Archiv der Kategorie: Feierabend! #17

Erziehung zum Manne

Burschenschaften, Landsmannschaften, Corps und jede Art von Korporierten werden immer noch in vielerlei Hinsicht ideo­logisch unterschätzt. Es ist zwar relativ bekannt, dass viele Vertreter ihrer Art mit rechtsextremen Haltungen sympathisieren bis hin zum Austausch mit faschistischen Gruppen, genauso ihre elitäre Abgrenzung verbunden mit Vetternwirt­schaftlerei und den ausgeprägten Sexismus, trotzdem genießen sie – und das nicht nur in konservativen Kreisen – eine unreflektierte gesellschaftliche Akzeptanz. Das wird oft damit begründet, dass es viele unter ihnen gäbe, die sich „liberal“ äußern mit den Hinweis, dass man die verschiedenen Studentenverbindungen nicht als eine homogene Masse begreifen könne. Es ist nicht abzustreiten, dass es bezüglich der einzelnen Weltanschauungen Differenzen gibt (auch wenn sich die Spanne in fast allen Fällen nur zwischen rechtsextrem und konservativ bewegt) und dass es selbst so- genannte „alternative“ Burschenschaften gibt, die „sogar“ Frauen aufnehmen; ihre gemeinsamen Grundprinzipien und der damit verbundene Zwangscharakter jedoch, was alle Formen von Verbindungswesen teilen, wird sehr gerne übersehen oder sogar heimlich bewundert. Studentische Korp­erationen teilen alle eine militärisch hierarchische Grundnorm sowie einen erzieherischen Anspruch. Der Einzelne hat sich seiner Aufgaben – die ihm meist vom nächst höheren zugeteilt werden- sowie der eigenen Verbindung bedingungslos zu unterwerfen. Die Gemeinschaft die sich zuallererst über elitäre Abgrenzung definiert, hat die Aufgabe, den Einzelnen nach einer entsprechenden Norm zu formen. Dies gelingt über eine Fülle verschiedenster Rituale und Konventionen.

Ein zentrales Element bei schlagenden Verbindungen ist die Mensur, ein ritualisierter Degenkampf, der die Aufgabe hat, dass die Kämpfenden sich selbst überwinden. Die beiden Kontrahenten dürfen während des Kampfes ihre Positionen nicht verändern um abwechselnd auf­einander einzuschlagen. Sollte einer von beiden rückwärts ausweichen, bekommt er eine Strafe die in den meisten Fällen ein Freischlag (also ein Schlag bei dem der Gegner nicht parieren darf) für den anderen bedeutet. Der ganze Vorgang ist nicht nur ein krudes Männerspiel, es dient auch der Charakterdisziplinierung. Der Einzelne, dem die Aufgabe obliegt sich selbst zu überwinden, zwingt sich zum Kriegsspiel, indem er natürliche Ängste in erster Linie verdrängt und somit sich total dem kollektiven Diktat der soldatischen Tugend unterwirft, sie quasi lieben lernt. Die Mensur bindet das noch junge Mitglied an die Fraktion und wird ihr Soldat. In den verschiedenen, schlagenden Verbindungen muss jeder mind­estens einmal die sogenannte Bestim­mungsmensur gefochten haben um Mitglied zu werden. Längst überholte Männer­roman­tik vom harten, pflichtbewussten und bedingungslos loyalen preußischen Männchen blüht bei ihr wieder auf. Indem Ängste einfach wegdividiert oder ihre Ursachen unreflektiert gelassen werden, bietet die durchdisziplin­ierte Gemeinschaft das Gefühl der Sicherheit und den festen Glauben daran, dass jeder Erfolg nur ihr zu verdanken ist. Ein weiteres Beispiel für die ständige kämpferische Auseinandersetzung sowie gezielte Diszi­plinierung innerhalb von Studentenbünden sind die „Trinkspiele“. Diese sind nicht als gesellige Partyunterstützer zu betrachten, sondern dienen oft als Ersatz für Zucht und Mannbarkeitsbestimmung. Trinkrituale werden zum einen als Strafe der Gruppe gegenüber dem Einzelnen verwendet, der die engen Regeln und Konventionen übertreten hat, zum anderen sind sie Duellersatz zwischen zwei Mitgliedern. Trinken als Strafe findet sich bei der so genannten „Kneipe“ wieder, eine geschlossener verbindungs­internen „Feierlichkeit“. Während des „öffentlichen“ Teils dürfen die einzelnen Mitglieder nicht vom Tisch aufstehen (auch nicht um einfach banal auf die Toilette zu gehen). Bricht ein Teilnehmer jedoch die strenge Regel muss er öffentlich zur „Belehrung“ Zwangstrinken. Bei solchen Ritualen wird ein Schwächerer gekürt und seine angebliche Schwäche öffentlich diffamiert. Es fordert gleichzeitig alle anderen Anwesenden dazu auf bloß keine Schwäche zu zeigen Das Trinken als Duell ist Mittel der männlichen Auseinandersetzung und verliert die Unschuld des schlicht Geselligen. Das ständige Kampftrinken ist ebenso Grundlage bei der Auseinandersetzung mit anderen Verbindungen, wo militärisch stramm und im Gleichschritt Marsch „Stafetten“ gegen­einander getrunken werden. Das Individuum ist ständig einen Druck zur Profi­l­ierung ausgesetzt, damit es sich immer aufs neue „selbstüberwinden“, sprich Ängste verdrängen muss um nicht als Verlierer (und damit als nicht profund „männlich“) dazustehen. Indem sich der gemeinschaftliche Rahmen in Verbindungen durch Disziplinierung, Unterwerfung unter eine Autorität und ewige Auseinandersetzung charakterisiert, wird der Einzelne unter Druck gehalten und formbar zum sexistischen, nationaltreuen und Autorität heuchelnden Ellenbogentypus. Im Selbstbild der korporierten Erziehung wird das als Prozess zur Entwicklung von Verantwortlichkeit stilisiert. Der Einzelne hat sich autoritärer Strukturen anzupassen, was schon in der Verbindlichkeit zur einheitlichen Kleidung zum Ausdruck kommt. Das Verbindungs(un)wesen vermittelt ein Weltbild, was sich auf Ellen­bogenmentalität bis hin zum Recht des stärkeren versteht. Insofern sind die Verbindungen von Burschenschaften zur extremen Rechten kein Zufall und keine Ausnahme und eben darum nicht zu ignorieren.

Verbindungen starten gerade zu Anfang des Semesters vielerlei Werbeveranstaltung in Form von Info-Ständen, Parties oder günstige Wohnangebote um neue Mitglieder zu rekrutieren.

Burschenschaften der Deutschen Burschenschaft (ein burschenschaftlicher Dachverband) treffen sich ebenso alljährlich zu ihrem Burschen- und Altherrentag. Die Versammlung findet in der Zeit vom 18-22. Mai 2005 statt. Jeder ist aufgerufen das nationalistische Fanengeschwenke zu stören und sich kritisch mit dem im selben Rahmen stattfindenden Vorträgen und Veranstaltungen auseinanderzusetzen.

Karotte

Bildung

Die radikalen Wurzeln des Ersten Mai

Was heute als „Tag der Arbeit“ bekannt ist, wurde 1889 von der neu gegründeten Zweiten Internationale als „Kampftag der Arbeiterklasse“ ausgerufen. Die Internationale, die soeben den libertären Flügel ausgeschlossen hatte, machte sich damit eine Forderung der amerikanischen ArbeiterInnen zu eigen: den Achtstundentag. Ironischerweise konnte gerade die anarchistische Strömung in Chicago, dem Zentrum der Achtstunden-Mobilisierung, einen starken Einfluss auf die ArbeiterIn­nen­bewegung ausüben. Heute würde das wohl als „internationaler Aktionstag“ ausgerufen werden – eine Aktionsform, die in den vergangenen Jahren wieder belebt wurde (vgl. Feierabend! #3). Die zentrale Forderung „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden, was wir wollen!“ war 1856 erstmals in Australien aufgekommen, und fand direkt nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg (1865) auch unter den ArbeiterInnen der „neuen Welt“ großen Anklang.

Zu dieser Zeit setzte eine Modernisie­rungs­welle im amerikanischen Wirtschaftsleben: der Schwerpunkt verlagerte sich vom handwerklichen und agrarischen Sektor zur Großindustrie. Am Anfang des Wirtschaftswunders hatte der Krieg gestanden: Subventionen, Schutzzölle und Staatsaufträge. Chicago, die „weiße Stadt“ im Norden des Landes, war schon Mitte des 19. Jahrhunderts ein ökonomischer Knotenpunkt gewesen: der zentrale Umschlagplatz für Mais und Weizen, Sammelplatz für Schlachtvieh und Bauholz. Weiterhin entwickelte sich in Chicago die Stahlindustrie, die in der Waggonfabrik Pullman und der Erntemaschinenfabrik McCormick verkörpert war. Beschleunigt wurde die Modernisierung der Stadt auch durch den Großbrand von 1871, der binnen drei Tagen die Innenstadt verwüstete. In den folgenden zwei Jahren herrschte Arbeitskräftemangel, was die Position der ArbeiterInnen stärkte. Doch 1873 brach auch hier die erste Wirtschaftskrise der USA ein, die – verstärkt durch die Krise in Europa – zu massiver Arbeitslosigkeit bzw. Kurzarbeit und einer Senkung des Lohnniveaus um 20 Prozent (1873-79) führte. Noch im selben Jahr erlebte Chicago eine erste große Arbeitslosendemonstration. Die Polizei knüppelte die 20.000 TeilnehmerInnen auseinander, an den Folgen der Schläge starben zwei Menschen. Von der landesweiten Krise beson­ders betroffen waren auch die ArbeiterIn­nen der Eisenbahngesellschaften, letztere hatten seit 1873 die Löhne durchschnittlich um 25 Prozent gesenkt. Als im Juni 1877 weitere Lohnkürzungen angekündigt wurden, begannen im Osten des Landes Streiks, die sich zu einem Generalstreik gegen Niedrig­löhne und Arbeitslosigkeit ausweiteten. Gegen die Eisenbahner wurden Bundestruppen und die Nationalgarde eingesetzt: 13 Streikende wurden getötet. In Chicago wurde der Streik Ende Juli im Blut von 24 Toten und mehr als 200 Schwerverletzten erstickt. Im Jahr darauf schenkte die Industriellenvereinigung Citizens’ Association der Stadtverwaltung zwei Maschinengewehre!

In dieser gesellschaftlichen Situation kam es 1880 in der Sozialistischen Arbeiterpartei zu Auseinandersetzungen über die Legitimität der bewaffneten Arbeitermilizen, die jüngst verboten worden waren. Die Revolutionäre lehnten den Wahlkampf aus taktischen Gründen zwar nicht ab, bot sich darin doch eine gute Gelegenheit, ihre Ideen zu verbreiten; sie waren jedoch von der Notwendigkeit bewaffneter Organe über­zeugt. Die „Propaganda der Tat“ verstanden sie jedoch nicht als politisches Atten­tat, sondern als bewaffneten Massenaufstand. Auf einem Kongress, in Pitts­burgh 1883, fanden sich Delegierte aus 26 Städten zusammen und gründeten die International Working Peoples’ Associa­tion (IWPA), die die gewerkschaftliche Organisation in ihr Revolutionsmodell einbezog: Nach der Zerschlagung des Kapitalismus sollten die auf lokaler und regionaler Ebene existierenden Gewerkschaften die Keimzellen einer neuen Gesellschaft bilden, die eine staatliche Struktur nicht mehr kennen sollte. Dieses Sozialismusverständnis war einerseits von Marx’ Analyse der ökonomischen Verhältnisse geprägt, andererseits wurde eine geistig-moralische und kulturelle Revolution in ihrer Bedeutung der Umwälzung der Besitzverhältnisse gleichgestellt.

