Wer Anfang der 90er geglaubt hatte, mit dem Zusammenbruch der zentralistischen Verwaltungsdiktaturen der Kommunistischen Partei würde die Welt in ein neues, humanistisches Zeitalter eintreten, geprägt von Abrüstung und Befriedung der jahrzehntelang forcierten Stellvertreter-Konflikte rund um den Globus; wer solcherlei Hoffnung hegte, muss heute, nach nicht einmal 20 Jahren erschüttert feststellen: Das 21. Jahrhundert kündigt sich düster an. Das neoliberale Kind des alten Liberalismus ist noch gewissenloser als der Vater. Es hat sich von den idealistischen Überschüssen des Humanismus, der Wohlfahrt und der nationalen Distribution völlig frei gemacht, der Staat erscheint ihm instrumenteller als jemals zuvor. Dessen durchgesetztes und in die Rechtsstaatlichkeit eingeschlossenes Gewaltmonopol wurde zum einzigen realen Garant optimaler Verwertungsbedingungen durch die immer lückenlosere Kontrolle der innenpolitischen Konflikte und der „Ökonomisierung“ der Außenpolitik (1).
Die technologische Differenzierung der staatlichen Gewaltpotenziale, insbesondere die systematische Aufrüstung der Polizei, sind dabei das Schlüsselmoment und die asymmetrische Kriegsführung Ausdruck dieser neuen, gewaltigen Übermacht, die nicht nur billiger sondern auch effizienter als die überkommene Militärgewalt der stehenden Heere ist. Dass dabei die Militarisierung der Polizeieinheiten notwendig wird, liegt auf der Hand. Und Deutschland schreitet hier besonders schnell voran. Wenn die deutsche Polizei von „Störern“ spricht, unterscheidet sich das kaum noch von der Bezeichnung „Terrorist“. Der Schutz der angeblich so freiheitlichen Grundordnung ist längst zur Tyrannei systematischer Gewalt umgeschlagen, die polizeiliche Überwachung und Übergriffe, Verschleppungen und menschenunwürdige Inhaftierungen rechtfertigt, Folterungen verschweigt und jede außerparlamentarische Opposition kriminalisiert. Während innerhalb der deutschen Polizei noch der Taser getestet und über Gummigeschosse diskutiert wird, experimentiert man andernorts längst mit Mikrowellen-Waffen und Impulsgranaten. Der Markt der „nichttödlichen“ Waffen ist ein riesiges Geschäft. (2)
Die vierte Macht im Staate, die mediale Öffentlichkeit, steht derweil völlig fassungslos daneben, repetiert die Fakten und feiert selbstherrlich ihren plan- und zwecklosen Turmbau zu Babel. Diese Dissonanzen im Machtgebälk des modernen Rechtsstaats wurden nirgendwo anders so deutlich, wie unlängst während der Proteste gegen das G8-Treffen in Heiligendamm. Und das Skandalon dieser unerträglichen Selbstinszenierung der Macht war weder die Anwendung der Notstandsgesetze von 1968 (3), noch die völlige Aushöhlung des Versammlungsrechts und anderer verfassungsrechtlicher Grundsätze, auch nicht die gewalttätigen Übergriffe einiger Polizeieinheiten, schon gar nicht DAS für Deutschland so symbolisch brennende Auto und die Aggression einzelner DemonstrantInnen, sondern diese Entschleierung der konventionellen Medien, ihre absolute Sprachlosigkeit und Desinformation. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Einschätzung und Bewertung der „Gewalt“, wie sie rund um den G8-Gipfel stattgefunden hat. Genug Anlass also, einige Aspekte der von der Polizei ausgelösten und von den Massenmedien inszenierten „Gewaltdebatte“ in der Nachbereitung eingehender zu betrachten.
Deutschland und der Polizeistaat der Zukunft
Ohne Zweifel, der Kampf gegen den transnational agierenden Terrorismus islamistischer Fundamentalistengruppen hat die Fragen um die innere Sicherheit moderner Staaten nachhaltig verändert. Die Reformen diesbezüglich gehen derzeit ständig einher mit der schrittweisen Unterwanderung verfassungsrechtlicher Prinzipien und der sukzessiven Umkehr der Beweispflichtigkeit. Doch das erschreckendste an diesen Entwicklungen ist, welche Vorreiterrolle Deutschland DURCH seine greuliche Geschichte hier einnehmen kann. Denn wenn Deutschland einst einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erhalten sollte, dann sicher nicht wegen der Erfolgsgeschichte von Bundeswehreinsätzen oder deren militärischem Potenzial, sondern wegen der deutschen Verdienste im Rahmen polizeilicher und paramilitärischer Einsätze, insbesondere in Hinblick auf Entwicklung und Transfer neuer Technologien. Die deutsche Polizei ist ein echter Exportschlager. Man geht sicher nicht zu weit, wenn man behauptet, dass keine andere Staatsregierung in systematischer Weise über so gut technologisch gerüstete und so gut geschulte Polizei verfügt wie die deutsche.
