Archiv der Kategorie: Feierabend! #25

Editorial FA! #25

Wer macht heutzutage überhaupt noch eine Zeitung? Wo es doch Blogs, Pod­cast, space nations, skype und irc/icq, thema­tische Internetportale und -foren und dergleichen mehr gibt. Und wer liest schon so ein Blättchen aus der hin­ters­ten Nische wie den Feierabend!, der in seiner unregel­mäßigen Erscheinung meist nur zu­fällig in die Hände fällt? – Nun offensichtlich gehörst du zu den Wenigen und hast sogar umgeblättert. Demnach hat dich wahrscheinlich unser rätselhaftes Titelbild neugierig gemacht und du fragst dich jetzt, „_ _ _ _ _ _ _ _ _ _? Wogegen denn?“.

Na z.B. gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Kontakte und Mög­lich­keiten zum andocken gibt es auf Seite 12. Protestvernetzung und vieles mehr wird Anfang April schon auf dem BUKO Thema sein. (Seite 9) Doch Bewegung und Vernetzung ist nicht alles. Das Wofür/Wogegen bleibt die wichtigste Frage. Zentral in der kri­tischen Auseinandersetzung mit dem herrschenden System bleibt dabei Über­wachung (Seite 3), Ab­schiebe­praxis in Ma­rokko (Seite 20f) oder Militarismus welt­weit (Seite 7) sowie direkt vor der Haus­tür (Seite 8).

Vor unserer Haustür ist auch Horst (dem neuesten rattigen FA!-Helfer) unsre treue FA!-Begleiterin Resi ab­handen ge­kommen. Man munkelt ja sie sei in Ber­lin abgetaucht… ab­getaucht und auf­bewahrt wird der Feierabend! übrigens in 3 Archiven. Anstatt einer Ver­kaufs­stelle des Monats wollen wir denen dies­mal danken.

Eure Feierabend!-Redaktion

Aufstand der Würde: ein Überblick

„La Otra va!“ – Die andere Kampagne

Im Juni 2005 veröffentlichte die EZLN die „Sechste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald“. Darin kündigte sie eine neue Phase ihres politischen Kampfes an: Die Zapatistas wollen in einem mehrjährigen Prozess eine landesweite außer­parlamen­tarische Linksallianz aufbauen, um schließlich eine neue, anti­ka­pi­talistische Verfassung für Mexiko zu erarbeiten und diese zum Wohle aller Marginalisierten des Landes durchzusetzen. In Ab­grenzung zu den politischen Parteien nennen die Zapatistas ihre Mo­bi­lisierung die „Andere Kampagne“. Den völligen Bruch mit den etablierten Parteien begründen sie damit, dass alle großen Par­teien das neoliberale Projekt weiterführten und nur zugunsten einer privilegierten Elite und transnationaler Konzerne regierten. Der Aufruf stieß auf große Resonanz und Anfang 2006 waren be­­reits über 1.000 Organisationen in den Prozess involviert: Ar­beiter­Innen- und BäuerInnen-organisationen, Indígena-Zu­sammenschlüsse, Frauenorganisationen, Umweltgruppen, Schwulen- und Lesbenorganisationen, Netzwerke von Sex­ar­bei­ter­Innen, SchülerInnen, StudentInnen, unabhängige Medien- und Kunst­kollektive, linke und anarchistische Vereinigungen. Die Andere Kampagne setzt im Gegensatz zu vielen Bewegungen ex­plizit nicht auf eine Übernahme der Staatsmacht, sondern auf eine gesellschaftliche Basisorganisierung. Um Grundfragen zu klären und der Anderen Kampagne ein Gesicht zu verleihen, läuft seit Dezember 2006 eine interne Befragung Darüber hinaus ver­netzen sich die AktivistInnen global um gemeinsam gegen die Mis­s­stände anzugehen…Über Silvester fand in der autonomen Ge­meinde Oventik ein internationales Treffen statt, um über die Fortschritte und Probleme der zapatistischen Selbstverwaltung zu informieren und sich unter Anderem zu den Themen Auto­no­mie, Gesundheit, Frauen, Bildung, Land und Kultur aus­zu­tauschen

Infos: www.ezln.org.mx

Atenco resiste

Die Kleinstadt Atenco nahe Mexiko Stadt wurde am 4. Mai 2006 von 3.500 schwer bewaffneten Polizisten angegriffen. Die Be­gründung: engagierte Menschen hatten Tags zuvor in ent­schlossener Weise BlumenhändlerInnen der Nachbarstadt bei­ge­standen, die ihre Ware auf dem lokalen Markt verkaufen wollten und sich damit gegen die Pläne der Regierung wehrten, an dieser Stelle einen Supermarkt zu errichten. Die AktivistInnen aus Aten­co blockierten eine Hauptstraße, woraufhin die Polizei die gesamte Ort­schaft äußerst brutal angriff. Bei dem auch international kri­ti­sierten Vorgehen der Staatsgewalt starben zwei Menschen. 217 Per­sonen wurden willkürlich inhaftiert. Es kam zu Folterungen, sexuellen Misshandlungen bis zu Vergewaltigungen. Die rebellische Ge­meinde hatte sich bereits 2002 erfolgreich gegen den Bau eines neuen Großflughafens für Mexiko-Stadt gewehrt und sympathisiert mit den Zapatistas.

Die Kommune von Oaxaca

Im südlichen Bundesstaat Oaxaca gibt es seit Jahren Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen. Vor allem indigene Gemeinden, die nach mehr Mitbestimmung streben, wurden von staatlichen Or­ganen immer wieder brutal angegriffen. Eine Vielzahl sozialer Akti­vistInnen wurde kriminalisiert und verschwand im Ge­fängnis.

Am 22. Mai 2006 begannen LehrerInnengewerkschaften und Basisorganisationen eine Besetzung des historischen Zentrums der gleichnamigen Landeshauptstadt, um gegen diese Verhältnisse und für bessere Bedingungen im Bildungssektor zu demons­trieren. Nachdem gegen die DemonstrantInnen am 14. Juni äußerst brutal vorgegangen wurde – es gab rund 100 Verletzte -, wur­de Gouverneur Ulises Ruiz Ortiz von einem Großteil der Be­völkerung für abgesetzt erklärt. Der Zuwachs an Dörfern, LehrerInnen, Indígenas, ArbeiterInnen und Linken, die nun in der Bewegung mitmachen, hat dazu geführt, dass die Versammlung der Bevölkerung von Oaxaca (APPO) von 350 Organisationen ge­gründet wurde. Seit Juli findet ein explizit friedlicher Aufstand statt, der sich zu einer regelrechten Revolution ausgeweitet hat. Die Bewegung ging von der bloßen Blockade zur Ausgestaltung basis­demokratischer Organisierungsformen über.

Doch die alte Regierung des Gouverneurs griff auf verdeckte, para­militärische Aktionen zurück und ließ AktivistInnen attackieren, foltern und ermorden. Die Bundesregierung Mexikos wur­de aufgefordert, den Gouverneur abzusetzen. Stattdessen ent­sandte sie die „Präventive Bundespolizei“ (PFP) – eine militärisch auf­gebaute Spezialeinheit -, die den Bundesstaat regelrecht ok­kupierte. AktivistInnen der APPO wurden während Verhand­lungen und bei Straßenkontrollen verhaftet, was die Protest­be­wegung zeitweise in den Untergrund zwang.

Infos: www.asambleapopulardeoaxaca.com

Das Ya-Basta-Netzwerk

Ya basta ist ein Netz von Menschen, von denen viele durch den Aufstand der Zapatistas zur Rebellion ermutigt wurden oder sich darin bestärkt sehen und in Solidarität mit den auf­stän­dischen Menschen in Chiapas leben. Es ist ein lernendes Netz, in dem die verschiedenen emanzipatorischen Kämpfe und Wi­der­standsformen nebeneinander bestehen können und auf­einander (kritisch) Bezug nehmen, ohne sich auszuschließen. Es soll ein Netz sein, in dem die Menschen sich gegenseitig in ihren lo­kalen Kämpfen unterstützen. Ein Netz, das Menschen er­mu­tigen will, sich zu engagieren und „Ya basta“ zu sagen.

