Archiv der Kategorie: Feierabend! #08

revolutionshop@craiova

In Craiova, im Süden Rumäniens, sind derzeit 10 bis 15 Leute dabei, einen Infoladen aufzubauen. Da es erst der zweite Infoladen dieser Art in Rumänien ist und diese Entwicklungen noch sehr jung sind, verdient es besondere Aufmerksamkeit. Wir wollten mehr darüber wissen und haben die Leute vor Ort besucht und ein Interview gemacht.

FA!: Erzählt uns etwas über eure Situati­on rund um den Infoladen. Habt Ihr Pro­bleme mit Polizei und Behörden?

Wir haben den Raum für den Infoladen seit fünf Monaten und sind sehr glücklich darüber, da wir keine Miete zahlen, son­dern nur Wasser und Strom. Es ist außer­dem sehr praktisch, weil er im Zentrum der Stadt liegt. Wir hoffen, dass wir viele Leute damit ansprechen und die Idee von einem anderen Leben und Denken rüber­bringen können.

Bisher haben wir keine Probleme mit Polizei und Behörden, da es noch kein ge­öffneter Raum ist und nur wenige Leute davon wissen. Im Moment ist es also o.k.. Nach der Eröffnung könnten wir mög­licherweise Probleme mit Polizei und Geheimpolizei bekommen, da schon jetzt Telefone abgehört werden und so zukünf­tige Aktionen schon im Vorfeld bekannt sind.

Solch ein Projekt wie der Infoladen ist neu in Rumänien. Es gibt nicht viele Akti­onen, daher auch nicht viele Probleme. Es ist wichtig zu sagen, dass Anarchisten ein schlechtes Image in Rumänien haben und es werden jede Menge Lügen über uns verbreitet, denn wir wer­den Stalinisten genannt, Drogen­dealer, wir würden die Schule schmeißen und nur Lärm auf der Straße machen.

FA!: Tragen auch die lokalen und natio­nalen Zeitungen zum schlechten Ruf bei?

Ja, wir haben große Probleme mit der Presse. Sie nennt sich unabhängig, holt ihre Informationen aber von Polizei, Regierung und einflussreichen Leuten. Interessant ist, dass die Geheimpolizei letztes Jahr auf ihrer Home­page einen Artikel über Anarchismus in Rumänien veröffentlichte, in dem sie wieder Lügen verbreiteten. Die meis­ten Zeitungen, lokale und nationale, druckten daraufhin genau denselben Arti­kel ab.

Generell schreiben die Zeitungen aber Gutes über unsere Aktionen, z.B. über „Food not Bombs" oder Demonstrationen. Aber sobald es um das Wort Anarchismus geht, schreiben sie wieder die schlechtes­ten Sachen. Dieselben Reporter schreiben also gut über unsere Aktionen und schlecht über unsere Idee. Sie wissen nicht was Anarchismus bedeutet.

FA!: Habt ihr Probleme mit Faschisten und Nationalisten in Craiova und in Ru­mänien?

Es gibt eine neue Gruppe mit dem Namen Noua Dreapte (N.D.; Neue Rechte), welche stark in Bukarest vertreten ist, aber sie haben Mitglie­der in allen größeren Städten. In Craiova ist die Antifaschis­tische Bewegung bisher immer größer gewesen. Es gibt vielleicht 5 bis 6 junge Faschisten, aber sie tun nichts und leben im Untergrund. N.D. machen viel Propaganda und bekommen große politi­sche Unterstützung von der Partei Romania Mare (Große Rumänische Partei, Anm.: nicht größte!). Sie helfen ihnen mit Geld. Der Präsident ist ein Stalinist und Hitlerist und schon zu Ceausescu-Zeiten aktiv gewesen und heute gut Freund mit Haider, Berlusconi und Le Pen.

FA!: Welche Art von Propaganda macht die N.D.? Gibt es Pogrome gegenüber Roma oder Juden?

Die Nationalisten sind in erster Linie gegen die Roma, aber auch gegen Juden, Homosexuelle und Ungarn (Anm.: Min­derheit in Rumänien). Letztes Jahr töte­ten Nazis in Timisoara einen Straßenjun­gen. In Bukarest sprühten Nazis an das jü­dische Theater „Arbeit macht frei“. Die Zeitungen reagierten auf die Ak­tionen, verurteilten den Inhalt jedoch nicht.

FA!: Ist die N.D. in der Regierung vertre­ten?

Nein, sie ist bisher nur eine Organisa­tion, möchte aber in naher Zukunft zu ei­ner Partei werden. Neben N.D. gibt es auch noch Blood and Honour in Rumä­nien. Sie sind verboten, haben aber seit ei­nem Jahr eine Internetseite mit viel Pro­paganda. Sie arbeiten aber nicht mit der N.D. zusammen.

FA!: Organisieren sie Konzerte oder an­dere Veranstaltungen?

Es ist nicht möglich für sie, weil sie keine Plätze und Orte dafür haben. Aber sie haben eine Band namens Comandorul Hoissan.

FA!: Wieviele Mitglieder und Sympathi­santen gibt es um die N.D.?

Einige hundert in ganz Rumänien. Ein großer Teil davon ist um das Fußballteam Dynamo Bukarest vertreten und es gibt auch einige Hooligans. Die Clubmanager unterstützen diese Entwicklung, so waren im Fernsehen bei Spielen Keltenkreuze und andere Flaggen zu sehen, obwohl diese illegal sind. Als sie in Craiova spielten, durf­ten wir dagegen mit unseren Flaggen „ge­gen Rassismus" nicht ins Stadion.

FA!: Gibt es Organisationen, Vereine oder Gruppen mit denen ihr zusammenarbei­tet oder von denen ihr Unterstützung er­hoffen könnt?

Vor 2-3 Jahren versuchten wir mit an­deren Gruppen zusammen zu arbeiten, aber die Geheimpolizei kam uns zuvor und sprach mit den NGO’s (Non Governmental Organisations / Nicht-Regierungs-Organisationen), dass sie nicht mit uns kol­laborieren sollten, weil wir Anarchisten wä­ren.

Einige NGO’s, z.B. Frauen- und Menschenrechtsgruppen, bekommen Geld vom Staat aber machen keine Aktionen. Daher kennt sie auch niemand in Rumä­nien. Als wir am ersten März die Antikriegsdemo veranstalteten, fragten wir bei. einer Menschenrechtsorganisation nach Unterstützung für die Anmeldung, aber sie sagten das wäre weder ihr Aufgabenfeld noch ihr Geschäft. Gute Zusammenarbeit findet mit der Gruppe aactivist aus Timisoara statt. Wir arbeiten sehr eng zu­sammen. Über Bukarest, die „anarchist aktion", wissen wir nichts. Und dann gibt es noch in kleineren Städten einige Leute zu denen wir Kontakt haben.

FA!: Habt ihr auch Kontakte außerhalb Rumäniens?

Wir haben enge Kontakte in die USA, nach Deutschland, Ungarn, Frankreich, Italien und Österreich. Nach Bulgarien wollten wir Kontakt aufnehmen, bekamen – aber von dort bisher keine Antwort. Timisoara hat auch noch viele Kontakte nach Serbien, da es nahe an der Grenze liegt.

FA!: Was ist in nächster Zeit rund um den Infoladen geplant, wie geht es voran? Welche Hilfe von außer­halb könnt ihr ge­brauchen?

Momentan sind wir finanziell bank­rott. In einem Monat wollen wir einen Computer auf Raten kaufen, außerdem in Zukunft einen Kopierer und einen Dru­cker. Wir sind alle arbeitslos oder Studen­ten und haben wenig Geld. Das Leben ist hart. Alles was wir benötigen müssen wir von unserem eigenen Geld bezahlen, erst kommt das Überleben und dann der Infoladen. Materielle Hilfe ist besser. als Geld. Ansonsten stre­ben wir an, den Infoladen jeden Tag offen zu haben und uns besser als bisher zu organisieren. Außer­dem wünschen wir uns, dass neue junge Leute dazu kommen werden.

FA!: Erreicht ihr bei eu­ren Aktionen oder bei Konzerten neue Leute?

Bei Konzerten sind meistens immer dieselben Leute (Anm.: Konzerte sind selten, alle paar Monate).

Zum 1. Mai 2002 haben wir eine Ak­tion in der Innenstadt gemacht und ha­ben u.a. Bilder ausgestellt, wofür viel Inte­resse bestand. Dieses Jahr allerdings war es nicht so gut, weil viel Polizei da war, und die Leute sich deshalb nicht zum Stand ge­traut haben. Sie machen Probleme wegen nichts.

FA!: Danke für das interessante Ge­spräch!!!

