!) heruntergeladen werden. Es lohnt sich!

justus

Manchester United? FC United of Manchester? Was mach ich nur?

Ist das noch mein Manchester United?

Die Leidenschaft für einen Fußballverein kann etwas sehr Erfüllendes sein. Zu wissen, dass man mit Menschen durch dick und dünn geht und seine Mannschaft auch in schlechten Zeiten unterstützt. Was aber macht man, wenn etwas geschieht, mit dem man sich aus politischen Gründen gar nicht identifizieren kann?

Seit neun Jahren stelle ich mir diese Frage. 1998 begann ich mich für den englischen Fußball zu interessieren. Als mein Vater dies bemerkte, brachte er mir Manchester United (Man United) näher. Der Grund war ganz simpel: er hielt zur dieser Zeit auf den 1. FC Kaiserslautern, welcher wie United ein roten Teufel als Wappentier hat. 2003 war ich das erste Mal im Old Trafford, der Heimspielstätte von Manchester United, und auch wenn es die berühmte englische Stimmung zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr gab, war es doch für ein Jungen meines Alters ein sehr beeindruckendes Erlebnis. Im Jahr 2005 kaufte der US-Milliardär Malcolm Glazer Manchester United. Der Verein war damit offiziell Privateigentum eines einzigen Mannes. Ein Club der sich zuvor vor allem durch sein Arbeiterimage und seine linke Fanbasis ausgezeichnet hatte, wurde nun zur reinen Kapitalanlage. Aus diesem und anderen Gründen stellten sich viele Fans die Frage: Ist das noch unser United? Manche fanden ihre Antwort, einige sind noch auf der Suche, wieder andere sind einfach ignorant und wollen nur guten Fußball. Das Gewirr in der Manchester Fanszene ist groß. Dieser Artikel soll versuchen, es für Außenstehende etwas übersichtlicher zu machen und vielleicht auch den Autor seine Frage beantworten: Ist das noch mein Man United!?

Kurze Historie

Manchester United wurde 1878 als Newton Heath L&Y Railway Football Club von einer Gruppe Arbeitern gegründet, die auf dem Bahnhof in Newton Heath arbeiteten. Anfangs wurden Spiele gegen andere Eisenbahnfirmen abgehalten. Zu Beginn gab es starke finanzielle Probleme, die fast zur Insolvenz geführt hätten – wäre da nicht John Henry Davies, ein örtlicher Brauereibesitzer gewesen. Die Legende besagt, dass Davies von den finanziellen Problemen des Vereins erfuhr, als er den entlaufenen Hund des damaligen Mannschaftskapitäns Harry Stafford fand. Die Unterstützung von Davies führte nicht nur zu einer Änderung des Vereinsnamens – am 28. April 1902 wurde der Verein in Manchester United umbenannt –, sondern auch der Vereinsfarben von Gold-Grün zum heutigen Rot-Weiß.

Manchester verbrachte seine Anfangsjahre fast ausschließlich in der 2. Englischen Liga und konnte erst 1938 in die 1. Liga aufsteigen. 1958 ereignete sich die bisher größte Tragödie der Vereinsgeschichte: Am 6. Februar flog die Mannschaft von einem Europacupspiel in die Heimat, als das Flugzeug während eines Schneesturms verunglückte. Acht Spieler starben, zwei erlitten Verletzungen, die das Ende ihrer Karriere bedeuteten. Ab 1986 wurde Manchester von Alex Ferguson trainiert. Ferguson, der sich selbst immer als Sozialist bezeichnete, leitete die bis heute erfolgreichste Ära des Vereins ein, die 1999 im sog. „Triple“-Sieg (Gewinn der Meisterschaft, des Pokals und der Champions League) mündete.

1991 ging Manchester United an die Börse, um eine Kapitalerhöhung für den Verein zu erreichen. Bereits 1998 versuchte Rupert Murdoch sich die Mehrheit der Vereinsanteile zu sichern. Die Anhängerschaft von United befürchtete, ihr ohnehin schon geringes Mitspracherecht durch den Verkauf des Clubs komplett zu verlieren – im Falle einer Übernahme planten sie, einen eigenen Verein zu gründen. Da die Übernahme jedoch scheiterte, wurden die Pläne auf Eis gelegt.

Leider mussten sie bald wieder ausgegraben werden, da 75% der Aktienanteile seit dem 16. Mai 2005 Malcolm Glazer gehörten, was diesem erlaubte, den Verein von der Börse zu nehmen. Zwei Monate später, am 28. Juni gehörten ihm bereits 98 % der Aktien, womit eine Zwangsabfindung der restlichen Kleinaktionäre ermöglicht wurde. Dadurch wurde der Club nun Privateigentum der Glazer-Familie. Malcolm Glazers Söhne wurden in den Vorstand berufen. Mit Protestaktionen hatten viele Fans bis zuletzt versucht, die Übernahme zu verhindern. Fans des Vereins, die schon vorher mit der zunehmenden Kommerzialisierung, den hohen Kartenpreisen und der schwindenden Einflussnahme unzufrieden waren, gründeten daraufhin einen neuen Club: den FC United of Manchester.

Der FC United of Manchester

Am 19. Mai 2005 trafen sich United-Fans, die sich schon vorher gegen den Verkauf ihres Vereins gewehrt hatten, in der Manchester Methodist Hall. Vor der „offiziellen“ Übernahme ihres Clubs wurden verschiedenste Demonstrationen unter dem Motto „Manchester United – Not for Sale“ durchgeführt. Zugleich wurden die Pläne zur Gründung eines eigenen Vereins neu aufgenommen und in verschieden Fanzines diskutiert. Bei einem Treffen am 30. Mai wurde dann ein Beschluss gefasst: Ein neuer Verein sollte gegründet werden, wenn bis Ende Juli 2005 mindestens 1.000 Personen eine Spende geleistet hätten. Da dieses Ziel weit überschritten wurde, gründete sich im Sommer 2005 der FC United of Manchester.

Bereits bei der Namenswahl wurde der basisdemokratische Anspruch des Vereins deutlich, da die Spender_innen selbst über den Namen ab­­stimmen durf­ten. Sportlich ge­sehen startete der FC United in der zehnt­höchsten Spiel­klasse und be­legte in der abgelaufen Saison den 2. Platz in der siebthöchsten Spielklasse. Soviel zur Entstehungsgeschichte des Vereins. Doch was unterscheidet diesen Club so sehr von anderen englischen Vereinen und macht ihn für viele so attraktiv, dass er sogar eine eigene wöchentliche Fernsehsendung bekommt, die in keinem Verhältnis zu seinem fußballerischen Niveau steht?

Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Übernahme von Man United leider kein Einzelfall ist. Fast alle Profivereine Englands sind aktuell Privatbesitz, so z.B. der FC Chelsea und der FC Liverpool. Im Gegensatz dazu funktioniert der FC United nach dem Prinzip „Ein Mitglied – eine Stimme“, unabhängig von der Position im Verein oder der Höhe des Mitgliedsbeitrags. Eine Struktur, nach der sich viele Fans sehnen, da sonst meist der Eigentümer allein die Entscheidungen fällt. Weiterhin ist die viel beschworene Gemeinschaft um den Club zu nennen – der FC ist festverwurzelt in Manchester, unterstützt soziale Projekte und ab und an sieht man auch schon mal Kinder aus dem Viertel auf dem Trainingsgelände kicken – dagegen würde kein Kind, das Fan von Arsenal London ist, auf die Idee kommen, auf dem Trainingsgelände der Profis bolzen zu gehen. Dieser starke Bund zwischen der ansässigen Bevölkerung und dem Verein ist etwas, was sich viele Leute im heutigen Fußballgeschäft nur wünschen können. Besonders in England wird Fußball häufig als Arbeitersport propagiert, was für die meisten einfach nur bedeutet, dass der Verein eine Gemeinschaft darstellen soll, bei der die Grenzen zwischen Spielern und Fans möglichst niedrig sind. All das und noch mehr findet sich beim FC United of Manchester. So wird z.B. das „Working Class“-Image des Vereins durch verschiedene Logos stark nach außen getragen. In der Vereinssatzung befindet sich eine Passage, dass Diskriminierung jeder Art nicht geduldet wird, und ein weiterer Punkt, dass der Club ver­sucht, Kom­mer­zialisierung zu vermeiden. So ist z.B. die BMW Williams Group zwar Hauptsponsor des Vereins, jedoch wurde es abgelehnt, das Firmenlogo, wie eigentlich üblich, auf den Trikots zu tragen. Dies sind einige der Gründe, warum viele Fans, nicht nur auf der Insel, Sympathien für den FCUM haben.

Sind nun also alle „guten“ Personen FC-United-Mitglieder und alle „bösen“ Manchester-United-Fans? Da die Welt nicht einfach schwarz-weiß ist, kann sich der/die Leser_in die Frage vermutlich selbst beantworten: Natürlich nicht! Der Film „Looking for Eric“ beschreibt den Zwiespalt vieler Personen sehr gut. Hier werden die Streitigkeiten zwischen beiden Fanlagern deutlich beschrieben, aber vor allem die Gemeinsamkeiten gut dargestellt. Denn es ist mittlerweile als United-Anhänger in Manchester nicht mehr unüblich, auf zwei Vereine zu halten. Viele Personen, die ebenfalls gegen die Übernahme durch Malcolm Glazer protestiert haben, besuchen bis heute die Spiele von Manchester United bzw. beider Clubs. Sie sehen sich allerdings nicht als reine Konsument_innen, sondern organisieren sich und wollen sich Manchester United zurückerkämpfen. Wer die Fankurven Im Old Trafford aufmerksam beobachtet hat den wird nicht entgangen sein dass man vermehrt Leute mit gold-grünen Fan-Utensilien im Stadion sieht. Was hat das nun wieder zu bedeuten? Die Vereinsfarben von Man United sind doch eigentlich Rot und Weiß?

Der Manchester United Supporters’ Trust

Als United den Spielbetrieb unter den Namen Newton Heath L&Y Railway Football Club aufnahm, waren die offiziellen Vereinsfarben Gold und Grün, erst später wurden diese zu Rot und Weiß geändert. Dies machte sich der Supporters‘ Trust zunutze, um seinen Protest gegen den Verkauf des Clubs auch optisch im Stadion zu untermalen.