Das hat historische Gründe, auf die Meinhof nicht zu unrecht anspielte, als sie emphatisch vom „deutschen Polizeistaat“ redete. Denn seit den Versailler Verträgen 1918 hat der deutsche Staat sich innenpolitisch durch den Ausbau seiner Polizeigewalt stabilisiert, um die diktierte militärische Schwäche zu kompensieren. Die Fusion von SA und Polizei 1933 gab der Tyrannei der NSDAP erst die umfassenden Kontrollmittel in die Hand. Polizeieinheiten gehörten insbesondere an der Ostfront ganz selbstverständlich zu den SS-Kommandos, die das Land verheerten und Menschen massenweise massakrierten. (4) Um solchen paramilitärischen Bestrebungen der deutschen Polizei vorzugreifen, beschlossen die Alliierten 1949 ihre Förderalisierung. Es war dies eine bewußte Korrektur der Versailler Verhandlungen, deren Wirkung nun spätestens mit der Gründung der umfassenden Bundespolizei 2005 aufgehoben wurde. Nicht ohne Grund bilden die Grenzschutzgruppen und paramilitärischen Einheiten des Zolls die Basis dieser neuen Staatspolizei. Schon die Adenauer-Regierung verfolgte eine Politik der neuen Stärke durch Aufrüstung der Grenzschützer. Es ist auch kein Zufall, dass das Anti-Terror-Kommando GSG9 aus der neunten Grenzschutzgruppe der BRD entstand. Und der Grenzschutz wurde eben wegen seiner bundeszentralen Hierarchie und seiner paramilitärischen Rüstung schon seit den 70ern immer wieder gegen politische Demonstrationen und zur Abschiebung von MigrantInnen eingesetzt.
Ein zweites Moment der Militarisierung der deutschen Polizei findet sich auf der Ebene der länderspezifischen Polizeien, genauer bei den lokalen Bereitschaftspolizeien. Durch deren Spezialisierung auf den Ausnahmefall nach dem Vorbild des bayrischen USK (Unterstützungskommando), haben sich dort hochgerüstete Spezialeinheiten wie die berüchtigte Berliner 23. und die verschiedenen neueren BFE-Kommandos (Beweissicherungs-Festnahme-Einheiten) entwickelt. Angesichts der spezialisierten Ausbildung und dem einseitigen Einsatz solcher Einheiten kann man hier kaum noch von klassischen Polizeiaufgaben sprechen. In der Vermengung von Staatsschutz und Bürgerschutz sind sie eigentlich die politische Polizei der Zukunft. Schon heute nehmen sie bei fast allen politischen Veranstaltungen eine zentrale Rolle ein. Sie sind auch die Verbindungsglieder zu den paramilitärischen und militärischen Armen des Innen- und Verteidungsministeriums. Diese kontinuierliche Militarisierung bestimmter Einheiten der Polizei wird ergänzt durch die Intensivierung von Datenaufnahme und -zentralisierung und die praktische Relativierung verfassungsmäßiger Grundsätze durch Sonderartikel, Ausnahme-Paragraphen und verwaltungsrechtliche Willkür. In dieser Gemengelage wird deutlich, welche neue Qualität die Monopolisierung der Gewalt bei der Polizei eigentlich bedeutet, denn die stetige Eskalation der zum Einsatz gebrachten Gewaltmittel hat die Möglichkeiten außerparlamentarischer Meinungsbekundungen und Machtdemonstrationen zusehends ausgehöhlt. Wenn mensch heute von Demokratie spricht, ist damit oft nicht viel mehr gemeint, als die automatisierte Zustimmung zum bürokratischen Parteiensystem.