Dass die IWPA in ihrer Radikalität großen Zuspruch erhielt, lag zum einen daran, dass die Revolutionäre ihre Vorstellungen nicht dogmatisch verfolgten, sondern durchaus bereit waren, auch aktuelle Tagesforderungen – z.B. den Achtstundentag – zu unterstützen. Zum anderen war die blutige Repression seitens des Staates und der Arbeitgeber fast alltäglich, und doch war die kollektive Aktion unvermeidlich. Denn wenn auch der Achtstundentag gesetzlich verankert war, bedeutete das noch lange nicht, dass er auch durchgesetzt wäre. Für immerhin 40.000 Arbei­terInnen war die Arbeitszeit schon auf einen dritten Teil des Tages reduziert worden – nun hieß es: alle oder keiner. Vom ersten Mai an sollte der Achtstundentag überall durchgesetzt werden. August Spies, Chefredakteur der einzigen sozialrevolu­tionären Tageszeitung, der deutschsprachigen „Arbeiter-Zeitung“, betonte als Redner auf der 80.000er Demo: „Ja, zwanzigtausend organisierte, bewusste und entschlossene Lohnarbeiter sind ein schwerwiegenderes Argument als die allerlogischsten und schönsten ökonomischen Beweisführungen.“ In der Folge kam es, wie schon 1867 im Rahmen der ersten Acht-Stunden-Kampagne, zu einem Generalstreik.

Nach einem Angriff der Polizei am 3.5.1886 auf die Streikposten der McCor­mick-ArbeiterInnen waren wieder zwei Tote zu beklagen. Die am folgenden abgehaltene Protestversammlung auf dem Haymarket, bzw. der Polizeieinsatz dort, wurde zum Ausgangspunkt dramatischer Ereignisse: das erste Bombenattentat der US-Geschichte tötete einen Polizisten, sechs weitere starben im Kugelhagel ihrer Kollegen. Daraufhin initiierte die Polizei Razzien und Massenverhaftungen im revolutionären Milieu. Die Staatsanwaltschaft erhob Klage gegen acht Wortführer, und wollte damit der sich formierenden ArbeiterInnenbewegung ein für allemal den Garaus machen – mit vier Hinrichtungen, einem Selbstmord und dreimal 7 Jahren Haft.

A.E.

Soziale Bewegung

Bürgerliche Trauerspiele und Frühlingserwachen

Antifaschistische Aktionen – am 13.02. in Dresden und am 01.05. in Leipzig

Wärmer wird es allen Ortes; nicht nur diverse BewegungsspezialistInnen, auch die Vorbereitungen DES Tages für symbolische Straßenbekundungen zwischen Freiheit und Arbeit laufen auf Hochtouren. Am 1. Mai letzten Jahres konnten relativ unbehelligt um die 1000 Nazis bis fast zum Völkerschlachtsdenkmal gelangen. Der inzwischen schon obligatorisch gewordener Aufruf Christian Worchs für diesen Tag lässt erkennen: man will erneut das traditionsbehaftete Datum für sich besetzen. Schon zwei Tage nach dem ver­­hin­­derten Nazimarsch nach Conne­witz am 3. Oktober 2004 meinte selbiger zum 1. Mai 2005 mit den vermeintlich Freien Kameradschaften zum Conne­witzer Kreuz durchstoßen zu wollen:

Es gibt für Deutsche in Deutschland keine „no-go-areas“. Dies ist UNSER Land, und wir lassen uns das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 Grundgesetz) nicht von einer Handvoll Steinewerfer oder Barrikadenbauer nehmen!“

Treffpunkt ist wie üblich um 12 auf dem Hauptbahnhof (Ostseite). Die von der Stadt angebotene Ausweichroute zum Ostplatz lehnte Worch ab und die Verhandlungen werden wohl bis zum Schluß weiterlaufen.

Nicht erst seit Dresden ist die Mobilisie­rungs­­fähigkeit der rechten Szene angestiegen. Nachdem nun vor kurzem die NPD eine 1.Mai-Veranstaltung in Magdeburg zugunsten von geplanten Großaufmär­schen in Nürnberg und Neubrandenburg abgesagt worden ist, erhöht sich die potentielle Zahl der Nazis, die nach Leipzig kommen könnten, erheblich. In Berlin wird zumindest am 1. Mai nichts los sein, wo im letzten Jahr ca. 3500 Nazis marschierten. Entgegen den Vermutungen Worchs wird es am 30.April und am 1.Mai auch keine traditionellen linksradikalen Aktivitäten geben, was auch auf anreisende Unterstützung gegen den Nazimob hoffen läßt.

Um einen Kontext zum Lokaltermin zu liefern, sollen folgend Beobachtungen zu den Auftritten von Nazis, BürgerInnen und Antifa am 13. Februar 05 in Dresden Inspirationen für zentrale und dezentrale Konzepte in Leipzig und Berlin geben. Daß die Mai-Aktionen sich in ihren Möglichkeiten hoffent­lich von Dresden unterscheiden, ist klar, inwieweit sie dann auch richtungsweisend für Berlin werden, wird sich zeigen.

Die braune Flut

60 Jahre nach der Bombennacht war in Dresden dicke Luft angesichts eines, wenn nicht sogar des größten Nazi-Aufmarsches nach 1945. Aus ganz (Groß-) Deutschland angekarrte Nazis und Neonazis marschierten, ihren regionalen „Gau“ repräsentierend, mit aufgesetzter Trauermiene zu Wagner oder Orff, bestückt mit Transparentensprüchen wie: „Wir trauern um 200 000 Opfer des Bombenholocaust in Dresden“ oder auch „Unsere Rache wird kommen!“. Sogar das antifaschistische Motto „kein Vergeben –kein Vergessen“ war angestrengt worden, den Blick auf die Geschichte zu manipulieren, ja, Opfer zu Tätern und Täter zu Opfern zu machen. Die politische Kultur der Erinnerung an das Kriegsgeschehen in den Grenzen des Dritten Reiches beschäftigt hingegen nicht nur in Dresden und Berlin (siehe im Anschluss) und nicht nur die PolitikerInnen. Am 13. Februar gab es durchaus unterschiedliche Motive und Grade der Volkstrauer:

„Dresden wolln sie schonen, in Dresden wolln sie wohnen!“

Vorab: Weder der Sinn militärischer Strategien, weder das sich hartnäckig haltende Propagandakonstrukt aus Reichszeiten von Dresden als infrastrukturell unwichtiger Kulturstadt, noch wilde Zahlendreher (bezüglich der ca. 30 000 Menschen, die in der Nacht vom 13. Februar 1945 durch die Bombardierungen starben), sollten Gegenstand einer erinnerungspolitischen Auseinandersetzung sein. Dies lenkt ab vom eigentlichen Kontext: dem deutschen Nationalsozialismus und dessen Bekämpfung damals, aber auch heute. Ohne die Erinnerung an Shoah, Holocaust und deutsche Kriegs­führ­­ung wird jede Trauermine zur Farce, denn die Bombar­dier­ung Dresdens diente vielleicht auch einer Demorali­sierung der Bevöl­ker­ung, war letztlich aber „nur“ ein weiterer, notwendig gewordener Schritt, um den Faschismus zu stoppen und den Krieg zu beenden.

Für den Frieden und um die Opfer trauernd verlief dann auch eine Demo mit tausenden BesucherInnen, zwar lange Zeit nach dem Nazi-Aufmarsch und überhaupt ganz woanders, aber wenigstens mit weißer Rose im Knopfloch. Genau dieses pseudo-couragierte Verhalten muß weiter-hin stärker öffentlich aufgezeigt und kritisiert werden, dabei stehen alle Seiten in Verantwortung.

Aktionspotentiale

Antifa-Gruppen hatten zu einer ganztägigen Kundgebung an der Synagoge als einzigem linksradikalen Anlaufpunkt eingeladen, von wo aus kleine Gruppen immer wieder versuchten, sich dem Aufmarsch entgegenzustellen. Die genaue Route der Nazis blieb bis zuletzt unbekannt und das Polizeiaufgebot war reich bestellt, deshalb blieb die einzig mögliche dezentrale Aktivität zumeist, sich von den Vorbeiziehenden ablichten zu lassen und neben wahlweise israelischer, us-amerikanischer oder sowjetischer Fahne seinen Unmut zu äußern. Sogar zu Stoßgebeten à la „Bomber-Harris-Do-it-again!“ ließen sich einige herab, deren offensichtliche Verzweiflung leider keine Grenzen kannte.

Die deutlichen Untertreibungen der Massenmedien, was die Zahl der Marschierenden anging, aber vor allem die alte Leier von den friedlichen und den bösen DemonstrantInnen, welche eben ganz links und ganz rechts ihr Unwesen treiben, konnten einem dann auch noch die herangezogene Nacht mit schlechtem TV-Programm versauen und ich fragte mich, ob ich nicht doch ein paar Tränen über die Deutschen vergießen sollte.

Mayday – zusammen kämpfen ?!

Nach diesen, aber auch nach den erfreulicheren Oktober-Erfahrungen ist es nun noch verständlicher, daß Vorbereitungen zur Verhinderung eines Nazi-Aufmarsches am 1. Mai in Leipzig weite Kreise ziehen:

Vorbereitungsbündnis 1. Mai: Verschiedene Leipziger Antifa-Gruppen mobilisieren bundesweit zu Dezentralen Aktionen ab 12 Uhr um den Hauptbahnhof. Ab 13 Uhr wird Radio Blau wieder live senden, das Infotelefon (0341/3081199 oder 3068235) bietet weitere aktuelle Infos zu den Entwicklungen.

Außer den antifaschistischen kommen eigene Inhalte durch dieses Bündnis jedoch nicht unbedingt zur Sprache, dafür wird am Vorabend ab 17 Uhr am Conne­witzer­ Kreuz antifaschistisch gerockt: „Leipzig zeigt Courage, wir zeigen die Zähne!“, auf DEM Alternativkonzert zum traditionellen Courage-Pop am Völker­schlacht­sdenkmal.

Selbiges wird von der DGB-Jugend unterstützt, die an dem Wochenende ein „antifaschistisches Jugendcamp“ hinterm DGB-Haus und auf dem Augustusplatz (wo auch der DGB wie jedes Jahr um 11 zu Wurst und ähnlichem lädt) ab 14 Uhr ein Programm auf der Hauptbühne plant. Übrigens öffnet das Volkshaus bzw. der DGB 13:30 Uhr seine Pforten für eine Wanderausstellung zur Arbeits- und Sozialgeschichte des Nationalsozialismus, ab 14 Uhr gibt´s ne Disko mit leiblicher Verpflegung auf der Wiese und Straß­e vorm Haus.