Doch beginnen wir wie üblich am Anfang: Die Geschichte des Supporters‘ Trust beginnt im Jahr 1998, als die Fans – damals noch unter den Namen Shareholders United – versuchten, den Verkauf ihres Clubs an Rupert Murdoch zu verhindern. Mit Demonstrationen, Treffen und Flugblättern sensibilisierten sie einen Großteil der Fanszene für das Thema.

Damals wurde die Übernahme noch vom Kartellamt verhindert, aber im Jahr 2005 wurde der Verein dann wirklich verkauft. Am ersten Treffen am 19. Mai 2005 in der Manchester Methodist Hall, aus dem später der FC United hervorgehen sollte, nahmen auch viele Mitglieder des Shareholders United teil – sie sprachen sich jedoch gegen eine Vereins-Neugründung aus: Ih­rer Meinung nach sollte man den Verein von „in­­nen“ heraus ver­­ändern und sich nicht von ihm ab­wenden. Aus diesem Grund setzten die Shareholders United ihre Arbeit auch nach der Übernahme fort und besuchten weiterhin die Spiele von Manchester United. Im Jahr 2006 wurde der Name dann in Manchester United Supporters Trust geändert. Da zu diesem Zeitpunkt bereits viele englische Clubs in Privatbesitz waren, wurden landesweit die sogenannten Supporters Trust gegründet. Kurz gesagt, versuchen diese Trusts Leute zu organisieren, die ihre Clubs nicht als Privat-, sondern als Gemeineigentum sehen wollen. Sie organisieren sich bereits jetzt in dieser angestrebten Vereinsstruktur, nach dem Prinzip „Ein Mitglied – eine Stimme“. Ihr langfristiges Ziel ist es, den Verein wieder selbst zu übernehmen und ein demokratisches Beschlussprinzip einzuführen, in dem Aktionäre wie auch Vereinsmitglieder gleiches Stimmrecht haben. Da die Shareholders United all diese Punkte schon anstrebten, bevor die Supporters Trust aus dem Boden schossen, fiel ihnen die Namensänderung nicht schwer. Der Grund für die Umbenennung war also eher ein symbolischer, um eine vereinsübergreifende Solidarität zu den Trusts zu zeigen. Aktuell hat die Organisation bei Man United 204.025 Mitglieder. Am auffälligsten ist ihr Wirken für Außenstehende wahrscheinlich durch die Unmengen an grün-goldenen Schals, die bei weiten kein Einzelfall mehr im Old Trafford sind. Auch wenn es noch ein sehr langer Weg ist, bleibt doch zu hoffen das Manchester United bald wieder seinen Fans gehört. Aber auch wenn damit gezeigt wurde, dass es durchaus Man-United-Anhänger gibt, die sich zur Wehr setzen, bleibt die Anfangsfrage doch noch offen: Manchester United oder FC United of Manchester?

Manche Fragen benötigen keine Entscheidung!

Durch die erwähnten Ereignisse verfolgte ich ab dem Jahr 2005 Man United zunächst gar nicht mehr. Die Identifikation ging verloren, es entstand aber auch das Gefühl, „dass man sich doch nicht einfach kampflos geschlagen geben kann“. Schließlich bemerkte ich, dass ich beim Fußballschauen in der Stammkneipe um die Ecke doch nicht so einfach emotional objektiv sein kann, wenn Man United spielt. Also begann ich mich zu Informieren. Schnell bemerkte ich, dass sich viele Leute ähnlich fühlten wie ich und sich engagierten. Auch der von mir erwartete Konkurrenzkampf zwischen der „aktiven“ Fanszene von Manchester United und den Anhängern des FC United of Manchester ist in der Realität kaum vorhanden. Im Gegenteil: Man unterstützt sich gegenseitig bei seinen jeweiligen Projekten, und häufig kommt es sogar vor, dass die Spiele beider Vereine besucht werden. Die größere Kluft besteht zwischen Personen, die einfach nur guten Fußball sehen wollen und denen das Vereinsleben egal ist, und den Mitgliedern des FC United, sowie den organisierten Fans von Manchester United. Jede_r ist diesbezüglich natürlich frei in der Entscheidungsfindung, und mit großer Sicherheit gibt es beim FC United, aber auch bei Manchester United Personen, deren Meinung zu dieser Thematik eindeutiger ausfallen. Aber ich fand meine Leidenschaft durch die Aktivitäten der Fans für beide Vereine! Allen Fans eines englischen Vereins, die Ähnliches durchmachen mussten, hoffe ich ein wenig Hoffnung gemacht zu haben. Vielleicht motiviert es euch, auch selbst bei euren eigenen Verein aktiv zu werden – das geht, auch wenn man nicht in England wohnt! Aus diesen Gründen möchte ich diesen Artikel mit einem Dank an meinen Vater beenden, der es auch einmal geschafft hat, mir einen bzw. zwei gute Fußballvereine näher zu bringen. 😉

klaus canzely

Piraterie & Somalia

Wie die Internationale Gemeinschaft Konflikte fördert

 

Der deutsche Bundestag beschloss Ende Mai 2014 die Verlängerung des Mandates der seit 2008 laufenden militärischen EU-Operation „Atalanta“ um ein weiteres Jahr. Zur Legitimation wur­den seitens der Bundesregierung u.a. die Ziele des EU-Engagements her­vorgehoben: neben der Sicherung der Handelswege am Horn von Afrika vor allem die langfristige Stabilisierung, Befriedung und wirtschaftliche Ent­wick­lung von Somalia (1).

Die Internationale Gemeinschaft meint es also eigentlich nur gut. Für die Somalis, und den (auch wirt­schaftlichen) Weltfrieden wird daher kräftig in die Marine investiert. Ver­schwiegen aber werden dabei nicht nur andere mit dem Einsatz einhergehende Interessen, sondern auch die eigene Rolle, die überhaupt erst zur Ent­wicklung von Piraterie in Somalia führte. Noch dazu stellen sich die Ent­scheidungsträger_innen taub, wenn sie hören müssen, dass ihr Engagement vielmehr konfliktverschärfend als stabi­li­sierend auf Somalia wirkt.

 

Ursachen und Entwicklung der Piraterie

 

Die Piraterie am Küstenstreifen Soma­lias begann bereits vor Ende des Kalten Krieges, entwickelte sich aber vor al­lem ab 1991, nachdem das Barre-Re­gime gestürzt war. Während in den 90ern eher vereinzelt Schiffe gekapert wur­den, um Lösegelder zu erpressen, pro­fessionalisierte sich das Geschäft der Piraten ab den 2000er Jahren und hat­te neben 2008 – dem Beginn des mili­tärischen Engagements seitens der Internationalen Gemeinschaft – 2011 sei­nen Höhepunkt mit 214 versuchten Kaperungen (47 davon erfolgreich).

Ausschlaggebend für diese Entwicklung waren vor allem jene internationalen Wirt­­schaftsakteure, die sich jetzt auch für ihre Bekämpfung stark machen: die maritime Fischereiwirtschaft. Die Pi­raterie entwickelte sich nämlich erst, nach­dem große Teile der ohnehin re­la­­tiv armen Küstenbevölkerung ih­ren Lebensunterhalt nicht mehr durch Fischerei sichern konnten und kaum al­ter­native Einkommensquellen besaßen. Der Regime-Sturz be­güns­tigte ein Ordnungs- und Macht­vakuum, welches auch zahlreiche Fisch­fangflotten aus der ganzen Welt nutzten, um die reichen Fisch­bestände der somalischen Gewässer zu befischen, ohne für Fischereilizenzen oder Kom­pensationen zu zahlen (zeitweise bis zu 700 illegale Flotten gleichzeitig). Doch nicht nur das: Zum Teil wurde mit illegalen Fangmethoden gearbeitet, so dass bestimmte Gewässerabschnitte buchstäblich leerge­fischt und der Be­stand nachhaltig de­zi­miert wur­de. Da­rüber hin­aus war­fen die inter­national agie­ren­den Traw­­ler ihren für sie minderwertigen Mit­­fang so billig auf den somalischen Markt, dass auch die ver­blei­benden Fischer die­ser Kon­kurrenz kaum stand­halten konn­ten.

In Folge dessen und in Ermangelung einer kontrollierten (staat­lichen) Li­zenzvergabe begannen einige Fischer wiederum ge­fälschte Lizen­zen auszu­stellen und ei­nige Warlords und andere lokale Führer kas­sierten Be­­stechungsgelder von Traw­lern und stell­­ten im Gegenzug Schutz­truppen, wel­­che die alleinige Nutzung der be­zahl­­ten Gebiete sicherten. Es kam zu ers­ten gewaltvollen Aus­ein­an­der­set­zun­gen auf dem Meer zwischen ille­galen Traw­lern, Schutzgruppen und (ehe­mal­igen) somalischen Fischern so­wie einer bei­der­seitigen Bewaffnung. Zu­neh­mend mehr Fischer gingen nun dazu über, Lösegelder als Kompensation für ver­lo­ren­en Fischfang von den Traw­lern zu erpressen.

Ab dem neuen Jahrtausend profess­io­­nalisierte sich das Pirateriegeschäft zu­nehmend: durch größere Piraten­gruppen (1), vermehrte Nutzung tech­nischer Geräte wie GPS, eine räumliche Ent­fernung vom Küstenstreifen und Operationen mit einem sog. „Mut­ter­schiff“ als Piratenstützpunkt auf hoher See. Auch wurden zunehmend Han­dels­flotten, die auch für die Dauer der Lösegeldforderung in für die Piraten sichere Häfen transportiert wurden, zum Ziel der Ka­perungen.

Seit 2008 und mit dem Beginn der Militäreinsätze der Internationalen Ge­mein­schaft expandierte und eskalierte auch die Piraterie zunehmend: die Dau­er der Verhandlungen stieg von zwei auf bis zu sechs Monate, die Höhe der Lösegeldforderungen stiegen an und es fand eine räumliche Expansion weit in den Indischen Ozean bis hin zu den Seychellen statt. Seit 2012 ist ein Rückgang der versuchten Enterungen zu verzeichnen. Dies liegt sicher sowohl an der militärischen Piratenjagd seitens der Internationalen Gemeinschaft, als auch an der vermehrten Bewaffnung der Crews auf den Handelsflotten selbst. Dennoch ist dieser Rückgang weder ein Zeichen für Stabilisierung noch für die Verbesserung der Situation, sondern lediglich ein Ausdruck erfolgreicher Verdrängung und Verlagerung – welche sich schnell als Boomerang erweisen könnte.