Die Mär von der Deeskalation
Allzu leichtfertig wurde von den meisten Medien am Abend nach den Ausschreitungen von Rostock das Ammenmärchen der Kavala (5) kolportiert, demnach die deeskalierende Linie der Polizei erst durch das aggressive Auftreten der DemonstrantInnen scheiterte und man dementsprechend gezwungen war, hart durchzugreifen. Dabei konnte jedeR im Vorfeld beobachten, mit welchen repressiven Maßnahmen die Polizei die Stimmung anheizte. Erinnert sei nur an die größte Razzienwelle der letzten Jahrzehnte, von der bis heute jeder Fahndungserfolg fehlt (6); desweiteren an die verhinderte Anti-ASEM-Demonstration in Hamburg am 28. 05., bei der die VeranstalterInnen aufgrund des massiven Polizeiaufgebotes die Versammlung abbrechen mussten; dann an die umfassenden Versammlungsverbote, den 12km-Sperrzaun, die temporäre Aussetzung des Schengener Abkommens, letztlich an die Gefährderanschreiben, die übermäßigen Kontrollen und Schikanen bei der Anreise, den permanenten Einsatz von Hubschraubern, Panzern und Wasserwerfern bis hin zum provokativen Überflug der Camps der DemonstrantInnen durch Kampfflieger der Bundeswehr. Zwei Jahre lang hatten sich Polizei, Militär und Sicherheitsdienste auf den Gipfel vorbereitet. 16.000 bis an die Zähne bewaffnete PolizistInnen, 1.600 SoldatInnen und eine unbekannte Anzahl an sonstigen Einsätzkräften waren aufgeboten, um vom Terrorangriff bis zur Sonnenbrille jede Bedrohung von Recht und Ordnung abzuwehren.
Angesichts dieser exorbitanten Inszenierung staatlicher Gewalt hat man von liberaler Seite nicht umsonst im Vorfeld schon die Kostenfrage aufgeworfen. Und umso lächerlicher erschien jedem einigermaßen nüchternen Beobachter die nachträgliche Behauptung, die Einsatzleitung hätte sich im Verlauf der Großdemonstration unerwarteter Gewalttätigkeit und Aggression von Seiten einiger DemonstrationsteilnehmerInnen gegenüber gesehen. Gegenteilig genügt ein Seitenblick in die Geschichte der Gipfelproteste von Seattle, Göteborg bis Genua, um zu ersehen, wie niederschwellig die Ausschreitungen in Rostock letztlich waren. Dass einzelne Polizeieinheiten hierbei in Bedrängnis gerieten, ist keineswegs durch die klugen Strategien und das taktische Arsenal eines unsichtbaren Feindes zu erklären, sondern einzig durch die unverantwortlichen Befehle einer anscheinend überforderten Einsatzleitung. Bekannt ist heute, dass neben zwei schwer verletzten Polizisten, die vorübergehend stationär behandelt werden mussten, die meisten Verletzungen bei der Polizei durch sogenanntes „friendly fire“, also insbesondere durch die Gasangriffe aus den eigenen Reihen verursacht wurden.
Auch bei der Polizei sollte mensch sich deshalb die Frage stellen, ob hier nicht bewußt die Sicherheit einzelner BeamtInnen gefährdet wurde, um die Kosten für den Sicherheitsaufwand zu rechtfertigen. Schließlich war es die Strategie der Polizei, mit Greiftrupps und unter Einsatz von Schlagstöcken, Pfefferspray und Tränengas immer wieder in den Demonstrationszug und die Kundgebung zu intervenieren, die den gesamten Versammlungsverlauf beständig eskalierte. Gerade dieses „Stärke zeigen“ unter dem Vorwand, die Sicherheit der DemonstrantInnen zu schützen und das verfassungsmäßig verbriefte Recht auf Versammlung durchzusetzen, wurde um so fadenscheiniger, je offensichtlicher die Polizei die ganze Demonstration in Kollektivhaft für die Übergriffe einzelner GewalttäterInnen nahm. Im Grunde hat die Polizei am Samstag in Rostock nahezu ihr gesamtes Gewaltpotential zum Einsatz gebracht, und wer angesichts von martialisch aussehenden, paramilitärisch gerüsteten PolizistInnen behauptet, deren Präsenz hätte so etwas wie eine friedliche Stimmung bezweckt, verkennt einfach den Fakt, dass es am 02. Juni für die Demonstration eigentlich nur eine Bedrohung gab, nämlich die schwer bewaffnete Polizei selbst. Die Mehrzahl an potentiellen GewalttäterInnen trug grün bis schwarze Uniform und führte mindestens drei nichttödliche Waffensysteme mit sich. Hätte es an diesem Tag wirklich eine deeskalierende Strategie der Polizei gegeben, hätte die Großdemonstration gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm zu einer der friedlichsten in der Geschichte der Gipfelproteste werden können, die meisten Schäden wären kaum ausreichend gewesen, um einen Versicherungsvertreter ins Schwitzen zu bringen. Dass die Lage dann trotzdem nicht völlig aus dem Ruder lief, ist allerdings nur dem disziplinierten Verhalten der DemonstrantInnen und deren Beharrlichkeit zuzuschreiben.