Bündnis 1. Mai: Ein weiteres Bündnis ruft zu einem linken, kämpferischen Block auf der traditionellen Mai-Demonstration, angemeldet durch die IG Metall Leipzig, auf, die 10 Uhr vom Connewitzer Kreuz zum Augustusplatz führt, um den Nazis an diesem Tag auch inhaltlich keinen Fußbreit zu lassen. Gruppen und Einzelne mit sozial-revolutionärem Anspruch wollen unter folgendem Motto für eine große Demo im Rahmen der Dezentralen Aktionen mobilisieren: „Solidarität gegen die herrschenden Zustände – Nazis und Sozialabbau bekämpfen!“

Synergisch vorgehen!

Die zunehmende Verschlechterung der Lebensbedingungen von Lohnabhängigen und nicht „Verwertbaren“ lässt weite Teile der Bevölkerung resignieren, womit die NPD eine ideale Basis für ihre Propaganda als angebliche soziale Alternative erhält. Einer weiteren Spaltung der Betroffenen durch antisemitische, rassistische und andere Diskriminierungen, ob nun in der Sündenbock-Rhetorik der NPD und ihrer Wählerschaft oder indirekt in staatlichem und unternehmerischen Handeln enthalten, muß gerade am 1. Mai die Kraft solidarischen Widerstandes entgegen gesetzt werden. Weder verzweifelte Rufe nach Arbeit, noch nach führenden Kräften und nach „Volk und Heimat“ können als Forderungen akzeptiert werden. Vielmehr sollte der „Kampftag“ mit antinationalistischen, kapitalismuskritischen und emanzipativen Inhalten den Menschen Alternativen eröffnen, für ein bedürfnisorientieres Wirtschaftssystem und für die Abschaffung bzw. Überwindung herrschaftlicher und faschistischer Interessen.

Wenn Antifa auch Angriff und Kampf ums Ganze heißt, sollte sich doch spätestens da aktive Linksradikale über Ideen und Ziele unterhalten können. Eigentlich reicht aber schon der Fakt, dass Nazis in allen Schichten auf dem Vormarsch sind. Der NPD muss die fingierte Rächerrolle im Kampf um den Sozialabbau und der bürgerlichen Pseudo-Demokratie die Plausibilität genommen werden. Meinungsverschiedenheiten sind essentiell, aber verhindern noch lange keinen Nazi­aufmarsch und sind auch für die meisten Menschen nicht gerade die emanzipatorisch­en Impulse, die sie vielleicht brauchen.

Obligatorisch-optimistisch betrachtet wird also am 1.Mai ´05 nicht ausgeschlafen. Laßt uns an diesem Tag den Nazis ent­­ge­gen und für Kom­­mu­nis­­mus eintreten – symbolisch, konkret und bewußt. In jedem Falle wird es aber da­­mit nicht getan sein – get organized*

clara

NazisNixHier

Tag der Befreiung: Kein Naziaufmarsch am 8. Mai!

Gegen Faschismus, Militarisierung und deutsche Opfermythen

Vor 60 Jahren, am 8. Mai 1945, musste das militärisch geschlagene Deutschland bedingungslos vor den Alliierten kapitulieren. An diesem Tag wurde die Welt vom Nationalsozialismus, der vom Großteil der Deutschen getragen wurde, befreit. Die Ära der nationalsozialistischen Barbarei fand ein Ende, die ihren Ausdruck in Rassenwahn, Krieg, der Deportation und Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen, der Roma und Sinti und all der anderen Menschen, die nicht ins Weltbild der Nazi-Ideologie passten, fand. Der Tag der Befreiung ist daher ein Grund zur Freude, an dem wir aber auch daran erinnern wollen, wer die Verantwortung trägt an Krieg und Vernichtung und wem wir die Befreiung zu verdanken haben.

Der deutsche Faschismus bestimmt auch heute noch den erinnerungspolitischen Diskurs in der BRD. Von Angela Merkel, die von einer „immer währenden Verantwortung, die wir als Nation angesichts der Schrecken des Nationalsozialismus für die Zukunft tragen“ spricht, bis zu Gerhard Schröder, dem „die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus eine bleibende Verpflichtung“ ist, ist der Begriff der „Verantwortung“ als Beschreibung des Verhältnisses der Deutschen zu ihrer Vergangenheit inzwischen konsensfähig. Bundespräsident Horst Köhler betonte in seiner Ansprache vor der israelischen Knesset sogar, dass „die Verantwortung für die Shoah“ ein „Teil der deutschen Identität“ sei. Dieser vermeintlich antifaschistischen Rhetorik erwachsen jedoch keine ihr entsprechenden Handlungen, darüber kann auch das Mahnmal für die ermordeten Juden und Jüdinnen im Herzen Berlins nicht hinweg täuschen. Aufgrund der konsequenzlosen und inflationären Verwendung wird „Verantwortung“ zu einem Begriff ohne Inhalt, welcher beliebig gefüllt und instrumentalisiert werden kann. Spätestens seit 1999 kennzeichnet deshalb nicht Verdrängung, sondern die opportune Nutzung der nationalsozialistischen Vergangenheit den Umgang mit der eigenen Geschichte. So wurde die aktive Kriegsunterstützung Deu­t­sch­­­­­lands im NATO-Krieg gegen Jugoslawien mit der Erinnerung an die Shoah legitimiert. Außenminister Joschka Fischer begründete nicht trotz, sondern wegen Auschwitz den ersten aktiven Auslandseinsatz der Bundeswehr. Seither gehört es zur außenpolitischen Normalität, dass deutsche Interessen wieder militärisch durchgesetzt werden können.

Wir positionieren uns entschieden gegen die Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen und die Instrumen­talisierung der Erinnerung an die Shoah. Wir fordern die sofortige Auflösung aller deutschen Trup­penverbände.

Nicht nur in der Außenpolitik zeigt sich, was die politische Gemeinschaft Deutschlands unter historischer Pflicht versteht. So dauerte es 55 Jahre bis im Juli 2000 ein Abkommen über die Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen unterzeichnet werden konnte, und auch dies nur durch ständige Proteste der Opferverbände und wiederholten Druck aus dem Ausland. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits etliche ehemalige Zwangs­arbeiterInnen verstorben. Und selbst heute noch laufen die Auszahlungen der vom Bundestag eingerichteten Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ schleppend bis gar nicht. Zudem wurden ganze Opfergruppen aus den Entschä­digungszahlungen ausgeschlossen. Hervorzuheben ist hierbei die International Organisation for Migration (IOM), die für die Bearbeitung der Anträge nicht-jüdischer und nicht in Osteuropa lebender, ehemaliger ZwangsarbeiterInnen beauftragt wurde. Die IOM, deren eigentliches Arbeitsfeld das Leiten von Internierungslagern für Flüchtlinge und deren Abschiebung ist, lehnte alle Anträge der italienischen ZwangsarbeiterInnen ab, die nach der Kapitulation Italiens als Militärinternierte verschleppt und zur Sklavenarbeit gezwungen wurden. Diese inakzeptable Aufspaltung in diese, welche genug gelitten, und jene, die anscheinend nicht genug gelitten haben, um finanziell entschädigt zu werden, demütigt die Opfer erneut.

Tausende deutsche Unternehmen haben während des zweiten Weltkriegs aus der industriellen Vernichtung Kapital geschlagen, Kapital das durch „Arisierungen“ und die Ausbeutung von Arbeitskraft zustande kam und später maßgeblich zum Aufbau der BRD verwendet wurde. Wird bedacht, dass mehr als 14 Millionen Menschen durchschnittlich etwa 1,5 Jahre zur Arbeit gezwungen wurden, dann erscheinen die etwa 5 Milliarden Euro Stiftungsvermögen schon fast lächerlich. Sie dienen der Rechtssicherheit für die Unternehmen, sich für alle Zeit der Ansprüche entledigt zu haben. Im Mai 2001 interpretierte Bundeskanzler Schröder dies wohlwollend als „Schlussstrich“.

Wir haben nicht vergessen, wie aus der industriellen Vernichtung Kapital geschlagen wurde und fordern die vollständige und bedingungslose finanzielle Entschädigung aller NS-ZwangsarbeiterInnen. Weiterhin fordern wir die Enteignung aller NS-Profiteure.

Ein würdiges Gedenken an die Opfer und die Gegner der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie muss auch noch heute den Widerstand gegen geschichts­revisionistische Tendenzen beinhalten. Neben Schlussstrichdebatten und der Instrumentalisierung der Erinnerung an die Shoah zählen hierzu auch Debatten, in denen die Täter zu Opfern oder die Opfer zu Tätern gemacht werden. Ob als Leidtragende der Umsiedlungen oder der Bombardierung deutscher Städte – das Bedürfnis, die nationalsozialistische Geschichte aus einer anderen als der Täterperspektive zu betrachten, ist groß. So gedenken beispielsweise in Dresden alljährlich Zehntausende den deutschen Opfern der alliierten Luftschläge. Ausgeblendet wird, wer für den Krieg verantwortlich war und von welcher überwältigenden Mehrheit der Faschismus akzeptiert und getragen wurde. Mit der Stilisierung der Deutschen zu Opfern geht die Dämonisierung der Befreier einher. Anknüpfend an antikommunistische Ressentiments fallen Debatten über „den Schrecken und das Leid der (deutschen) Bevölkerung, welche die Rote Armee von Ostpreußen bis nach Berlin zu verantworten“ habe, auf fruchtbaren Boden. Dabei war es die UdSSR, die die Hauptlast im Kampf um die Befreiung der Welt vom deutschen Faschismus zu tragen hatte. Es waren die Menschen aus der UdSSR, deren Städte und Dörfer von der Nazi-Wehrmacht zerstört, die ihrer Lebensgrundlage beraubt und in einen Krieg verwickelt wurden, der ihnen aufgezwungen war. Zwanzig Millionen von ihnen fielen den Deutschen zum Opfer. Es darf nie vergessen werden, dass es die Rote Armee, die Partisanen und Saboteure waren, die den Angriff der Nazi-Wehrmacht abwehrten und Deutschland maßgeblich zur Kapitulation zwangen.

Am 60. Jahrestag der Befreiung danken wir daher insbesondere der Roten Armee, den Partisanen und Widerstands­kämp­f­erInnen, deren Einsatz gegen die Nazi-Tyrannei oftmals klein geredet und verleumdet wird.