 

Profiteure der Piraterie

 

Die ökonomischen Auswirkungen der somalischen Piraterie für den Welt­handel sind – im Gegensatz zum Eindruck, den man durch die mediale Berichterstattung ge­winnt – vergleichsweise gering. So betrug der Umsatzverlust für den welt­weiten Seehandel 0,1% im Jahr 2010. Für die deutsche Schifffahrt verringerte sich der Branchenumsatz um 2% (ca. 422 Millionen Euro) (2). Allerdings lan­det nur ein Bruchteil davon in den Hän­den der somalischen Piraten, die pro gekaperten Schiff zwischen 1-3 Mio. US-Dollar erbeuten (im Jahr 2008 ka­men so bspw. 30 Millionen US-Dollar zu­sammen). Der Großteil der Gelder fließt vielmehr an Versicherungen und die private Sicherheitsindustrie im Nor­den, die v.a. als Wachschutz und bei Lö­se­geldverhandlungen aktiv wird. An­­walts­kanzleien, Waffenhändler und Teile der somalischen Diaspora zählen ebenso zu den Profiteuren der Piraterie im globalen Norden.

Demgegenüber haben die Piraten-Gelder auch erheblichen Einfluss auf die somalische Wirtschaft. Einer­seits pro­fitieren davon ca. tausend Fa­milien mit ca. 10.000 Angehörigen fi­nanziell. Außer­dem wird der Ge­winn an ein brei­tes Netzwerk und Unterstützerumfeld ver­teilt, da die Pi­raten auf Infrastruktur bzw. sichere Häfen, umfassende Logistik und In­formationen angewiesen sind. An­­dererseits trägt die Piraterie jedoch auch zur Inflation, zur Verteuerung der Lebenserhaltungskosten und zum Ar­beitskraftmangel in der Fische­rei­wirtschaft bei.

In der Bevölkerung selbst ist Piraterie meist als legitime Einkommensquelle akzeptiert und wird zum Teil unterstützt. Allerdings mögen viele die Piratengruppen in ihrer Gegend nicht, da sie mit Waffen- und Men­schenhandel in Verbindung steh­en, Drogen und Alkohol in die Region bringen, zur Inflation und zum Werteverfall beitragen, den regionalen Schiffsverkehr behindern, und auch Schiffe ärmerer Länder und Schiffe des World Food Programme (WFP) der UN kapern. Übrigens gibt es zwischen Islamisten bzw. der Al-Shabaab und den Piraten keine belegte Zusammenarbeit, obgleich immer wieder Vermutungen kursieren, dass es Berührungspunkte gibt, oder in Zukunft geben könnte. Die Akzeptanz vieler Somalis gegenüber der Piraterie ist nicht nur damit begründet, dass ein Teil der Lösegelder auch in die somalische Wirtschaft und Familien fließen. Von vielen Somalis wird die Piraterie auch deshalb als legitim er­achtet, weil sich die Piraten selbst als Schützer des Meeres vor Überfischung und illegaler Fischerei darstellen. Die noch immer illegal agierenden Trawler verschiedenster Nationen werden als „Fisch­piraten“ bezeichnet, welche durch Kaperungen abgeschreckt wer­den sollen. Das erpresste Lösegeld wird als nachträgliche Pachtlizenz oder als Kompensationszahlung für ver­­gangene Fischausbeutung inter­pre­­tiert. Tatsächlich decken sich die jährlichen Einnahmen der Pira­ten ungefähr mit dem Verlust in der eigenen Fischereiwirtschaft. Löse­geld­forderungen bei Handelsflotten werden als legitimer Zoll für die Nutzung der somalischen Handelswege betrachtet. Im Gegenzug garantieren die Piraten eine sicherere Durchquerung der Meeres­passage und keine wei­teren An­griffe durch somalische Pi­ra­tengruppen – auch bei erneuter Durch­­querung in Zukunft.

 

Das Bedrohungsszenario und seine Konsequenzen

 

Diese ökonomischen Ursachen und Ursprünge der Piraterie werden gerne außen vor gelassen in der hie­sigen Debatte, die bspw. die Operation Atalanta rechtfertigen sollen. Statt dessen wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut, um der Bevölkerung und vor allem den entscheidenden Parlamentarier_innen die Notwendigkeit des Einsatzes zu verdeutlichen. So wurde Piraterie auch vom UN-Sicherheitsrat als Bedrohung des internationalen Friedens und als kriegerische Handlung bezeichnet. Sie sei einerseits eine Bedrohung für den freien Handelsverkehr und erzeuge großen volkswirtschaftlichen Schaden. Andererseits werden auch Ver­bindungen zum Terrorismus hergestellt, um die Pira­terie als internationale Bedrohung er­schei­nen zu lassen. Schlussendlich wer­den, v.a. in der deutschen Debatte, be­sonders die Entführungen der Le­bens­mitteltransporte des World Food Programme der UN hervorgehoben, wel­che das Wohlergehen der somalischen Bevölkerung bedrohen.

Als Ursache von Pira­terie gilt in diesen Diskursen meist Staats­zerfall und eine da­raus resultierende Ge­walt- und Kriegs­­öko­nomie. Auf re­gio­­nale Unter­schiede hin­­­­­­­gegen wird kaum ein­ge­gangen, ob­wohl bspw. So­maliland (3) auf­grund ei­gener lokaler Ord­­nungs­strukturen frei von Piraterie ist und Pi­ra­tenstützpunkte und Rück­­zugshäfen v.a. auf Punt­land und Zentral-Somalia konzentriert sind. Denn die Internationale Gemein­schaft unterstützt lieber den Aufbau zen­tral­staatlicher Strukturen mit Ge­waltmonopol nach westlichem Vor­bild.

Durch die Bedrohungs-Argumentation lassen sich weltweit die mi­li­tärischen Mis­si­onen rechtfertigen – ob­gleich sie finanziell nicht im Verhältnis zum wirtschaftlichen Scha­den ste­hen. Insgesamt sind über 20 Staaten militärisch bei Somalia aktiv, größ­tenteils off-shore (2008/2009 wurden 40 Kriegsschiffe gezählt). Neben ein­zelnen Marine-Flotten – bspw. aus China, Indien, Russland, Korea, Japan, Malaysia und dem Iran – gibt es drei multilaterale Militäreinsätze bei Somalia: die Operation Atalanta der EU, Ocean Shield der NATO und die Combined Task Force der USA. Die Piratenjagd auch im staatlichen Hoheitsgewässer Somalias wurde 2008 durch die UN-Resolution 1816 legi­timiert. Weitere Resolutionen folgten und legitimierten sukzessive mehr Kriegsschiffe, die Jagd vom Festland aus, Gefangennahmen und Geleitschutz.

Zudem wird auch fleißig in den Aufbau von zentralstaatlichen Strukturen in­vestiert und die somalische Über­gangsregierung unterstützt, die inner­halb der Bevölkerung wenig Rückhalt genießt und demzufolge nicht durch­setzungsfähig ist. Bspw. werden deren Sicherheitskräfte vom Westen mit aus­gebildet und unterstützt (seit 2010 im Rahmen der EU-Mission EUTM Somalia). Investitionen in zivile Struk­turen, Entwicklungshilfe oder öko­nomische Anreize für die somalische Bevölkerung finden hingegen kaum statt. So sammelte man bspw. auf einer Geberkonferenz 2009 in Brüssel 213 Mio. Euro für Somalia, von denen lediglich 2% in nicht-militärische Aktivitäten investiert wurden (4).

Die Schifffahrtsindustrie selbst fährt mit Unterstützung ihres jeweiligen Her­kunftslandes unterschiedliche Stra­tegien des Selbstschutzes. Sie reichen von defensiven Ansätzen, wie Wachen, Zäune, Schallkanonen usw., über bewaffnete Mannschaften bis hin zur Anwendung offensiver militärischer Gewalt, die gezielte Tötung, Beschuss und Geiselbefreiung einschließt.

 

Das Karussell der vielen Interessen

 

Da das kostenintensive militärische Engagement der Internationalen Ge­mein­schaft bei Somalia in keinem Ver­hältnis zum wirtschaftlichen Scha­den steht und die Bedrohung zwar für die Arbeitnehmer_innen auf den Flotten real ist, jedoch als globales Bedrohungsszenario kons­truiert erscheint, drängt sich die Fra­ge auf, warum dann so viel in diese Militäreinsätze investiert wird. Ein Blick auf die vielfältige und komplexe Interessenlage der maritimen Wirt­schaft, staatlicher Agenturen und mili­tärischer Akteure, gibt darüber Aufschluss.

Zum einen werden natürlich öko­nomische Interessen verfolgt, wie die freie Nutzung der eigenen Han­delswege, der Schutz eigener Fisch­fangflotten und die Verringerung der Kosten, die durch gekaperte Schiffe, zeitliche Verzögerungen oder maritime Umwege entstehen. Bemerkenswert ist zudem, dass viele an der Piratenjagd beteiligte Länder noch immer eigene, auch illegale Trawler in der Region fischen lassen.

Zum zweiten scheint die Beteiligung vieler Länder von geo­stra­­tegischen bzw. geo­po­litischen Interessen mo­ti­viert zu sein. Der Politikwissenschaftlerin Birgit Mahnkopf zufolge ist der Indische Ozean die „Hauptbühne des globalen Wettbewerbs im 21. Jh.“, und die Kontrolle darüber bedeutet Einfluss und Herrschaft (5). Eine der wichtigsten Handelswaren ist dabei das Rohöl. Geopolitisch scheint es vor allem eine Rivalität zwischen der EU und den aufstrebenden asiatischen Nationen wie China und Indien zu geben. Sie werden mitunter als Bedrohung für westliche Interessen gesehen, weil sie militärisch aufrüsten, einen großen Ressourcenbedarf haben und demzufolge Konkurrenten sind. Darüber hinaus stellen sie den „freien Märkten“ das Modell des „staatszentrierten Kapitalismus“ gegen­über und investieren – vor allem China – viel in afrikanische Länder, bspw. in Entwicklungshilfe, Infrastruktur, Roh­stoffe, Handel und Technik. Durch militärische Präsenz kön­nen alle Beteiligten ihre Einflusszone aus­weiten. Des Weiteren ist der Einfluss auf die somalische Politik von geo­strategischem Nutzen – sei es beim Wett­lauf um Res­sour­cenvorkommen in Afrika oder beim Kampf gegen globalen Terrorismus oder bei der erwünschten Kontrolle im Indischen Ozean.