Die hohe Zahl an verletzten DemonstrantInnen und Ingewahrsamnahmen steht dabei in krassem Mißverhältnis zu der strafrechtlich überführten TäterInnenzahl. Die Führungsebene der polizeilichen Einsatzleitung hatte letztlich nur das Interesse, den sicherheitstechnischen Aufwand hinreichend zu rechtfertigen. Dass sie hierfür nicht nur die Kriminalisierung der internationalen Protestbewegung, sondern auch die Gefährdung von Leib und Leben der DemonstrantInnen UND der BeamtInnen in Kauf nahm, zeigt deutlich, worin die Gefahr der Vermengung von Polizei und Militär wesentlich besteht. Denn durch die Militarisierung der polizeilichen Ausbildung und Ausrüstung trägt der Staat heute eine Gewalt auf die Straße, die sich seit Jahren potenziert. Diese beständige und für Deutschland äußerst typische Spirale ist die systematische und strategische Eskalation, und nicht das Werfen von Pflastersteinen, einer eher alternativlosen, niederschwelligen Taktik, die sich seit ihrer Erfindung kaum verändert hat.
Who the fuck ist the black block?
Am auffälligsten war die mediale Desinformation hinsichtlich der Analyse und Darstellung des sogenannten „sogenannten schwarzen Blocks“. Undifferenziert und in teilweise unerträglicher Art wurden GewalttäterInnen mit Autonomen und TeilnehmerInnen des „sogenannten schwarzen Blocks“ gleichgesetzt. Auch hier übernahm die Presse größtenteils einfach die Erklärungen der polizeilichen Einsatzleitung. Der Zusammenhang ist allerdings komplexer als eine Erbse. Denn zuerst einmal war auch den national inspirierten BürgerInnen die Autonomie mal ein liebes Kind, und die sogenannten „linken Autonomen“ standen und stehen abstrakt für nicht mehr und nicht weniger als für die Unabhängigkeit von staatlicher Verwaltung und Partei. Das macht sie zum radikalen Teil der Bewegung und äußert sich in ihrem militanten Auftreten, denn ihre Autonomiebestrebungen werden beständig diffamiert und behindert.
Man kann also davon ausgehen, dass „Autonome“ sowohl an den Ausschreitungen als auch am „sogenannten schwarzen Block“ beteiligt waren. Umgekehrt läßt sich aber das Phänomen nicht darauf reduzieren, weil der schwarze Block selbst gar kein handlungsfähiges Subjekt, sondern eine taktische Erscheinung ist, mehr Produkt der Eskalation polizeilicher Gewalt, als eine Summe individueller Kalküle. Die Mehr-Block-Strategie ist zwar einerseits eine Entwicklung der Gipfelproteste selbst gewesen, um den verschiedenen Sicherheitsbedürfnissen und der unterschiedlichen Risikobereitschaft unter den DemonstrantInnen gerecht zu werden. Und wenn man bedenkt, aus wie vielen Regionen der Welt Menschen zu den Gipfelprotesten anreisen und wie arg es teilweise um die polizeiliche Willkür in vielen Herkunftsländern bestellt ist, wird deutlich, wie differenziert man die kollektiven Sicherheitsfragen bei solchen Großveranstaltungen behandeln muss. In diesem Zusammenhang steht der „schwarze Block“ für diejenigen TeilnehmerInnen mit der höchsten individuellen Risikobereitschaft. Andererseits aber taucht das Phänomen des „schwarzen Blocks“ mittlerweile auch auf vielen anderen politischen Demonstrationen und unabhängig von Mehr-Block-Strategien auf. Die schwarze Uniformierung und Vermummung der DemonstrantInnen ist dabei überhaupt das einzige Kriterium, diesen oder jene zum „sogenannten schwarzen Block“ zu zählen, da hier oftmals nicht mal eine direkte Verbindung zur zentralen Demonstration vorliegt, etwa durch Bündnisabsprachen oder Einordnung in größere Strategien. Weitestgehend sind diese losen Blockbildungen Reaktionen auf die systematische Abfilmung, das pausenlose Fotografieren von AktivistInnen bzw. auf die interventionistische Demonstrationsführung durch die Polizei. (7) Der Einsatz solcher völlig neuen Überwachungs- und Kontrollmittel fällt logisch mit der Entstehung der globalen Anti-G8-Bewegung zusammen, deshalb diese zwei Wurzeln des „sogenannten schwarzen Blocks“.