Es verwundert kaum, dass im Zuge erinnerungspolitisch relevanter Daten auch Neonazis Geschichte in ihrem Sinn umdeuten wollen. Besonders ärgerlich für die Protagonisten bundesrepublikanischer Erinnerungspolitik ist das immer dann, wenn dadurch Bilder produziert werden, die um die Welt gehen und die BRD in einem schlechten Licht stehen lassen. So geschehen im Februar in Dresden, als sich 5.000 Nazis inhaltlich in den Kontext der offiziellen Gedenkveranstaltungen stellten, indem sie „zu Ehren der Opfer des alliierten Bombenangriffs“ durch die Stadt marschierten. Am 8. Mai wollen Neonazis durch Berlin marschieren. Ursprünglich geplant war eine Route vorbei am Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Juden und Jüdinnen und durch das Brandenburger Tor. Dazu wird es nicht kommen, obwohl der Aufmarsch vermutlich nicht verboten wird. Eilig wurde debattiert das Straf- und Versamm­lungs­recht zu verschärfen und Vorbereitungen für einen Staatsakt im Bundestag liefen an, welcher auf Leinwände am Brandenburger Tor übertragen werden soll – letztlich nur zur Verteidigung des nationalen Symbols. Eine derartige Symptombekämpfung und den staatlich inszenierten Kampf um nationale Symbole lehnen wir genauso ab wie die mit Gesetzesverschärfungen praktizierten autoritären Methoden. Denn die Ursachen für die Entwicklung eines faschistischen Weltbildes bleiben ausgeblendet und auch der Notwendigkeit des permanenten Widerstands gegen Neonazis wird diese Inszenierung nicht gerecht.

Wir rufen alle auf, sich nicht für die Regierungsinszenierung herzugeben und mit uns am 8. Mai zu demonstrieren: für das Andenken an die Opfer des Faschismus, gegen Mili­tarisierung und deutsche Opfermythen. Lasst uns gemeinsam den Neonaziaufmarsch verhindern!

Aktionsbündnis Spasibo

im März 2005

www.8-mai.antifaschistische-aktion.com

NazisNixHier

Pelz ist mehr!

Am Samstag den 12.3.05 fand die jährliche Demo gegen die Pelzmesse „Fur & Fashion“ in Frankfurt/Main statt. Hier präsentierte sich die „Pelzindus­trie“, die da­von lebt, das Tier zum bloßen Ding, zum „Pelz“ zu degradieren, dessen einzige Lebensberechti­gung der wirtschaftliche Nutzen ist. Dieser „weiche“ Begriff bagatellisiert sowohl das Leid und den Schmerz der Tiere wie auch Eitelkeit und Prestige-Bedürfnisse der „TrägerIn“.

Die Veranstalter der Messe ließen sich von der stetig sinkenden Zahl von Ausstellern auf der „Fur & Fashion“ und dem Ausstieg verschiedener Konzerne, bei­spiels­weise Quelle, C&A und Karstadt aus dem Pelzverkauf, nicht beeindrucken.

An der Demo beteiligten sich ca. 200-300 Menschen. Ebenso fiel die starke Polizeipräsenz auf. Seltsam auch, dass sich beinahe jede/r Teilnehmer/in einer Ta­schenkontrolle unterziehen musste. Den ersten Halt machte die Demo vor dem Pelz-Geschäft „Pelz Türpitz“, wo es erst­mals zu Rangeleien kam und ein Straßentheater eine Tierhäutung „zeigte“. Vor den Läden „Appelrath Cüpper“ und „Peek und Cloppenburg“ heizte sich die Stimmung zwischen Demon­strantInnen und Po­lizisten bzw. Se­cu­ri­ty-Männern auf, die „Peek und Clop­penburg“ schein­bar extra angeheuert hatte und vor die Rei­­hen der Polizei stellte. Es gab erneut Rangeleien, ein paar Tritte und Knüppelhiebe. Bei der Abschlusskundgebung wurden 50.000 (!) Unterschriften gegen den Pelzhandel bei „Peek und Cloppen­burg“ entrollt. Nach der Demo hielten 60-70 Leute vor der Messe eine Mahnwache, die ohne Zwischenfälle ablief. Am Abend gab es das Antipelz-Fest im „Exil“ mit Live Musik von Chaoze One, Albino, madcap (die auch die Demo musikalisch begleiteten), sowie einem Drum´n´Bass DJ und lecker veganem Essen.

„Pelztier“-Farmen sind allesamt grausame Orte. Dies war zu keiner Zeit anders.

Rosa

Quelle: de.indymedia.org

Übrigens! Die Behauptung, dass es Pelztieren auf den Farmen wegen ihres glänzenden Felles physisch und psychisch „gut“ gehen müsste, lässt sich leicht entkräften: Mangeler­nährung, Bewegungsunfähigkeit und die ständige psychische Qual wirken sich erst nach ca. 7 Monaten im Fell aus, so alt werden diese Tiere aber nicht.

+ 1/4 der zu „Pelz“ verarbeiteten Felle stammen aus dem Fallenfang.

+ ca. 3/4 stammen aus „Pelztier“- Farmen.

+ 1998 wurden weltweit 25.746.000 Nerze und 3.668.000 Füchse in Farmen getötet.

+ In Deutschland gibt es ca. 40 Nerzfarmen, einige Fuchs- und Sumpfbiberfarmen sowie unzählige Chinchillazuchten in denen insgesamt ca. 270.000 Tiere untergebracht sind.

Quelle: offensive gegen die pelzindustrie

Bewegung

Schillers politisches Theater

Schiller lockt derzeit an allen Ecken. Ob nun als zweihundertjähriger Bühnenaufguss, als Logo auf Supermarkt-Rabatt-Marken oder als einfaches Abziehbild fürs Kinderzimmer. Hauptsache es schillert irgendwie. Schiller der große Literat, Schiller das ästhetische Genie! Ganz nebenbei schmückt man sich dabei die neu entfachten, nationalen Identifikationsbedürfnisse mit den welken Lorbeeren des Schillerschen Nationalismus aus, um noch im gleichen Atemzug zu behaupten, Kunst und Politik hätten nichts miteinander zu tun. Und doch! Gerade Schiller hatte entdeckt, wie sich Kunst als Theaterkultur mit seinen suggestiven Möglichkeiten für nationale Projektionen einspannen lassen könnte. Seine Forderungen nach einem „großen“ Nationaltheater blieben uneingelöst, sein Nationalismus abstrakt, der emanzipatorische Gehalt beschränkte sich auf den Affront gegen die herrschende Aristokratie. Die Geschichte des „deutschen“ Theaters ist seitdem zerrissen von Selbstbespiegelungen, kollektiven Psychosen, krampfhaften Deutungsversuchen und Nationalmeierei. Am Tropf der nationalen Kassen steuern die staatlichen und städtischen Subven-tionsbühnen gegenwärtig wieder einmal ihrem ästhetischen und politischen Ende entgegen, diesmal überholt von der Suggestionskraft der neueren Medien, wie Film und Funk. Doch anstatt sich um eine emanzipatorische Kunst und Politik zu bemühen, rechnet man Gevatter Staat die Zweckmäßigkeit der Theaterkunst für die ästhetische Bildung des Menschen vor.  Da schillerts wieder. Bleibt zu erwarten, daß Schatzwart Eichel demnächst die neuste Kunstdoktrin verkünden wird: Wir machen EINE Bühne, ein Theater für uns alle Deutschen! Nö, hab ich bei dem Gedanken zu mir selbst gesagt, da hört doch letztlich jede Emanzipation auf. Flugs griff ich Stift, Papier und Schillers Sammelwerk, das Ziel war klar: Der junge Friedrich gehört entlarvt!

Aufklärung…

Wenn in allen unsern Stücken ein Hauptzug herrschte, wenn unsre Dichter unter sich einige werden und einen festen Bund zu diesem Endzweck errichten wollten – wenn strenge Auswahl ihre Arbeiten leitete, ihr Pinsel nur Volksgegenständen sich weihte, – mit einem Wort, wenn wir es erlebten, eine Nationalbühne zu haben, so würden wir auch eine Nation.“(2)

Die Aufklärung, so wie sie in den Geisteswissenschaften epochal eingegrenzt wird, ist eine Zeit hoher und überhöhter Ideen gewesen. Sie markiert nicht nur das Ende der mittelalterlichen Dogmatik in Europa, von ihr aus nehmen auch die modernen Geistesströmungen des Humanismus, des Subjektivismus, des Individualismus bzw. Kollektivismus ihren Anfang. Universalistische, radikale bzw. rigorose Ideen empfangen von hier ihre Inspiration und Kraft. Und die Ansprüche der Aufklärer wirken fort: Gerade die postmoderne Kritik hat in den letzten drei Jahrzehnten die tief in die Moderne eingeschriebene Ambiguität (3) wieder mit ihren aufklärerischen Wurzeln identifiziert. Der Wahlspruch aufgeklärter Haltung: Sape audere! Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist nach wie vor in Geltung, ebenso wie das Vermächtnis des auf­klärerischen Denkens, die Aufforderung, die Geschichte in die eigenen Hände zu nehmen und Gesellschaft nach mensch­lichem Maß und Möglichkeit einzu­richten.

…und nationalistisches Theater

Wenn Friedrich Schiller um 1793 in einem Brief zur ästhetischen Erziehung des Menschen schreibt: „Das Zeitalter ist aufgeklärt…“ und dann fragt „… woran liegt es, dass wir noch immer Barbaren sind?“ (4), daran anknüpfend die Ausbildung des menschlichen Empfindungsvermögens als dringliches Bedürfnis der Zeit einschätzt – dann lässt sich der Gedanke dahinter nicht verstehen, trachtete man danach, ihn rein auf seinen ästhetischen Gehalt hin zu untersuchen. Sein Charakter ist durch und durch dem aufklärerischen Geist verschrieben, und d.h. er ist ordinär politisch. Denn das, was Schiller mit seinem Konzept der „Erziehung zur Empfindsamkeit“ verbindet, ist ja der emanzipative Anspruch, durch Gesellschaft und Geselligkeit die barbarische Natur des Menschen zu einer besseren heranzubilden, durch die Erziehung zur Empfindsamkeit eine humanere Vergesellschaftung einzusetzen. In gewisser Weise kann man in Schiller den Archetypus des bildungsbürgerlichen Intellektuellen sehen. Und darin hat er auch heute noch seine Anziehungskraft.

Hieraus wird auch ersichtlich, warum Schiller der Schaubühne, sprich dem Theater, eine wesentlich gesellschaftliche Funktion zuschrieb. Nicht um die Kunst vor dem Tagesgeschäft der Politik bloßzu­stellen, sondern gerade um durch die Förderung der Kultur, die ganz eigene Qualität des Kunstschönen gesellschaftlich nutzen zu können. Man kann die Schau­bühne mit Schillers Augen also so sehen: Als Ort, wo durch die Darstellung von Kunstschönem die Empfindsamkeit der rezipierenden Menschen gefördert, und für diese da­durch ein besserer Charakter erlangbar wird:

Unsere Natur, gleich unfähig, länger im Zustande des Tiers fortzudauern, als die feinern Arbeiten des Verstandes fortzusetzen, verlangte einen mittleren Zustand, der beide widersprechende Enden vereinigte, die harte Spannung zu sanfter Harmonie herabstimmte und den wechselsweisen Übergang eines Zustandes in den andern erleichterte. Diesen Nutzen leistet überhaupt nun der ästhetische Sinn oder das Gefühl für das Schöne.“ (5)

Aber Schiller will nicht nur auf die „Entspannung“ vom Tagewerk hinaus, er will diese in doppelte Zügel legen. Die ästhetische Genügsamkeit im (bloß) Schönen – hier als Kunstschönes – reichte seinem aufklärerischen Geiste lange nicht hin: „… weil der Weg zu dem Kopf durch das Herz muß geöffnet werden.“ (6), kann Kunst gleichsam nicht allein auf dem eigenen Potential des (nur) Schönen beruhen, sie soll auch im Sinne einer „verbesserten Einsicht“ des Verstandes wirken. Diese ermögliche ja erst den Einblick in die hohen aufklärerischen Ideale. Entspannung und gesteigerte Empfindsamkeit sind kein Sel­bstzweck sondern stehen im Dienst des ganzen Menschen als geselligen bzw. gesellschaftlichen, und das heißt für Schiller hier ganz konkret: Im Sinne eines national bewusst gebildeten Bürgers.