Falls jemand Bücher, Bro­schüren, Zines oder ähnliches in englischer Sprache über hat, oder nicht mehr braucht, die Craiova-Leute brauchen eine Menge davon. Bisher verfügen sie über ein kleines Regal mit nur wenig Lesestoff

Kontakt:
revolutionshop@hotmail.com

Dik.ta.tor ohne Humor

Satirezeitung und anarchistisches Sprachrohr in Weißrussland vor dem Verbot

Anarchismus ist in der deutschen Medienlandschaft praktisch kein Thema. Ebenso wenig das Land Weißrussland, wel­ches immerhin zu den letzten Überbleib­seln des Stalinismus gehört. Kein Wunder also, dass das bevorstehende Verbot der seit 5 Jahren existierenden, anarchistischen Satirezeitung Navinki totgeschwiegen wird.

Bis zum Jahr 1991 gehörte Weiß­russland zur Sowjetunion. Danach wurde es „unabhängig“. Seit Jahren wird das Volk von Präsident Lukaschenko drangsaliert: Die Todesstrafe wird aufrecht erhalten, das Einkommen von 50 % aller EinwohnerInnen liegt unter dem Existenzminimum, oppositionelle Kräfte verschwinden in re­gelmäßigen Abstän­den spurlos. Dazu kommt, dass 1986 70 % des radioakti­ven Fallouts von Tschernobyl über das Land niedergegan­gen ist. Die tägliche Nahrung ist konta­miniert und hat die starke Verbreitung von Lungenkrebs und Leukämie unter der Bevölkerung zur Folge. Unter Lukaschenko ist auch diese humanitäre Katastrophe ein Tabuthema.

An der Macht hält sich der Präsi­dent durch Wahlbetrug und Korruption. Der Verbot der anarchistischen Satire­zeitung Navinki ist nur eine weitere Maßnahme zum Machterhalt. Ein Wun­der überhaupt, dass sich das anarchistische Blatt so lange gehalten hat. Schließlich sind die Medien im Allgemeinen zentral und staatlich geschaltet.

Für die Anarchisten in Weißrussland bedeutet die drohende Einstellung der Zeitung einen erheblichen Ein­schnitt in die landesweite Vernetzung und Kommunika­tion. Der Navinki ist überhaupt das einzige anarchisti­sche Sprachrohr des Landes.

Angefangen am 20. Mai diesen Jahres, wurde der Navinki-Herausgeber Pauluk Kanavalchuk bereits we­gen „…Verbreitung bewusst falscher, Ehre und Würde des Präsidenten verletzenden Informationen“ zu einer Geldstrafe von 700 Euro verurteilt. Das sind sieben Monats­gehälter in Weißrussland. Der Navinki hatte eine sati­rische Recherche über die Haltung der OSZE zu Lukaschenko vor und nach der Zulassung des weißrussi­schen Parlaments zur PACE, der parlamentarischen Ver­sammlung des Europarats, veröffentlicht.

Am darauf folgenden Tag erteilte der weißrussische Informationsminister dem Magazin eine schriftliche Ver­warnung. Zwei Abbildungen des Präsidenten im Heft Nr. 7 hätten gegen das „Gesetz über die Presse und andere Massenmedien“ verstoßen. Eine weitere Verwarnung dieser Art ging einen Tag später in der Reaktion ein. Die „Moral des Volkes“ sei beeinträchtigt worden, als Arti­kel unter der Überschrift „Opium für das Volk“ erschie­nen. Die Abfolge dieser Verwarnungen lässt auf eine Kam­pagne gegen Navinki schließen. Zwei Verwarnungen reichen in Weißrussland aus um eine Zeitung zu verbieten.

Die Navinki-Redaktion kündigte an, sich gegen das Verbot zur Wehr zu setzen.

Quelle: www.linkeseite.de

Nachbarn

Krank im Märchenwald

Mit dem „ Gesundheitskompromiss“ eröffnet sich neben Hartz & Agenda 2010 eine weitere Bedrohung für Kreislauf, Herz und Seele

Wir werden auch Belastungen vor­schlagen. Aber wer sich vorsorgend und bewusst verhält, kann seine Belastungen reduzieren. Denn die Über-, Unter-, Fehl­versorgung im deutschen Gesundheitswe­sen bedeutet, dass sich jeder und jede be­wegen muss.“

(Drohung von Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit)

Bringen wir jedoch erst mal ein wenig Licht in den ideologischen Märchenwald von „Kostenexplosionen“ und humaner Zukunft: Als Ausgangsbasis ist festzustel­len, dass die Gesundheitsausgaben in den letzten Jahren nicht schneller gestiegen sind als die gesamtwirtschaftliche Entwicklung (1). Vielmehr stiegen die Löhne und Gehälter langsamer, die die Grundlage für die Bemessung der Krankenkassenbeiträge bilden. Interessant, dass die „Kosten­explosion" eigentlich ein Einnahme­problem ist, weshalb die Beiträge angeho­ben bzw. durch andere Einnahmen kofinanziert werden müssen. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung ist in eine Schieflage geraten, die durch Zu­führen von Geldmitteln ausgeglichen wer­den soll, auf dem Rücken von „Arbeitneh­mern“ und vor allem Kranken. Interessant auch, dass sich hierin das Absenken der Löhne feststellen lässt.

Die Beiträge, wurden ursprünglich paritätisch, also zu gleichen Teilen, von „Arbeitgebern“ und „Arbeitnehmern“ (2) bezahlt. Seit 1983 wurden diverse „Selbst­beteiligungen“ eingeführt, d.h. zu dem Geld was die Krankenkassen von den „Ar­beitgebern“ und „-nehmern“ bekommen, muss der Patient, der als Arbeitnehmer sowieso die Hälfte berappt, noch dazu­zahlen. Dieses Lösungsmodell um Geld ins System zu schaufeln, soll weiter ausgebaut werden.

Inzwischen wurde ein Kompromiss zwischen allen Parteien im Bundestag, außer der PDS, ausgehandelt. Darin sollen die „Arbeitgeber“ durch sinkende Beiträge entlastet und die Versicherten, vor allem wenn sie krank sind, weiter belastet werden.

Dies bedeutet Zuzahlungen von 10%, mindestens aber 5 Euro und höchstens 10 Euro, bei weiterhin geltender gesetzlichen Höchstgrenze von 2 % des Bruttoeinkom­mens. Arzt- oder Zahnarztbesuche laufen dann nicht mehr ohne 10 Euro Eintritts­geld (Ausnahmen sind Überweisungen) und auch die tägliche Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalten bis 28 Tagen liegt dann beim gleichen Betrag. Im St.-Elisabeth-Kranken­haus im Leipziger Süden liegt die „Eigen­beteiligung“ allerdings jetzt schon bei 9 Euro . Für Zahnersätze gibt’s bald gar kei­nen Cent mehr, ab 2005 müssen die Ar­beitnehmer eine private Zusatzversiche­rung abschließen. Auch das Krankengeld soll ab 2007 aus der paritätischen Finanzierung herausgenommen werden, dann zahlen auch dafür nur noch die „Arbeit­nehmer“ einen pauschalen Betrag von 0,5%. Leistungen wie Taxifahrten zur am­bulanten Behandlung, Sterbegeld oder Sterilisation werden nicht mehr gewährt.

Zusammen mit der Grusel-Agenda 2010 bedeutet das für viele Menschen, sich jeden Arztbesuch dreimal zu überle­gen. Da wirkt das Geschwafel von Ge­sundheitsministerin Ulla Schmidt á la „Gesundheit geht vor“ und „mehr Effizi­enz durch bessere Qualität“, wie Hohn. Aber was soll man auch von einer Reform halten, die unter dem Motto läuft „Damit Deutschland gesund bleibt." Was interes­siert mich ein „gesundes Deutschland", wenn ich krank bin und nicht zum Arzt kann, weil die Sozialhilfe erst in zehn Ta­gen oder gar nicht mehr kommt? Deshalb: Gesundheit? Umsonst!

kater francis murr

(1) Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW)
(2) mehr zu Arbeitnehmern und Arbeitgebern in der FA! #2
(3) die Details der Gesundheitsreform wurden weitestgehend dem Telepolis-Artikel „Gesundheitspolitik 2003" von Marita Wagner entnommen; siehe auch: www.telepolis.de/ deutsch/inhalt/co/ 15380/ 1. html

Lokales

(Anti-)Olympische Neuigkeiten

Neues vom AOK

Das Antiolympische Komitee Leipzig hat eine neugestaltete Internetseite, zu fin­den unter www.nein-zu-olympia.de. Dort findet ihr nebenstehende und aktuellere News, viele Texte und auch das neue Selbstverständnis, mit denen sich das AOK der linken Szene vorstellt. In Planung sind ein Olympia-Reader mit Texten zur Ge­schichte, zur Sportideologie, Nation und Sport, Stadtentwicklung u.v.m. sowie für den Herbst eine Veranstaltungsreihe. Die Anti-Olympioniken bleiben also am Ball bzw. sägen weiter an den Ringen!