Zugleich ist der Einsatz am Horn von Afrika auch eine De­monstr­ation mi­li­tä­rischer Macht und welt­­politischer Hand­lungs­fäh­igkeit. Beispiels­weise kann sich die EU mit der Operation Atalanta als auß­enpolitisch ein­fluss­reicher und handlungsfähiger Akteur profilieren, und auch die NATO hat hier ein neues maritimes Aufgabenfeld. Ebenso können die Länder hier ihre militärischen Kapazitäten testen: Die Marine kann ihre Nützlichkeit demons­trieren, Aufrüstung forcieren und mi­li­tärische Fähigkeiten erproben, ohne sich dabei großen Gefahren auszusetzen. Beispielsweise hat Japan im Zuge des Einsatzes seine erste Militärbasis in Dschibuti etabliert und China seine Marinekapazitäten ausgebaut. Das gemeinsame militärische Engagement ist darüber hinaus eine Chance, internationale Beziehungen und Kooperationen neu zu gestalten, bspw. zwischen China und den USA, die durch ihre gemeinsame Mission eine neue Verhandlungsbasis haben, und eröffnet auch perspektivisch die Möglichkeit, Seerechtsregelungen neu zu gestalten.

Dagegen haben die somalischen Piraten und die sie unterstützende Bevölkerung keine militärisch oder geostrategisch inspirierten Interessen. Primär verfolgen sie ökonomische Interessen, was auch die Wahrung der Fischbestände einschließt. In politischer Hinsicht fordern sie, dass illegale Fischerei auch international geahndet wird und eine finanzielle Kompensationen stattfindet. Übrigens auch dafür, dass europäische Staaten seit den 80ern ihren Giftmüll vor der somalischen Küste verklappten, was ca. 300 Somaliern das Leben kostete und Krankheiten und Fischsterben her­vor­brachte. Die EU wei­gert sich bisher, Scha­densersatz zu leis­ten und den Müll fachgerecht zu ent­sorgen, ob­gleich das See­­rechtsabkommen nicht nur Piraterie, son­dern auch ille­gale Fischerei und Müllverklappung ver­bietet. Auch die Anerkennung von loka­len Ordnungsstrukturen und Au­to­nomie bspw. in Somaliland oder Puntland liegt im Interesse der lokalen Autoritäten – bei den Piraten lässt sich mutmaßen, dass Piraterie auch ein Mittel ist, um die Clan-Souveränität über bestimmte Gewässerabschnitte ge­genüber der Internationalen Ge­mein­schaft zu demonstrieren.

 

Antipirateriemission als Konfliktverschärfer

 

Soweit so schlecht. Doch die Bilanz wird noch düsterer, wenn man sich die konfliktverschärfenden Folgen des militärischen Engagements anschaut: Zwar gibt es einen Rückgang der erfolgreichen Piratenangriffe seit 2011 und der generellen Attacken seit 2012, allerdings ist dies kein Beleg für eine Stabilisierung der Region – vor allem nicht, wenn sich Gewalt nur verlagert. So führt der Wissenschaftler David Kersting aus, dass eine Verlagerung des maritimen Aktionsraumes statt­fand, bis hin zu den Seychellen, sowie ein Ausweichen auf kleinere Küs­tenstandorte als Rückzugsraum. Eben­so wird eine Verlagerung der Kri­minalität der Piraten hin zu anderen Geschäftsfeldern wie Kidnapping und Diebstahl festgestellt. Gleichzeitig führ­te das militärische Engagement auch zu Eskalationen in mehrfacher Hin­sicht: Die geforderten Lösegelder sind heute wesentlich höher, die Ver­hand­lungsdauer ist um mehrere Mo­nate gestiegen, ebenso hat die Ge­walt­bereitschaft der Piraten im Zuge zu­nehmender beiderseitiger Be­waff­nung deutlich zugenommen. Bei­spielsweise gab es über 3.000 ent­führte Seefahrer zwischen 2008 – 2011, seit 2008 mindestens 61 tote See­fah­rer und allein 2011 mindestens 111 tote Piraten. Insgesamt scheint also das bewaffnete Engagement der In­ternationalen Gemeinschaft die Ver­la­­gerung, aber auch Eskalationen im Ab­­lauf der Kaperungen zu fördern. Kon­­fliktverschärfend kommt neben der gestiegenen Gewaltbereitschaft hin­zu, dass viele der an der Piratenjagd be­­teiligten Staaten zeitgleich illegale Fisch­fangflotten vor Ort belassen oder – wie Kenia und der Jemen – noch offene Grenz­konflikte mit Somalia haben. Das beför­dert nicht nur das generelle Miss­trauen in der Bevölkerung jedweder aus­ländischer Intervention gegenüber, son­dern auch ihre Solidarität und Unterstützung gegenüber den Piraten.

Eine nachhaltige Stabilisierung und Be­friedung Somalias durch das internationale Engagement kann hin­gegen nicht festgestellt werden. Sie ist an­gesichts der genannten Interessen auch nicht zu erwarten, da diese den Be­darfen und Interessen der somalischen Bevölkerung zuwiderlaufen: Denn zum ersten versucht die Internationale Ge­meinschaft – geostrategisch motiviert – den Zentralstaat aufzubauen, statt lo­­kale Ordnungsstrukturen, die Clan-basiert in verschiedenen Teilen So­ma­lias bestehen, zu respektieren, ein­­zubeziehen und zu stärken. Zum zwei­ten finden kaum Investitionen in die zivile Bevölkerung und alternative Er­werbseinkommen bzw. zum Aufbau öko­nomischer Strukturen statt. Das aber entspräche den eigentlichen Be­darfen der Bevölkerung und könn­te darüber hinaus auch der Pira­te­rie den Legitimationsboden ent­zie­hen. Zum dritten zeigt die In­ter­nationale Gemeinschaft keine Be­­reitschaft, Verantwortung für die prak­­tizierte illegale Fischerei und Gift­müll­verklappung zu übernehmen, sprich Kom­pensationszahlungen zu täti­gen und eigene illegale Trawler zu ahnden. Hier stehen die ökonomischen In­te­ressen der Internationalen Ge­mein­schaft im Widerspruch zu öko­no­mischen und politischen Interes­sen der So­malier, sprich die Clan-Souveränität gegenüber den eigenen Fisch­gründen und Meeresterritorium zu respektieren. Zum vierten wird Piraterie noch mit Terrorismus verknüpft, was wie­de­rum zur Zerstörung von lokalen Strukturen beiträgt, die auch Piraterie be­kämpfen, und die Etablierung ei­ner etwaigen Ordnung langfristig ver­­hindert. Zum fünften stehen die geostrategischen Interessen im In­dischen Ozean der Beendigung des Mi­li­täreinsatzes generell entgegen, da das aufgebaute Bedrohungsszenario ja allen nützlich ist, um geopolitische Spiel­regeln zu definieren und mili­tä­rische Kooperationen zu erproben. Allen, außer den Somaliern selbst. Es drängt sich der Eindruck auf, dass ihr Terri­torium von der Internationalen Gemeinschaft als Spiel­wiese genutzt wird – legitimiert mit dem Argument, es ginge um die nachhaltige Ver­besserung und Sta­bi­li­sierung der Ver­hält­nisse in Somalia. Zurück bleibt ein zer­trampeltes Feld – mitnichten aber ein Boden auf dem Gras stabil und nachhaltig drüberwachsen könnte.

 

momo

 

(1) http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2014/04/2014-04-30-mandat-atalanta.html

(2) Neben den sog. Subsistenzpiraten, die aus ehemaligen Fischern und Familienangehörigen bestehen, gibt es fünf große Piratengruppen, die mit Ausnahme der Somali Marines anhand von Clan-Strukturen organisiert sind und – in friedlicher Koexistenz zueinander – in verschiedenen Gebieten operieren. Die Somali Marines sind mit 1.500 organisierten Menschen die größte Piratengruppe in Somalia.

(3) Somaliland ist eine Region im Norden Somalias mit eigenen autonomen Ordnungsstrukturen. Sie wird als de-facto-Regime bezeichnet, da sie als unabhängiger Staat vom Großteil der anderen Staaten nicht anerkannt wird.

(4) David Kersting 2013: Piraterie vor der Küste Somalias: Eine kritische Perspektive auf das Horn von Afrika als geopolitische Arena; In: Elliesie, Hatem (Hg.): Multidisziplinary Views on the Horn of Afrika; Studien zum Horn von Afrika Band II, Köln, S. 1-34

(5) Birgit Mahnkopf 2010: Piratenhatz am Horn von Afrika. Zur politischen Ökonomie eines Piratenkonflikts und seiner geopolitischen Bedeutung; IPG 1/2010; S.58-81

 

weitere Literatur:

* Marchal, Roland 2011: Somali Piracy: The Local Contexts of an International Obsession. Humanity: An International Journal of Human Rights, Humanitarianism, and Development Volume 2, Number 1: 31-50.

* Mari, Francisco; Heinrich, Wolfgang 2009: Von Fischen, Fischern und Piraten; In: Wissenschaft und Frieden 2009-2: Ressourcen, Ausbeutung, Krieg, Elend

* Matthies, Volker (2010): „Piraten vor Somalias Küsten: Kanonenbootdiplomatie oder Friedenspolitik?“.  In Luedtke, Ralph-M. & Peter Strutynski (Hg.): Kapitalismus, Krise und Krieg: Den Kreislauf durchbrechen. Kassel, S. 68-85.