Indem Schiller also, als typischer Vertreter der zeitgenössischen Forderung nach einem deutschsprachigen Nationaltheater, Kunst und Kultur in ihrer eigenen Qualität begründet, verweist er auf ihre gesellschaftliche Brauchbarkeit, auf die Möglichkeiten ihrer politischen und politisierenden Wirkung. Die sind das Zentrum seines Interesses. Und nicht ohne Grund: In der deutschen Kleinstaaterei galt es ja Förderer aus dem aristokratischen Stand für das Projekt einer stehenden Bühne zu gewinnen, das lokale Bürgertum war kaum in der Lage, wie etwa in London oder Paris, Theater selbst zu finanzieren. Zumal mit der Nationaltheater-Idee auch der hohe Anspruch verbunden war, nicht nur einen repräsentativen Status einzunehmen sondern in internationale Konkurrenz zu anderen National-Bühnen zu treten. Die Forderung nach einer stehenden Bühne hatte so auch einen sehr technischen Aspekt: Die erforderliche Apparatur für große Inszenierungen, die Professionalisierung der Schauspieler, die Projektierung von Spielplan und Budget bedurften einer zentralen Infrastruktur – mit einem Wort, einer guten ökonomischen Grundlage.

Verbunden mit dem Repräsentationsanspruch dieser zu fördernden, stehenden Bühnen war aber auch eine Politik gegen die Wanderbühnen. Obwohl ihnen der Gehalt des Schönen (7) schlicht nicht abzusprechen war, konnten sich weder Adel noch die dünnen elitären Schichten des Bildungsbürgertums mit dem Theater der fahrenden Leute identifizieren. Staunend blickten sie nach England oder Frankreich, wo die Bühnen die Grundrisse des frühbürgerlichen Dramas durchexerzierten, mit satten Augen auf die banale Vergnüg­lichkeit der Schwänke, die hierzulande die Straßen belebten. Und gerade dieser Anspruch auf neue Repräsentation im Sinne einer Identität ist dieser Fluchtpunkt der bildungsbürgerlichen Theatervorstellung. Und hierin ist auch ihre politische Wirkung begrenzt. Der emanzipatorische Humanismus, insoweit er in den Texten zur Geltung kommt, hat gleichsam eine nationale Schranke. Schiller hat das, eingangs zitiert, glänzend markiert. Gerade die herausgehobene Einheit wird mit solcher Vehemenz vorgetragen, dass sie auffallen muß. Der Gebrauch bleibt dop­pelzüngig. Man kann ihn leicht als naiven Humanismus verstehen. Aber es sind mit den „Volksgegenständen“ und der Rede vom „wir“ nicht etwa ALLE Menschen angesprochen, auch nicht allein die Bildungsbürger deutscher Provenienz, sondern alle DEUTSCHEN, insoweit ist dem Schillerschen Humanismus schon zu trauen. Die Einheit, auf die Schiller dabei abzielt, ist letztlich die Identität im „Deutschen“. Die neue deutsche Nationalbühne soll ja nicht nur das französische oder das englische Nationaltheater nachahmen, sondern denen gegenüber einen ganz eigenen Wert zur Geltung bringen. Als Repräsenta­tionsmittel soll die Schaubühne identifizierend wirken, und zwar im Sinne eines deutschen Nationalismus, so der junge Schiller.

Dabei steht aber außer Frage, dass eine solche nationale Einheit (als politische und soziokulturelle) in den Zeiten dieser Forderungen innerhalb der deutschsprachig verwalteten Territorien gar nicht existierte. Damit bekommt aber das Theater auch eine eigentümliche gesellschaftliche Funktion zugewiesen. Es sollte nämlich zu­allererst eine Einheit suggerieren, die de facto illusionär war, und damit gleichzeitig diese Illusion befördern. Die Autoren sollten sich in Schillers Augen auf typisch „Deutsches“ einstellen, die Künstler ein deutsches Empfinden und Bewusstsein vor­spielen und die Nationalbühne DAS „Deutsche“ repräsentieren.

Schiller, der Nationalist

Derart eingespannt, wird die Schaubühne allerdings zum politischen Suggestions­theater – eine Apparatur zur Integration, Identifikation und Erzeugung von natio­nalem Bewusstsein unter Vortäuschung erreichter nationaler Einheit. Dieser Umstand wird noch dadurch verschärft, dass Schiller zwar das Ziel der intellek­tuellen Entwicklung des rezipierenden Publikums im Auge hat, aber immer wieder die Steigerung der (emotionalen) Empfindsamkeit als Wirkziel hervorhebt. Mit dieser Betonung der suggestiven Wirkung von Kunst hebt er aber zugleich auch ihre herrschaftstechnische Brauch­barkeit hervor und setzt sie dadurch doch wieder zurück in einen Zusammenhang, der droht, Kunst einseitig für politische Zwecke (hier nationale Integration) zu vereinnahmen. Dieser Anspruch der Vereinnahmung wird auf dem historischen Hintergrund verständlich. Schillers emanzipatorische Stoßrichtung zielte ja auf gesellschaftlichen Fortschritt, der für ihn die politische Installation einer deutschen Nation nach europäischem Vorbild bedeutete. Das bildungsbürger­liche Bewusstsein seiner selbst und seiner Zeitgenossen identifizierte dabei den eigenen Wunsch und das eigene Interesse nach „höherer“ Einheit mit einer diese Einheit repräsentierenden Bühne. (8)

Im Rahmen der Politik dieses frühen Bürgertums gegen die Dominanz und Vormachtstellung des Adels verlor die Forderung nach einem National­theater jedoch schon früh jeden emanzi­patorischen Gehalt. Die neue National­kultur wurde alsbald staatlich dirrigiert und durch­gesetzt. Der preussische Staatskultus verband identifikatorische Kulturpolitik und Repression, um die deutschverwalteten Splitterstaaten zu einer neuen Einheit zu verschweißen.

Aber anstatt diese neue „Größe“ und Einheit der Nation zu repräsentieren, degenerierte das deutsche Theater – auch als Folge der Politik gegen die Wanderbühnen – im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder zu einem Hof- und Burgtheater zur hauptsächlichen Vergnügung des deutschen Spätadels und verlor jede öffentliche Relevanz. Wie so oft, ein deutsches Trauerspiel.

Wer braucht Nationaltheater?

…wenn Menschen aus allen Kreisen und Zonen und Ständen, abgeworfen jede Fessel der Künstelei und der Mode, herausgerissen aus jedem Drange des Schicksals, durch eine allwebende Sympathie verbrüdert, in ein Geschlecht wieder aufgelöst, ihrer selbst und der Welt vergessen und ihrem himmlischen Ursprung sich nähern. Jeder einzelne genießt die Entzückung aller, die verstärkt und verschönert aus hundert Augen auf ihn zurückfallen, und seine Brust gibt jetzt nur einer Empfindung Raum – es ist diese: ein Mensch zu sein.“(9)

Der junge Schiller weiß seinen Humanis-mus klug auszuspielen, allerdings ist auch seine nationale Selbstbeschränkung klar ge­worden. Der Schluß liegt offen auf der Hand: Wer nach dem Nationaltheater ruft, schreit nach der Einheit und der Repräsen­tation im Staat, nach dessen Portemonnaie ganz nebenbei. Warum soll die Bühne aber nur EIN Theater bieten? Noch dazu die Politik des Theatertreibens sich nationa­listisch bestimmen? Die Frage klingt im ersten Moment nach einer einfachen Antwort, etwas anachronistisch gar. Freilich, ein deutsches Nationaltheater hat es ebenso wenig gegeben, wie eine deutsche Nation nach europäischem Vorbild. Dennoch steht diese Frage am Ausgangs­punkt der Überlegungen zu einem deutsch­sprachigen Theater mit nationaler Relevanz und repräsentativem Anspruch. Mit „ja!“ haben etwa Schiller, Gottsched oder Lessing darauf geantwortet, im Vorgriff auf eine noch zu integrierende Nation, und dem Theater dabei auch gleich eine solche integrierende gesell­schaftliche Funktion zugewiesen. Mit „ja!“ Antwortet ein spärlicher Chor Aufge­rüttelter derzeit, um einer finanziellen Aushöhlung der „großen“ Bühnen entge­genzutr­eten.

„Nein!“ halte ich der Tradition entgegen. Emanzipation weist heute weit über die nationale Grenzenzieherei hinaus. Poli­tisches Theater auf der großen Bühne ist zwar wünschenswert, doch nationales Phrasen­dreschen kann sich jeder sparen. Der Staatskultus deutscher Prägung hat sich seine große Arena bereits geschaffen: den Reichstag zu Berlin – im Dauerlicht der nimmersatten Fernsehaugen. Nicht Besitz­standswahrung und der Ruf nach vollen Kassen wird der Bühne in die politische Zukunft weisen, sondern die ernsthafte Auseinandersetzung mit der sozialen Wirklichkeit, die sie umgibt. Die For­derung nach einem politischen Theater, nach politisierender Wirkung enthebt aber auch die Kunst- und Theaterschaffenden ihrer Leichtigkeit, ihrer asozialen Tendenz: l’art pour l’art, Kunst um der Kunst willen, der Wahlspruch des isolierten Bürgers ist suspendiert. Zum Ideal des (bloß) Schönen tritt das des Nützlichen hinzu.