Auf Stimmenfang

Die Leipzig 2012 GmbH gibt bekannt, dass 11 Logovorschläge in die engere Aus­wahl gelangt sind. Aus diesen wird auf der Aufsichtsratssitzung am 18. Oktober 03 das neue Wappen gewählt. (13.08.03, LVZ)

Fantastische Aussicht

Seit dem 3. August sitzt das Olympia-Bewerbungskomitee Leipzig 2012 im 23.Stock des City- Hochhauses, da Leipzig bekanntlich ja nach den Sternen greifen will. (01.08.03, LVZ)

Überwachungsdisziplin

Walter Tröger (Mitglied des IOK u. Ehren­präsident des NOK) erklärt in einem LVZ-Interview, Sicherheitskonzepte für Olym­pia. Demnach soll LE eine Hochsicher­heitsfestung werden, die keiner spürt. Po­lizisten, Grenzschützer, Sprengstoffhunde, Zivifahndung, Anti- Terroreinheiten, Ge­heimdienste und Videoüberwachung, al­les unter einem Kommando. „Außerdem sind politische Meinungsäußerungen in der Olympiastadt verboten." (18.07.03, LVZ)

„Revolutionen enden nicht.“ (1)

Einblicke in die Spanische Revolution 1936

„Zum ersten Mal war ich in einer Stadt, in der die arbeitende Klasse im Sat­tel saß… Kellner und Ladenaufseher schau­ten jedem aufrecht ins Gesicht und behan­delten ihn als ebenbürtig. Unterwürfige, ja auch förmliche Redewendungen waren vorübergehend verschwunden… Man hat­te das Gefühl, plötzlich in einer Ära der Gleichheit und Freiheit aufgetaucht zu sein…“ So beschrieb George Orwell das Barcelo­na Ende 1936 (2).

Was war passiert?

Viele Menschen hatten sich zusammen geschlossen, darunter mehrheitlich Indus­trie- und, Landarbeiter, Kleinbauern und Handwerker, gegen die putschenden Fa­schisten, Militärs, Monarchisten, und christlichen Fundamentalisten. Mit dem Aufstand bewaffneten sich Arbeiter und Bauern der Gewerkschaften und schlugen zusammen mit den republiktreuen Einhei­ten von Polizei und Armee den Putsch in weiten Teilen Spaniens zurück. Im glei­chen Atemzug wurden an vielen Orten Spaniens die bisherigen Herrschafts­verhältnisse umgeworfen und das gesell­schaftliche Leben durch die Menschen kollektiv selbst organisiert. Zentren die­ser sozialen Revolution waren Kataloni­en, Aragon und die Levante – Hauptträger waren Anhänger der anarchosyndikalist­ischen CNT, des linkssozialistischen Teils der UGT und der POUM (Linkskom­munistische Partei).

War der Anarchismus und Anarcho­syndikalismus in fast allen anderen euro­päischen Ländern nur eine Rander­scheinung im Gesamtspektrum der Lin­ken, so hatten sie in Spanien seit langem den Charakter einer Massenbewegung. Nachdem kurz vor 1870 die Ideen Baku­nins in Spanien Fuß gefasst hatten, kam es zwischen 1880 und 1910 zu einer enor­men Ausbreitung des Anarchismus; vor allem in Andalusien, für dessen Landarbeiterproletariat die Lehren Bakunins und Kropotkins zum Evangelium ihrer revolutionären Selbstbefreiung wurden. Ihr Anhang rekrutierte sich vornehmlich aus den Industriearbeitern des Nordostens, und denen des Südens. Während die spa­nischen Sozialisten, deren Hochburgen vor allem in Kastilien und Asturien lagen, eine Veränderung der gesellschaftlichen Ord­nung auf politisch-parlamentarischem Wege anstrebten, standen die Anarchisten dem politischen System mit militanter Feindschaft gegenüber und sahen in sei­ner Zerschlagung zugunsten kommunaler und betrieblicher Selbstverwaltung den einzigen Weg zu einem Freiheitlichen So­zialismus.

Mit dieser Revolution, deren Jahrestag sich am 19. Juli 2003 zum 67. Mal jährte, der Rolle der Anarchisten und warum es noch immer Kellner und Ladenaufseher gab, be­schäftigt sich die Veranstaltungsreihe „Die Utopie leben!" im libertären Zentrum Li­belle, Kolonnadenstraße 19, 04109 Leipzig.

Diese findet den ganzen September über statt. Nach einem Do­kumentarfilm zum Aufwärmen, gibt es in der folgenden Woche einen Vortrag und die Möglichkeit zur Dis­kussion. Den Abschluss bildet die Veranstaltung mir Abel Paz, einem 82­jährigen Anarchisten, der 1936 in Spanien die kollektive Selbst­organisierung miter­lebte.

Zwar stellen sich uns heute nicht die Fragen von 1936, da man sich mit dem ersehnten Zusammenbruch des Staates, aber auch mit einem moder­nen Krieg konfrontiert sah. Aber die historischen Erfahrungen, die diese Fragen nach sich zogen, sind doch von einigem Wert.

Die einzelnen Veranstaltungen:

Mittwoch, den 3. September 2003: „Vivir l’utopia“ – Umfassender Dokumentarfilm über Spanien 1900 bis 1939 und die Entstehung der Revolution.

Mittwoch, den 10. September 2003: „Gescheitert? Über die soziale Revolution in Spanien“ – Überblick über den spanischen Bürgerkrieg und die soziale Revolution und Diskussion über die Gründe ihres Triumphs und Scheiterns

Mittwoch, den 17. September 2003: „Un Pueblo en armas“ – Dokumentarfilm eines Medien­syndikats der CNT Ende ’36 über die Vorgänge nach dem Militärputsch

Donnerstag, den 25. September 2003: Diskussion mit Abel Paz, Anarchosyndikalist und Zeitzeuge des Spanischen Bürgerkriegs

Alle Veranstaltungen beginnen jeweils um 19 Uhr in der Libelle, Kolonnadenstr.19 in Zentrumsnähe, (Haltestelle Westplatz).

hannah

(1) Zitat Abel Paz, 21. Juni
(2) in „Mein Katalonien“

Schleichwerbung

Eine andere Bildung ist nötig!

Bei selbstorganisierten Seminaren gibt es die Möglichkeit, eigene Themen frei zu wählen und mit anderen Interessierten zu diskutieren, ohne Leistungsdruck, Konkur­renzdenken und Zwänge durch Studien- und Prüfungsordnungen.

Der Beginn

Zum Wintersemester 2001/2002 ha­ben sich Leute zusammengetan, um sich beispielsweise mit der Transformation der Demokratie oder der sozialen Revolution in Spanien `36 zu beschäftigen, zusammen Spanisch zu lernen oder Dramen zu lesen. Seitdem gibt es jedes Halbjahr die selbstorganisierten Seminare. Durch ihren Ur­sprung an der Universität orientiert sich die Einteilung an der Semestereinteilung, was nicht bedeutet, dass die selbst­organisierten Seminare auf StudentInnen beschränkt sind. Wer die Idee gut findet, kann und soll sich beteiligen.

Die Idee

„Du beschäftigst Dich gemeinsam und gleichberechtigt mit den anderen Teil­nehmerinnen mit dem von Euch gewähl­ten Thema. So trägst Du entsprechend Deinen Interessen und Möglichkeiten nicht nur zu Deiner eigenen, sondern auch zur Bildung der anderen Beteiligten bei. Im Vordergrund steht dabei nicht das Dozieren, sondern das Diskutieren. Die genaue Zielsetzung, den inneren Aufbau, Termine, Ort etc. kannst Du beim ersten Treffen Deiner Gruppe mit den anderen vereinbaren. Bisher ist nur das Fundament da, den Rest des Hauses baut Ihr gemein­sam, könnte man sagen.“

(Aus einem Erklärungstext auf www.ag-seminare.forumfreiheit.de.)

Die Hintergründe

Die Motivation sich anders zu bilden, zogen viele aus der frustrierenden Situati­on an der Universität und manche auch aus der Beschäftigung mit Schul­schließungen. Und mit der Zeit bekommt mensch auch mit, wie im Bildungssystem der Hase läuft.