In Deutschland ist die Eskalation von Kontrolle und Überwachung der Demonstrationen besonders problematisch, da hier bereits ein weltweit einmaliges Gesetz die Versammlungsfreiheit einschränkt. Das sogenannte passive Bewaffnungsgesetz und das Verbot von jeder Art der Vermummung (8). Dem Gesetz liegt der Trugschluß zugrunde, dass von der Polizei gar keine Gewalt ausgehen könne und die DemonstrantInnen deswegen keines Schutzes bedürften. Sieht man allerdings, mit welcher Flächenwirkung die Polizei Fernwaffen an jenem Samstag zum Einsatz brachte und hierdurch hunderte Unbeteiligte, teilweise sogar die eigenen, gut geschützten Einheiten verletzte, kann man sich nur an den Kopf fassen, wenn DemonstrantInnen gleichzeitig verboten wird, bspw. Tücher mitzuführen, um sich vor schweren Gasschäden auch nur ansatzweise zu schützen. Tatsächlich ist der black block aber außerhalb von Mehr-Block-Strategien und ohne Einbindung in Bündnisabsprachen nicht vielmehr als eine willkürliche Zusammenrottung von DemonstrantInnen mit erhöhter Gewalt- und geringer Risikobereitschaft am Rande von politischen Versammlungen. Die Feindbild-Projektionen der Polizei geben diesem Phänomen mehr Substanz als Gehalt in ihm selbst steckt.
Oftmals verbirgt sich nämlich hinter deren aggressiven Aktionen nichts weiter als individuelle Frustbewältigung anstelle terroristischer Motivation. Das zeigt schon das beständig gleichbleibende, niederschwellige Niveau der zum Einsatz gebrachten Gewaltmittel. Die Behauptung, der „sogenannte schwarze Block“ würde in der Anwendung der Gewaltmittel beständig eskalieren, ist einfach eine Lüge. Denn auch am 02. Juni konnte die Polizei keine der Behauptungen belegen, dass von Seiten der DemonstrantInnen andere Gewaltmittel als das Werfen von Steinen und Flaschen eingesetzt wurden. Der Fund zweier Tränengaskartuschen mit kyrillischen Schriftzeichen nahm der Hardliner Beckstein zwar zum Anlaß, von Gasangriffen der DemonstrantInnen zu faseln, real konnte aber die Einsatzleitung nicht bestätigen, dass die Granaten NICHT aus dem eigenen Arsenal stammten. Auch die angeblichen zwei Messerattacken und der Fund besonders präparierter Wurfgeschosse blieb ohne Beweis. Ganz zu schweigen von nicht belegten Säureattacken und Brandsätzen. Von einer systematischen Eskalation kann hier also keine Rede sein. Und es macht stark den Eindruck, als ob man mit solcher fälschlichen Skandalisierung der gewalttätigen Übergriffe durch DemonstrantInnen gezielt Stimmung und Angst unter den BeamtInnen schüren wollte.
Aber im black block lauern hinter den Tüchern und Brillen keine eingeschworenen Verbrechergruppen, die ihre Freizeit damit verbringen, mit neuen Angriffsmöglichkeiten und Waffen zu experimentieren und dabei sind, sich zu fanatischen Terrorgruppen zu entwickeln, sondern oftmals Menschen, die sich sonst in ihrem politischen Alltag sehr rege engagieren, und die mehr wollen, als nur über die Verbesserung der politischen, ökonomischen und sozialen Lage zu reden und darüber die notwendigen Taten zu vergessen. Menschen, die Angst vor Verfolgung und polizeilicher Gewalt haben und sich deshalb schützen. Menschen, die sich kämpferisch und solidarisch für die verschiedenen Ziele der Bewegung einsetzen. Und in dieser akzeptierten Militanz sind sie auch ein legitimer Teil derselben. Wenn die großen Verbände im breiten Spektrum des mobilisierenden Bündnisses, wie Linkspartei und attac, gegen den militanten black block auf der Großdemonstration polemisierten, dann nur in reichlicher Selbstüberschätzung der Einblicke in die eigene dezentralisierte Basis. Denn so einfach wie die Polizei Zivilfahnder und Provokateure unter ihn mischen konnte, so einfach konnte mensch als attaci oder GewerkschafterIn sich den schwarzen Pulli überstreifen, die Sonnenbrille aufsetzen, ein Tuch vors Gesicht ziehen und Teil des Blocks werden.