Infos: www.ya-basta-netz.de.vu

Ein „Ya Basta!“ aus Leipzig…

Aus den Geschehnissen um Atenco, Oaxaca und die Andere Kam­pag­ne hat sich bundesweit das Interesse an den sozialen Kämpfen in Mexiko verstärkt. In Leipzig ist es dazu recht ruhig geblieben. Ne­ben einer Veranstaltungsreihe zu Chiapas und Zapatismus im November gab es am 20.1.07 eine kleine Solikundgebung bei der Eisenbahnstraße, die von Menschen der Montagsdemos und um den libertären Stadtteilladen Libelle herum getragen wurde. Hier haben sich auch Leute zusammengefunden, die weiter Solidaritätsaktionen für die zapatistische Selbstverwaltung organisieren und auch lokal auf der Basis zapatistischer Ideen wirken wollen. Wer mitmachen oder per Newsletter auf dem Laufenden bleiben möchte.

Kontakt: yabasta-leipzig@riseup.net

Nachbarn

Und der Goldfisch, der hat Zähne

Von Räumung und Abriss bedroht, denkt im Projekt Gieszer 16 momentan keine/r viel ans Feiern des 9. Jubiläumsfestival Ende April. Die Stadt Leipzig und speziell das Liegenschaftsamt halten ein selbstor­ga­ni­siert, unkommerziell und ohne Fördermittel auszukommenden gemeinnützigen Verein nicht gerade für unterstützenswert. Denn be­­reits letztes Jahr wurde der G16 das Vor­verkaufsrecht entzogen und in anbe­tracht zusätzlicher Jahreskosten, der Tendenz des verstärkten Ausverkaufs von Grund­stücken und Häusern – nicht nur in Plagwitz – sowie der fehlenden Gesprächsbereitschaft der Behörden wird die Situation bedrohlich.

Als beliebter Treffpunkt, Projekt- und Veranstaltungsort ist die G16 überlokal bekannt, zieht jährlich tausende Besucher­Innen an und lässt Nazis keinen Raum. Klar, dass nach Investitionen im Vorfeld zur WM, Sicherheit durch Überwachung und Image­projekt Citytunnel die Kassen leer sind.

Die Rechnung ist ohne den Wirt gemacht. Um einen Verkauf auf dem freien Markt zu verhindern, haben sich mehrere Gruppen gebildet, um den Fortbestand der G16 und die damit verbunden alternativen und kreativen Projekte des Vereins zu sichern. Durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit soll eine breite Unterstützung mobilisiert werden, um auch laut genug für städtische Ohren klar zustellen, dass man mit Geld nicht alles kaufen kann.

droff

Kommentar

Marokko: Menschenrechtsverletzungen im Namen des EU-Grenzregimes

Wenig mehr als ein Jahr nach dem Sturm von TransitmigrantInnen auf die spa­nischen Enklaven Ceuta und Melilla im Oktober 2005, als mindestens 11 Men­schen zu Tode kamen und Massen­ab­schiebungen in die Wüste stattfanden, sowie sechs Monate nach der Euro-afrikanischen Regierungskonferenz „Mi­gra­tion und Entwicklung“ in Rabat bewies die marokkanische Regierung erneut, wie sie ihre Rolle als Grenzwächter Europas wahrnimmt und dabei selbst die von ihr unterzeichneten Menschenrechts- und Flüchtlingskonventionen sowie marok­kanische Gesetze mit Füßen tritt. Über 500 Menschen schwarzer Hautfarbe wurden seit dem 23.12.06 bei Razzien festgenommen und an der algerischen Grenze ausgesetzt. Die marokkanische Regierung erhofft sich von der EU Visaerleichterungen für einige ihrer BürgerInnen, wenn sie sich als Hilfs­polizist der EU betätigt und die Transit­migrantInnen abschiebt, statt sie in die EU einreisen zu lassen. Aber es gibt auch Widerstand gegen diese Politik, der unsere Unterstützung braucht.

Hintergründe der Versuche erneuter Massenabschiebungen aus Marokko

Auch nach den Massenabschiebungen im Herbst 2005 befinden sich noch mindes­tens 10.000 Flüchtlinge und Migrant­Innen aus Subsahara-Afrika in Marokko, die meisten von ihnen ohne einen recht­lich anerkannten Status. Einige, vor allem Flücht­linge aus der De­mo­kra­tischen Republik Kongo und der Elfen­bein­küste, ha­­ben beim UNHCR Asyl be­an­tragt und z.T. auch eine Anerkennung durch ihn be­kommen, nicht jedoch Auf­ent­halts­papiere von den marok­kanischen Behörden. Sie leben ohne juristische Ab­sicherung, politische Rechte und soziale Versorgung vor allem in den Ar­beiter­vierteln der großen Städte und in den Wäldern rund um Ceuta und Melilla. Die provisorischen Lager dort wurden allerdings von den Sicherheits­kräf­ten weitgehend zerstört. Nach inter­na­tionalen Protesten gegen die Aus­setzungen in der Wüste und aufgrund der Schwierig­kei­ten, Her­kunfts­länder zur Rück­über­nahme zu bewegen, fanden eine Zeitlang keine Massen­ab­schiebungen aus Marokko mehr statt.

Dies änderte sich im Dezember 2006, und über die (Hinter-)Gründe kann nur spe­ku­liert werden: Ein Grund ist wahr­schein­lich der Druck, von der EU bis zum Jahresende für Abschiebungen zur Ver­fügung gestelltes Geld noch auszugeben. Die Wahl des Zeitpunkts um das christ­liche Weihnachts­fest herum hatte sicher da­mit zu tun, dass dann die meisten Büros so­­wohl des UNHCR als auch inter­na­tio­naler Menschenrechts­organisationen und Me­­dien geschlossen haben und so Proteste aus­­bleiben würden. Evtl. ging es aber auch um eine gezielte Beleidigung und Schi­kane der überwiegend christlichen Flücht­linge aus Subsahara-Afrika, als Ausdruck einer re­aktionären islamistisch-rassis­tischen Kam­pagne, die in Marokko gegen be­stimmte MigrantInnen geführt wird. An­dererseits fielen die Tage um Silvester in diesem Jahr mit einem mos­lemischen Fest zu­sammen, so dass auch Mitglieder marokkanischer Organisationen in Urlaub wa­ren. Ein weiterer Grund für die Re­gierung, noch vor Jahresbeginn 2007 mit spektakulären Aktionen gegen so­ge­nannte „illegale Migration“ ihre Kooperations­bereitschaft zu zeigen, waren anstehende Verhandlungen mit der EU über Ein­wanderungskontingente für Marok­kaner­Innen als benötigte Billigarbeitskräfte, z.B. in Spanien.

Die Ereignisse seit Weihnachten 2008

Seit dem 23. Dezember 2006 wurden in Marokko über 500 Personen, die aus Ländern südlich der Sahara stammen, bei Razzien durch Sicherheitskräfte fest­genommen, zunächst in Rabat, dann in Nador (bei Melilla), Lâayoune (West­sahara) und Ende Januar in Casablanca. Dabei wurde nicht beachtet, ob sie eine Auf­ent­halts­erlaubnis oder Flücht­lings­papiere vom UNHCR besitzen, ob sie schwanger, krank oder behindert sind. Ihr einziges „Vergehen“: ihre schwarze Hautfarbe. Alle wurden am frühen Morgen aus den Betten gerissen, in Busse gesetzt und nach kurzem Aufenthalt im Polizeikommissariat in Oujda in ein Wüstengebiet an der algerischen Grenze (die offiziell geschlossen ist) gefahren, mitten in der Nacht bei Tempera­turen um die 0 Grad dort ausgesetzt und mit Schüssen ge­zwungen, Marokko zu ver­lassen. Algerien vertrieb die MigrantInnen seinerseits mit Schüssen.

Vierzehn Tage nach Beginn dieser Ver­haftungen war es ca. 200 Personen gelungen, nach Oujda zurückzukehren, wo Menschen­rechts- und Flüchtlings­organisationen ein provisorisches Camp errichtet haben, das inzwischen aber mehrfach von der Polizei zerstört wurde. Nach Zeugenaussagen der an der Grenze abgesetzten MigrantInnen wurden den meisten von ihnen ihre Wertsachen abgenommen (Handys, Geld) und vielen ebenso ihre Pässe (Personal­aus­weise und Bescheinigungen des UNHCR). Einige von ihnen wurden gewaltsam angegriffen und Frauen Opfer von Ver­gewaltigungen. Viele sind körperlich sehr schwach, eine Frau aus der Republik Kongo, im fünften Monat schwanger, verlor ihr Baby. Busunternehmen und Taxifahrer weiger­ten sich, Schwarze mitzunehmen, so dass sie sich nur zu Fuß fortbewegen konnten.