Emanzi­pa­tive Kunst kann deshalb für das gegenwärtige politische Theater doch nur bedeuten, sich eine neues Publikum aufzuschließen, aus der Kantine in die Stadt zu treten und einen progressiven Blick auf die Geschichte wieder zugewinnen. Da ist der Schiller nämlich nicht seit heute obsolet. Die Nation ist Wirklichkeit und hat sich ausgewachsen, so daß sie heute jede Freiheit zu ersticken droht, in Antragsflut und Ordnungswut. Dagegen kühn die Zukunft zu entwerfen, ist auch der Anspruch an die Kunst, den ich erhebe: Mehr Aufklärung statt Suggestion! Mehr Offenheit statt elitärem Dünkel! Konkreter und kontroverser, statt allgemeiner und platter, und letzlich wirklicher statt ewiggleiches „realistisch-mangelhaft“. Ob mit, ob ohne Schillerische Dichterei ist dann die Frage zweiter Wahl. Das Theater braucht konkrete Utopie.

clov

(1) Schiller, Friedrich, „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“, in: Derselbe, „Vom Pathetischen und Erha­benen“, Reclam, Ditzingen, 1999, S. 11
(2) Ebenda, S. 12
(3) Ambiguität – hier: widersprüchliche Mehrdeutigkeit
(4) Schiller, Friedrich, „Über die Grenzen der Vernunft“, in: „Was ist Aufklärung?“, Reclam, Ditzingen, 1998, S. 53
(5) Schiller, Friedrich, „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“, in: Derselbe, „Vom Pathetischen und Erha­benen“, Reclam, Ditzingen, 1999, S. 3
(6) Ebenda, S. 55
(7) Hier oftmals mit der positiv besetzten Kategorie der Volkstümlichkeit verbun­den.
(8) „Die Schaubühne ist der gemeinschaftliche Kanal, in welchen von dem denkenden bessern Teile des Volks das Licht der Weisheit herunterströmt und von da aus in milderen Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet. Richtigere Begriffe, geläuterte Grundsätze, reinere Gefühle fließen von hier durch alle Adern des Volks …“ Schiller, Friedrich, „Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“, in: Derselbe, „Vom Pathetischen und Erha­benen“, Reclam, Ditzingen, 1999, S. 10
(9) Ebenda, S. 13

Theorie & …

Libertäres Afrika

Südafrika gehört (neben Nigeria) zu den industrialisiertesten Ländern Afrikas. Das Interview mit  J. Black, ZACF, wurde im Ende 2004 von der Agência de Notícias Anarquistas (Brasilien) geführt und wirft uns ein Licht, wo sonst nur Dunkel ist.

Wie steht es heute um die anarchistische Bewegung in Südafrika?

Es gibt eine kleine anarchistische Bewegung in Südafrika seit etwa Beginn der 1990er. Sie findet sich aber noch in den Kinderschuhen, obwohl libertäre Ideen in den sozialen Bewegungen der letzten fünf Jahre immer populärer geworden sind. Es gibt auch marxistisch dominierte Jugendorganisationen in Swaziland, wo sich einige Mitglieder für Anarchismus interessieren.

Wie setzt sich die Bewegung zusammen?

Die wichtigste Vereinigung des organisier­ten Anarchismus in Südafrika ist die Zabalaza Anarchist Communist Fede­ration (ZACF), die dieses Jahr ihren ersten offiziellen Kongress in Johannesburg abhielt. Die Aktivitäten der ZACF – die gebildet wird von der Black Action Group, dem Bikisha Media Collective, den Zabalaza Books, dem Anarchist Black Cross und der nun aufgelösten Zabalaza Action Group – umfassen Propaganda und Bildung, indem wir anarchistische Lite­ratur schreiben, veröffentlichen und verbreiten, und indem wir politische Bil­dungs­­foren ausrichten und an sozialen Bewegungen und Gemeinschaften ebenso teilnehmen wie an Organisationsver­suchen in Gefängnissen.

Wo liegt derzeit euer Schwerpunkt?

Zur Zeit versuchen wir, die demoralisierten und enttäuschten ArbeiterInnen zu organi­sieren, die an der WITS-Universität ausgegliedert wurden. Außerdem nehmen wir an sozialen Bewegungen teil, die sich gegen die Privatisierung der Wasser- und Stromversorung und gegen Zwangs­räumungen richten. Schließlich versuchen wir, Gefangene zu organisieren.

Bringt ihr viele Bücher und Publikationen heraus?

Die ZACF gibt „Zabalaza: A Journal of Southern African Revolutionary Anarchism“ heraus und, wenn auch nur sporadisch, den „Black Alert: Paper of the Anarchist Black Cross – Anti-Repression Network“. Wir schreiben und produzieren auch verschiedene anarchistische Flug­blätter und Kritiken, die den aktuellen Klassenkampf in Südafrika und seine Geschichte berühren, wie zum Beispiel „Class Struggles in South Africa: From Apartheid to Neoliberalism“. Außerdem reproduzieren wir viele zeitgenössische und klassische anarchistische theoretische und praktische Texte. Zabalaza Books begann jüngst auch mit der Herausgabe des Buches „African Anar­chism“ der nigeria­nischen Anarchisten Sam Mbah und I.E. Igariwey von der Aware­ness League, wie auch von „Hungary ’56“ von Andy Anderson.

Gibt es auch anarchistische Lokalitäten, oder Kulturzentren?

Es gibt ein sehr kleines Gemeindezentrum im Motsoaledi-Town­ship von Soweto, das von Anar­chisten betrieben wird. Das ist ein kleiner Lese­­raum und eine Bibliothek, die anar­chis­­tische Literatur beherbergt. Es werden dort aber auch politische und unterhaltsame Video­s gezeigt. Die Aktivisten betreuen auch einen kleinen Gemüsegarten und bieten in jüngster Zeit eine Tagesbe­treuung für kleine Kinder an. Daneben gibt es noch zahlreiche andere Gemeinde­zen­­tren, die von der Basis betrieben werden, aber nicht spezifisch anarchistisch sind – immerhin findet man auch dort anarchistische Literatur und Einflüsse unserer Ideen. Eines der wichtigsten Ziele der ZACF für die nähere Zukunft ist der Aufbau eines anarchistisch betriebenen Gemein­de­­zentrums oder Infoladens, wo wir unsere Materialien verteilen, Workshops etc. machen können.

Gibt es in Südafrika eine anarchistische Tradition?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine relativ große anarchistische Bewegung in Gestalt der anti-parlamen­tarischen Communist Party of South Africa (nicht zu verwechseln mit der reformis­tischen Communist Party of South Africa – Communist International!), des Socialist Club, der International Socialist League, der Industrial Workers of Africa, der Industrial Workers of the World South Africa und der Industrial Socialist League – sie alle wurden zwischen 1900 und 1920 in Südafrika gegründet. Außerdem gab es in Mozam­bique die Revolutionary League und anarcho-syndikalistische Gewerk­schaften, die mit der portugiesischen CGT verbunden waren und die mozambi­quanische ArbeiterIn­nen­bewegung der 1920er dominierte. Diese Traditionen im südlichen Afrika wurde durch die beiden Weltkriege und das nationalistische Regime leider ausgelöscht; ein Wieder-Anknüpfen war erst möglich, seit das Apartheid-Regime niederging und das „Gesetz zur Unterdrückung des Kommu­nismus“ aufgehoben wurde. […]

Gibt es ein anarchistisches Projekt, das du hervorheben möchtest?

Im Moment gibt es ein Projekt, dem ich mich leiden­schaftlich verbunden fühle, und zwar eine Unterstützungskampagne für inhaftierte Anti-Apartheid-Kämpfer und politische Gefangene, die noch immer in den Kerkern Südafrikas vegetieren. Die Kampagne soll dem Los dieser Gefangenen Aufmerksam­keit verschaffen, in der Hoffnung, dass wir ausreichend öffentliche Unterstützung erzeugen können, damit diese Leute amnestiert werden. Einige dieser Gefan­genen interessieren sich sehr für Anarchis­mus und wir hoffen, dass wir durch sie, über die Gefängnisorgani­sation hinaus, in die sie involviert sind, auch ihre Familien und Gemeinden erreichen können, die die repressive Rolle des Staates direkt erfahren haben.

Wird die anarchistische Bewegung in erster Linie von Schwarzen gebildet?

Das Proletariat in Südafrika ist mehrheitlich schwarz, aber aufgrund der Geschichte – mit dem mangelnden Zugang zu Informa­tionen für die unterprivilegierten Klassen und speziell die „Nicht-Weißen“ während der Apartheid – war die Mehrheit der bewussten Anarchisten tatsächlich weiß. Bis auf wenige Ausnahmen, gelang es uns erst im Zuge der Mobilisierung gegen den UN-Gipfel über Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002, Kontakte zu schwarzen Anarchisten aus den Townships aufzubauen. Sie sind erst vor kurzem mit anarchistischen Ideen in Berührung gekommen, was vor allem auf unsere Propaganda in sozialen Bewegungen zurückzuführen ist. In letzter Zeit zeigen auch einige politische Gefangene zuneh­men­des Interesse am Anarchismus, oder bezeichnen sich jetzt selbst als Anarchisten.

Was ist heute das größte Problem des Anarchismus in Südafrika?

Das größte Problem der anarchistischen Bewegung in Südafrika ist, wie vielleicht aus dem Gesagten schon hervorgeht, dass es keine anarchistische oder libertäre Massen­bewegung gibt, gleichwohl wir Kontakte haben zu sozialen Bewegungen und Gras­wurzelaktivisten in den Gemeinden. Da die Massenbewegungen von Reformisten und autoritären Sozialisten dominiert werden, haben wir es aufgrund unserer geringen Anzahl und der Begrenztheit unseres Einflusses und Budgets sehr schwer, eine praktische Alternative zum autoritären Sozialismus herauszustellen.

Wie sehen die Perspektiven aus?

Die ANC-Regierung trägt viel dazu bei, die Leute über die Rolle der Politik zu desillusio­nieren, was die Verbesserung der allgemei­nen Lebensbedingungen angeht. Und die trotzkistisch geprägte Führung des Anti-Privatisierungsforums (APF), das als soziale Bewegung aus der ArbeiterIn­nen­klasse entstanden ist1, will das APF nun als „Arbeitermassenpartei“ registrieren und zu Wahlen antreten – ein Gedanke, der heiß debattiert wurde, wobei sich in der sozialen Bewegung zwei oppositionelle Gruppen ergaben: eine libertäre und autonome, und eine autoritär-hierarchische. Diese Situa­tion könnte eine gute Gelegenheit für Anarchisten bieten, all jene Aktivisten in einer Volksfront der unterdrückten Klassen zu versammeln – orientiert an den Prinzi­pien der direkten Aktion, der Gleichheit, etc. –, die der parlamentarischen Politik ablehnend gegenüber stehen. Außerdem scheint mir die Einrichtung eines anarchis­tischen sozialen und kulturellen Zentrums äußerst wichtig, das für die ArbeiterInnen­klasse leicht zugänglich ist, damit unsere Materialien mehr Leute erreichen.

In welchen anderen Ländern des Konti­nents gibt es noch anarchistische Strömun­gen?

In Nigeria existiert bereits seit einigen, etwa zehn Jahren die anarcho-syndikalis­tische Awareness League, die zur Zeit etwa 1.000 Mitglieder hat, obwohl die Zahl in letzter Zeit wohl gesunken ist. Im Jahr 2000 oder 2002 hatten sie eine eigene Radiostation eröffnet, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie noch auf Sendung ist. Die Awareness League schloss sich im Dezember 1996 der anarchistischen Internationale IAA an. In Kenia gibt es die Anti-Capitalist Conver­gence of Kenya, die meines Wissens wie die Washington DC Anti-Capitalist Conver­gence aufgebaut ist und von libertären Kommunisten, Mar­xisten und anderen Sozialisten ins Leben gerufen wurde, um „die allgemeine Öffentlichkeit mit revolutionären Ideen, Propaganda und Aktionen zu erreichen“. Außerdem hat wohl die französische Sektion der IAA, die CNT, einige Kontakte zu Anarchosyndikalisten in Algerien. Außerdem scheinen einige Gruppen in den Gewerkschaften Marokkos aktiv zu sein. Die australische Zeitschrift „Organise“ berichtete, dass auf dem XXI. IAA-Kongress im Dezember 2000 von einer Organisation in Zaire­/Kongo die Rede war. Gerüchteweise gibt es auch in Uganda, Sierra Leone und Ägypten einige, mög­licher­weise sehr wenige aktive AnarchistIn­nen. Zudem haben wir Kontakt zu marxistisch beeinflussten Revolutionären vom Swaziland Youth Congress (SWAY OCO) und der Students Union of Swazi­land, die reges Interesse am Anarchismus äußerten. Sie sehen darin ein Kampfmittel gegen das monarchistische Tinkundla-Regime, und wir hoffen, die Beziehungen weiter ausbauen zu können.