„War Starts Here“-Camp 2014

Zum 3. Mal fand dieses Jahr vom 17. bis zum 24. August das „War Starts Here“-Camp in Niedersachsen statt. Das Bündnis „Gewaltfreie Aktion GÜZ“ protestierte mit kreativen Aktionen, Diskussionen und Workshops gegen das Gefechtsübungszentrum Altmark. Auf dem von der Firma Rheinmetall betriebenen und vom Bund angemieteten Gebiet soll bis zum Ende des Jahrzehnts die Phantomstadt Schnöggersburg entstehen. In dieser sollen deutsche Truppen bald 265 Tage im Jahr die Möglichkeit haben, mit Laserwaffen Kampfsituationen zu simulieren, wie sie in Auslandseinsätzen vorkommen könnten. In Vorbereitung auf die Proteste waren mehrere hundert AktivistInnen, darunter auch mehrere aus verschiedenen Ländern wie der Ukraine und Ungarn angereist. Ihnen gegenüber stellten sich 500 Polizisten, Mitglieder der Bundespolizei und die dort stationierten Soldaten, die breite Gebiete und Straßenteile für die Zeit des Camps gesperrt hatten.
Am 23. August gelang es den Antimilitarist_innen erfolgreich, in das nicht-eingezäunte Truppenübungsgebiet einzudringen, bevor sie von der Polizei des Platzes verwiesen wurden.
Um noch mehr Aufmerksamkeit auf die Proteste und die Thematik zu ziehen, wurde in mehreren naheliegenden Orten Mahnwachen abgehalten. Zu gewalttätigen Ausschreitungen kam es nicht.

Militarisierte Landschaften

Vorschlag zur aktivistischen Psychogeografie

In Deutschland wie auch global nehmen die Proteste gegen Militärbasen wieder zu. Zum dritten Mal fand im August 2014 ein Aktionscamp gegen das Gefechtsübungszentrum des Heeres (GÜZ) in der Colbitz-Letzlinger Heide statt, zuvor protestierten Tausende auf Sizilien gegen die Satellitenanlage MUOS der US-Army. Zum Globalen Aktionstag gegen die Nutzung von Drohnen für Krieg und Überwachung am 4. Oktober 2014 sind alleine in Deutschland Aktionen und Kundgebungen an mindestens sieben Militärstandorten und Forschungseinrichtungen angekündigt. Doch auch jenseits von Bündnissen und Aktionstagen bieten sich Ausflüge zu solchen Liegenschaften an, um aktuelle und vergangene Formen der Kriegführung subjektiv erfahrbar zu machen. An diesen verknüpfen sich zudem lokale, soziale Auseinandersetzungen mit der großen, oft nur abstrakt kritisierbaren Geopolitik – so zumindest ein im Entstehen begriffener wissenschaftlicher Ansatz.

Vernetzte Kriegführung

Zugespitzt ist jeder Mobilfunkmast Teil jener Infrastruktur, mit der Profile erstellt werden, die letztlich zur „gezielten Tötung” von Menschen in Pakistan oder Somalia führen. Solche Bewegungsprofile werden in den USA und im Umfeld des US-Oberkommandos für Afrika (AfriCom) bei Stuttgart mit öffentlichen und geheimdienstlichen Daten abgeglichen, und letztlich fällt hier, irgendwo in Deutschland, die Entscheidung über den Waffeneinsatz einer zuvor bereits in Djibouti gestarteten, bewaffneten Aufklärungsdrohne.

Noch bevor dies auch durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekannt gemacht wurde, begann eine internationale, gerade in Deutschland sehr sichtbare Kampagne mit dem Namen „War starts here“ – Krieg beginnt hier. Ein rosafarbenes Kreuz an Rüstungsbetrieben, anderen Institutionen und Unternehmen, die mit der Bundeswehr zusammenarbeiten, wurde zu ihrem Symbol. Doch auch Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge und Sprühereien gegen die Post-Tochter DHL, nachdem sich diese um die Privatisierung der Basislogistik der Bundeswehr beworben hatte, bezogen sich auf die Kampagne. Mittlerweile zum dritten Mal fand diesen Sommer unter dem Titel „War starts here“ ein Protestcamp in der Nähe des Gefechtsübungszentrum in der Colbitz-Letzlinger Heide statt, wo alle Soldaten des Heeres trainieren, bevor sie im Ausland, wie etwa in Afghanistan eingesetzt werden. Im Gegensatz zu der Demonstration zum zehnten Jahrestag des Beginns des Afghanistankrieges im Dezember 2011 in Bonn, die von den meisten Teilnehmenden als klein und frustrierend wahrgenommen wurde, entwickelte das Camp mit dem expliziten Ziel, den Übungsbetrieb und damit die Kriegsvorbereitungen zu stören, eine starke Dynamik. Auch an verschiedenen Universitäten, dem Flughafen Halle/Leipzig, dem AfriCom bei Stuttgart und den Luftlagezentren Kalkar und Uedem am Niederrhein wachsen die Widerstände gegen konkrete Orte der Kriegsvorbereitung und -führung.

Geopolitik und soziale Auseinandersetzungen

Die politische Wissenschaft hat die Militarisierung der internationalen Beziehungen lange ganz im Sinne herrschender Ideologieproduktion negiert oder humanitär zu begründen versucht. In jüngster Zeit sind allerdings Publikationen erschienen und ist ein Ansatz am Entstehen, der die genannten Entwicklungen der Lokalisierung nicht nur wahrnimmt, sondern auch in Teilen zu erklären und fundieren vermag. Das Charmante und womöglich wirklich Produktive besteht dabei darin, dass Geopolitik mit unmittelbaren sozialen Kämpfen in Zusammenhang gesetzt wird – und den letzteren, zumindest bezogen auf Militärbasen, einen deutlich größeren Stellenwert eingeräumt wird, als man angesichts einer überwältigenden, unaufhaltsam scheinenden Kriegsmaschinerie annehmen mag.

So hat Amy Austin Holmes (1), deren Arbeit u.a. von Beverly Silver (2) betreut wurde, den Widerstand gegen US-Militärbasen in Deutschland und der Türkei seit 1945 untersucht. Im Gegensatz zu früheren Imperien, die hierfür besetzte Gebiete und Protektorate nutzten, baue das US-amerikanische auf ein weitläufiges Netzwerk von Basen in (je nach Zählweise bis zu 170) – zumindest formal – souveränen Staaten. Statt militärischer Niederlage und Zwang sind internationale Verträge Grundlage der Stationierungen, die sich wiederum auf einen Diskurs stützen, wonach diese Staaten von den Stützpunkten profitieren, indem sie dadurch unter einen Schutzschirm der Militärmacht USA genommen und vor Invasionen und inneren Umstürzen geschützt werden. Wenn jedoch die gesellschaftlich wahrgenommene Bedrohung abnimmt oder ganz verschwindet, treten plötzlich die negativen Folgen der Stützpunkte für Umwelt, Umfeld, Wohnungs- und Arbeitsmarkt deutlicher zutage und Protest formiert sich. Dieser habe sowohl in der Türkei wie auch in Deutschland vier verschiedene Formen angenommen: (a) parlamentarische, indem kleinere Oppositionsparteien den Abzug forderten; (b) gewaltfreie, etwa durch Blockaden von Stützpunkten durch Anwohner_innen oder spontane Proteste nach Zwischenfällen; (c) militante, in Form von Anschlägen auf Personal und Einrichtungen der US-Streitkräfte und (d) Arbeitskämpfe durch zivile Angestellte im Umfeld der Basen. Besonders die gewaltfreien Proteste und Arbeitskämpfe hätten nach Holmes durchaus geopolitische Wirkung entfaltet.

Die US-Militärplaner_innen können nach Holmes die Natur und Ursache dieser Widerstände nicht wahrnehmen und verstehen – ihr auf militärische Feinde fokussierender, an globalen Strategien orientierter Blick lässt das offenbar nicht zu. Deshalb bestünden auch kaum Lösungsstrategien und mittelfristig sei zu beobachten, dass sie sich dem Protest fügen, in andere Regionen abwandern. Die angekündigte Verschiebung des Schwerpunkts US-amerikanischer Truppenstationierung von Europa nach Asien (wo die Bedrohung durch China und Nordkorea gesellschaftlich stärker wahrgenommen wird, als diejenige durch Russland in Europa) mag hierfür ebenso ein Indiz sein wie der Rückgriff auf kleinere, nur sporadisch genutzte – häufig als private Unternehmen getarnte – Basen in Regionen mit jüngerer Kolonialgeschichte, in Lateinamerika und Asien. Die Struktur der US-Militärpräsenz in Afrika scheint dem durchaus zu entsprechen: Führungsstrukturen und Einsatzkräfte sind dauerhaft in Süddeutschland und den USA stationiert (wo gegenwärtig ebenfalls der Protest insbesondere gegen die Drohnenkriegführung wächst) und führen regelmäßig in ausgewählten afrikanischen Staaten gemeinsame „Übungen“ und Einsätze durch. Dafür nutzen sie Flughäfen „ziviler“ Subunternehmen der US-Army oder geheime Stützpunkte des CIA. Was Holmes leider nicht explizit einbezieht, in Deutschland aber ein wachsendes Problem darstellt, sind die Mobilisierungen rechter Gruppen gegen US-Basen mit dem Argument, Deutschland müsse vom Besatzungsstatus wieder zur vollständigen Souveränität, womöglich sogar in den Grenzen vor 1945/1989, zurückfinden.