Die zwiespältige Rolle des UNHCR

Erst durch (späte) Intervention des UNHCR schafften es einige als Flücht­linge oder AsylbewerberInnen re­gis­trierten Personen, wieder in ihre Wohn­orte zurück zu gelangen. Mehrere von ihnen sind jedoch erneut von Razzien betroffen. Die Regierung behauptet, es seien keine AsylbewerberInnen und anerkannten Flüchtlinge unter den Ver­hafteten. Die von der Polizei eingezogenen bzw. zerrissenen UNHCR-Papiere seien gefälscht. Der UNHCR ist nicht in der Lage, die bei ihm registrierten Flüchtlinge zu schützen. Er wird von der EU unter Druck gesetzt, die Politik der Auslagerung des Flüchtlingsschutzes mitzutragen und dient mehr und mehr als Alibi für diese Politik. Von der marokkanischen Re­gierung, die seinen Status nicht voll anerkannt hat, wurde dem UNHCR-Repräsentanten vorgeworfen, im Herbst 2005 eine Presseerklärung herausgegeben zu haben, dass er keinen Zugang habe zu den am Zaun von Ceuta und Melilla festgenommenen registrierten Flücht­lingen (die es nach Behauptungen der Regierung auch dort nicht gab), und auf Druck aus der UNHCR-Zentrale in Genf musste er sich dafür entschuldigen. Anfang Januar gab es Gespräche des UNHCR-Vertreters mit der marok­kanischen Re­gierung, in denen vom UNHCR u.a. zugesichert wurde, fäl­schungs­sichere Flüchtlingsausweise her­aus­zugeben, Ab­kommen mit der Re­gierung über die Registrierung der Flüchtlinge zu treffen und Proteste nicht mehr öffentlich zu äußern.

Regierungspositionen und Rechtlosigkeit der Migranten

Die marokkanischen Behörden stellten die Razzien als Maßnahmen auf Grundlage der Beschlüsse der Regierungskonferenz zum Thema Migration dar, die am 10. und 11. Juli 2006 in Rabat stattfand. Da sie keinerlei Interesse haben, trotz Un­ter­zeichnung der Genfer Flüchtlings­konven­tion und der Konvention über den Schutz der Wander­arbeiter und ihrer Familien durch die marokkanische Re­gierung sowie Ve­r­abschiedung eines entsprechenden na­tio­nalen Gesetzes (02/03), menschen­würdige Aufnahme- und Lebensbe­ding­ungen für Flüchtlinge und MigrantInnen zu schaffen, wird einfach geleugnet, dass es schutz­bedürftige Personen gibt. Men­schen­rechts- und Flüchtlings­organisa­tionen sollten bei der Sortierung in „gute“ und „schlechte“ MigrantInnen mitwirken, weigerten sich aber, dies zu tun und forderten stattdessen eine menschen­wür­dige Behandlung aller MigrantInnen, was z.B. das Recht auf Wohnung, Arbeitssuche und gesundheit­liche Versorgung ein­schließt. All diese Rechte werden Migrant­Innen aus dem sub­saha­rischen Afrika in Marokko ver­weigert. Sie sind gezwungen, in Ab­bruch­häusern oder auf der Straße zu schlafen, zu betteln, im Müll nach Nahrungsmitteln zu suchen und/oder sich zu prostituieren, um zu überleben.

Widerstand

Auf der euro-afrikanischen NGO-Kon­ferenz „Mi­grationen, Grundrechte und Be­­­we­gungs­­freiheit“, zu der sich am 30.6./1.7.06 mehr als 150 VertreterInnen von Flüchtlings- und Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tionen aus Europa, Subsahara- und Nord­afrika bei Rabat trafen, stellten Flüchtlinge und MigrantInnen ihre Si­tua­tion dar, es wurde über die EU-Mi­gra­tionspolitik diskutiert und ein Manifest mit gemeinsamen For­­derungen ver­ab­schie­det (siehe Bericht auf www.fluecht­lingsrat-hamburg.de unter dem Kon­ferenzdatum). Be­wegungs­­frei­heit wurde als Grundrecht und Vor­aussetzung zur Wahr­neh­mung anderer Grund­rech­te de­fi­niert. Eine Kund­ge­bung vor dem Par­la­ments­ge­bäude, in dem eine Woche spä­ter die Re­gierungs­kon­ferenz statt­fand, wurde or­ga­ni­siert. Ein „Nachfolge-Ko­mi­tee“ (co­mi­té de suivi) und eine E-Mail­liste wurden ein­ge­richtet, über die seitdem ein Infor­ma­tions­aus­tausch und die Ko­ordi­nierung von Aktivitäten, u.a. zum trans­nationalen Aktionstag am 7.10.06 und zum Weltsozialforum Ende Januar 2007 in Nairobi, laufen. Auch die Unter­stützung der von den Razzien und Abschiebungen be­troffenen Migrant­Innen und die Herstellung internationaler Öffentlichkeit darüber wurden erst durch diese Vernetzung möglich.

Am 22.1.07 fand im Unterausschuss für Menschenrechte des EU-Parlaments ein Hearing zu den Vorgängen in Marokko statt. Der ausführliche Bericht dafür ist auf terra.rezo.net/IMG/doc/VALLUY060107.doc nachzulesen (leider nur auf Französisch). Weitere Berichte und Dokumente, auch auf Deutsch, sind auf der oben angegebenen Website des Flücht­lingsrats Hamburg (unter dem Datum 23.12.06) zu finden.

Die aktiven Menschenrechts- und Flücht­lingsorganisationen in Marokko, die durch die dortige Regierung ständig über­wacht und von Festnahmen und Ent­führungen bedroht sind und kaum über finanzielle Mittel verfügen, benötigen dringend unsere Unterstützung und haben dafür auf einer Versammlung am 4.1.07 in Rabat einen Offenen Brief ver­ab­schiedet, der ebenfalls auf unserer Home­page steht und verbreitet werden sollte.

Conni Gunßer

Flüchtlingsrat Hamburg

(Der Artikel basiert auf Berichten von AktivistInnen aus Marokko)

Migration

Antifaschistische Notizen

Nazi-Opfer!

Die Opferberatungsvereine in Sachsen (www.RAA-sachsen.de und www.AMAL-sachsen.de) erhielten im letzten Jahr Kennt­nis von 208 Übergriffen (2005: 168) – sicher nur ein Bruchteil der gewaltvollen Reali­tät individueller und struktureller Dis­kriminierungen. RAA/AMAL: „wöch­ent­­lich ereigneten sich in Sachsen etwa vier rechtsextrem moti­vierte Übergriffe. Das ist die höchste Anzahl an rechts­ex­tremen Gewalttaten, von der wir in uns­erer bisherigen Arbeit je Kenntnis er­hiel­ten.“ In Leipzig sind die Hälfte der Op­fer Mi­grantInnen: „Wobei hier auf­fällig ist, dass die Täter nicht nur dem rechts­ex­tremen Rand, sondern in einer sehr hohen Zahl auch der Mitte der Ge­sellschaft zu­zu­ordnen sind“, so die Mit­ar­bei­terin Diana Eichhorn (0341/2618647).

Vor sieben Jahren war z.B. ein gebürtiger Iraner vor einer Leipziger Diskothek von der „Black-Rainbow“-Security derart am Zutritt gehindert worden, dass er nach OP und Reha bis heute Schmerzen hat. Die Ver­antwortlichen wurden kürzlich freige­sprochen und die vierstelligen Gerichts­kos­ten muss das Opfer tragen. Sein Konto wur­de gepfändet und ein Pflichtlohnteil sei­nes Arbeitgebers wird nicht ausgezahlt!