Der Rechtsstaat im Ausnahmezustand
Noch viel offensichtlicher als die Lüge von der deeskalierenden Strategie der Polizei war während der G8-Proteste in Heiligendamm der perfide und widersprüchliche Vorwand, die Polizei agiere einzig mit dem Einsatz von systematischer Gewalt und nichttödlichen Waffen, um die Sicherheit der DemonstrantInnen und ihr Recht auf Versammlungsfreiheit erst herzustellen. Wie wenig Wert man allerdings wirklich auf den Rechtsschutz der protestierenden Bewegung legte, wurde in der Behandlung der in Gewahrsam Genommenen und Verhafteten all zu deutlich. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) (9), der sich als „Legal Team“ in aufopferungsvoller und bewundernswerter Weise um die Rechtsfolgebetreuung der inhaftierten DemonstrantInnen kümmerte, sprach schon am Sonntag von desaströsen Arbeitsbedingungen und sah den Rechtsstaat durch die polizeilichen Maßnahmen völlig außer Kraft gesetzt. Denn schon während der Groß-Veranstaltung kam es immer wieder zu Übergriffen der Polizei auf Unbeteiligte. SanitäterInnen, PressevertreterInnen und AnwältInnen wurden bei ihrer Arbeit massiv behindert und erlitten teilweise selbst Verletzungen durch die Polizei. Die miesen Unterbringungsverhältnisse in den Haftzellen, von denen die einen behaupten, es wären Käfige, die anderen, es wären viereckige Gittergestelle gewesen, versuchte man im Nachhinein damit zu rechtfertigen, dass ja niemand hätte absehen können, das es zu so vielen Verhaftungen kommen würde. Das Argument ist allerdings so blauäugig, das man es kaum glauben kann und denkt man dabei noch an die ebenfalls schlechten Unterbringungen und übermäßigen Arbeitszeiten der BeamtInnen, liegt der Schluß nahe, dass solche wichtigen Aspekte auf der Sicherheitsagenda der Kavala gar keine oder nur eine sekundäre Rolle gespielt haben müssen. Es sind dies schon die direkten Auswirkungen einer menschenverachtenden militärischen Logik und es ist bezeichnend, dass das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch das weitreichende Versammlungsverbot der Polizei rund um Heiligendamm mit dem Kommentar bestätigte, die Einsatzleitung hätte hier Fakten geschaffen, unter deren Eindruck sich die VerfassungsschützerInnen genötigt sahen, einer so weitreichenden Beschneidung des Versammlungsrechtes zustimmen zu MÜSSEN. Man hatte sichtlich Bauchschmerzen.
Ein weiterer Umstand, der die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit durch die exekutive Gewalt illustriert, ist der Sachverhalt, dass es abgesehen von den wenigen überführten DemonstrantInnen vor allen Dingen für die gewalttätig gewordenen PolizistInnen zu keinerlei Rechtsfolgen kommen wird. Wenn Parlamentarier schon großmäulig zur Denunziation von gewalttätigen DemonstrantInnen aufrufen, so sollte dies doch viel mehr noch für die professionalisierte Polizei gelten. Fleissig pflegt man dagegen den Mythos vom „guten Bullen“, ohne die realen Entwicklungen in den verschiedenen Einheiten näher zu betrachten. Die polizeiliche Gewalt wird durch solch stille Duldung nur noch zusätzlich bestätigt. Dabei sind durch Presse und Einzelpersonen dutzende Zeugenaussagen und Ton- bzw. Videoaufnahmen verfügbar, deren Gehalt Anlaß zu näheren Ermittlungen gäbe. Allein, vieles ist unbrauchbar, weil die uniformierten GewaltäterInnen vermummt, ohne Dienstnummern und Namen agierten. Solange also die DemonstrantInnen dazu angehalten sind, sich im Sinne des friedlichen Miteinanders nicht zu vermummen und durch die Verschleierung ihrer Identität Mißtrauen zu erwecken, solange ist selbiges auch von der Polizei einzufordern, insbesondere wenn es um Einheiten in Nahkampfeinsätzen geht. Wie Vertrauen durch reale Vorleistungen, so wachsen Unrechtsgefühle durch reale Ungerechtigkeiten.