Militärische Landschaften

Parallel dazu entsteht in den geographischen Wissenschaften gegenwärtig ein Ansatz zu militärischen/militarisierten Landschaften. Dieser nimmt die Rolle des Militärischen für die Konfiguration des Raumes in den Blick, von Erinnerungsstätten und Soldat_innengräbern über einzelne Rüstungsbetriebe und Militärbasen und deren Auswirkungen aufs städtische und ländliche Umfeld bis hin zur weitläufigen Anordnung solcher Stützpunkte. Das Interessante an diesem Ansatz ist nicht nur, dass etwa Rachel Woodward, eine der Protagonistinnen eines entsprechenden Forschungsprogrammes, lange (und bezeichnenderweise) fehlende wissenschaftliche Definitionen für Begriffe wie „Militär“ und „Militarisierung“ entwickelt und anbietet (3), sondern dass sich als Methode die militante, also eingreifende Untersuchung geradezu aufdrängt. So ist bereits das Benennen der militärischen Funktion eines Stützpunktes, eines privaten Unternehmens oder einer öffentlichen Institution ein Akt mit Folgen für diese Einrichtungen und ihre Legitimität. Eine wissenschaftliche, als Hobby oder Aktivismus durchgeführte Untersuchung solcher Orte durchbricht per se die Aura der Geheimhaltung, das von den Betreiber_innen beanspruchte Deutungsmonopol und das rechtlich wie praktisch nicht durchsetzbare, auf Schildern aber häufig proklamierte Betretungs- und Fotografieverbot. Die Befragung der Anwohnenden über Auswirkungen, persönliche Gefährdung durch und Wissen über die globale Funktion der Einrichtungen wirft bei diesen womöglich ganz neue Fragen auf. Vor allem aber stellen solche Untersuchungen eine Form der intellektuellen Selbstverteidigung gegen die naturgemäß starke Verzerrung der Wahrnehmung gegenwärtiger Kriegführung dar.

Vorschlag zur aktivistischen Psychogeografie

Statt in der Freizeit an den See zu fahren oder fernzusehen, wird hier also der Vorschlag gemacht, Ausflüge an konkrete Orte der Kriegführung zu machen. Der nächste Truppenübungsplatz, der nächste Rüstungsbetrieb oder die nächste Fakultät, an der Kriegsforschung betrieben wird, ist von den meisten Punkten in Deutschland mit Fahrrädern oder dem öffentlichen Nahverkehr zu erreichen. Kennzeichen und Typen der Autos auf Firmenparkplätzen, die Aushänge in Universitätsfluren und die Anordnung von Basen im städtischen oder ländlichen Raum lassen Krieg und seine kapillaren Ausformungen neu erfahrbar werden. Wer im Freundeskreis und der Nachbarschaft dann von diesen Ausflügen erzählt, macht oft die Erfahrung, dass viel weiteres verstreutes Wissen über militärische Einrichtungen existiert und plötzlich zutage tritt: Es gibt Informationen über jenen Bunker im Wald und die Aktivitäten bestimmter Firmen. Fast schon lückenlos wird die mentale Karte militarisierter Landschaft, wenn die historische Komponente einbezogen wird: Verwaltungsgebäude und Wohnprojekte sind ehemalige Kasernen, in Kirchen und an öffentlichen Plätzen finden sich Gefallenendenkmäler mit sehr unterschiedlichen Inschriften aus unterschiedlichen Zeiten.

Letztlich lassen sich die meisten Städte dechiffrieren – wie das schon 2005 eine Arbeitsgruppe des ASTA der Uni Kassel versuchte (4) – von den Resten der Stadtmauer und anderen Festungsanlagen über die Bauten, die nach dem zweiten Weltkrieg auf den Trümmern bombardierter Fabriken entstanden, die Bunker aus der Zeit des „Kalten Krieges“ bis hin zu Forschungszentren, Zulieferbetrieben und Flughäfen am Stadtrand als „gebauter Krieg“. Einige aktuelle Tendenzen der Kriegführung werden unmittelbar erfahrbar. Darunter die sogenannte Zivil-Militärische Zusammenarbeit und die weit gediehene Privatisierung: Zahllose zivile Baufirmen sind auf den Stützpunkten aktiv und sichtbar, die IT wird von privaten Firmen gewartet. Manche Stützpunkte, an deren weitläufigem Zaun im Wald noch vor „Schusswaffengebrauch“ gewarnt wird, stellen sich am Haupteingang lediglich als Sitz einer GmbH dar. Aktuelle und neue Stützpunkte offenbaren darüber hinaus häufig die herausragende Bedeutung der sogenannten C3I: Kommando, Kontrolle, Kommunikation und Aufklärung (5), die eine wesentlich verteiltere/vernetztere Struktur der Streitkräfte ermöglichen. Neben diesen vermeintlichen Revolutions in Military Affairs (RMA) (6), welche die Beschleunigung von Aufklärung und Kommunikation als entscheidenden zu erringenden Vorteil gegenüber den Gegnern erachten, zeigen sich aber auch geradezu banale, scheinbar zeitlose Erscheinungen, wie die anhaltende Bedeutung und Nutzung des Waldes als Barriere und Sichtschutz gerade für sensiblere Bereiche von Standorten.

Der Wald, der vielleicht sonst eher Ruhe und Natürlichkeit vermittelt, kann plötzlich bedrohlich wirken, wenn ein Pickup-Truck mit bewaffneten Jägern (oder Spezialkräften in Zivil?) plötzlich neben einem auftaucht, während man ein Gelände inspiziert und sich an die Worte eines Wachsoldaten erinnert, der warnte: „es ist im engeren Sinne nicht rechtlich verboten, das Gelände zu betreten, aber sie könnten erschossen werden“. Dann fährt plötzlich eine Familie beim Fahrradausflug gut gelaunt den ausgeschilderten Radweg entlang und alles wirkt wieder ganz harmlos.

Neben Erkenntnissen locken also auch kleine Abenteuer, harmloser als eine Fernsehdokumentation, aber unmittelbar, ungefiltert und subjektiv. Natürlich, und das sollte hier ausdrücklich gesagt werden, droht auch die Paranoia. Wie bei anderen Karten auch ist das Militärische nur eine Folie von vielen, die die Wahrnehmung des Raumes strukturieren können, und darüber sollte man sich im Austausch mit anderen immer wieder verständigen. Oder einfach mal wieder eine Fahrradtour an den See machen.

maria

(1) Amy Austin Holmes: „Social Unrest and American Military Bases in Turkey and Germany since 1945“, Cambridge University Press 2014.

(2) Beverly Silver vertritt in ihrem vielbeachteten Buch „Forces of Labour“ (Kräfte der Arbeit) die operaistische Auffassung, dass das Kapital nicht immer bessere Ausbeutungsbedingungen sucht und schafft, sondern von Arbeitskämpfen um den Globus getrieben wird. In Anlehnung könnte man Holmes zugespitzt so interpretieren, dass die Streitkräfte der US-Army von Protesten über den Globus getrieben werden.

(3) Rachel Woodward: „Military landscapes – Agendas and approaches for future research“, in: Progress in Human Geography 2014, Vol. 38(1) 40–61.

(4) Lola Meyer: „Die Suche nach dem Krieg in Architektur und Städtebau am Beispiel Kassels“, Universität Kassel 2006.

(5) C3I (Control Command Communication Intelligence) ist eine militärische Abkürzung, die die verschiedenen Ebenen bezeichnet, mit deren Hilfe das Militär Aktionen plant und durchführt.

(6) Revolution in Military Affairs (dt. Revolution der militärischen Angelegenheiten) ist eine These aus der amerikanischen Militärwissenschaft, die besagt, dass sich die Art der Kriegsführung aufgrund von neuen Strategien,Taktiken oder Technologien (z.B. Drohnen) ändert.

Der lange Sommer der Autonomie (Teil 6)

Operaismus für Anfänger_innen

 

Im „Heißen Herbst“ von 1969 schien Italien kurz vor einer Revolution zu stehen. Eine Welle von wilden Streiks, deren Epizentrum die Fabriken des Autokonzerns FIAT in Turin waren, erschütterte die herrschende Ordnung. Dies habe ich im vorletzten Teil dieser Artikelreihe beschrieben. Im letzten Heft habe ich mich dann vor allem mit der feministischen Gruppe Lotta Femminista beschäftigt. Indem sie auch die „revolutionären“ linksradikalen Großorganisationen – wie z.B. Potere Operaio und Lotta Continua – einer systematischen Kritik aussetzten, spielten gerade die Feministinnen eine wichtige Vorreiterrolle bei der Entstehung der neuen neuen autonomen Bewegung der 1970er Jahre.

Mit eben dieser neuen Bewegung, der „Autonomia“, die 1977 erneut eine politische Krise von ungeahnten Ausmaßen hervorrufen sollte, werde ich mich nun im letzten Teil dieser Reihe befassen. Genauer gesagt, soll hier gezeigt werden, wie die operaistischen Theoretiker_innen versuchten, diesen neuen Zyklus von sozialen Kämpfen zu erfassen und verständlich zu machen. Einen ersten Eindruck davon, wie schwierig das war, mag diese Äußerung des operaistischen Historikers Sergio Bologna geben: „Die 1977er Bewegung […] war eine neue und interessante Bewegung, da sie erstens nicht wirklich Wurzeln in vorhergehenden Bewegungen hatte, oder falls sie sie hatte, auf eine vielschichtige Art und Weise. Sie hatten eindeutig eine andere soziale Basis, die sich von jener der Bewegungen von 1968 und 1973 unterschied. Ihre soziale Zusammensetzung basierte auf einer Jugend, die mit den politischen Eliten, inklusive den Eliten von 1968, also auch mit den Gruppen wie Lotta Continua und selbst der Autonomia Organizzata gebrochen hatte oder sie zurückwies. […] Sie brach völlig mit der Vision des Kommunismus, während letztlich auch der Operaismus von sich dachte, er sei der Vertreter des ‘wahren Kommunismus’. Die 77er Bewegung wollte absolut nicht der ‘echte Kommunismus’ sein.“ (1)

Die neue Bewegung bewegte sich also einerseits in den Fluchtlinien der Klassenkämpfe von 1969, aber zugleich taten sich neue Konfliktfelder auf und neue Akteure traten auf den Plan – die feministische Bewegung habe ich bereits erwähnt, hinzu kamen Jugendliche, Arbeitslose und prekär Beschäftigte, Hausbesetzer_innen usw. Auf die Frage, wie sich diese vielfältige Bewegung begrifflich erfassen ließe, fanden die operaistischen Theoretiker_innen recht unterschiedliche Antworten, wobei ich hier beispielhaft zwei davon behandeln will: den bereits erwähnten Sergio Bologna sowie Antonio Negri.

