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Thessaloniki – Repression versus Solidarität

Willkürliche Verhaftungen bei EU-Gipfel in Griechenland – Hungerstreik und eine internationale Solidaritätskampagne erzwingen Freilassung – weitere Unterstützung gegen mögliche Abschiebung nötig!

 

Im Juni 2003 fand in Thessaloniki, der EU-Gipfel unter griechischer Ratspräsidentschaft statt. Hauptanliegen waren der Entwurf einer europäischen Verfassung, der Aufbau einer gemeinsamen Armee, die weitere Verschärfung der Migrationskontrolle, sowie die Aufnahme weiterer Staaten. Dagegen protestierten ca. 150.000 Menschen. Am Samstag, dem 21.6., startete von der Universität in Richtung Stadtzentrum eine Demonstration. Diese wurde von der Polizei (unter massivem Einsatz von Tränengas) entzwei geteilt. Einem Teil der Demonstration gelang es, zurück zur Universität zu kehren, während der andere Teil in den Straßen der Stadt zerstreut blieb. Über 100 Personen, wurden von der Polizei auf brutale Weise festgenommen. Umrahmt wurden diese Festnahmen von medialen Hetzkampagne gegen „Randalierer“.

29 Personen wurden angeklagt, Straftaten begangen zu haben, von denen man sieben noch weitere fünf Monate (bis zum 26.11. 2003) im Knast schmoren ließ: Fernando Perez und Carlos Martinez Martin aus Spanien, Simon Chapman aus Großbritannien, Suleiman Dakduk Castro aus Syrien, sowie Spiros Tsitsas, Michalis Traikapis und Dimitris Friouras aus Griechenland.

Sie sollen zu Haftstrafen zwischen 5 und 20 Jahren verurteilt werden (1). Allen wird Sachbeschädigung, Widerstand gegen Staatsbeamte, öffentliche Ruhestörung, Brandstiftung, sowie Besitz und Gebrauch von Waffen vorgeworfen. Diese Vorwürfe, besonders die im Zusammenhang mit Waffen, basieren auf Konstrukten der Polizei.

Bekanntestes Beispiel für das Vorgehen der Polizei, ist der Fall Simon Chapman‘s. Chapman wird ein Rucksack voller Molotow-Cocktails zur Last gelegt. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung befand er sich alleine am Rande der Demonstration auf der Suche nach seinen Gefährten. Selbst im griechischen Staatsfernsehen war zu sehen, dass Chapman während seiner Festnahme einen blauen Rucksack auf hatte, dieser ihm gewaltsam weggenommen wurde und von der Polizei gegen einen Schwarzen eingetauscht wurde. Auf dem Video ist ebenfalls zu sehen, wie PolizistInnen diesen zuvor mit Molotov-Cocktails und anderen Gegenständen füllen. Bei seiner Verhaftung wurde Chapman mindestens zwei Stunden lang mit Fausthieben, Schlagstöcken und einem Hammer geschlagen. All dies ist für die zuständigen Rechtsbehörden kein Grund, ihn frei zulassen.

Ein anderer Angeklagten, der hier noch exemplarisch erwähnt sein soll, ist Suleiman Dakduk Castro. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung befand er sich weit abseits des Ortes der Auseinandersetzungen und verteilte Flugblätter zum Thema MigrantInnen. Gegen ihn wurde ein Auslieferungsverfahren eröffnet, das für ihn, sollte das Verfahren zum Ende kommen, eine lebenslange Haftstrafe in Syrien bedeutet. Dort läuft gegen Suleiman, der in die selbstorganisierten Arbeitskämpfe von MigrantInnen involviert und den Behörden ein Dorn im Auge ist, ein politisches Verfahren. Er hatte bereits vor geraumer Zeit um politisches Asyl gebeten, was ihm aber nicht zugestanden worden war.

Die einzigen Beweise zur Bekräftigung der Thesen der Polizei sind die Taschen, auf die gestoßen zu sein sie behaupten, und Zeugenaussagen. Diese Indizien weisen verschiedene Unregelmäßigkeiten auf und die Aussagen (die nur von Polizisten gemacht wurden) widersprechen einander. Der Rechtsbeistand der Angeklagten wird kostenlos von einer Gruppe von Strafverteidigern geführt, die sich prinzipiell gegründet hatte, um die Demonstranten des Gegengipfels zu verteidigen. Am 20. September 2003 begann Suleiman Castro einen Hungerstreik, um seiner drohenden Abschiebung zu entgehen. Dem Streik schlossen sich zwei Wochen später Carlos Martinez und Fernando Perez, der erwähnte Simon Chapman und Spiros Tsitsas an. Sie wählten das äußerste Mittel, um eine Freilassung durch politischen Druck zu erwirken, da in den Monaten der U-Haft klar wurde, dass auf juristischem Weg nichts zu erreichen war. Am 10. November traten Traikapis und Friouras, die sich in einem Jugendgefängnis befinden, in einen Solidaritätshungerstreik mit den anderen Fünf, deren Situation sich zunehmend verschlechterte. Zwischenzeitlich hatten die Gefangenen ihren Hungerstreik auf einen Durststreik erweitert, um sich gegen die physischen und psychischen Folterungen zu wehren. Doch anstatt die Fünf in ein Krankenhaus zu überweisen, wurden sie am 11.11. in ein Hochsicherheitsgefängnis in Athen verlegt. Die gesundheitliche Situation der Gefangenen war teilweise sehr kritisch: Carlos Martin-Martinez beispielsweise spuckte Blut, Fernando Perrez hatte starke Schmerzen beim Wasserlassen und Suleiman Dakdouk war zeitweise durch Muskelerstarrungen nicht in der Lage, sich zu erheben. Unterdessen wurde die Verantwortung von den Behörden wie ein Bällchen vom Gefängnis über die Polizei zu diversen Krankenhäusern und zurück gespielt.