Am 05.02.07 wurden im Cineding vom Bür­gerverein Plagwitz/Lindenau diverse TV-Reportagen zur rechtsextremen Szene im Leipziger Westen gezeigt. Während dessen und danach gab es vor dem Pro­grammkino handfeste Auseinander­setzungen, provoziert von einem ca. 20-köp­figem Nazimob, der gekommen war, um zu drohen und zu stören; es gab mehr­ere Verletzte. Außer dem bürger­lichen En­ga­gement gibt es daher in­zwi­schen u.a. ei­ne Sammeladresse für Vorfälle ähn­­licher Art: zeitzumkennenlernen@web.de.

Übrigens hat sich in Leipzig vor kurzem auch eine Antifa-Jugendgruppe gegründet (ajl-leipzig@gmx.net).

Opfer-Nazis?

Mit einem Flugblatt wurde auf die der­zeitige Ausstellung „Flucht, Vertrei­bung, Inte­gration“ im Zeit­ge­schicht­lichen Forum reagiert: „Sie ist ein Teil der neuen deutschen Erinnerungspolitik, die als zentrales Element die Selbstpräsen­tation der Deutschen als Opfer der Geschichte enthält… Mit einer ausführ­lichen Kritik dieser Ausstellung, des geschichts­po­li­tischen Diskurses in der BRD und der Rolle der sog. Vertriebenen­verbände“ werden sich von Ende März bis April durch Leipziger AntifaschistInnen (Lea) geladene Refe­rent­Innen beschäfti­gen (www.left-action.de).

Geschichtsrevisionismus in Reinform konnte am 13. Februar in Potsdam, Borna, Aulendorf, Krefeld, München und natürlich Dresden von zwischen 50 und 1500 Nazis (Dresden) auf so genan­nten Gedenk-Aufmärschen wegen der Bombardierung Dresdens zum Ende des NS vertreten werden – mit tatkräftigen antifaschistischen „Behinderungen“.

Mobilisiert wird nun zu einer „von NPD und parteifreien Kräften gemeinsam geplanten mitteldeutschen 1.-Mai-De­mon­s­tra­­tion“ (C. Worch) in Erfurt. „Globalismus“-feindliche, antisemitische und rassistische Positionen sind dort erwartbar, ist doch am Samstag vorm G8-Gipfel ein weiterer Nazi-Auflauf in Schwerin angemeldet. … am Ball bleiben!

rabe

Lokales

„Die Zähne zeigt, wer das Maul aufmacht!“

Wie und Warum Aussageverweigerung Sinn macht

Bei politischen Aktionen bewegt man sich schnell am Rande der Legalität. Sei es die Verhinderung eines Naziaufmarsches, die aus einer emanzipatorischen Sicht legitim ist – per Gesetz aber der „Behinderung einer genehmigten Demonstration“ entspricht oder die Stürmung des Arbeitsamtes, die der Wut über ein System der Zwangs-Erwerbsarbeit bzw. Erwerbslosigkeit Ausdruck verleiht, jedoch gesetzlich unter Strafte steht.

Es war lange selbstverständlich vor Gericht keine Aussagen zu machen und nur politische Erklärungen zu verlesen. So verschieden die politischen Analysen und Aktionsformen der jeweiligen Bewegungen auch immer waren, in einem waren sie sich einig: Der Repressions­apparat des bürgerlichen Staates ist gegen sie gerichtet und wird mit allen Mitteln versuchen, Bewegungen zu kriminalisieren und zu zerschlagen. In letzter Zeit scheint dieses Wissen innerhalb der Linken zu schwinden. Immer mehr Menschen vergessen zu oft, ihren Mund bei der Polizei zu halten.

Warum Aussageverweigerung?

Staatliche Behörden betrachten es als gefährlich, wenn Menschen sich organisieren, um die sozialen Verhältnisse zu ändern. Denn Pro­teste und Widerstand etwa gegen Kriegspolitik, Ab­schiebungen, die kapitalistische Globalisierung oder Atomtransporte können auch dazu führen, dass Menschen diese Miss­stände nicht nur als kosmetische Probleme betrachten, sondern be­ginnen, die be­stehenden Machtverhältnisse zu hinterfragen. Bei jeder Fest­nahme und jedem Strafverfahren wollen Polizei und Jus­tiz neben der Repression gegen Einzelne immer auch Infor­ma­tio­nen über poli­tische und sogar persönliche Zusammen­hänge ge­winnen. Denn eine unbekannte Bewegung ist ei­ne potentielle Gefahr.

Es gibt keine gesetzliche Grundlage, Informationen zu er­­zwingen: Bei der Polizei braucht niemand Aussagen zu machen. Als Beschuldigte/R kann man da­rüber hinaus die Aussage auch bei der Staatsanwaltschaft und vor Gericht verweigern. Laut Gesetz darf das nicht zu Ungunsten des/der Angeklagten ver­wen­det werden. In der Realität sieht es je­doch anders aus. Schon das Gefühl, bei einer Festnahme ganz und gar der Polizei aus­geliefert zu sein, verleitet viele dazu, Aus­sagen zu machen. Oft muss die Polizei nicht mal mit üblen Tricks arbeiten. Doch sie ha­ben auch Methoden, um uns unter Druck zu setzen und Aus­sagen herauszupressen.

Oft geschieht das durch Einschüchterung (Anschreien, Gewalt­an­drohung und manchmal auch -ausübung, Drohen mit Konse­quen­zen bei den Eltern, in der Schule oder im Job) oder verständnisvoll („Wir sind ja auch gegen die Rechten, wir wollen ja das Gleiche“). Manchmal will die Polizei Dich auch zu scheinbar „harm­losen“ oder „entlastenden“ Aussagen überreden. Dabei gibt es keine „harmlosen“ Aussagen. Jede Äußerung hilft der Polizei bei Ermittlungen, ent­weder gegen Dich oder andere. Scheinbar „entlastende“ Aus­sagen können andere belasten, oder der Polizei helfen weitere Beweise zu suchen oder zu er­finden. Deshalb: bei der Polizei und Staatsanwaltschaft kon­se­quente Aussageverweigerung!

Aussageverweigerung konkret

Es gibt viele Situationen, die ganz harmlos erscheinen, in denen die „Aussage“ trotzdem verweigert werden sollte: An­quatsch­ver­suche des Verfassungsschutzes, Gespräche mit „Deeska­la­tions­beamten“ der Polizei… Auch hier gilt: Mund halten!

Bei der Polizei

Einer Vorladung der Polizei braucht niemand Folge zu leisten, weder Beschuldigte noch ZeugInnen, daraus entstehen keine Nachteile. Auf eine Ladung soll gar nicht reagiert werden, also auch nicht telefonisch.

Es ist allerdings ratsam, dass FreundInnen, Mitbetroffene, Anwälte und Rechtshilfegruppen wie die Rote Hilfe informiert werden! Leider gibt es auch mißliche Lagen wie Festnahmen, denen man sich nicht entziehen kann. Hier hilft es nur, die eigenen Rechte genau zu kennen.

Bleib ruhig und reagiere nicht auf Provokationen. Versuch, jeden Kontakt auf eine formale Ebene zu ziehen. Du bist nur verpflichtet, Angaben zu Deiner Per­son zu machen (Name, Adresse, Geburtsdatum, Geburtsort, Familienstand, Staatsangehörigkeit und allgemeine Berufsangabe (z.B. Schülerin, Angestellte, Arbeiter usw.). Sonst gar nix!

Beim Haftrichter

Manchmal kommt es vor, dass die Polizei meint, es gebe Gründe, Dich nach Ablauf von 48 Stunden nicht zu entlassen. Aber: Eine Aussage zur Sache wendet keine Untersuchungshaft ab!

Der Haftbefehl lautet auf „dringendem Tatverdacht“. Einlassungen zu den Tatvorwürfen, auch wenn es ein „Alibi“ ist, bedeuten nicht, dass keine U-Haft verhängt wird. Zu Vorwürfen, die zum Haftbefehl führen können, kommen noch so ge­nannte „Haftgründe“ hinzu. Der Haftbefehl kann, wenn die „Haftgründe“ nicht zutreffen, außer Vollzug gesetzt werden. Das heißt aber nicht, dass damit auch die Tatvorwürfe aus der Welt wä­ren, was die Unsinnigkeit von Aussagen zur Sache vor dem/der HaftrichterIn zeigt. Haftgründe sind: Fluchtgefahr, Ver­dunklungsgefahr, Wieder­holungsgefahr und besonders schwere Tat­vor­würfe.