Bildung bedeutet in dieser Gesell­schaft, trotz aller Beteuerungen und ideo­logischen Floskeln, Ausbildung für den Ar­beitsmarkt und zum funktionierenden Staatsbürger, und dazu gehört auch die Verinnerlichung von Selektion, Konkur­renz und Leistungsdruck. Instrumente dafür sind Noten, Prüfungen, Disziplinar­maßnahmen bei nichtkonformem Verhal­ten etc. Dadurch wird Druck erzeugt, fremde Anforderungen (Lehrplan) zu er­füllen und sich anzupassen. Diese Anfor­derungen nicht erfüllen zu können, hat bereits Schülerinnen zum Selbstmord oder zum Massaker getrieben. Die Schuld am Scheitern wurde hier entweder bei sich selbst gesucht oder bei den Lehrern und Mitschülern. Dabei trifft hier niemanden direkte Schuld, die Ursachen liegen im gesellschaftlichen System, das die Men­schen in Funktionen presst, die sie zu er­füllen haben (als Lehrerinnen, Schülerinnen, StudentInnen…). Ange­sichts dieser Grundausrichtung des Bildungssystems, sollten wir uns von der propagierten Alternativlosigkeit nicht be­eindrucken lassen, und ausprobieren, wie eine andere Bildung aussehen könnte, auch wenn ihr durch die Zwänge der jet­zigen Gesellschaft (Erfüllung von Studi­en- und Prüfungsordnungen, Lohnarbeit zur Existenzsicherung) Grenzen gesetzt sind.

Der Ablauf

Wer sich mit einem Thema beschäfti­gen möchte, z.B. Italienisch lernen, schreibt eine kurze Ankündigung und schickt sie per Mail, an ag­seminare@forumfreiheit.de oder per Post an die AG seminare, c/o Alternativ Le­ben e.V., Kolonnadenstr.19, 04109 Leipzig. Dort in der Libelle, einem liber­tären Lokal, wird auch ein Fach stehen, in dem Ankündigungstexte reingeworfen werden können. Dazu sollten noch eine Kontaktmöglichkeit und ein erster Termin draufstehen.

Zeit, Ort, Häufigkeit und Länge der Seminare sind „wurscht“, es besteht kein Grund die standardisierten Einheiten in Schule und Uni zu übernehmen! Eine Möglichkeit wäre sich in der Libelle zu treffen, einfach mal beim Café oder der VoKü nachfragen, eine andere, Seminar­räume an der Uni zu reservieren, die von Studentinnen bei der Raumverwaltung im Erdgeschoss des Seminargebäudes relativ problemlos angemeldet werden können.

Die Seminare werden dann im Ver­zeichnis Selbstorganisierter Seminare und auf der Internetseite veröffentlicht. Schaut auch mal in den Oktober-Feierabend! oder an die Uni, wo jedes Semester ein Kuchen­basar zur Finanzierung der Seminar­verzeichnisse veranstaltet wird.

kater francis murr

ag-seminare@forumfreiheit.de
www.ag-seminare.forumfreiheit.de

Bildung

Einsicht in die Notwendigkeit

Bereits in der Ausgabe #7 des Feierabend! wiesen wir auf die EU-Bildungsministerkonferenz hin, die vom 18.-19. September 2003 in Berlin stattfindet. Ziel und bisherige Vorgänge des „Bologna-Prozesses“, der auf der Konferenz weiter geplant wird, sollen im Folgenden erläutert werden.

Bologna. Das ist nicht nur die Stadt der wohl berühmtesten Spaghetti. In dieser Stadt nahmen im Juli 1999 auch die Vorstellungen von einem einheitlichen europäischen Hochschulraum erstmals Gestalt an. In einer Er­klärung (1) betonten die EU-Bildungsminister die Notwen­digkeit, den Rückstand auf die USA in Sachen Investitionen und Gaststudierender bis 2010 auf­zuholen. Die EU als größter Wirtschaftsraum der Erde (2) braucht auch einen gemeinsamen Hochschulraum – in dem „Wis­sen produziert“ wird.

Bisher beteiligen sich 33 Staaten und internationale Institutionen an dem Projekt – darunter befinden sich die EU-Staaten, die Beitrittsländer von 2004, die Staaten des Europarates und die EU-Kommission. Die Beteili­gung am Bologna-Prozess, der gern als „freie Vereinbarung“ dar­gestellt wird, ist nicht vertraglich geregelt und also nicht einklagbar – aber sie ist politisch bindend. Das Damokles-Schwert der Nie­derlage im internationalen Wett­bewerb erlaubt den politischen Entscheidungsträgern keine Abweichung. So sind sie gefangen von dem Teufel, den sie selbst an die Wand malten, um ihr Pro­jekt zu rechtfertigen. Zusammengehalten aber von scheinbaren Sachzwängen und von nicht mandatierten Stellvertretern ist der Bologna-Prozess alles andere als eine freie Vereinbarung! Die Reformen zielen nämlich zu allererst auf einen europäischen Arbeitsmarkt – die Universität als Trai­ningslager für die Lohnsklaverei.

Kernpunkt der „Strukturreformen“ für einen „wettbewerbsfähigen und dyna­mischen Hochschulraum“ ist die Zweitei­lung des Studiensystems. Mit der Einführung von Bachelor (BA)- und Master (MA)-Studiengängen wird diese Teilung in „berufsqualifizierende“ und „akademi­sche“ Bildung hierzulande bereits vorge­nommen. Mit Hilfe eines Leistungs­punktsystems (ECTS) soll eine internati­onale Vergleichbarkeit des Studiums ga­rantiert werden. Suggeriert wird in diesem Zusammenhang, dass dadurch die persön­lichen Chancen auf dem (inter-)nationa­len Arbeitsmarkt steigen. Entsprechend positiv sind die Reaktionen der Studieren­den: 1999 waren erst 0,4 Prozent (6.700) in BA/MA eingeschrieben – zwei Jahre später waren es bereits 2,1 Prozent (39.000). In Deutsch­land wurden diese Neuerungen maßgeb­lich von der Hoch­schulrektorenkonferenz initiiert. Wie be­reits erwähnt, bestehen mit den BA/MA-Stu­diengängen und der ECTS-Zertifizierung schon wichtige Be­standteile der neuen Bildung. Die Zertifi­zierung ist notwendig, um das Baukastensys­tem von BA/MA um­zusetzen und die Hochsäulen in Kon­kurrenz zueinander zu setzen – nicht nur in Forschung und Lehre, sondern auch bei der finanziellen Ausstat­tung über Drittmittel. Durch eine externe Be­wertung jeder einzel­nen Hochschule soll ihre Qualität gesichert werden. Nach wel­chen Maßstäben gewertet wird, lässt sich leicht buchstabieren: Rentabilität für In­vestoren und „beste“ Chancen für Studie­rende. Die Reformen ändern zwar prinzi­piell nichts in der Branche, sie erhöhen allerdings den unmittelbaren ökonomi­schen Druck auf die (unfreien) Akteure im Bildungswesen.

Die Initiative und die Verantwortung für den Umbau liegt bei den Hochschulen selbst. Positiv zu verbuchen sind dabei eine erleichterte Mobilität der Studierenden (die sich das leisten können) und eine intensivere Zusammenarbeit der Hoch­schulen in Europa. In modernen Zeiten wird oft und gern auf die Freiwilligkeit und Autonomie der einzelnen Akteure, be­sonders der Hochschulen und der Stu­dierenden hingewiesen. Eine „Autonomie“ wie sie in den Verhandlungen um den sächsischen Hochschulkonsens bestanden hatte (siehe Kasten). Aber sie spielen mit: Die beteiligten und verantwortlichen Hochschulen haben sich 2001 eigens für „Bologna“ zusammengeschlossen in einer European University Association (EUA). Auf ihrem letzten Gipfel in Graz (Mai 2003) stellte die Europäische Vereinigung der Universitäten folgende Forderungen an den politisch verbindlichen Prozess:

> Wahrung der Chan­cengleichheit und des „demokratischen“ Hochschulzugangs

> Erhalt europäischer Eigenheiten – Bil­dung als öffentliche Angelegenheit – und der

> Verbindung von For­schung und Lehre

> Gewährleistung der Qualitätssicherung

Die Studierendenvertretungen begrüßen ebenfalls die europaweite Initiative zur Re­form und versprechen sich von der „In­ternationalisierung“ eine Verbesserung der studentischen Lebens- und Lernsituation. Sie warnen zugleich vor einer „Ver­schulung des Studiums“. In dem Maße aber, wie sich beide Akteure – Hochschu­len und Studierende – zum obersten Ziel, zur arbeitsmarktgerechten Ausbildung bekennen, sind alle Bedenken und Vorbehalte nichts als Schall und Rauch. Denn was „der Arbeitsmarkt benötigt“ liegt außerhalb ihrer Kompetenzen, das Bil­dungswesen ist und wird abhängig blei­ben von den Forderungen des Kapitals.

Die etablierten Institutionen beweisen damit wiederholt ihre Unfähigkeit, der bewusst betriebenen Politik der Ver­schlechterung der allgemeinen Lebens­bedingungen eine Absage zu erteilen. Der EU geht es um „arbeitsmarktrelevante Qualifikationen“ und „internationale Wettbewerbsfähigkeit“, nicht um die Bil­dung bewusster, mündiger Persönlich­keiten. Das bedeutet nicht nur eine geis­tige Verarmung der Bevölkerung, sondern auch eine Prekarisierung der Lehrberufe. Von Studierenden und Lehrenden werden „Mobilität“ und „lebenslanges Lernen“ ge­fordert – also die Bereitschaft, sich fortwährend den ändernden Ansprüchen des Kapitals anzu­passen. Hinter den schönen Worten verbirgt sich Rationalisie­rung auf (fast) allen Ebenen – der menschli­che Faktor als Kostenfaktor soll minimiert werden. Was bleibt, ist die funktionale Sachkenntnis mit zwingender Relevanz auf dem Arbeitsmarkt – das Gehirn ist nicht mehr als die Hardware.