Fühlt ihr euch in die weltweite anarchis­tische Bewegung integriert?

Im allgemei­nen leistete die internationale anarchis­tische Gemeinschaft sehr viel Unter­stützung und wir stehen regelmäßig in Kontakt mit zahlreichen AnarchistInnen und Organisationen aus der ganzen Welt. Wir hatten auch Gelegenheit gehabt, einige AnarchistInnen aus Ländern wie Schwe­den, Amerika, Irak, England, der Schweiz etc. zu treffen als sie Südafrika besuchten. Die ZACF ist auch Mitglied des anarchis­tischen Netzwerks International Liber­tarian Solidarity (ILS), in dem wir regel­mäßigen Austausch pflegen. Außerdem wenden sich viele AnarchistInnen aus dem Ausland an Zabalaza Books. Ich sehe vielmehr eine Isolation in Hinblick auf die anarchistische Bewegung im Rest des afrikanischen Kontinents, wie im globalen Süden allgemein. Dort ist meines Erach­tens die Kommunikation schwieriger als im Norden.

Welche Erwartungen verbindest Du mit dem Besuch in Brasilien?

Ich will beginnen, Brüc­ken zu bauen über die Kommu­ni­ka­tions­­gräben, die zwischen den anar­chistischen Bewegungen des Südens bestehen. Ich will Netzwerke aufbauen zwischen den verschiedenen Plätzen in Brasilien und in Südafrika, die ich kennengelernt habe. Ich glaube auch, dass die Lebensbedingungen in Brasilien denen in Südafrika nicht ganz unähnlich sind, und ich möchte erfahren, wie sich brasi­lianische Anarchisten in die sozialen Bewegungen – etwa zu Wohnrecht und Bildung – einmischen. Ich möchte auch berichten über die Bedingungen in Südafrika, nach zehn Jahren von „Freiheit“ und „Demokratie“, berichten über wach­sende Ungleichheit, Neo-Liberalismus etc. Nicht zuletzt will ich Solidarität organisie­ren für unsere Kampagne für die politi­schen Gefangenen des Apartheid-Regimes.

Danke für das Interview. Ein letztes Wort?

Danke für die Gelegenheit, ein bißchen über die kleine, aber wachsende anar­chistische Bewegung in Südafrika zu erzählen. Lasst uns den Druck erhöhen!

Übersetzung ins Deutsche: A.E.

www.zabalaza.net
(1) vgl. Feierabend! #13

Nachbarn

Definitionssache „Humankapital“

„Unworte bereiten Untaten den Boden.“ Diese Wahrheit meinte Johannes Rau schon zu kennen. Ist es nicht schön zu wissen, wer die Definitionsmacht vertritt?

„Humankapital“ ist zum „Unwort“ des Jahres 2004 gewählt worden. Anlass zur Rüge war die Verwendung des Begriffs in einer offiziellen Erklärung des EU-Parlaments, die damit die „Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie das Wissen, das in Personen verkörpert ist“ betriebswirtschaftlich definiert. Die Wahl legitimiere sich durch den Anspruch, Menschlichkeit im Gebrauch der deutschen Sprache zu bewahren. Der Begriff Humankapital wurde beanstandet, da er „Menschen nur noch zu ökonomisch interessanten Größen degradiere“. Was ist falsch daran?

Die Erkenntnis ist schmerzvoll, doch Humankapital ist ein ehrlicher Begriff, der sachlich angemessen ist. Durch die Wahl zum Unwort wurde dies (wegen einer verkürzten Begriffsdefinition und dem Fehlen des kontextuellen Gebrauchs) jedoch nicht erkannt und passt ins bildungsbürgerliche Denkschema, welches eine differenzierte Erklärung der verschiedenen Bedeutungsebenen zu oft nicht beachtet. Dem Ökonomen sei Humankapital halt ein Wort aus seiner wirtschaftswissen­schaftlichen Fachsprache und gehöre nur dahin – basta.

In der Begründung der Wahl wurde durch die Jury Humankapital mit deren negativen Konnotation verwendet. Es reduziere den Menschen nur auf seinen wirtschaftlichen Wert und sei deshalb erniedrigend. Natürlich ist es das, doch in der Logik des Kapitalismus, der sich nur am Profit orientiert, ist dieser Wert ein positiver Begriff, was natürlich auch von WirtschaftswissenschaftlerInnen behauptet wird und man beurteilt die Un­wortwahl als „zynischen Versuch einer kontraproduktiven Denunziation eines konstruktiven Weges im Personalmana­ge­ment“. In dieser Fachsprache sei Humankapital der Wert eines Menschen im positivem Sinne, indem dieser als Erfolgsfaktor eines Unternehmen betrachtet und nicht nur als Verursacher von Kosten gesehen wird. Jedoch ist nicht die Unwortwahl ein zynisches Urteil sondern diese Art der Argumentation aus der Unternehmensper­spektive, die den Menschen nur auf einen Multiplikator von Kosten und Gewinnen eines Produktionsbe­trie­bes reduziert. Obwohl es zu oft verdrängt wird, sind die Vorgänge in der Wirtschaft weniger von den Interessen der Men­schen als von jenen des Kapitals bestimmt. Die Begriffsverbindung von Mensch und Kapital bestätigt die Überlegenheit des Kapitals, dem sich der Mensch unterzuordnen hat. Aber müssten wir nicht wissen, dass nur die Menschen Wert schaffen können und dass nur wir die Gesellschaft gestalten und nicht ein unnötiges Kapital?

Durch die Unwortwahl beabsichtigen die Sprachkritiker ein Diskussionsangebot zu geben, welches zu mehr sprachkritischer Reflexion anregen soll. Die Wirkung in der medialen Öffentlichkeit war jedoch sehr einseitig, da mehr Wert auf die formale Beschreibung der Unwortaktion, die Vorstellung der Jurymitglieder, sowie den Anlass und die verkürzte Wahlbe­gründung gelegt wurde. Während der Recherche nach der Öffentlichkeit in welcher Humankapital verwendet wird, stößt man auf Erklärungen von politischen Parteien, die mit dem Begriff jonglieren. Es zeigt, dass sich die politische Rhetorik und unternehmensorientierte Praxis stark an der Wirtschaft orientieren und beweist die wirtschaftliche Perspektive bzw. Bewertung des Menschen im Gesetzgebungsprozess.

Neben Boden und Arbeit sei das Kapital in der Volkswirtschaftslehre der dritte Produktionsfaktor und beschreibe die Besitzverhältnisse. Die Vermehrung von Kapital steht im Mittelpunkt dieser Vergesellschaftung, wo menschliche Bedürfnisse fehl am Platz sind und Identitätsbildung oft nur über die Lohnarbeit erfolgt. Doch warum soll ich mich mit Lohnarbeit identifizieren, die mich „beschäftigt“ hält, mich zubildet, in vorgefertigte Formen zwingt und mir keinen Raum zum eigenständigen Denken, Handeln und Gefühle auch auszuleben gibt?

Die Behauptung zu wissen, es gäbe keine Alternative, ist doch nur eine feige Ausrede, nicht danach zu suchen. Die Verbindung des Kapitalbegriffs mit dem Menschen vernebelt in seiner ökonomischen Definitionsrhetorik die herrschenden und kapitalbedingten Unterdrückungsmecha­nismen. Humankapital birgt eine alte Wahrheit, die es auszusprechen gilt, um sie verändern zu können.

droff

Grundsätze der Wahl zum „Unwort des Jahres“

„Die Aktion ‚Unwort des Jahres’ will für mehr sachliche Angemessenheit und Humanität im öffentlichen Sprachgebrauch werben. … Die Rügen verstehen sich in erster Linie als Anregung zu mehr sprachkritischer Reflexion. Eine Zensurabsicht liegt der Aktion fern. … Jeder Bürger und jede Bürgerin kann Vorschläge machen.“ Sprachwissenschaftler- und VertreterInnen der öffentlichen Sprachpraxis bilden die Jury, die alle Vorschläge in einer „groben Vorsortierung“ in die Kriterien der Unwortwahl, „aktuell“, „sachlich grob unangemessen“, „inhuman“, einteilen. Letztendlich erfolgt die Entscheidung „ausschließlich nach inhaltlichen Kriterien“.

(Quelle: www.unwortdesjahres.org/satzung.htm)

Unschöne und unerwünschte Wörter

1991 Ausländerfrei

1992 Ethnische Säuberung

1993 Überfremdung

1994 Peanuts

1995 Diätenanpassung

1996 Rentnerschwemme

1997 Wohlstandsmüll

1998 Sozialverträgliches Frühableben

1999 Kollateralschaden

2000 national befreite Zone

2001 Gotteskrieger

2002 Ich-AG

2003 Tätervolk

2004 Humankapital

über´n Tellerrand

Buch-Buh-Bundeswehr

Die Bundeswehr hat die (Kriegs-)Flagge auf der Leipziger Buchmesse 2005 gestrichen! Im Vorjahr 2004 noch bar aller Bücher größter Einzelaussteller auf der Buchmesse, traten die Feldgrauen dieses Jahr den strategischen Rückzug an. Proteste, 1.200 Unterschriften gegen ihre Anwesenheit und die bekundete Ablehnung vieler Verlage haben offenbar Wirkung getan. Hinzu kam die negative Publicity für die Leipziger Buchmesse durch die gewalttätige Anwesenheit von Feldjägern und Polizei. Offenbar um weiteren Imageschaden für Messe und Kriegskampagne zu vermeiden, machte die Bundeswehr wegen angekündigter neuer Proteste nach eigener Aussage den Rückzieher. Jaja – die Kultur ist ein Minenfeld, das mussten nun auch die Anwerbe-Soldaten lernen.

Wir konnten also eine Buchmesse ohne die auf Tölpelfang im Jugend- und Kindermessebereich ausgehende Bundeswehr erleben. „Der Weg zum Frieden führt über den Schulhof“, so warb damals Deutschlands Streitmacht, wobei doch die Interpretation „Der Weg zum Friedhof führt über den Schulhof“ augenscheinlich näher lag. Bücher statt Bomben!

LPA

über´n Tellerrand

Schnüffeln – bitte nur persönlich

Demokratie heißt mal ganz wörtlich genommen Volksherrschaft. Die Bundesrepublik hat die Staatsform einer parlamentarischen Demokratie. Das Volk übt seine Macht dadurch aus, daß es Abgeordnete in das Parlament wählt, das Gesetze im Sinne des regierenden Volkes beschließt. Durch den Staat einschließlich des ihm gegebenen Machtmonopols werden die Gesetze zum Wohle des Volkes zur Wirkung gebracht. Soviel zur Schulweisheit, nachzulesen in einschlägigen Schulbüchern.