Bei Vorwürfen, wie Mord, Totschlag und §129a wird grundsätzlich Haft­befehl erlassen. Zu den anderen Haftgründen kann nach dem Ge­setz ein/e BeschuldigteR Stellung nehmen. Wenn überhaupt, sollte dies nur zum Punkt Fluchtgefahr und nach anwaltlicher Beratung gemacht werden. Sagt man etwas zu den Punkten Verdunklungs- und Wieder­holungs­ge­fahr, ist unweigerlich eine Diskussion über den Tatvorwurf die Folge. Klar sein muss unbedingt, dass mit einer Aussage zur Sache keine U-Haft abgewendet werden kann.

Beim Staatsanwalt

Der Staatsanwalt führt das Ermittlungsverfahren und entscheidet über die Anklage des Beschuldigten vor Gericht. Dort führt er in der Haupt­verhandlung die Anklagevertretung. Bei einer Zeugen­vorladung raten wir unbedingt, sich davor mit einer Rechts­hilfegruppe und einem Anwalt, einer An­wältin zusammenzusetzen.

ZeugInnen müssen vor dem Staatsanwalt erscheinen und Angaben zur Person machen (s.o.), ansonsten kann eine Vorführung an­ge­ord­net werden. Beschuldigte können die Aussage verweigern. Mensch hat das Recht zu erfahren, um welches Verfahren es sich handelt (besteht auf einer genauen Bezeichnung der einzelnen Tatvorwürfe) und wer der/die Beschuldigte ist. Denn man muss die Mög­lichkeit haben zu prüfen, ob ein Aussageverweigerungsrecht be­steht.

Es gibt Gründe, warum ZeugInnen vor dem Staatsanwalt nicht aus­­sagen wollen. Sie können zu diesem Zeitpunkt nicht ermessen, wo­zu ihre Aussagen verwendet werden. Sie wissen nicht sicher, in wel­che Richtung der Staatsanwalt ermittelt, der Staatsanwalt darf die ZeugInnen darüber auch weitgehend in Unkenntnis halten – und auch darüber, ab wann in seinen Augen eine Aussage den/die ZeugIn selbst belasten könnte! Ein Überblick über die Zusammenhänge, in der die Aussagen stehen, dürfte den Befragten unmöglich sein. Jede Aus­­sage beim Staatsanwalt liefert ein Steinchen im Mosaik und kann weitere Anhaltspunkte lie­fern.

Das Aussageverweigerungsrecht für ZeugInnen wird durch die Strafprozeßordnung (StPO) geregelt. Verwandte (auch Ehe­leute und Verlobte (!) und in derselben Sache Angeklagte ha­ben ein Aussageverweigerungsrecht, ebenso wenn man sich durch eine Aussage selber belasten würde.

Was droht Menschen, die die Aussage verweigern, ob­wohl sie kein Aussageverweigerungsrecht haben? Oder mit Zeu­gInnen, die einer staatsanwaltschaftlichen Ladung nicht fol­gen wollen?

Da­für werden erst mal die entstandenen Kosten aufgedrückt. Dazu kann der Staatsanwalt ein Ordnungsgeld erlassen. Wenn dieses nicht gezahlt wird, kann ein Richter maximal 42 Tage Ordnungshaft verhängen. Es kann die zwangsweise Vorführung vor einen Ermittlungs­richter angeordnet werden.

ZeugInnen, die hingehen, aber nichts sagen

Zunächst läuft alles so wie oben ab. Wichtiger Unterschied aber ist, dass damit die Ordnungsmittel verbraucht, also nicht wiederholbar sind! Möglicherweise beantragt der Staatsanwalt nun die Erzwingungshaft (Beugehaft). Wird diese durchgesetzt, ist danach auch dieses Erzwingungsmittel verbraucht. Die Beugehaft kann über maximal sechs Monate verhängt werden. Zuerst aber müssen die Ordnungsmittel angewandt werden.

Staatsanwälte, die behaupten, der ZeugIn könne gleich in Beugehaft gesteckt werden, vermischen bewusst Ordnungs- mit Erzwingungs­mitteln.

Aussageverweigerung als ZeugIn beim Richter

Die Folgen sind die gleichen wie bei der Staatsanwaltschaft, dazu kommt, dass die Eidesverweigerung ebenso behandelt wird wie eine Aussageverweigerung. ZeugInnen können zu allen Vernehmungen einen Anwalt, eine Anwältin mitnehmen. Sie können eine wichtige – auch psychologische – Funktion haben, doch sollten ihre Möglichkeiten nicht überschätzt werden. Sie haben lediglich die Funktion eines Rechtsbeistandes, d.h. sie können nicht in die Vernehmung eingreifen und dürfen nur bei formalen Fehlern des Vernehmenden tätig werden. Etwa wenn eine Frage juristisch so nicht gestellt werden darf, wie sie gestellt wurde, oder der Staatsanwalt keine Rechtsmittelbelehrung erteilt hat. Aber man hat das Recht, sich mit dem Anwalt/ der Anwältin über die gerade gestellte Frage im Nebenzimmer zu beraten. Dadurch ist es möglich, sich erst mal Luft zu verschaffen und sich dem psychischen Druck zu entziehen.

Du hast das Recht:

* den Grund für die Festnahme zu erfahren.

* alle Aussagen zu verweigern.

* nichts zu unterschreiben!

* gegen eine erkennungsdienstliche Behandlung schriftlich

Widerspruch einzulegen.

* im Verletzungsfalle einen Arzt zu verlangen und

die Verletzung attestieren zu lassen.

* einProtokoll über beschlagnahmte Dinge zu erhalten.

* einen Anwalt bzw. eine Anwältin, eine Person des

eigenen Vertrauens zu benachrichtigen. (Aber nicht

unnötig am Telefon quasseln!)

Rote Hilfe

MAKING TROUBLE IN LEIPZIG

In Sachen Video­über­wachung hat Leip­­­zig eine Vor­reiterrolle. Im Ap­ril 1996 wur­­­­­­de hier die erste Po­li­zei­kamera zur dauer­­haf­­­ten Über­­­­wachung öffent­­licher Plät­­­ze in Betrieb ge­­nommen. Dass sich dieses Datum im letz­ten Jahr zum zehn­ten Mal jährte, hat sich die 2003 gegründete Gruppe Leipziger Kamera – Initiative gegen Über­wachung und Kon­­trolle zum Anlass für ihre Kampagne „10 Jah­re sind genug!“ ge­nommen. Eine gut be­suchte dreitägige Film- und Vortragsreihe un­ter dem Titel „[Del]+[Ctrl]“ Ende März letz­ten Jahres bildete den Auftakt der Kam­pagne. Seitdem hat die Leipziger Kamera mit The­­ater­performances im städtischen Raum nach dem Vorbild der New Yorker Sur­veillance Camera Players auf sich aufmerk­sam gemacht (siehe dazu FA! #24). Anfang De­zember letzten Jahres fand ein weiterer Ak­tionstag statt.

Zur Unterstützung und als Ideengeber hatte die Leipziger Kamera sich die Space Hijackers aus London eingeladen. Das Anliegen dieser 1999 gegründeten Gruppe von „Anar­chitekten“, Aktions­künst­lerInnen und Polit­aktivistInnen ist nach eigener Aussage, „die Hie­rarchie zwischen Besitzern und Nutzern des öffentlichen Raumes in Frage zu stellen“. Die­sem folgen sie mit Aktionen wie dem sog. „guerilla benching“. Auf einen Beschluss der Londoner Stadtverwaltung, Sitzbänke zu demontieren, da sonst damit nur Ob­dachlose und andere Randgruppen zum „He­rumlungern“ ermutigt würden, reagier­ten die Space Hijackers indem sie selbst Bänke in der Londoner Innenstadt auf­stellten.

Die Auftaktveranstaltung zu den Aktions­tagen fand am 1. Dezember in der Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) statt. Es standen zwei Vorträge der beiden Space Hi­jack­ers Sam und Robin auf dem Programm, wo­von einer sich mit Protest und Über­wachung im öffentlichen Raum befass­te, wäh­rend der andere speziell auf die Aktivi­täten der Space Hijackers einging. Mit etwa 60 Leuten war die Veranstaltung gut besucht, in­so­fern schien dem Gelingen des folgenden Ak­tionstages nichts im Weg zu stehen.