So neu ist diese Perspektive allerdings nicht. Schon 1776 schrieb A. Smith: „die gesteigerte Geschicklichkeit eines Arbei­ters [lässt sich] als eine Art Maschine oder Werkzeug betrachten, die die Arbeit er­leichtert oder abkürzt, und die, wenn sie auch Ausgaben verursacht, diese doch mit Gewinn zurückzahlt.“ (3) Diese sehr spe­zielle Sicht auf „Bildung“ – Bildung als Kapital – hat sich in unserer Gesellschaft schon weitgehend durchgesetzt, wie an den Reaktionen der Studierenden auf die BA/MA ablesbar ist. Immer weiter ver­drängt wird die Anschauung von Bildung, die den Menschen in die Lage versetzt, die Welt besser zu verstehen und zu gestal­ten.

Die Gegenaktivitäten (4), die anlässlich der Ministerkonferenz angestrengt werden, orientieren sich an dieser Auffassung. Dabei wird nicht nur zur Sprache kom­men, dass der Mensch eben kein lebendi­ges Werkzeug ist (5). Debattiert werden auch Auswege aus der aus der aktuellen Misere – der Lehrenden und der Studierenden. Erst eine aktive Gestaltung der eigenen Wirk­lichkeit und der Widerstand gegen Ver­schlechterungen der Lage schaffen gesell­schaftliches Leben. In Zeiten der Stagna­tion, seien sie durch Gewalt­herrschaft oder Trägheit be­dingt, kann kein Leben entste­hen. Leben ist Unruhe!

A. E.

Kasten: Autonomie beim Hochschulkonsens

Das sächsische Kultusministerium verlangte Einschnitte im Budget der Universitäten, und wollte den Universitäten im verbleibenden Rahmen bis 2010 „Planungssicherheit“ gewähren. Der Vertrag zwischen Hochschulen und Regierung, dessen Unterzeichnung der Senat der Uni Leipzig am 5. Juni 2003 zugestimmt hat, kann nur von der Regierung, nicht aber von den Hochschulen gekündigt werden. Die Autonomie der Bildungseinrichtungen besteht nun darin, selbst zu sehen, wo sie kürzen.

Anmerkungen:
(1) Bologna-Erklärung unter www.bologna­berlin2003.de/pdf/bologna_deu.pdf
(2) Das Gesamtvolumen des Güterhandels in West­europa übertrifft mit 2.441 Milliarden Dollar das Nordamerikas (1.058 Mrd.) und Asiens (1.649 Mrd.).
(3) A. Smith: „Der Wohlstand der Nationen“. Zi­tiert nach E. Ribolits: „Wieso sollte eigentlich gera­de Bildung nicht zur Ware werden?“, in Streifzüge 2/2003, Wien, zugänglich in der libertären Biblio­thek (Kolonnadenstr. 19)
(4) Nähere Informationen und Organisatorisches unter www.eef2003.org und www.fau.org/bsy so­wie Offizielles unter www.bologna-berlin2003.de
(5) Erfahrung mit selbstbestimmtem Lernen kann man leicht sammeln, siehe S. 11 in diesem Heft

Bildung

Moderner Nationalismus und seine Grenzen

Vom gutbürgerlichen Staate unter Staaten und der mangelnden Vorstellung einer besseren Welt

Ideologien, gleich welchem politischen Lager sie entspringen, stellen immer Vereinfachungen gesellschaftlicher Wirklichkeiten dar. Sie leisten Hilfestellung, sowohl bei der Auslegung der historischen Tatbestände und Sachverhalte, als auch bei der Einschätzung und Bewertung der gegenwärtigen Zustände. Obwohl vielerorts der Abgesang auf die alten Ideologien erklingt, sind sie nach wie vor am Werke und gerade in Krisenzeiten ist ihr Fortbestand wieder deutlich spürbar. Auch der Nationalismus, der so einfach wie verbreitet ist. Seine Auswirkungen auf die Deutung von Geschichte, die Beschreibung der Gegenwart und Vorstellung von Zukünftigem soll im Folgenden eingehender untersucht werden.

Die Bildung von Nationen – einst progres­sive politische Idee – erscheint in einer ihrer Verfallsformen heute unter dem Ti­tel „Nation-building“ als geostrategisches Großprojekt politischer und militärischer Eliten. Warum? Eine ziemlich konventio­nelle Antwort darauf lautet: Ein erfolg­reiches Modell wurde durchgesetzt, wird durchgesetzt und setzt sich dann durch. Oder aus dem kulturellen Bauch heraus: Zu Unserem Wohlstand führen auch nur Unsere Wege.

Die Geschichte als nationale Staatsgeschichte

Diese Identifikation mit der Perspektive von oben, mit der herrschenden, mei­nungstragenden können wir getrost gut­bürgerlich nennen. Die Pronomen „Wir“ und „Uns“ sind erste verlässliche Indi­katoren. So z.B. in Reden, wie: „Wir sind das Volk“ oder „Uns geht es schlecht.“ Ihr, der Perspektive des guten Staatenbürgers, neigen diejenigen Haltungen zu, die sich in positiver bzw. positivistischer Ge­schichtsschreibung üben. Der konservati­ve Kern liegt in der einfachen Rede vom ‚früher war alles besser‘. Gerade deswegen ist es ja jetzt noch gut(-bürgerlich), aber in unmittelbarer Zukunft geht es rapide bergab. Staatstragendes Element dieser Haltung ist die Legitimation vorgängiger politischer Praxis, dem Einführen neuer Verwaltungsvorschriften etwa oder ordungspolitischer Maßnahmen. (1)

Insbesondere hier, wo die gutbürgerliche Perspektive aus der positiven Deutung der Geschichte die Haltungen zur Legitimation des Staats begründet, bilden die Kategorien von Volk und Nation die stabile Ordnung moderner Staaten. Das heißt nicht, dass das Volk innerhalb oder unter einem modernen Staatsapparat wirklich existier­te. Vielmehr dient der Volksbegriff vor al­len Dingen dazu, in der Rückschau vorgefundene Ereignisse gutbürgerlich zu deuten. Die ‚Wende ’89‘ als Aufbegehren des Volkes, so wie die Unruhen 1953. Jahrhundertflut und Rosinenbomber – die Solidarität des Volks. Solcherlei verein­fachende Deutung reicht vom nationalen übers nationalsozialistische bis ins sozialis­tische Lager und ist Index ihrer Ideologie. Aber von hier wird möglich, was sonst undenkbar wäre: Die Einheit von Subjekt und Objekt in einer: der Geschichte. Erst mittels einer Geschichte als Staats­geschichte, die in sich den völkischen Charakter staatstragender Ereignisse ent­hält, wird jene Mystifikation möglich, deren moderne Staaten zum Funktionie­ren unvermittelt nicht bedürften: die Na­tion. In sanktionierter Sprachformel: der Nationalstaat. Ihre Bedeutung reicht wei­ter als die von politischen Kasten, kon­kreten Parteien, territorialen Regierungen oder regionalen Parlamenten. Sie, die (indirekte oder direkte) Rede von der Nation ist es schließlich, von deren Standpunkt die gutbürgerliche Per­spektive erst möglich wird. Eine detaillierte Geschichte der ordnungspolitischen Maß­nahmen eines Verwaltungsbereichs z.B. geht so in der nationalen Staatsgeschichte unter. Fernab der Wirklichkeiten poli­tischer Ökonomie wird ein Subjekt zur Tat berufen, dessen Handlungsfähigkeit (2) getrost bezweifelt werden darf. Wer hat den 1989 demonstriert? Das Volk?! Oder Volker, Heidi, Susi, Isa… ?

