Wie und Warum Aussageverweigerung Sinn macht
Bei politischen Aktionen bewegt man sich schnell am Rande der Legalität. Sei es die Verhinderung eines Naziaufmarsches, die aus einer emanzipatorischen Sicht legitim ist – per Gesetz aber der „Behinderung einer genehmigten Demonstration“ entspricht oder die Stürmung des Arbeitsamtes, die der Wut über ein System der Zwangs-Erwerbsarbeit bzw. Erwerbslosigkeit Ausdruck verleiht, jedoch gesetzlich unter Strafte steht.
Es war lange selbstverständlich vor Gericht keine Aussagen zu machen und nur politische Erklärungen zu verlesen. So verschieden die politischen Analysen und Aktionsformen der jeweiligen Bewegungen auch immer waren, in einem waren sie sich einig: Der Repressionsapparat des bürgerlichen Staates ist gegen sie gerichtet und wird mit allen Mitteln versuchen, Bewegungen zu kriminalisieren und zu zerschlagen. In letzter Zeit scheint dieses Wissen innerhalb der Linken zu schwinden. Immer mehr Menschen vergessen zu oft, ihren Mund bei der Polizei zu halten.
Warum Aussageverweigerung?
Staatliche Behörden betrachten es als gefährlich, wenn Menschen sich organisieren, um die sozialen Verhältnisse zu ändern. Denn Proteste und Widerstand etwa gegen Kriegspolitik, Abschiebungen, die kapitalistische Globalisierung oder Atomtransporte können auch dazu führen, dass Menschen diese Missstände nicht nur als kosmetische Probleme betrachten, sondern beginnen, die bestehenden Machtverhältnisse zu hinterfragen. Bei jeder Festnahme und jedem Strafverfahren wollen Polizei und Justiz neben der Repression gegen Einzelne immer auch Informationen über politische und sogar persönliche Zusammenhänge gewinnen. Denn eine unbekannte Bewegung ist eine potentielle Gefahr.
Es gibt keine gesetzliche Grundlage, Informationen zu erzwingen: Bei der Polizei braucht niemand Aussagen zu machen. Als Beschuldigte/R kann man darüber hinaus die Aussage auch bei der Staatsanwaltschaft und vor Gericht verweigern. Laut Gesetz darf das nicht zu Ungunsten des/der Angeklagten verwendet werden. In der Realität sieht es jedoch anders aus. Schon das Gefühl, bei einer Festnahme ganz und gar der Polizei ausgeliefert zu sein, verleitet viele dazu, Aussagen zu machen. Oft muss die Polizei nicht mal mit üblen Tricks arbeiten. Doch sie haben auch Methoden, um uns unter Druck zu setzen und Aussagen herauszupressen.
Oft geschieht das durch Einschüchterung (Anschreien, Gewaltandrohung und manchmal auch -ausübung, Drohen mit Konsequenzen bei den Eltern, in der Schule oder im Job) oder verständnisvoll („Wir sind ja auch gegen die Rechten, wir wollen ja das Gleiche“). Manchmal will die Polizei Dich auch zu scheinbar „harmlosen“ oder „entlastenden“ Aussagen überreden. Dabei gibt es keine „harmlosen“ Aussagen. Jede Äußerung hilft der Polizei bei Ermittlungen, entweder gegen Dich oder andere. Scheinbar „entlastende“ Aussagen können andere belasten, oder der Polizei helfen weitere Beweise zu suchen oder zu erfinden. Deshalb: bei der Polizei und Staatsanwaltschaft konsequente Aussageverweigerung!
Aussageverweigerung konkret
Es gibt viele Situationen, die ganz harmlos erscheinen, in denen die „Aussage“ trotzdem verweigert werden sollte: Anquatschversuche des Verfassungsschutzes, Gespräche mit „Deeskalationsbeamten“ der Polizei… Auch hier gilt: Mund halten!