Am darauffolgenden Tag versammelten sich ca. 50 Leute vor der GfZK. Nachdem alle die mitgebrachten Papier-Mülltüten mit Hil­fe von Schere und Filzstiften zu prak­ti­schen „Überwachungskamera-Schutzhel­men“ umfunktioniert und sich über den Kopf ge­stülpt hatten, ging es im Pulk in Richtung In­nenstadt und Haupt­bahn­­hof. Auf dem Weg dahin wurden über­­wachte und nicht überwachte Be­reiche mit kleinen Pappkärt­chen markiert, um den BürgerInnen anzuzeigen, wo sie sich – dank Videoüberwachung – sicher be­wegen könn­ten und wo nicht. Viele Orte, an de­nen man sich unsicher fühlen müsste, gab es in der flächendeckend überwachten Leip­­ziger Innenstadt freilich nicht. Die Re­ak­tionen der PassantInnen auf das Schau­spiel reichten von ver­ständ­nis­losem Kopf­schüt­teln und offener Ab­lehnung bis hin zu Er­heiterung, Sym­pathie und glatter Be­geis­­terung.

Vor dem Hauptbahnhof sollte dann eine, von den Space Hijackers kryptisch „Love vs. Hate – Let the eye in the sky decide this age old battle“ betitelte Aktion statt­fin­den (zu deutsch: „Liebe gegen Hass – Lasst das Auge im Himmel diese jahr­tau­sen­de­alte Schlacht entscheiden“). Dafür teilten sich die An­wesenden in zwei Grup­pen, von denen eine den „Hass“, die an­dere die „Liebe“ repräsen­tierte. Durch ent­sprechen­des Verhalten – Pöbeln, Schubsen und simulierte Prügeleien auf der einen, Umarmen und sonstige lie­bevolle Gesten auf der anderen Seite – wurde nun ver­sucht, die Aufmerk­samkeit der über dem Ein­gang zur Westhalle des Bahnhofs hän­gen­den Polizeikamera auf sich zu ziehen. Trotz des großen Einsatzes aller Beteiligten schei­­terte dies jedoch, da die Ka­me­ra ge­rade im Automa­tikbetrieb lief und es wohl kein Po­­li­zeibeamter für nötig hielt, das teil­weise tu­multartige Geschehen auf dem Bahn­hofs­vorplatz näher ins Auge zu fassen. Immerhin, auch das ist ein Ergebnis: Falls man tat­sächlich einmal im Blickfeld einer Po­lizei­kamera zusammengeschlagen wür­de, könnte man vermutlich nicht mit schneller Hilfe der Po­­li­zei rechnen. So wur­de die Aktion nach zehn Minuten ab­ge­brochen, die restlichen „Über­wachungs­ka­mera-Schutzhelme“ und Flug­blätter an die Passanten verteilt und anschließend noch das Innere des Haupt­bahn­hofs be­sichtigt.

Abends fand man sich wieder in der GfZK zu­­sammen. Diesmal war neben einem wei­teren Vortrag von Space Hijacker Carl noch ei­­ne Performance der New York Surveil­lance Ca­mera Players angekündigt, die diese zur Un­terstützung der Kampagne vor einer Webcam am New Yorker Times Square aufführen woll­ten. Diese begann auch pünktlich, innerhalb von zwanzig Mi­nuten führten die New Yorker ei­nige ihrer camera plays auf – kleine Theater­stücke mit Hilfe großer beschrifteter Papp­tafeln. Das alles konnte in der GfzK via In­­ter­net live verfolgt werden. Mit dem Vor­­trag von Carl, der sich dem Thema Video­­überwachung und Privat­sphäre u.a. von des­sen Auswirkungen auf die moderne Kunst her annäherte, endete der Abend.

justus

leipzigerkamera.twoday.net
www.spacehijackers.co.uk
P.S.: Nicht nur in Leipzig gibt es Probleme mit Überwachung. Auch in der Dresdner Neus­tadt sollen jetzt aufgrund der öfters dort stattfindenden „Riots“ Über­wach­ungs­­kameras der Polizei installiert werden. Dagegen hat sich mittlerweile ein Bündnis von linken Gruppen gebildet. Näheres zum Stand der Dinge, Aktionen usw. gibt es unter neustadtwiki.sytes.net.

Lokales

Mein Körper gehört MIR, bis zum letzten Nukleotid!

DNA-Analyse

Europas Innenminister können jubeln, denn das genetische Material des Menschen liefert eindeutige, gerichtlich anerkannte Daten. Seit 2000 verweisen PolitkerInnen verstärkt auf akt­uelle Ereignisse der internationalen Politik, um die innere Sicherheit zu erhöhen und die Macht der herrschenden Klasse zu sichern. 2004 nannten die JustizministerInnen der EU die internationale Vernetzung der na­tionalen DNA-Dateien als eines der wichtigsten Ziele.

Law & Order – Entnahme & Verweigerung

Unterschieden werden muss zwischen der Entnahme einer DNA-Pro­be, die staatsanwaltlich angeordnet werden kann und dem eigentlichen Ana­lyseverfahren, für das ein richterlicher Beschluss notwendig ist! Bei „anonymen Spuren am Tatort“ und „Gefahr im Verzug“ gilt der Richtervorbehalt nicht mehr und eine Staats­anwältIn oder die Po­li­zei darf die Entnahme anordnen. Der richterliche Beschluss kann umgangen werden, wenn die betroffene Person von der Staats­anwaltschaft oder den Bullen angeschrieben wird und freiwillig ihre DNA abgibt, mensch kann aber auch zur DNA-Entnahme ge­zwungen werden! Zwar kann mensch die Entnahme aus einer Körperöffnung ver­weigern, in diesem Falle wird jedoch Blut abgenommen.

Schon vor der WM 2006 gab es Bestrebungen, die DNA von Personen, die zu gewissen Gruppen-Dateien zählen (z.B. Gewalttäter-Sport/ linksmotivierte Gewalttäter-Datei, LiMo) zwangsweise zu ent­nehmen und „vorsorglich“ zu analysieren. Ebenso gibt es schon seit einigen Jahren Vorstöße von PolitikerInnen, den richterlichen Be­schluss komplett aufzuheben und die DNA-Entnahme als Standard in die ED-Behandlung der Polizei zu integrieren. Bei DNA-Massentests, wie etwa im letzten Jahr in Coswig (1), ist die Freiwilligkeit bei der Teilnahme garantiert. Jedoch folgt der freiwilligen Ver­weigerung die unfreiwillige Belästigung durch PolizeibeamtInnen…

Speicherung

Bei laufenden Ermittlungsverfahren können Spuren und DNA-Material von StraftäterInnen vom Bundeskriminalamt (BKA) gespeichert werden. Laut Wikipedia kom­men täglich ca. 200-300 Datensätze hinzu. Aktuell (01‘07) um­fasst die Datei des BKA ca. eine halbe Million Einträge.

Bei Massentests sieht das Gesetz(!) vor, die für laufende Verfahren nicht mehr relevanten DNA-Informationen unverzüglich zu vernichten. Wer dem (Rechts- )Staat traut, braucht sich keine Sorgen zu machen… Die DNA-Entnahme und Speicherung in einer BKA-Analysedatei ist „verfassungsgemäß“, wenn der/die TäterIn wegen Straf­taten erheblicher Schwere verurteilt wurde, also z.B. Mord und schwere Kör­perverletzung. Zudem muss begründeter Verdacht auf Wieder­holungsgefahr bestehen.

Datenaustausch

Das Schengener Informations-System II (2) wandelt sich vom Infor­ma­tions- zum Ermittlungssystem mit derzeit ca. 14 Millionen Da­tensätzen : u.a. Informationen über AsylbewerberInnen, gesuchte Personen und gestohlene Dinge. Geplant ist die Aufnahme von biometrischen Merkmalen, Finger­abdrücken, Lichtbildern und auch ein DNA-Abgleich. Die „Superdatenbank“ wird mit anderen Datenbanken (wie INPOL-Neu (3)) vernetzt und ist für Geheimdienste, EUROPOL (4), EURO­JUST (5). Grenzpolizei und KFZ-Registrierungsstellen zugänglich. Für ei­nen Datenaustausch innerhalb der EU genügt es bereits, verdächtigt zu werden, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu ge­fährden. Ein Richterbeschluss ist nicht erforderlich.