Beide teilten eine lange gemeinsame Geschichte (beide waren bei der Organisation Potere Operaio aktiv gewesen, Negri hatte dort zeitweilig den Posten des Generalsekretärs inne), entwickelten sich aber von da aus in sehr unterschiedliche Richtungen – polemisch gesagt, vertrat Bologna den „rationalen“ Flügel der operaistischen Bewegung, während Negri eher den „irrationalen“ verkörperte. Nach der Auflösung von Potere Operaio 1973 begründete Sergio Bologna die Zeitschrift Primo Maggio („Erster Mai“) mit. Im Folgenden beziehe ich mich vor allem auf seinen Text „Der Stamm der Maulwürfe“ (2), der im Frühjahr 1977 in Primo Maggio veröffentlicht wurde. Im Anschluss daran werde ich mich dann Negris Geschichtsphilosophie und dem von ihm entdeckten neuen Klassensubjekt des „gesellschaftlichen Arbeiters“ widmen.

 

Bezahlt wird nicht!

 

Das italienische Kapital und der Staatsapparat sahen sich durch die Klassenkämpfe von 1969 bis 1973 unter Druck gesetzt. Während die sozialen Kämpfe „von unten“ weitergingen, versuchte man „von oben“ demgegenüber das System neu zu strukturieren und die allgemeine „Krise“ zu lösen. Soweit es die Politik betraf, liefen diese Versuche auf eine Neuordnung des Parteiensystems hinaus vor allem auf eine stetige Annäherung zwischen der PCI (der kommunistischen Partei) und der christdemokratischen Regierungspartei DC, die bis dahin alles getan hatte, um die Kommunisten von der Macht fernzuhalten. Vor allem der DC-Politiker Aldo Moro bemühte sich, diesen „historischen Kompromiss“ zustande zu bringen.

In ökonomischer Hinsicht machten sich ab 1974 die Folgen der sogenannten „Ölkrise“ auch in Italien bemerkbar. Das Kapital nutzte die Krisensituation in seiner Weise – so bot die Inflation eine Möglichkeit, über Preissteigerungen die von den Arbeiter_innen erkämpften Lohnzuwächse abzufangen (in manchen Industriezweigen hatten zuvor die Belegschaften mit ihren Streiks Lohnerhöhungen von 25% pro Jahr durchsetzen können). Zugleich betrieb die christdemokratische Regierung eine rigide Austeritätspolitik und erhöhte u.a. die Gebühren für Strom, Wasser und Telefongebühren.

Dies führte – zusammen mit den allgemein steigenden Lebenshaltungskosten – zu neuen Unruhen, einer landesweiten Bewegung, die sich neuer Aktionsformen bediente. Den Anfang machten dabei die Arbeiter_innen der FIAT-Werke in Turin. Nachdem zwei lokale Busgesellschaften beschlossen hatten, die Fahrpreise um 20 bzw. 50% zu erhöhen, kam es zum Protest, der auch von den Gewerkschaften unterstützt wurde. Die Zahlung der neuen Preise wurde kollektiv verweigert, stattdessen fuhr in jedem Bus ein Gewerkschaftsmitglied mit und kassierte von den Arbeiter_innen (gegen Quittung) die alten Fahrpreise ein – dieses Geld wurde dann gesammelt an die Busgesellschaften überwiesen. Nachdem sich auch die FIAT-Konzernleitung einschaltete und Druck ausübte, kehrten die Busgesellschaften zu den alten Preisen zurück (4).

Indem sie so auf das Mittel der „direkten Aktion“ setzten, zeigten die Gewerkschaften auch, dass sie aus den Erfahrungen des „Heißen Herbstes“ gelernt hatten. Der Protest in Turin erwies sich jedenfalls als beispielgebend: Ähnliche Praktiken der „eigenmächtigen Herabsetzung“ (autoriduzione) fand bald in vielen, vor allem norditalienischen Städten massenhafte Anwendung. Nicht nur wurden in Städten wie Rom, Mailand und Neapel tausende Häuser besetzt. Zugleich entwickelte sich eine breite Bewegung der Mieter_innen, welche die überhöhten Mieten zurückwiesen und eigenmächtig reduzierten.

Auch als Mittel, um sich gegen die Erhöhung der Strom- und Telefongebühren zu wehren, war die „eigenmächtige Herabsetzung“ sehr beliebt. In Rom wurden diese Kämpfe von Aktivisten der autonomen Szene unterstützt, von denen relativ viele bei den städtischen Elektrizitätswerken beschäftigt waren – wenn wegen der Zahlungsverweigerung irgendwo der Strom abgestellt worden war, kamen sie vorbei und setzten die Stromversorgung wieder in Gang. In denselben Zusammenhang gehörten auch der „proletarische Einkauf“, wie er im Oktober 1974 in Mailand erstmals praktiziert wurde, wo eine Gruppe von wütenden Hausfrauen einen Supermarkt stürmte und die Herausgabe von Waren zu reduzierten Preisen erzwang.

 

Die Rolle der kleinen Fabriken

 

Die wirtschaftliche Krise trug aber noch in anderer Weise dazu bei, dass sich das Terrain der Kämpfe verlagerte. So wurden einerseits eine ganze Reihe von Fabriken geschlossen oder zeitweise stillgelegt. Zugleich schossen Unmengen an kleinen „Klitschen“-Betrieben aus dem Boden. Das Textilunternehmen Benetton war dabei besonders innovativ, indem er gleich seine gesamte Produktion an solche formell unabhängige Kleinunternehmen übertrug – wobei freilich der „Mutterkonzern“ nach wie vor eine sehr direkte Kontrolle z.B. über die Arbeitsgeschwindigkeit an den Fließbändern ausübte.

Während diese Klitschenbetriebe zunehmend das Bild der italienischen Wirtschaft bestimmten, änderte sich zugleich die Zusammensetzung der Arbeiterschaft. So waren in diesem Sektor überproportional viele Minderjährige und Jugendliche beschäftigt, ebenso sehr viele weibliche Arbeitskräfte. Die wenigsten von diesen war gewerkschaftlich organisiert – überhaupt ließen sich viele gewerkschaftliche Methoden, die in der Großfabrik wunderbar funktionierten, in den Kleinbetrieben kaum anwenden.

Diese Umstrukturierung der Produktion und die Umschichtung der Arbeiterschaft stellte aber keineswegs nur eine „von oben“, von Seiten des Kapitals betriebene Strategie dar. Für viele proletarische Jugendliche war die selbstgewählte Prekarität und die zeitweilige, immer wieder unterbrochene Beschäftigung in Teil-, Saison- oder Schwarzarbeit auch ein Mittel, sich gewisse Freiheiten zu sichern – eine Festanstellung in der Fabrik stellte schließlich kaum eine wünschenswerte Perspektive dar. Die autonome Szene in Bologna baute sogar eine Art selbstorganisierte Arbeitsvermittlung auf. Die Arbeitssuchenden der Region wurden in einer Liste erfasst, und dann die Stadtverwaltung (die damals von der kommunistischen Partei gestellt wurde) dahingehend unter Druck gesetzt, dass sie entsprechende Jobs vergab. Arbeit in der Fabrik oder auf dem Bau wurde von den Autonomen dabei prinzipiell verweigert. Zeitweise waren um die 5.000 Personen in dieser Liste organisiert. (5)

Sergio Bologna sah in den kleinen Fabriken ein mögliches Terrain, von dem ausgehend sich eine neue Klassenbewegung entwickeln könnte. Während die Belegschaften der Großbetriebe sich eher still hielten, um angesichts der vielbeschworenen Wirtschaftskrise ihre eigene Position nicht zu gefährden, schien bei den Arbeiter_innen der Klitschen eine größere Konfliktbereitschaft gegeben zu sein. Allerdings wies Bologna auch darauf hin, dass die Kleinbetriebe untereinander große Unterschiede aufwiesen: Unterschiede in der technischen Ausstattung, der Märkte, die jeweils beliefert wurden, des gewerkschaftlichen Organisationsgrades der Belegschaft, zwischen unausgebildeten und schlecht bezahlten Beschäftigten und solchen, die hochspezialisierte anspruchsvolle Tätigkeiten ausübten…

 

Negri und der „gesellschaftliche Arbeiter“

 

Um das Folgende verständlich zu machen, müssen wir uns noch einmal die operaistische Theoriegeschichte, und dort vor allem das Konzept der „Klassenzusammensetzung“ anschauen. Dieses Konzept hatten die Operaist_innen Anfang der 60er Jahre bei ihren „militanten Untersuchungen“ in den Fabriken von FIAT und OLIVETTI entwickelt (siehe FA! #47).

Auch damals befand sich die italienischen Industrie in einer Phase der Umstrukturierung: Durch zunehmende Automatisierung und Ausweitung der Fließbandarbeit wurde die ältere Generation der Facharbeiter unter Druck gesetzt – deren Fähigkeiten und Kenntnisse wurden durch die technische Entwicklung zunehmend überflüssig gemacht. Das brachte auch eine schwere Krise der Gewerkschaften mit sich, deren Mitglieder sich vorrangig aus der Facharbeiterschaft rekrutierten. Das bedeutete freilich nicht, dass nun völlige Ruhe herrschte: Vielmehr kam es um 1960 zu einer ganzen Reihe von wilden Streiks, wobei die Initiative gerade von den ungelernten und nicht gewerkschaftlich organisierten jüngeren Arbeiter_innen ausging. Diese „Massenarbeiter“ – meist junge Männer, die aus dem Süden des Landes in die Industrieregionen im Norden abgewandert waren – standen dann auch im Zentrum des „Heißen Herbstes“ von 1969.

Darauf aufbauend entwickelten die Operaist_innen den Begriff der „Klassenzusammensetzung“, um die Ereignisse analytisch zu fassen. Diesem Konzept zufolge gab es eine bestimmte „technische Zusammensetzung“ des Kapitals, die von oben her, durch eine neuen Organisation der Produktionsabläufe und Einführung neuer Technologie durchgesetzt wurde. Dieser entsprach jeweils auch eine bestimmte „politische Zusammensetzung“ der Arbeiterschaft, ein bestimmtes zentrales Arbeitersubjekt mit spezifischen Formen des widerständigen Verhaltens.Mit diesem Schema ließen sich die Klassenkämpfe der 1960er Jahre ziemlich gut analysieren.