Bedenken wir die jüngsten Ergebnisse deutscher Gesetzgebung wie die Änderungen zum Sozialgesetz, bekannt geworden als Harz IV, die Änderungen im Sozial­versicherungsrecht, bekannt geworden als Gesundheitsreform, diverse Steuerreformen, die Einführung der Autobahnmaut, die uns als Kostenfaktor der Transportunternehmen bald als Umlage im Supermarkt wiederbegegnen wird und die Gesetze zur Terrorismusbekämpung mit umfassenden Abhörbefugnissen des Staates, kommt man zu einer ganz anderen These.

Aus der Erinnerung erwacht Altbekanntes zu neuem Leben, im Konsumrausch und bei der Schnäppchenjagd fast vergessen: Die Besitzenden bilden die herrschende Klasse. Der Staat ist das Machtinstrument der herrschenden Klasse. Und die altbekannte Frage ist wieder bedenkenswert: Wem nützt es?

Die Gesetze der jüngeren Vergangenheit ergänzen einander. Der Staat ist an Erkenntnissen über seine Bürger interessiert, die mit der offiziellen Begründung wenig zu tun haben. Als Mittel im Kampf gegen die organisierte Kriminalität hat sich der Staat Zugriffsrechte auf die Internet-anbieter und den privaten E-Mailverkahr geschaffen. Das war vor dem Terroranschlag auf das International Trade Center in New York. Deutschland, so hat sich herausgestellt, war das Planungsland des Anschlags. Sollte hier nicht die Frage erlaubt sein, ob das Überwachungswerkzeug im Kampf gegen den Terrorismus nichts taugt, weil sich Terroristen eben nicht unverschlüsselt per E-Mail über ihre Absichten unterhalten oder wird das Werkzeug zur Überwachung der eigenen Bürger benutzt. Schließlich könnte es doch beispielsweise sein, daß ein ALG 2- Empfänger seinem Enkel per E-Mail mitteilt, daß er dessen fällige KFZ- Steuer und Versicherung von etwa 1000,00 Euro aus einer persönlichen Rücklage auslegen kann. Dann können die zuständigen Organe zugreifen und nicht angegebene Ver-mögenswerte bei der Streichung des ALG 2 geltend machen.

Im Reigen der Gesetze erscheint ein Werk absonderlich und unmotiviert. Wie ein lustiger Hanswurst in einem Trauerzug präsentiert sich die deutsche Rechtschreibreform. Selbst auf die Gefahr der eigenen Lächerlichkeit hin wird von der Politik ein Gesetz verabschiedet, das keine Rechtsfolgen kennt. Oder können wir uns ein Ordnungsstafverfahren wegen Orto-grafiefehlern vorstellen? Was soll das? Scheinbar unmotiviert soll mit Ge-stzeskraft festgeschrieben werden, was lebt, sich ständig verändert und dies auch in Zukunft tun wird.

Aus unserer Sicht gibt es einen guten Grund für die Normierung der Sprache über den bisherigen Stand hinaus, der wie der letzte Stein in ein Puzzle passt: Das ist die bessere Erfassbarkeit durch Datenerfassungssysteme.

Als in der Mitte der 80er ein staatlicher Leiter in einem DDR-Betrieb eine unbequeme Mitarbeiterin loswerden wollte, marschierte er als ehemaliger MfS-Mitarbeiter zur Sparkasse und verlangte dort mit Vorlage seines Dienstausweises Konteneinsicht. Aus der Kontenbewegung mit durchaus einigen kurzfristigen Überziehungen konstruierte er einen Kündigungsgrund, da die Mitarbeiterin dienstlich mit der Portokasse zu tun hatte und für den Umgang mit betrieblichen Geldmitteln nicht mehr geeignet war. Ja, das war noch echte Handarbeit, gepaart mit Ideenreichtum und Initiative. Heute kann man den gleichen Vorgang in einem Arbeitsgang erledigen, ohne die Finger von der PC-Tastatur zu nehmen. Auch das Abhören von Telefonen war beim MfS echte Handarbeit. Die Genossen benutzten speziell konstruierte Kassettenrecorder, um einigermaßen effektiv die Zielpersonen und deren Kontakte zu erfassen. Und Alles mußte dann abgehört und vor Allem bewertet werden. Dabei war das Telefonnetz in der DDR eher unterentwickelt, ein Telefonanschluß war ein Glücksfall. Es hatte sich eingebürgert, am Ende eines Gespräches alle die, die sonst noch mithören, ganz nett zu grüßen. Es liegt uns fern, auch nur den Anschein von Stasi-Nostalgie zu erwecken. Es geht um den wesentlichen Unterschied von zwei Überwachungssystemen in technischer Hinsicht, die neue Dimension der Datenmengen. Das DDR-Telefonnetz war überschau- und abhörbar. Das Internet sprengt alle Möglichkeiten der manuellen Überwachung. Immer größere Datenmengen werden mit immer neuen Techniken übertragen. Die berühmte Nadel in Heuhaufen ist dagegen der Wink mit dem Zaunpfahl. Es ist zwingend nötig, die Rechner bei der Bewertung des zugänglichen Materials einzusetzen und eine maschinelle Vorauswahl zu organisieren. Das können schon die vom Internetsurfen allgemein bekannten Suchmaschinen. Suchmaschinen arbeiten mit Schlüsselwörtern und werden Texte erfassen, die bestimmte Schlüsselwörter zum Inhalt haben. Wir können aber auch davon ausgehen, daß weitere und bessere Anwendungen die Texte auf bestimmte zusammenhängende Fragmente hin untersuchen. Hier passt nun der oben erwähnte Puzzlestein: die normierte Sprache. Eine standardisierte Sprache erlaubt Analyseprogrammen einen vereinfachten Zugriff auf den Inhalt der Daten.

Die Sprache ist ein Zuordnungssystem von Symbolen, die reale Gegenstände bezeichnen. Durch gesellschaftliche Übereinkunft entstehen kulturelle Unterschiede, es existieren Nationalsprachen und Dialekte. In einer der Sprachtheorien unerscheidet man darüberhinaus harte und weiche Sprachen. Eine harte Sprache bedeutet, daß es für jeden Gegenstand genau ein Symbol, also ein Wort gibt. Es besteht zwischen dem Orginal und der Abbildung Eineindeutigkeit. Bei weichen Sprachen gibt es in der Zuordnung Mehrdeutigkeit. Der Vorteil einer harten Sprache, die genaue Abblidung der Realität zu ermöglichen, stößt bald an eine Grenze. Sobald ein neuer Sachverhalt beschrieben werden soll, ist das mit dem vorhandenen Zeichenvorrat nicht möglich. Der Ausweg aus diesem Dilema ist eine gewisse Mehrdeutigkeit, die die Sprache weich werden lässt. Nur so ist es möglich, mit der bestehenden Sprache neues Begriffe zu schaffen. Umgangssprache wird daher immer ein Kom­promiß zwischen hart und weich sein müssen. Mehrdeutigkeiten in der Wortzuordnung werden durch das Verständnis des Zusammen­hanges mög­lich. Aus dem Kontext können wir die verschiedenen Bedeutungen einzelner Wörter einordnen. Begriffe wie Diäten, Vertreter, Leiter, usw. können nur aus dem Sinnzusammenhang des übrigen Textes verstanden werden. Durch diese Eigenschaften sind harte Sprachen besser geeignet, maschinell analysiert zu werden. Das Verständnis einer weichen Sprache setzt das Verständnis des Gesamtzusammenhanges voraus. Das geschieht durch Kombination der möglichen Zusammenhänge und der Aussonderung der sinnlosen Kombinationen. Weiche Sprachen sind daher wenig maschinenverständlich. Beispiele für harte Sprachen sind Programmiersprachen wie Basic, C usw, bei denen jeder Anweisung genau ein Befehlsablauf zugeordnet ist und auch kleinste Fehler nicht durch einen Zusammenhang richtiggestellt werden können. Ein Beispiel für weiche Sprache sind Gedichte, bei denen ein Text verschiedene Interpretationen zulässt.

Betrachten wir im diesem Zusammenhang die Neuregelungen der Rechtschreibreform, wird die Veränderung zu mehr Eindeutigkeit, also Härte deutlich. Verben werden ihren Stammsubstantiven angeglichen, Sonder-regelungen werden aufgelöst, Trennregeln lassen den getrennten Teile im Einzelnen eine Bedeutung zuordnen und das im Englischen unbekannte ß entfällt weitgehend. Die Rechtschreibung wird zwar einfacher, aber vielleicht ist es nicht nur paranoid anzunehmen, daß die Reform die Sprache genau wie den künftigen Personalausweis maschinenlesbar machen soll. Das könnte die Intensität der Bemühungen der Politik bei der Durchführung der Recht-schreibreforn erklären.

Was machma nu ? Dor sächsche Dio-legd is so scheen weech, dassa nich moschinläsbor is. Ohne dän Gondeksd gehd nix. Schedor Gombschudor hängt sich uff, wenna dormid zuräschdegommn soll. Nu is wieda Handorbeet gefrocht, die Schungs vom schielenden Otto misssn sisch berseenlisch bemiehn, wennse was midgriechn wolln. Gann awor sinn, dass ma gleech rausgewunken wärd aussa Dadnaudoboohn. Dormid missma rechnen. Dis schafft awor och Arweeds­blädse inne Ämda, brauchma ja ooch. Mia wolln geene Gulduarevoluzchon anzed­deln, die is eenmal im Gang. Nu, da gömma och so schreim. Un midde Derro­risdn­abwehr machma och nix gabudd, die wern sich scho annorsch ausdauschn. Was machma midn Gombjuda im Indanedd ? Füa die wischdschen Dadn is ne exderne Bladde iba uhesbeh sähr nidslisch, die gamma abziehn, wemma ins Neds gehd. Dis is och gud, wemma den Gomschudor beschloochnohmt kriegt un die zu­schdändschn Orschone neiguggn wolln. Wärklisch wischde Sachn schiggsde mid Disgedde. Ausadem solltema imma ma wieda die Pladde midn Andi­spy­pro­grammn budsn, is scho manche Iba­raschung bei rausgegommn. Neie un­begande Mädjn stckma erschdma nich inn Gombjuda mid den inderessandn Dadn steggn, sondan erstma guggn, ob sich nachm Insdallian Alles wieda ändfärn lässd. Und wenn die freie Gabazitäd der Bladde imma gleena wärd, ohne dass wass druffgommd, is Alarm. Nu, sächsch gehgd doch! Du gannstd och Blattdütsch oder bayrisch jo mei schreibm oder balinan oder schwäbisch, is ganz eschol. Das is freilich geene Godierung, aber äbn nich maschin­läsbor. Un es sachd Allen, die wieda mal miläsn wolln und ooch werdn: Mia wolln das nich, das nützt nich dem Schutz der Börcha, sondan be­schneided därn Rächde imma wei­da. Wea midläsn will, soll sich ber­sönlisch bemühn. Mir ham damals beim Delefonian das Emefes gegrüßd, mir grüßn ooch eich. Weat eich, schreibd sächsch.

Papa Blue Beer

Überwachung