Präventive DNA-Analyse

Eine weitere Möglichkeit der DNA-Entnahme und Analyse ist die prä­ventive DNA-Entnahme. Dabei kann im Rahmen eines Er­mittlungsverfahrens DNA ohne Richterentscheid analysiert werden, wenn dem/der Betroffenen Straftaten erheblicher Schwere vorgeworfen wer­den und „begründete Wiederholungsgefahr“ besteht. Dabei ist letztere meist nur eine willkürliche Be­schuldigung der Polizei.

Mit der Neuregelung der DNA-Analyse im November 2005 wurde die präventive DNA-Analyse und -Speicherung auf die prognostizierte Wiederholung „nicht erheblicher Straf­taten“ ausgeweitet, was im polizeilichen Alltag auch schon Praxis war. Das Bundesjustizministerium führt für solche „nicht er­heb­lichen Straftaten“ mit Wiederholungsgefahr Hausfriedensbrüche und Sachbeschädigungen an. Letztendlich, und das sollte uns bewusst sein, geht es um die Sammlung der DNA-Daten von möglichst vielen Menschen…

Wie verhalte ich mich bei DNA-Entnahme?

* Keine Aussagen, keine Unterschriften!

* Keine Einwilligung zur DNA-Entnahme unterschreiben! Damit bleibt der Richtervorbehalt bestehen und die Entnahme kann später besser angefechtet werden.

* Wahrscheinlich droht die Polizei mit einer zwangsweisen Blutabnahme. Diese muss aktuell NOCH von einer/einem RichterIn angeordnet werden. Besteht darauf, dass dies rechtlich nicht möglich ist. Verlangt nach eurem Anwalt/eurer Anwältin. Immer gilt: Die Blutabnahme muss von einem Arzt/einer Ärztin durchgeführt werden!

* Legt explizit Widerspruch gegen die DNA-Entnahme ein und lasst ihn schriftlich festhalten! Es kann wichtig sein, die Löschung der Daten zu beantragen.

* Es hat sich gezeigt, dass ein/e anwesende/r Rechts­anwältIn fragwürdige Maßnahmen zumindest zu diesem Zeitpunkt verhindern kann. Informiert ein/e AnwältIn eures Vertrauens, eure Rote Hilfe Ortsgruppe oder den EA. Euch steht bei jeder Festnahme ein Anruf bei einer Person eures Vertrauens zu! es kann wichtig sein, die Löschung der Daten zu beantragen und gegen die Entnahme Einspruch einzulegen. Häufig läuft dies auf eine Feststellungsklage beim Verwaltungsgericht hinaus. Wendet euch an die Rote Hilfe oder den EA.

* Lasst Euch nicht einschüchtern!

KEEP COOL. Bedenkt die Konsequenzen!

(1) Aufgrund von Sexualverbrechen wurden dort Massentests an Männern zwischen 25-45 durchgeführt. Vorgesehen waren 80.000 Freiwillige.
(2) Schengener Informationssystem (SIS) – nichtöffentliche Datenbank, mit Personen und Dingen, nach denen im Schengen-Raum gefahndet wird.
(3) Bundesweit einheitliches polizeiliches Informationssystem.
(4) Europol oder Europäisches Polizeiamt ist die europäische Polizeibehörde in Den Haag.
(5) Eurojust oder Europäische Einheit für justizielle Zusammenarbeit ist die europäische Justizbehörde (Den Haag).

Rote Hilfe

Mit der Säge am eigenen Stuhl

VolkshausVerkauf

„Gewerkschaftsarbeit braucht keine lokal aktive Basis“, scheint die Erkenntnis des DGB zu sein. Anders ließe es sich nicht erklären, dass neun Gewerkschaftshäuser, vorwiegend aus dem Osten, im Dezember 2006 vom DGB-Vorstand verkauft wurden. Ver­kauft an Cerberus, einem US-ameri­ka­­nischen Finanz­fond­unter­nehmen, dem es aus­schließlich um den profi­tab­­len Weiter­verkauf der Immo­bilie geht. Verkauft an den ka­pitalistischen Feind, der dann ein guter Freund ist, wenn nicht gerade Rede schwingend gegen ihn ge­­wettert wird, weil man ja offiziell noch auf der anderen Seite des Interessen­ge­gen­satzes steht. Dass zu­mindest einige Ar­beit­nehmerInnen sich nun von ihrer Spitze ver­­­raten und ver­kauft füh­len und in Leip­zig dagegen Sturm liefen, spricht für die Ak­ti­vistInnen. Dass es nichts ver­hindert hat, weil es nur wenige Idealisten unter den GewerkschafterInnen gibt, spricht wiederum für eine lange, basis­entfremdete Tra­dition im DGB, die mit dem Volkshaus-Verkauf diese Tendenz noch verstärkt.

Das 1905 entstandene Leipziger Volkshaus ist ein Meilenstein in der Geschichte der Ar­­beiterbewegung. Zwei mal erbauten es die Ar­beiterInnen mit ihrem so genannten „Ar­­bei­tergroschen“ neu, nachdem es 1920 beim Kapp-Putsch (1) und 1945 von einer Bom­be zer­stört wurde. Bis 1990 vom FDGB (2) ge­nutzt, fiel die Immobilie nach der Wiedervereinigung der Treuhand zu und wur­de 1993 zusammen mit acht an­deren ost­deut­schen Gewerk­schafts­häu­sern von der Ge­sell­schaft für Gewerbe­immo­bilien (GGI) ge­kauft, welche bis De­zem­ber noch eine Im­mo­biliensparte der BGAG (3) war und jetzt im Paket mit ins­ge­samt 46 Objekten der In­vest­ment­ge­sell­schaft Cerberus gehört. Der jüng­ste Ver­kauf ist dabei lediglich die Spitze des Eis­ber­ges in der Geschichte des ver­kauf­ten Tafel­silbers der Gewerkschaften (siehe näx­ten Artikel).

Konsequenzen

Das Volkshaus wird heute, neben der gleich­­namigen Kneipe und zahlreicher Büros vor allem als Veranstaltungsort so­wohl von Ge­werk­schaftsaktivistInnen, als auch von an­deren politischen Gruppen ge­nutzt, um In­for­mationsveranstaltungen, Se­mi­nare und Plena durchzuführen. Ins­be­­sondere bei Naziaufmärschen ist das Volks­­haus ein be­liebter Sammelplatz um Rou­ten der Nazis Rich­tung Connewitz zu blockieren. Dies kann sich nun (zumin­dest rechtlich gesehen) schwieriger ge­stal­ten, und auch andere po­li­tische Aktivi­täten, selbst Transpis an den Haus­wänden könnten vom neuen Besitzer unter­bunden wer­den. Auch wenn heute die Nutzungs­mög­lichkeiten von Haus und Hof durch Basis­aktivistInnen nicht ausgeschöpft wer­den, so ist der Verkauf des zentral ge­le­gen­en Ortes ein Tritt in den Arsch all jener, die seit Jahren versuchen für die In­ter­essen der Ausgebeuteten lokal ein­zu­stehen und Gewerkschaftsarbeit von un­ten zu organi­sieren. Doch für die DGB-Spitze scheinbar kein großer Verlust im Ver­gleich zum fi­nan­ziel­len Gewinn, der offi­ziell das durch Mit­gliederrückgang ent­standene Haushaltsloch aus­gleicht. Selbst vor Kündigungs­droh­ungen schrec­kte diese nicht zurück, wenn ge­­werk­schaft­liche Funktionäre sich öffent­lich den Ent­scheidungen des DGBs wider­setzten und gegen die Veräußerung mobil mach­ten. Und auch jene AktivistInnen, die me­dien­wirksam gegen Pri­va­ti­sier­ungen mobi­lisieren, machen sich zu­künf­tig wohl lächerlich wenn sie hinter der Gewerk­schafts­fahne laufen, wo doch selbst das ge­werk­schaftseigene Haus in­zwischen keines mehr ist.