Bei der Polizei
Einer Vorladung der Polizei braucht niemand Folge zu leisten, weder Beschuldigte noch ZeugInnen, daraus entstehen keine Nachteile. Auf eine Ladung soll gar nicht reagiert werden, also auch nicht telefonisch.
Es ist allerdings ratsam, dass FreundInnen, Mitbetroffene, Anwälte und Rechtshilfegruppen wie die Rote Hilfe informiert werden! Leider gibt es auch mißliche Lagen wie Festnahmen, denen man sich nicht entziehen kann. Hier hilft es nur, die eigenen Rechte genau zu kennen.
Bleib ruhig und reagiere nicht auf Provokationen. Versuch, jeden Kontakt auf eine formale Ebene zu ziehen. Du bist nur verpflichtet, Angaben zu Deiner Person zu machen (Name, Adresse, Geburtsdatum, Geburtsort, Familienstand, Staatsangehörigkeit und allgemeine Berufsangabe (z.B. Schülerin, Angestellte, Arbeiter usw.). Sonst gar nix!
Beim Haftrichter
Manchmal kommt es vor, dass die Polizei meint, es gebe Gründe, Dich nach Ablauf von 48 Stunden nicht zu entlassen. Aber: Eine Aussage zur Sache wendet keine Untersuchungshaft ab!
Der Haftbefehl lautet auf „dringendem Tatverdacht“. Einlassungen zu den Tatvorwürfen, auch wenn es ein „Alibi“ ist, bedeuten nicht, dass keine U-Haft verhängt wird. Zu Vorwürfen, die zum Haftbefehl führen können, kommen noch so genannte „Haftgründe“ hinzu. Der Haftbefehl kann, wenn die „Haftgründe“ nicht zutreffen, außer Vollzug gesetzt werden. Das heißt aber nicht, dass damit auch die Tatvorwürfe aus der Welt wären, was die Unsinnigkeit von Aussagen zur Sache vor dem/der HaftrichterIn zeigt. Haftgründe sind: Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr, Wiederholungsgefahr und besonders schwere Tatvorwürfe.
Bei Vorwürfen, wie Mord, Totschlag und §129a wird grundsätzlich Haftbefehl erlassen. Zu den anderen Haftgründen kann nach dem Gesetz ein/e BeschuldigteR Stellung nehmen. Wenn überhaupt, sollte dies nur zum Punkt Fluchtgefahr und nach anwaltlicher Beratung gemacht werden. Sagt man etwas zu den Punkten Verdunklungs- und Wiederholungsgefahr, ist unweigerlich eine Diskussion über den Tatvorwurf die Folge. Klar sein muss unbedingt, dass mit einer Aussage zur Sache keine U-Haft abgewendet werden kann.
Beim Staatsanwalt
Der Staatsanwalt führt das Ermittlungsverfahren und entscheidet über die Anklage des Beschuldigten vor Gericht. Dort führt er in der Hauptverhandlung die Anklagevertretung. Bei einer Zeugenvorladung raten wir unbedingt, sich davor mit einer Rechtshilfegruppe und einem Anwalt, einer Anwältin zusammenzusetzen.
ZeugInnen müssen vor dem Staatsanwalt erscheinen und Angaben zur Person machen (s.o.), ansonsten kann eine Vorführung angeordnet werden. Beschuldigte können die Aussage verweigern. Mensch hat das Recht zu erfahren, um welches Verfahren es sich handelt (besteht auf einer genauen Bezeichnung der einzelnen Tatvorwürfe) und wer der/die Beschuldigte ist. Denn man muss die Möglichkeit haben zu prüfen, ob ein Aussageverweigerungsrecht besteht.