Radikal und militant: Zum Ende des bewaffneten Kampfes
Eine Frage wurde bisher bewußt ausgespart: Die der Gewalt von Seiten einiger DemonstrantInnen selbst. Das hat System, denn die Gewalt stellt sich am Beispiel der G8-Proteste in Heiligendamm in einem asymmetrischen Verhältnis dar, wie es für die Konflikte der postindustriellen Nationen nach dem Ende des Kalten Krieges in mehrerer Hinsicht typisch geworden ist. Auch in Heiligendamm standen die völlig unbewaffneten DemonstrantInnen einer riesigen Gewalt-Maschinerie gegenüber. Die mediale Berichterstattung stellte dieses asymmetrische Verhältnis allerdings umgekehrt proportional dar und kam so gar nicht über oberflächliche Betrachtungen hinaus. Denn der bewaffnete Widerstand ist vor allen Dingen in Europa in den letzten Jahrzehnten permanent rückläufig und insbesondere in den postfaschistischen deutschen Satellitenstaaten wurde er komplett zerschlagen. Und angesichts der Überwachungs- und Kontrollapparate des modernen Staates, angesichts des Mangels an wirkmächtigen politischen Zielen und breiter sozialer Bewegungen, ist es aktuell nicht nur aussichtslos sondern auch sinnlos und wenig zweckmäßig geworden, den Staat im bewaffneten Kampf herauszufordern. Schon die erste Generation der RAF war zu einer mehr symbolischen Konfliktaustragung übergegangen, als sie die Strategie propagierte, durch fortgesetzte Aktionen die Polizeimacht in der Gesellschaft „nur noch“ aufzeigen zu wollen.
Diese Strategie des „Aufzeigens“ kann man heute als weitestgehend gescheitert betrachten. Neben der systematischen Aufrüstung und Militarisierung der Polizei hat sie vor allen Dingen die Kriminalisierung des Widerstandes erleichtert und zur Entsolidarisierung mit der Bevölkerung geführt. Mensch wird sich also in Zukunft stärker bemühen müssen, zwischen Militanz und Terror zu unterscheiden, insbesondere auch vor dem Hintergrund notwendiger Abgrenzungen zu den menschenverachtenden Überfällen durch terroristische FundamentalistInnen und FanatikerInnen, wenn mensch die Bewegung wieder auf breitere Füße zu stellen trachtet. Ein offensiver Angriff auf unbeteiligte Polizeieinheiten mit Flaschen und Steinen ist sicherlich nicht mit Bombenanschlägen und Raketenbeschuß zu vergleichen, dennoch wird auch hier der Schaden an Leib und Leben von BeamtInnen – denn auch sie sind nicht gleich GewalttäterInnen, nur weil sie eine Uniform tragen – billigend und unverhältnismäßig in Kauf genommen, und eine Gewaltausübung verherrlicht, deren Zwecke für sich sinnlos sind.
Schlimmer noch, indem die Polizei so zum Opfer gemacht wird, gibt man der Ausblendung ihrer Täterrolle zusätzlich Raum. Man demonstriert so auch keinerlei kollektive Stärke sondern lediglich die eigene Hilflosigkeit. Denn was hat man mehr erreicht, wenn man eine Hundertschaft BeamtInnen für kurze Zeit flüchten sieht, als die Befriedigung niederer individueller Bedürfnisse? Wer die mediale Symbolkraft und die hetzerische Ausschlachtung solcher sinnlosen Übergriffe einfach ausblendet, um ganz gepflegt seinen kleinen Stein zu werfen, der hat letztlich mit Politik nicht viel am Hut. Solches Verhalten ist unsolidarisch. Dafür gibt es keine ideologische Rechtfertigung und historisch betrachtet war jeder ernsthafte Widerstand erst in dem Moment wirkungsvoll, wie es gelang, Polizeikräfte und SoldatInnen in selbigen zu involvieren. Auch hier wird mensch neue „Kanäle“ finden müssen. Dies ist keine gemäßigte Position, sondern die notwendige Kritik an einem falschen Bewußtsein von Militanz. Militant ist, wer bewusst, vorbereitet und zielgerichtet die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit überschreitet und sich dem Walten der exekutiven Gewalt entgegen stellt. Es ist mehr als der bloß lauthals protestierende Ungehorsam der Untertanen. Und keine Frage, ohne diesen kämpferischen Einsatz der AktivistInnen wird es in Zukunft noch schwerer werden, Alternativen zur herrschenden Meinung Gehör oder gar Tatkraft zu verschaffen. Um so mehr sollte man darauf achten, nicht durch unsinnige Aktionen die eigene Bewegung zu sabotieren und sich den Rechtsfolgen blindlings ausliefern.