Nationale Politikerin und Nationalbürger

Bürokratinnen und Wissenschaftler, die Führer und Bürger, öffentlicher und pri­vater Gebrauch der Vernunft, so bunt, komplex und vielfältig der politische All­tag erscheint, so eindimensional ist die Perspektive, der er obliegt. Bauman hat es unverwechselbar ausdrückt: „Für den Be­obachter ‚von oben‘, aus der Perspektive derer, die für das Funktionieren der Ge­sellschaft verantwortlich sind, der ‚Hüter des Gemeinwohls‘, musste die Freiheit der einzelnen beunruhigen; sie ist von Vorn­herein suspekt — wegen der schieren Unvorhersagbarkeit ihrer Konsequenzen, weil eine ständige Quelle der Instabilität.“ (3) Insoweit also ein gutbürgerliches Bewusstsein dadurch gekennzeichnet ist, die Geschichte seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit als Staatsgeschichte seiner Nation oder Nationalität, seiner Volkszu­gehörigkeit zu deuten, ist es eben jener Blick von oben, die vorherrschende Per­spektive, die stabile Ordnung und Homo­genität garantiert. Denn von hier aus wird es denkbar, den gesamtgesellschaftlichen Wandel als durch nationale Kontrolle und Volksintervention ausbalancierbar zu be­trachten. Zwar reicht die Entzauberung des Bildungsbürgers gerade noch soweit, hinter der mystischen Phrase: ein Interes­se des Volkes würde über einen nationa­len Lösungsweg durchgesetzt, eine Wahl­kampffloskel aktueller Politik oder die ver­staubten Zeilen eines staatlichen Ge­schichtsbuches zu vermuten, doch beim Blick in die Geschichte verzaubert ihn der Nationalstolz und die Volksverbundenheit erneut. Die Bedeutung der medialen Öf­fentlichkeit für die moderne Auslegung von Geschichte wäre von hieraus neu zu untersuchen. Vom Deutschlandfunk bis hin zum öffentlich-rechtlich deutschen Fernsehen. (4)

Nationalstaaten

Nun wäre es jedoch ein Einfaches zu sa­gen: Die Auslegung der Geschichte wird uns nie bar jeden Vorurteils einen freien Blick auf die historischen Sachverhalte und Tatbestände erlauben. Was ist falsch an den Begriffen vom ‚Volk‘ und der ‚Nati­on‘? Helfen sie doch, komplexe Phänome­ne einfach zu verstehen und gewähren-leisten dabei den Fortbestand der stabilen Ordnung der politischen Verfassung. Doch Vorsicht! Die Einheit, die die ge­meinsame Perspektive von führenden Po­litikern und Bürgerin erlauben soll, ist nur der Form nach unterstellt. Die ideale Transparenz der demokratischen Verhält­nisse, bleibt das utopische Fernziel der Reform. Und Reformisten mühen sich allenortens mit nationaler Ideologie, die kulturellen Differenzen allüberall auf die von Völkern abzustufen, anstelle mensch­lichen Tuns das Verhandeln von National­staaten anzusetzen. Inhaltliches Detail geht dabei zuerst dem Bürger und dann oftmals auch der politischen Führung schnell verloren. Die positive Einheit, die die gutbürgerliche Perspektive auf die Geschichte suggerierte, Kontinuität- und Erfolg eines Modells, das Stabilität durch staatliche Ordnung verspricht, reduziert schließlich in der Gegenwart Handelnde auf ihre Volkszugehörigkeit, Handlungs­schauplätze auf ihren nationalen Charak­ter – Handlungsmöglichkeiten auf Volksprotest (bis hin zur Bür­gerwehr) und Volkssolidarität (bis hin zur Pflichtabgabe), auf National-Verbot (bis hin zur lückenlosen Strafverfolgung) und National-Erlass (bis hin zur Arbeits­pflicht). Deshalb spricht aus manchem gutbürgerlichen Munde noch die kombi­nierte Quintessenz parlamentarischer Opposition. Weiß der eigentliche Adres­sat von moderner nationaler Ideologie, dieselbe lückenloser auszusprechen. Im Staate unter Staaten kann er sich die In­differenz der Geschichte nicht anders auf­klären, als durch den Unterschied der Völker und den speziellen Staatsgeschich­ten der Nationen. Noch jede Aussicht auf Verbesserung, die gute Möglichkeit in Ta­ten umzusetzen, stockt so am Mangel der historischen Erfahrung. Diese Sprachlosig­keit des modernen Nationalismus ist es, die die Friedhofsstille der Gesellschaft verantwortet.

Nation-building: Es gibt nur Uns … und andere

Alle Völker unter einen politischen Hut zu bringen, das ist der Überschwang des Kosmopolitischen, das europäische Projekt ein Wechselbalg der ähnlichen Idee, die nichtsdestotrotz des Volksbegriffs bedarf. Was dem guten Bürger hier Erfolg ver­spricht, das Modell der Volksnation in der Nation der Völker, ist Ausdruck seiner Einfalt und auch Einfallslosigkeit. So wie der Standpunkt selbst der gutbür­gerlichen Perspektive die Stabilität ver­leiht, die die eindimensionale Auslegung der Geschichte unterstellt, wird sie krisenblind – die Geschichte einer Kri­se zerfällt in singuläre Fälle, missglückte Proben in der unendlichen Testreihe rich­tiger Geschichte. Und zwar nach Innen wie nach Außen. Außen vor ist alles, was sich nicht als nationale Staatsgeschichte identifizieren, jede Gesellschaftlichkeit (Geselligkeit), deren Einheit sich eben nicht in der demokratischen Anstalt von Volk und Nation begründen lässt. Jedwede andere Geschichte wird zur Vorgeschich­te der Nation verklärt. Deswegen erscheint dem Bürger auch nur gut, was an der eigenen Nationalgeschichte Erfolg ver­heißt. „Nation-building“, so das Etikett des Placebo-Präparats. Wären die moder­nen Staaten ihrer Legitimation durchs Volk und die Nation beraubt, wer weiß, wie mensch Verwaltung heute buchstabie­ren würde. Aber wie zum Trotze haben sich die militärischen und politischen Eliten an ihrer Selbsterhaltung festgebissen. Ihr Hang zur Geheimniskrämerei, die jeden Inhalt noch verdeckt, und zur Ver­einfachung, den selben noch beschnei­dend, erleichtert das gutbürgerliche Ge­wissen, welches Verantwortung, wenn auch abstrakt, so oftmals noch verspürt. Das ist der Pakt, auf den sich Führerin und Bürger eingelassen haben. Dem Anderen, sei es die Vorstellung einer anderen Welt mit anderen Möglichkeiten, wird schon mangels Einsicht Gewalt getan. Deshalb ist es eine einfache Antwort zu sagen: Bil­det erst einmal Nationen wie Unsere. Und gutbürgerlich dazu.

clov

(1) Das Spiel der Macht ist hier oftmals ein Spiel mit den Ängsten der Menschen.
(2) oder: synthetische Einheit in der Apperzeption – nach Kant (für Eingeweihte)
(3) Zygmunt Bauman, „Postmoderne Ethik“, S. 17 – Hamburg: Hamburger Ed., 1995
(4) Weiterhin: das Verhältnis von PolitikerInnen und Medien.
Anmerkung: Sowohl der judikative (nach Hegel) als auch der rein sprachliche Rahmen (hermeneutische Tradition) einer Geschichte verfehlt jene Einheit, welche die politische Geschichte erreicht, die Einheit von Individuum und Gesellschaft in der moralischen Verantwortung für andere. Eben diese unseren Kindern zu bewahren, darin liegt die Aufgabe heutiger Generationen.

Theorie & Praxis

Rechts/Schutz/Sicherheit

Das Sicherheitsgewerbe hat sich zur attraktiven Einkommensquelle vieler Neonazis entwickelt

Private Security-Firmen befinden sich im ständigen Aufwind. Private Sicherheits­firmen sorgen inzwischen, neben den her­kömmlichen Aufgaben, auch für Postzu­stellungen und Feuerwehrdienste. Waren 1989 bundesweit etwa 700 private Sicherheitsdienste im Einsatz, sind es heute fast 1.500 mit rund 250.000 Beschäftig­ten. Unheimlich, still und leise erobern sie im exekutiven Bereich zahlreicher Innen­städte Macht und Einfluss.

Ein bekanntes Bild in Bahnhöfen wie auch in Shoppingcentern: Wachleute scheuchen Obdachlose und Punks aus den warmen Hallen, machen damit häufig recht rabiat vom Hausrecht Gebrauch. Seit den An­schlägen vom 11.09.2001 ist das Sicher­heitsgefühl der Deutschen rasant gestiegen – da vergisst man auch gern mal, was da teilweise für Leute in den Wachmann-Uniformen stecken. Die Medien berich­ten seit Jahren über rassistische oder gewaltbereite Übergriffe durch Wach­personal. Nur in Einzelfällen wurde genau hingeschaut und festgestellt, wer da für „Sicherheit“ sorgt oder für das, was sie darunter verstehen.

Dabei steht fest, dass Security-Leute nicht nur immer häufiger wie Neonazis ausse­hen und sich so benehmen, sondern oft auch der rechtsextremen Szene angehören. Damit sollte eigentlich bald Schluss sein ­vorausgesetzt, die Innenministerien wen­den die neue Bewachungsverordnung an, die seit dem 15.01.03 in Kraft ist. Danach legt die Bundesregierung verstärkten Wert auf „sicheres“ Wachpersonal. Formuliert wurde diese Verordnung im Hinblick auf mögliche „islamistische Terroristen“. An­wendbar ist sie aber genau so auf Rechts­radikale. Immer vorausgesetzt, es besteht überhaupt die Absicht, Neonazis aus den Wachfirmen herauszuhalten bzw. wieder herauszudrängen. Einige Firmen dürften dann allerdings vor erheblichen Proble­men stehen.