Hier kommen wir zu Antonio Negri: Dieser verpasste dem Konzept einen recht eigenwilligen Dreh und interpretierte es im Sinne einer breit angelegten Geschichtsphilosophie, deren zentrale Annahmen schon Mitte der 60er von Mario Tronti formuliert worden waren (vgl. FA! #49). Für Tronti war „die kapitalistische Entwicklung den Arbeiterkämpfen untergeordnet, sie kommt nach ihnen“ (6). Die Arbeiter_innen waren demzufolge dem Kapital also immer einen Schritt voraus, und dieses konnte nur reagieren, indem es – mittels neuer Technologie und Umstrukturierung – seine Macht wieder herzustellen suchte.

Dieser Prozess lief für Tronti zwangsläufig auf die Revolution hinaus, denn: „Begriff der Revolution und Wirklichkeit der Arbeiterklasse sind […] identisch.“ (7) Die Arbeiter_innen hatten also schlicht keine andere Wahl.

Negri knüpfte daran an, und damit ließ sich die Frage, wie die veränderte Lage Mitte der 70er zu bewerten seien, mit einem einfachen Analogieschluss beantworten: Die Umstrukturierung der Produktion zeigte, dass da eine neue Klassenzusammensetzung am Entstehen war, und somit musste dabei auch eine neue zentrale Arbeiterfigur als revolutionäres Subjekt entstehen – der „gesellschaftliche Arbeiter“, wie Negri ihn nannte. Dieser hätte nicht nur das Erbe des alten „Massenarbeiters“ übernommen, sondern würde es vielmehr auf einem weitaus höheren Niveau fortführen: Die Klassenkämpfe seien nun eben nicht mehr auf die Fabrik beschränkt, sondern würden sich vielmehr über das gesamte gesellschaftliche Territorium ausbreiten. Somit müsse man „die Restrukturierung als Herausbildung eines immer breiteren vereinheitlichenden Potentials von Kämpfen verstehen“. (8) Diese Thesen formulierte Negri Mitte 1975 in seinem Text „Proletari e Stato“ („Proletarier und Staat“) aus.

Sergio Bologna sprach stattdessen vom „zerstreuten Arbeiter“, was nicht nur weitaus vorsichtiger, sondern auch deutlich realistischer war. Realistischer deshalb, weil Diagnose und Prognose nun mal zwei verschiedene Sachen sind – zumal sich eine wirklich revolutionäre Situation nicht einfach so prognostizieren, also aus dem Ist-Zustand ableiten lässt.

Es ist also nicht verwunderlich, dass Negris Thesen auf Widerspruch stießen. So kritisierte Guido De Masi in einem Artikel, der 1977 in der Zeitschrift Primo Maggio erschien, dass Negri letztlich nur „widersprüchliche Bruchstücke sprachlich ver-eindeutigt“, also „die verschiedenen Kämpfe und gesellschaftlichen Situationen (die alle sehr interessant sind, gerade weil sie so verschieden voneinander sind)“ lediglich unter einem gemeinsamem Schlagwort zusammenfasse. Tatsächlich gäbe es kein neues Klassensubjekt, all diese Kämpfe hätten keinen engeren Zusammenhang: „Sie stellen keinen qualitativen Sprung in der Klassenzusammensetzung dar, sondern ihre Desintegration, Punkt und basta.“ (9)

Auch Sergio Bologna zeigte sich eher skeptisch, und wies auf die Widersprüche und Gegentendenzen hin, die bei Negri gar nicht auftauchten: „Es hat viele kleine (oder große) Schlachten gegeben, aber im Laufe dieser Schlachten hat sich die politische Zusammensetzung der Klasse in den Fabriken wesentlich verändert, und zwar mit Sicherheit nicht in die Richtung, die Negri andeutet. Es gibt keine Tendenz zu jener größeren Einheit, von der er redet, das Gegenteil ist der Fall. Der Graben ist tiefer geworden: nicht zwischen Fabrik und Gesellschaft, sondern innerhalb der Fabrik selbst, zwischen der Rechten und der Linken in der Arbeiterklasse. Alles in allem haben die Reformisten die Hegemonie über die Fabriken zurückgewonnen und versuchen, brutal und rücksichtslos die Klassenlinke zu enthaupten und aus der Fabrik zu vertreiben.“ (10)

 

This is not the end…

 

An dieser Stelle schalte ich mal den Zeitraffer ein – eine erschöpfende Geschichte der autonomen Bewegung der 70er Jahre ist auf diesem beschränkten Raum allemal nicht möglich. Das Jahr 1977 brachte, wie erwähnt, eine politische Krise mit sich, in der eine Revolution tatsächlich in greifbarer Nähe zu sein schien. Im Frühjahr des Jahres besetzten autonome Gruppen z.B. die komplette Altstadt von Bologna – der kommunistische Bürgermeister musste schließlich die Armee zur Hilfe rufen, die mit Panzern einrückte, um die Revolte unter Kontrolle zu bringen. Eine Welle von Universitätsbesetzungen, Demonstrationen und Straßenschlachten folgte.

Nachdem dann im Frühjahr 1978 der christdemokratische Politiker Aldo Moro von der Stadtguerilla-Gruppe Rote Brigaden entführt und schließlich ermordet worden war, nutzte der Staat die Möglichkeit, um auf breiter Front gegen die vermeintlichen „Rädelsführer“ der radikalen Linken vorzugehen. Am 7. April 1979 begannen massenhafte Razzien, bei denen neben vielen anderen auch Antonio Negri verhaftet wurde. Er saß vier Jahre lang im Gefängnis, ehe ihm die Flucht nach Frankreich gelang.

Sein weiterer Werdegang dürfte halbwegs bekannt sein: Spätestens mit seinem 1999 erschienenen Theorie-Bestseller „Empire“, den er zusammen mit Michael Hardt verfasste, brachte Negri es zu weltweiter Berühmtheit. Seinen Überzeugungen ist er dabei weitgehend treu geblieben, was sich ebenso positiv wie negativ bewerten lässt: Einerseits ist ist es schon phänomenal, wie Negri sich seit Jahrzehnten an jede neue Protestwelle, von der Öko-Bewegung bis zu Occupy anhängt. Andererseits hat seine Theorie sich auch kaum weiterentwickelt, sondern ist nur noch allgemeiner und ungenauer geworden – so ist die heute von ihm gefeierte „Multitude“ leicht als verwässerte Neuauflage des „gesellschaftlichen Arbeiters“ zu erkennen.

Das ist nicht weiter schlimm – der Negrische „(Post-)Operaismus“ ist im Feuilleton und in universitären Soziologie-Seminaren bestens aufgehoben. Ansonsten sollte man eher das Gegenteil von dem tun, was Negri zwar schmissig, aber wie üblich einigermaßen falsch, schon 1981 empfahl – nämlich großzügig zu vergessen: „Die Klassenzusammensetzung des heutigen metropolitanen Subjekts kennt keine Erinnerung, […] weil es befohlene Arbeit, dialektische Arbeit nicht will […], proletarische Erinnerungen sind nur Erinnerungen an vergangene Entfremdung […]. Die bestehenden Erinnerungen an 1968 und an die zehn Jahre danach sind heute nur noch die Erinnerungen des Totengräbers […] Die Jugendlichen von Zürich, die Proletarier von Neapel und die Arbeiter von Danzig brauchen keine Erinnerung, […] kommunistischer Übergang bedeutet die Abwesenheit der Erinnerung.“ (11) Das ist keine gute Idee. In der offiziellen Geschichtsschreibung werden die sozialen Kämpfe der Vergangenheit ohnehin allemal als erstes vergessen.

Und natürlich will ich hier Negri nicht das letzte Wort überlassen. Immerhin ist sein Werdegang symptomatisch. Der Operaismus war eben nie eine einheitliche Bewegung, und die Aktivist_innen schreckten oft davor zurück, aus ihren radikalen Ansätzen auch die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen: So führte ihre entschiedene Parteinahme für die Arbeiter_innen und deren Kämpfe von unten und gegen die Institutionen der offiziellen „Arbeiterbewegung“ für viele von ihnen (mit einigen Umwegen) dann doch wieder zur Parteipolitik zurück. Die Praxis der „militanten Untersuchung“ und die kleinteilige Analyse der Verhältnisse in den Fabriken, die sich daraus ergab, wurde zugunsten einer großspurigen Geschichtsphilosophie fallen gelassen.

Demgegenüber sollten die positiven Ansätze des Operaismus natürlich nicht vergessen werden – in den vorangegangenen Teilen dieser Artikelreihe habe ich dazu hoffentlich ein wenig beigetragen. Vor allem sollte man nicht vergessen, dass Staat und Kapital niemals die einzigen Subjekte der Geschichte waren und es auch heute nicht sind. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende.

 

justus

 

(1) http://www.copyriot.com/unefarce/no5/autonomia.html

(2) englische Version unter http://libcom.org/library/tribe-of-moles-sergio-bologna

(3) Austerität: von lat. austeritas „Herbheit“, „Strenge“, bezeichnet eine staatliche Haushaltspolitik, die einen ausgeglichenen Staatshaushalt ohne Neuverschuldung anstrebt.

(4) vgl. www.trend.infopartisan.net/trd0513/t060513.html

(5) vgl. www.wildcat-www.de/thekla/08/t08akmu1.htm

(6) Mario Tronti, „Lenin in England“, zitiert nach Nanni Ballestrini/Primo Moroni: „Die goldene Horde – Arbeiterautonomie, Jugendrevolte und bewaffneter Kampf in Italien“, Assoziation A, Berlin 2002, S. 87

(7) zitiert nach Bodo Schulze: „Autonomia – Vom Neoleninismus zur Lebensphilosophie. Über den Verfall einer Revolutionstheorie“, in: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit, No. 10, 1989, S. 151 (online unter www.wildcat-www.de/material/m009schul.htm)

(8) zitiert nach Steve Wright: „Den Himmel stürmen. Eine Theoriegeschichte des Operaismus“, Assoziation A, 2005, S. 178.

(9) zitiert nach Roberto Battaggia: „Massenarbeiter und gesellschaftlicher Arbeiter – einige Bemerkungen über die neue Klassenzusammensetzung“, Wildcat-Zirkular Nr. 36/37, April 1997, online unter www.wildcat-www.de/zirkular/36/z36batta.htm

(10) zitiert nach Wright, a.A.o., S. 184.

(11) zitiert nach Wright, S. 188.