Es gibt Gründe, warum ZeugInnen vor dem Staatsanwalt nicht aussagen wollen. Sie können zu diesem Zeitpunkt nicht ermessen, wozu ihre Aussagen verwendet werden. Sie wissen nicht sicher, in welche Richtung der Staatsanwalt ermittelt, der Staatsanwalt darf die ZeugInnen darüber auch weitgehend in Unkenntnis halten – und auch darüber, ab wann in seinen Augen eine Aussage den/die ZeugIn selbst belasten könnte! Ein Überblick über die Zusammenhänge, in der die Aussagen stehen, dürfte den Befragten unmöglich sein. Jede Aussage beim Staatsanwalt liefert ein Steinchen im Mosaik und kann weitere Anhaltspunkte liefern.
Das Aussageverweigerungsrecht für ZeugInnen wird durch die Strafprozeßordnung (StPO) geregelt. Verwandte (auch Eheleute und Verlobte (!) und in derselben Sache Angeklagte haben ein Aussageverweigerungsrecht, ebenso wenn man sich durch eine Aussage selber belasten würde.
Was droht Menschen, die die Aussage verweigern, obwohl sie kein Aussageverweigerungsrecht haben? Oder mit ZeugInnen, die einer staatsanwaltschaftlichen Ladung nicht folgen wollen?
Dafür werden erst mal die entstandenen Kosten aufgedrückt. Dazu kann der Staatsanwalt ein Ordnungsgeld erlassen. Wenn dieses nicht gezahlt wird, kann ein Richter maximal 42 Tage Ordnungshaft verhängen. Es kann die zwangsweise Vorführung vor einen Ermittlungsrichter angeordnet werden.
ZeugInnen, die hingehen, aber nichts sagen
Zunächst läuft alles so wie oben ab. Wichtiger Unterschied aber ist, dass damit die Ordnungsmittel verbraucht, also nicht wiederholbar sind! Möglicherweise beantragt der Staatsanwalt nun die Erzwingungshaft (Beugehaft). Wird diese durchgesetzt, ist danach auch dieses Erzwingungsmittel verbraucht. Die Beugehaft kann über maximal sechs Monate verhängt werden. Zuerst aber müssen die Ordnungsmittel angewandt werden.
Staatsanwälte, die behaupten, der ZeugIn könne gleich in Beugehaft gesteckt werden, vermischen bewusst Ordnungs- mit Erzwingungsmitteln.
Aussageverweigerung als ZeugIn beim Richter
Die Folgen sind die gleichen wie bei der Staatsanwaltschaft, dazu kommt, dass die Eidesverweigerung ebenso behandelt wird wie eine Aussageverweigerung. ZeugInnen können zu allen Vernehmungen einen Anwalt, eine Anwältin mitnehmen. Sie können eine wichtige – auch psychologische – Funktion haben, doch sollten ihre Möglichkeiten nicht überschätzt werden. Sie haben lediglich die Funktion eines Rechtsbeistandes, d.h. sie können nicht in die Vernehmung eingreifen und dürfen nur bei formalen Fehlern des Vernehmenden tätig werden. Etwa wenn eine Frage juristisch so nicht gestellt werden darf, wie sie gestellt wurde, oder der Staatsanwalt keine Rechtsmittelbelehrung erteilt hat. Aber man hat das Recht, sich mit dem Anwalt/ der Anwältin über die gerade gestellte Frage im Nebenzimmer zu beraten. Dadurch ist es möglich, sich erst mal Luft zu verschaffen und sich dem psychischen Druck zu entziehen.
Du hast das Recht:
* den Grund für die Festnahme zu erfahren.
* alle Aussagen zu verweigern.
* nichts zu unterschreiben!
* gegen eine erkennungsdienstliche Behandlung schriftlich
Widerspruch einzulegen.
* im Verletzungsfalle einen Arzt zu verlangen und
die Verletzung attestieren zu lassen.
* einProtokoll über beschlagnahmte Dinge zu erhalten.
* einen Anwalt bzw. eine Anwältin, eine Person des
eigenen Vertrauens zu benachrichtigen. (Aber nicht
unnötig am Telefon quasseln!)
Rote Hilfe