Zum Beispiel: Die Wachfirma Zarnikow aus Rathenow in Branden­burg. Das Unternehmen beschäftigt seit längerem immer wieder gerichtsbekannte Rechtsextremisten aus dem Umfeld der „Kameradschaft Hauptvolk“. Sie sind im Einsatz, wenn in der Umge­bung Volksfeste gefeiert werden, oder sie sichern auch, wenn politische Prominenz, wie Stoiber und Schönbohm den Wahlkreis besucht. Doch damit nicht genug: Zarnikow sorgt auf ganz besondere Weise auch für die „Sicherheit“ des örtlichen, von der Arbeiterwohlfahrt betriebenen AsylbewerberInnenheimes. Immer wieder be­richten Flüchtlinge von Pöbeleien und Angriffen. Viele von ihnen haben bereits um eine Verlegung aus Rathenow gebe­ten. Der brandenburgische Ort ist seit lan­gem als ein rechtsextremer Brennpunkt bekannt. Es gibt immer wieder blutige Überfälle, auch auf Nazigegnerinnen. Die meisten kommen nicht einmal zur Anzei­ge. Die Firma Zarnikow gilt vor Ort als einflussreich, immerhin erhält sie Auf­träge der Kommunen und sogar der ­zumindest im Westen – als eher links gel­tenden AWO.

In Sachsen-Anhalt warnt der Verfassungs­schutz vor den Kommerzialisierungs­versuchen des militanten „Selbstschutz Sachsen-Anhalt“ (SS/SA) des Neonazi­führers Mirko Appelt aus Salzwedel. Im VS-Bericht 2002 wird darauf verwiesen, dass die Gruppierung sich via Internet um Security-Aufträge bemühe. Sie bezeichnet sich als einen „nichtgewerblichen Zusam­menschluss aus geschulten Personen, die in ihrer Freizeit Ordnertätigkeiten ausü­ben.“

Angeboten wird die Ab­sicherung von Saalveran­staltungen und Demonst­rationen, sowie jede ande­re Tätigkeit aus dem Ord­nerdienst. Appelt prahlt mit zahlreichen privaten Aufträgen, sein Terminka­lender ist voll. Er berichtet, dass seine Truppe bereits bei Tanzveranstaltungen und auf Volksfesten im Einsatz war. Angeblich wa­ren Appelts Mannen auch für Großveranstaltungen wie Reiterfesten, den tra­ditionellen „Kränzchen-reiten“ mit bis zu 1000 Be­suchern, als Securities engagiert. Appelts Kameraden stehen als Türsteher vor Dis­kotheken, so unter anderem auch in Salz­wedel und in Burg. Wer reinkommt und wer nicht, entscheiden die Neonazis. Inzwischen arbeitet Neonazi Appelt an der Ausdehnung seines gefährlichen Ein­flussgebietes, so sollen „Selbstschutz“-Truppen auch in Sachsen entstehen.

Auch in den alten Bundesländern sind Neonazi-Aktivitäten bisher kein Hindernis für eine Tätigkeit im Security-Bereich. So sorgt die Firma WR-Security in Kai­serslautern nicht nur für die Sicherheit des Bundesliga-Fußballclubs 1. FCK, sondern bewachte nach eigener Dar­stellung in Mainz auch schon die Rheinland-pfälzische Staatskanzlei ebenso wie das ZDF und den SWR. Im Internet wirbt das Unterneh­men unter dem Stichwort „Bodyguards“ mit einem Foto, auf dem einer ihrer Mannen auch Bundeskanzler Schröder bewacht.

Im Kampfsport trainiert wur­den die so prominent einge­setzten Security-Leute von ei­nem der bekanntesten Neonazis des Lan­des, Axel Flickinger, bis vor einigen Mo­naten noch Landesvorsitzender der Jun­gen Nationaldemokraten. Hinweisen aus der rechten Szene zufolge, stammt neben Flickinger ein weiterer WR-Trainer aus dem gewaltbereiten Hooligan-Milieu und ein anderer war Anhänger des militanten „Stahlhelm-Kampfbundes für Europa“. Es soll immer wieder zu brutalen Ausfällen der WR-Security gekommen sein. Der Be­sitzer von WR, Werner Rohde, wusste seit langem von Flickingers politischen Engagement bei der Jugendorganisation

der NPD, hatte jedoch nichts dagegen ein­zuwenden.

Das Sicherheitsgewerbe hat sich zur attrak­tiven Einkommensquelle vieler kampf­sportgestählter Neonazis entwickelt. Für „Recht und Ordnung“ zu sorgen, einsei­tige politische Macht auszuüben und die Möglichkeit, die rechte Szene damit finan­ziell auch noch zu unterstützen – eine gefährliche Kombination, die auch in vielen anderen deutschen Städten bereits Anwen­dung findet. Der Bundesverband des Wachgewerbes BDWS sieht bisher keinen besonderen Handlungs­bedarf.

Neonazis in Security-Firmen werden dort bisher nicht als Problem erkannt.

lydia

Quelle: Telepolis – Neonazis in Security-Firmen von H. Lörscheid und A.Röpke
(Im Originaltext ständig wiederkehrende Argu­mentationen für die Ge­fährlichkeit der beschäftigten Neonazis anhand des Faktes, dass diese von Polizei und Verfassungsschutz beobachtet werden, wurden von uns größtenteils entfernt. Nicht jedeR der/die in dieser Gesell­schaftsordnung beschnüffelt wird, ist, un­serer Meinung nach, automatisch als ge­fährlich einzustufen.)

Hintergrund

Die Großstadtindianer (Folge 7)

Hitzefrei!

Nach dem ganzen Hin und Her wegen Kalles Geschichte, der Nacht auf dem Dach und dem Umstand, dass Schlumpf, Moni und Boris sich von nun an an dem Projekt beteiligen, die ein oder andere Geschichte in das kleine schwarze Büchlein mit den rotschimmernden Seiten schreiben wollten, war es irgendwie wieder bei mir gelandet. Und ich beschloss, in aller Kürze noch eine kleine Anekdote zu skizzieren, bevor ich das Buch weitergab.

„Pfui, pfui! s ist viel zu heiß.“ Moni lugte über ihrer Sonnenbrille zu mir herüber. „Findest du nicht auch, Finn?“ „Mhm…“, ich sah von meinem Buch auf und suchte mir eine bequemere Liegeposition in Kalles Hängematte: „Selbst im Schatten treibt einem jede Bewegung den Schweiß auf die Stirn. Unerträglich.“ Sie überlegt: „Sollen wir Baden gehen? Hast du Lust?“ Keine schlechte Idee, dachte ich, bei der Gluthitze war eh nichts mit Konzentrieren, und die dicke Luft trieb nur bunte Blasen ins Gehirn, „Warum nicht, ich …“

Kalle kam um die Ecke und unterbrach mich. „Auf dem Feld sieht´s echt nicht gut aus. Ist kein Seemannsgarn, was die Bauern sagen. Die Dürre setzt den Pflanzen ziemlich zu. Das gibt eine magere Ernte, sag ich euch. Verflixt und zugenäht. Da müssen wir uns für den Winter noch was überlegen.“ ,Nicht heute, Kalle“, ich mochte nicht dran denken und drehte mich ein wenig von ihm Weg. „Hallo Herr Faulpelz!“ Kalle rüttelte kräftig an der Hängematte, „Wollten wir nicht“, er betonte das Wort extra, „HEUTE das Eingeweckte zu Oma Lotte brin­gen? Sie wird sicher warten. Auf, auf Ma­trose, eine Maid in Seenot heldenhaft zu retten.“

In seinem Überschwang bewegte er die Hängematte so heftig, dass ich auf Boden und Nase landete. „Au, KALLE“, ich rappelte mich auf, während Moni ihr Schmunzeln zu verbergen suchte. „Ver­dammt noch Mal. Es ist viel zu heiß, um zu arbeiten. Und für Deine Neckerein ist es das auch“, ich las etwas missmutig das Buch vom Boden auf. „So unrecht hat Finn nicht, Kalle. Mit den Holzkiepen bis zu Oma Lotte, bei der Brüterei!“ Moni sah zu mir herüber, und ich sank wie zur Bestätigung auf die Hängematte zurück.