Dies gilt auch für die medial aufgepfropfte „Gewaltdebatte“, deren hohler Kern nur den radikalen von dem gemäßigten Teil der Bewegung spalten will. Gewalt, das ist im politischen Sinne immer schon der Einsatz falscher, unangemessener Mittel gewesen und hat deshalb am rechten Rand und im Staat sein Zuhause. Von hier, nicht von links geht die Gewalt hauptsächlich aus. Und in diesem Zusammenhang haben die diesjährigen Proteste gegen die G8 auch positive Zeichen setzen können. Denn die gut vorbereiteten und deshalb erfolgreichen Blockaden der Kampagne Block G8 mit ca. 10.000 Menschen, die sich praktisch über die vom Bundesverfassungsgericht zeitgleich bestätigte Bannmeile rund um den Zaun hinwegsetzte, war ein deutliches Signal eines militanten aber nicht gewalttätigen Widerstandes, dessen Echo in vielen Winkeln der Republik Gehör fand. (10) Radikal zu denken, bedeutet an den eigenen Grenzen hellwach zu sein und Subversion, die Kunst nach Innen einzudringen ohne anzuecken.
(clov)
(1) In dieser Allgemeinheit ist hier v. a. D. gemeint, dass (a) im Inneren kaum noch rechtsfreie Räume bestehen, aus denen heraus soziale Konflikte wirkungsvoll Eigentumsverhältnisse in Frage stellen könnten, und (b) die internationale Diplomatie sich spätestens nach dem Wegfall der Blockkonfrontation nur noch auf die Verhandlung ökonomischer Interessenlagen beschränkt hat. Dass die Bundesregierung bspw. den Klimaschutz beim G8 so stark thematisiert hat, hängt damit zusammen, dass die deutsche Industrie in vielen Bereichen klimafreundlicher Technologien weltweit marktführend ist.
(2) Vgl. hierzu die Textsammlung unter: www.uudo.de/wiki/index.php/PolitikUndGesellschaft/WaffenGegenZivilisten
(3) www.dhm.de/lemo/html/dokumente/KontinuitaetUndWandel_gesetzNotstandsgesetze/index.html
(4) Vgl. auch FA!#23: „Innere Sicherheit D“, S. 1,14ff;
(5) Name der zentralen Einsatzleitung der Polizei während des G8-Gipfels
(6) Fingiert wurde hier ein Zusammenhang zwischen der vom Verfassungsschutz gesuchten Militanten Gruppe (MG) und einem Aufruf der sogenannten „Militanten Kampagne zum G8-Gipfel Heiligendamm“. Im Grunde sind veraltete Haftbefehle gegen drei Mitglieder der MG durch 18 weitere ergänzt worden, um so die Durchsuchung von über 40 Projekten und die Beschlagnahme von Computern, Daten und anderen Materialien zu rechtfertigen. Bis heute wurde keine dieser 21 verfolgten Personen ermittelt.
(7) Vernachlässigt wurde hier der Zusammenhang zu antifaschistischen Demonstrationen, bei denen Uniformierung und Vermummung auch dem Schutz vor Verfolgung durch rechte Extremisten dienen.
(8) Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) von 1978, §17a; online unter: www.gesetzesweb.de/VersammlG.html
(9) Kontakt über: www.rav.de
(10) Zum Erfolg der Blockaden gibt es sehr unterschiedliche Meinungen, ich denke jedoch, auch wenn es nicht gelang, den G8-Gipfel zu stören, so konnte man doch sehr eindrucksvoll demonstrieren, dass in einer Demokratie auch das Verfassungsgericht nicht das letzte Wort haben kann und selbst tausende PolizistInnen entschlossenem, klugem und kollektivem Vorgehen nichts als blanke Gewalt entgegen zu setzen haben.