Proteste

Obgleich der Verkauf erst am 18.12.2006 schriftlich besiegelt wurde, war er bereits im September beschlossene Sache, wurde von den Verantwortlichen aber weder kommuniziert, noch mit den Betroffenen in irgendeiner Weise abgestimmt. Die Empör­ung darüber war bei der Leipziger Basis dementsprechend groß, zumal diese über die Leipziger Volkszeitung erst am 21.9. vom geplanten Verkauf erfuhr. Ausgehend von der Gewerkschaftsbasis formierte sich daraufhin zeitnah die Initiative Stoppt den Verkauf der Gewerk­schafts­häuser und rief zu einer symbo­lischen Besetzung des Volkshauses auf. Viele AktivistInnen verbrachten am 26.10. die Nacht in und vor dem Volkshaus und versuchten mit Unter­schriften­sammlungen auf den unhaltbaren Be­schluss aufmerksam zu machen und eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, zumal von allen anderen betrof­fenen Städten kein Zeichen des Wider­standes ausging. In einer außer­ordentlichen Delegierten­ver­sammlung und Protest­kundgebung am 15.11. sollten die ver­antwort­lichen Vorstandsmitglieder des DGB und der BGAG Stellung dazu nehmen, allerdings hielten diese es nicht einmal für nötig, überhaupt zu erscheinen. Frei nach dem Motto „kommt ihr nicht zu uns, steigen wir euch aufs Dach“ fuhr daraufhin ein Bus mit rund 50 Gewerkschafts­aktiv­istInnen am 22.11. in die DGB-Zentrale nach Berlin, um ein Gespräch mit dem dafür zuständigen Bundes­vor­stands­mit­glied zu führen. Dieser versuchte die auf­ge­brachten LeipzigerInnen mit dem Ver­sprechen, das Problem im Bundes­vorstand noch einmal zur Sprache zu bringen, zu be­sänf­tigen. Die scheinbar aus Angst extra en­ga­gierte Security begleitete die ‚Reise­gruppe Berlin‘ nach zweistündiger Audienz schluss­end­lich unverrichteter Dinge aus dem Haus. Am 6.12. wurde daraufhin zu einem offenem runden Tisch in Leipzig eingeladen, um wei­tere Aktionen gegen den Verkauf des Leip­ziger Hauses zu planen, wie zum Beispiel die Mahn­wache am 19.12. Dort konnte nur noch traurig Bilanz gezogen werden, denn be­reits am Tag zuvor ging der Besitz an Cer­berus, dem Höllenhund in der griechischen Mythologie, über.

Auch wenn die Chancen auf einen Rückkauf des Volkshauses schlecht stehen, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn in diesem Jahr finden die Gewerkschaftstage4 der ver.di und der IG Metall in Leipzig statt. Eine brei­te innergewerkschaftliche Dis­kussion um ei­gene politische Ausrichtung ist notwendig, denn einmal mehr hat sich gezeigt, was sich hin­ter dem rhetorischen Schleier der selbsternannten Kampf­organisation verbirgt. Dass der Ausverkauf von 100 Jahren Arbeitergeschichte und der damit ver­bun­dene Verrat an der eigenen Klasse insgesamt auf so wenig Widerstand stößt, liegt vielleicht aber auch daran, dass außer ein paar Leipzigern kaum jemand mehr so idealistisch ist zu glauben, der DGB agiere gegen das Kapital.

momo

(1) Der von Teilen der Reichswehr durchgeführte Putsch in der Zeit der Weimarer Republik richtete sich insbesondere gegen die politischen Parteien, welche den Versailler Vertrag durchzusetzen versuchten und im Rahmen dessen den Abbau der bewaffneten Kräfte forcierten.
(2) Freier Deutscher Gewerkschaftsbund, zentraler Gewerkschaftsbund der DDR
(3) Beteiligungsgesellschaft der Gewerkschaften AG, Immobilientochterfirma des DBG
(4) Der Gewerkschaftstag ist das höchste beschluss­fassende Gremium der Mitglieds­gewerkschaften und tagt aller 4 Jahre. In der Bundes­jugend­kon­ferenz der IG Metall Jugend (7% der Ge­samt­mit­glieder) wurde bereits im Januar beschlossen, das Volkshaus zurück zu kaufen und dement­sprechend einen Antrag an den Gewerkschaftstag einzureichen.

Lokales

Jukss: Klappe die 14te

Eine neue Welt mit Geburtsschwierigkeiten

Da war es wieder soweit, zwischen dem 23.12. und dem 6.1. wechselte nicht nur wie üblich das Jahr, auch der Jugendumweltkongress oder auch „Jukss“ öffnete seine Pforten für an die 400 Jugendliche und Junggebliebene. Diesmal an einer Schule in ei­ner Plattenbausiedlung in Königs-Wusterhausen in Brandenburg.

Der Trend der letzten Jahre setzte sich fort: das Thema Umwelt muß sich die Plätze mit Selbstorganisation, Bildungskritik, Ge­schlechterrollen, Beziehungsweisen und eher praktischer Betätigung, wie Jonglierbälle bauen oder Yoga und Massagetechniken teilen. Dazu kommen Themen wie G8, gewaltfreie Kommunikation und Ve­ga­nis­mus/Antispeziesismus und Treffen der „Travelling School of Life“ und „Alternativ-Unis“. Auch die Aktion gegen die Verdrängung der Indi­genas in Französisch-Guyana soll nicht unerwähnt bleiben.

Die Organisationsform war ähnlich wie beim 13. Kongress in Bielefeld im Jahr davor: es gab kein tägliches Plenum, es gab eigentlich gar keine Vollversammlungen. Dahingehend kann der Jukss als praktisches Experimentierfeld für Selbstorganisation verstanden werden. Eine große Bedeutung fällt hier den Info- und Orgawänden zu und den Mitmachgruppen, die sich um bestimmte Auf­gaben­bereiche, wie Kochen und Empfang, kümmern. Und hier kommen die Haken: die Zettelwände waren recht unübersichtlich positioniert und erschlugen einen in ihrer Fülle als Neuankömmling geradezu. Mensch brauchte mindestens zwei Tage um sich da hineinzufinden. Und zweiter Haken: die Mitmachgruppen sind mangels Beteiligung zu Beginn, als noch recht wenige Leute da waren, gar nicht richtig ins Rollen gekommen. Ohne funktionierende Infogruppe konnten wiederum neue BesucherInnen nicht in die Struktur eingebunden werden. Alles hing nun am spontanen Engagement, an der Bereitschaft, bei Bedarf einzuspringen und dem Know How der Erfahreneren unter den „Jukssis“. Und zum dritten waren für Menschen, die nicht so gut mit großen Menschenmengen umgehen konnten, eher zu wenig Rückzugsräume vorhanden, zu wenig Entspannungsmöglichkeiten, zu viel deprimierendes Schulflair.

Wichtig war zudem die Frage: „Der Jukss ein Kuschelkongress?“ Nun, das entschieden schlußendlich die Teilnehmenden selbst, aber womöglich fehlte eine Reflektionsbasis für diesen offeneren Umgang mit körperlicher Nähe, der viele im Regen stehen ließ, die ihre Bedürfnisse nicht so gut kommunizieren konnten, sei es das „Nein – ich möchte jetzt nicht mit Dir kuscheln!“ oder das „Ja – magst Du mich in den Arm nehmen?“. Diese öffentliche Thematisierung mag für die Eine oder Andere befremdlich klingen, aber es handelt sich um grundlegende und tabuisierte zwischenmenschliche Fragen, die mit der traditionellen Paarbeziehung klar gelöst schienen, aber angesichts ihrer starren Form wieder aufgerollt werden.

Viele Probleme wurden während diverser reflektierender Workshops erkannt und es wurden Methoden entwickelt, wie mit ihnen umzugehen sei. So zum Beispiel die Einrichtung von Räumen für zwischenmenschliche Beziehungs- und Kommunikationsfragen, die Einrichtung von festen Orgaräumen für die Mitmachgruppen, eigene konkurrenzlose Zeiten für deren und ähnlich wichtige Treffen, oder eine Plattform für Leute, die auch nach dem Jukss nicht in den Alltag abtauchen wollen oder können. Damit sich die Selbstorganisation beim nächsten Mal noch besser zum Wohle inhaltlicher Debatten, praktischer Aktionen, sozialer Netze und des Befindens aller TeilnehmerInnen entfalten kann, braucht es denn nur noch genug Leute, die diese Ideen auch in die Tat umsetzen. Denn hat jemand behauptet, die Geburt einer neuen Welt würde schnell und ohne Schwierigkeiten ablaufen?

cignonero

(Mehr Infos auf www.jukss.de)

Uebrigens