„Mhm…“ Kalle überlegte. „…ach Potzblitz, wozu gibt’s die Telekommunikation. Ich meld´ uns für morgen an.“ Er sah mich erwartungsvoll an. Ich nickte schwächlich, um ihn bei seiner Entscheidung zu unterstützen. „Aye, aye.“ Kalle verschwand. „Puh, das hätte beinahe ein böses Ende genommen. Danach wäre ich sicher nur noch eine Pfütze mit Mineralien und Spurenelementen gewesen.“ Ich dehnte meine Glieder. „Daß das den Kalle nicht juckt, mit der Hitze, meine ich.“

„Tja, was so ein richtiger autonomer Freibeuter ist, der ist die schattenlosen Planken seines Schiffs ge­wohnt.” Moni versuchte dabei das Gesicht so zu verziehen, wie Kalle es bei einem solchen seiner Lehrsätze über Piraten tat. Ich grinste: „An dir ist auch eine richtige Seemannsbraut verloren gegangen.“

Sie sah mir kurz in die Augen, schob sich dann die dunklen Gläser wieder weit über ihre Augen, lehnte sich zurück und sagte trocke­ner als die Luft: „Ich bin niemandes Braut. Damit du das weißt. Ich …“

Diesmal un­terbrach Kalle Moni, als er wieder um die Ecke bog: „Habt ihr Lust, schwimmen zu gehen? Ich sehne mich nach weiten Was­sers Wogen. Und da wir ja für heute ar­beitslos sind, können wir doch auch glatt Spaß haben. Also wie sieht’s bei euch aus?“ Aber Kalle kam nicht mehr dazu, uns genauer auszufragen. Vom Eingang her ertönte kurz Gebell und ein schriller Pfiff.

Unverkennbar. Schmatz und Schlupf. Letzterer ruderte breitärmig durch die Luft und begann schon von Weitem im Laufen zu reden: „Ich komme gerade vom Bade­see …“, er holte Luft, als wollte er uns von jedem Einwand abhalten. „Da wollen wir hin.“ Kalle nickte Moni und mir zu. Schlumpf war kurz irritiert, fand aber dann gleich seinen Faden wieder. „Das ist gut. Sehr gut. Wir müssen uns da echt um was kümmern. Da gibt´s so `ne Brigade, die bau­en doch seit zwei Wochen den neuen Ki­osk. Direkt am Wasser. Im Rahmen des Beschäftigungsprogramms der Stadt. Wo sie Azubis, Frauen,Migranten, Drückis usw. an die Volksfront zwingen. Ich sag euch: Ich komme heute dahin. Die Sonne steht im Zenit, mensch kann sich kaum bewegen, und da steht doch so´n Affe von Vorarbeiter am Kiosk und triezt die Leute. So richtig mit ’schneller‘, ‚das muss heut noch fertig werden‘, ‚hier gibt’s keine Pausen‘ und so. Unglaublich! Und der macht dabei nicht einen Handschlag.“

Schlumpf hatte sich bei den Gedanken sichtlich erregt. „Die brauchen unbedingt eine Abkühlung, und der Großkotz eine Abreibung, das sag ich euch. Mir ist da auch schon was eingefallen.“ Alle nickten zu­stimmend und Schlumpf weihte uns in seinen Plan ein. Den in Taten einzuspan­nen wir uns wenig später Richtung Badesee in Bewegung setzten. Die Sonne brann­te. Immer noch.

Die Holzbaracke, in die der Kiosk einzie­hen sollte, war schon fast fertig und lag ca. 30m vom Badesee auf abschüssiger Anhö­he. Daneben türmten sich allerlei Bau­geräte und Materialien, unter anderem auch ein riesiger Stapel aufgeschichtetes Palisadenholz. Wir trennten uns. Boris und Kalle gingen zum Wasser. Schwimmen. Ich und Moni machten einen kleinen Spazier­gang zum Holzstapel, und Schlumpf und Schmatz tummelten sich am Strand. Es sollte alles ganz normal aussehen und dann möglichst schnell über die Bühne gehen. Die Sonne glitt gleißend über das ruhige Wassern uns lief stöhnend eine Frau in voller Berufsbekleidung vorbei und schleppte ein Palisadenholz in die Baracke hinein. Moni schüttelte den Kopf und ihre Augen kühlten merklich ab. Aus dem In­neren des Hauses hörten wir eine tiefe Stimme brüllen: „Die Großen, Mann, nicht die Kleinen. So kriegste nie `nen rich­tigen Job… Außer du kommst mich mal besuchen.“ Als sein widerwärtiges Lachen Moni erreichte, musste ich sie zurückhal­ten. „Gleich bekommt er sein Fett, Moni. Mach’s nicht kaputt.“ Der Funke Zorn, der ihren Körper spannte, ließ mich ein wenig schaudern. Ich zog sie schnell hinter den Palisadenhaufen. Die Halterungen hatten wir flugs gelöst und als sich unser gegen seitiges Zwinkern in der Mitte traf, eins zwei drei, war der ganze Haufen mit riesigem Getöse Richtung Wasser unterwegs.

Die ganze Brigade lief vom Lärm geschreckt vor der Baustelle zusammen. Während wir uns hinter einen Sandhaufen verdrückten, waren Boris und Kalle schon dabei, das im Wasser ankommende Holz weiter hinaus, in die Mitte des Sees zu schieben. Das hysterische Schreien des Vorarbeiters hackte in lan­gen Salven über den Strand. „Verdammt! Ihr Nichtsnutze. Muss man denn hier al­les selber machen. Holt das Holz zurück! Sofort! Los! Zack! Zack!! Das gibt’s doch nicht!!! Hey, und ihr da! Hände weg vom Holz! Los, Los! Oder soll ich euch Beine machen!“ Die versammelte Brigade setzte sich in Richtung Wasser in Bewegung, streifte die Arbeitskleidung ab und tauch­te in das kühlende Nass, um die mittler­weile über den halben Badesee verteilten Palisaden wieder einzufangen. Der Vorar­beiter blieb wild wetternd und gestikulie­rend an der Baracke zurück. Jetzt kam Schlumpfs Auftritt. Schmatz stürmte auf den lästig Geifernden zu, bellte und fletschte die Zähne. Der sah Schlumpf und schrie ihn an: „Nimm das Mistvieh weg, du oller Punker.“

Der antwortete prompt: „Vergiss es, Schinder.“ Schlumpf war zwar zwei Köpfe kleiner, ließ sich aber nicht ins Bockshorn jagen. Der Vorarbeiter griff zu einer Latte. Schmatz entfernte sich ein wenig, und Schlumpf stürmte Lattenschwingenden vorbei ins Innere der Baracke. „Na warte,“ er folgte ihm. Jetzt war der richtige Zeitpunkt. Ich trat schnell in Richtung Tür, kraulte Schmatz kurz und dann kam Schlumpf auch schon aus dem Haus gehechtet. Wir verrammelten schnell die Tür, und als der Gelackmeierte von Innen dagegen stieß, wurde ihm klar, dass er in der Falle saß. Wild trommelten seine Fäuste gegen das feste Holz und sei­ne Flüche verhallten im Haus. Schlumpf und ich klatschten ab. Der kleine Egon grinste breit vor Freude und wandte sich dann mit tiefgefärbter Stimme an den Eingeschlossenen. „Lass dir das eine Leh­re sein, andere Menschen zu verachten und zu misshandeln. Wir werden dich beob­achten. Das war nur eine Warnung.“ Schweigen. Ich wollte mich gerade um­drehen und zu Kalle und Boris gehen, als hinter uns im Haus ein spitzer Schrei er­tönte. „Au.“ Schlumpf sah mich an, wir zuckten beide zeitgleich mit den Schultern und drehten uns dann zum

Der Anblick des Badesees war eine Augenweide. Überall schwammen die Palisaden­hölzer herum und mittendrin die gesam­te Brigade als Badegruppe. Alle schienen etwas erleichtert, nicht nur wegen der Ab­kühlung, auch weil das Gezeter des Vor­arbeiters nicht mehr zu hören war. Boris und Kalle kamen die Böschung hinauf. „Und?“ Kalle sah mich fragend an. „Er brütet im Haus. Auf unbestimmte Zeit.“ Schlumpf nickte bekräftigend. „Bei den Winden der sieben Meere, gut gemacht!“ Wir wechselten zufriedene Blicke. Da viel mir plötzlich auf: „Wo ist eigentlich Moni?“ Keiner wusste es. Als wir zur Ba­racke zurückschlenderten, kletterte sie ge­rade von einem nahestehenden Baum. Die Zwille zwischen den Zähnen. „Moni?“ Ich sah in ihre Augen. Der zornige Schleier war einer heimlichen Freude gewichen. „Das Dach war noch nicht ganz fertig. Durch das Loch hatte ich ihn ganz genau im Visier.“ Ich schüttelte den Kopf, „Aber Moni, warum?“ Sie spitzte keck die Lip­pen, drehte sich auf ihren nackten Fersen Richtung Badestrand und sagte trocken: „Er hatte es verdient. Und jetzt lasst uns Baden gehen.“ Die Sonne brannte immer noch. Nur im Wasser war es einigermaßen erträglich.

(Fortsetzung folgt.)

clov

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