Der Apparat will Schuldige für die Randale im Juni haben und dabei ist es egal, ob diese auch wirklich im juristischen Sinne „schuldig“ sind oder nicht. Gemeint sind alle, die sich gegen eine Festung Europa einsetzen. Im weltweitem Klima des Anti-Terrors und der inneren Sicherheit, ein paar Monate vor dem Start der Olympischen Spiele in Athen, zeigt die griechische Demokratie, wozu sie in der Lage ist. Seit Beginn des Hungerstreiks fanden in ganz Griechenland vielfältige Solidaritätsdemonstrationen und Aktionen statt.

Anfangs von der anarchistischen/antiautoritären Szene organisiert, formierte sich eine breite Bewegung für das Leben und die Freiheit der Gefangenen. Es gab viele Besetzungen von staatlichen Behörden, Rathäusern und Radiosendern. Nicht nur in Griechenland, auch in anderen Ländern gab und gibt es Kundgebungen, z.B. vor Konsulaten oder Tourismusbehörden: u.a. in St. Francisco, Helsinki, Malaga, Madrid, Burgos, Bilbao, Barcelona, London, Warschau, Frankfurt, Leipzig (2), Norwich.

Die Solidaritätskampagne zeigte am 26.11. einen ersten wichtigen Erfolg. Nach bis zu 66 Tagen Hungerstreik wurden die sieben Gefangenen freigelassen. Die Entlassung gilt bis zu den voraussichtlich im Januar beginnenden Verhandlungen. Die griechischen Richter haben dem Antrag auf Freilassung stattgegeben, ohne Kaution, aber mit einigen Auflagen. Alle Sieben dürfen Griechenland bis zur Verhandlung nicht verlassen und die mit griechischem Pass müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden.

Im konkreten Fall konnte die offizielle Freilassung durch die monatelange Anprangerung, das extreme Mittel des Hungerstreikes und die öffentliche Solidarität von Tausenden auf der ganzen Welt, erwirkt werden. Letztlich schloß sich auch die bürgerliche Presse an. Somit ist ein Teil der Forderungen, die mit dem Hungerstreik verbunden sind erfüllt. Was noch aussteht, ist die Bewilligung von politischem Asyl für Suleiman Dackdouck Castro.

Die Aufrechterhaltung der Unterstützung ist nötig, denn Suleiman kann jeden Moment abgeschoben werden, da er momentan nicht im Besitz seiner offiziellen Papiere ist. Nachdem die Freilassung nicht zuletzt durch viele Proteste erwirkt werden konnte, ist es nun nötig, dafür zu sorgen, das Suleiman nicht abgeschoben wird.

Schreibt E-mails und Briefe an die griechische Botschaft in Berlin und das Konsulat in Leipzig und fordert die Bewilligung von politischem Asyl!

hannah b.

(1) Zu der Haftdauer gibt es unterschiedliche Angaben. Manche sprechen von 5-20 Jahren, andere von 7- 25 Jahren.
(2) Am 24.11. besuchten ca. 15 Menschen das griechische Konsulat und überreichten dem Generalkonsul ein Solidaritätsschreiben. Die Weiterleitung wurde zugesichert. Anschließend wurde in der Fußgängerzone die Öffentlichkeit über den Sachverhalt informiert.
Quellen: www.thessaloniki.indymedia.org, www.indymedia.org.uk, www.at.indydia.org; Kommuniqué der Asamblea/Versammlung zur Unterstützung der Gefangenen von Thessaloniki/Madrid, 29.Nov.03

Nachbarn

Die üblichen Verdächtigen

Der Fall Kamal K.

Die Ermittlungen zum Tod des 19-Jährigen Irakers Kamal K. kommen nur schleppend voran. Dabei sind die Vorgänge in groben Zügen bekannt: In der Nacht zum 24. Oktober 2010 traf Kamal, der von seiner Freundin und einem Bekannten begleitet wurde, in einem Park beim Hauptbahnhof mit den beiden mutmaßlichen Tätern Marcus E. und Daniel K. zusammen. Diese suchten Streit, es kam zu einer Auseinandersetzung, bei der sie Kamal K. zunächst schlugen und mit Reizgas besprühten. Schon am Boden liegend, wurde Kamal dann mit einem Messerstich so schwer verletzt, dass er wenig später starb.

Die beiden Tatverdächtigen wurden unmittelbar nach dem Vorfall vorläufig festgenommen. Während Marcus E. immer noch in Untersuchungshaft sitzt, ist Daniel K. seit dem 16. Dezember vorerst wieder auf freiem Fuß, offenbar weil er im Gegensatz zu E. zu einer Aussage bereit war. Laut Staatsanwaltschaft gab K. dabei zu, sich mit dem Opfer geschlagen zu haben, bestritt aber jede Verantwortung für den tödlichen Messerstich. Im Übrigen sei er zu betrunken gewesen, um sich an den konkreten Ablauf zu erinnern.

Anfang Februar 2011 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage beim Landgericht Leipzig, gegen Daniel K. nur wegen gefährlicher Körperverletzung, gegen Marcus E. zusätzlich wegen des Verdachts auf Totschlag. Mit einem Gutachten soll nun die strafrechtliche Verantwortlichkeit der beiden „zum Tatzeitpunkt nicht unerheblich alkoholisierten“ Angeklagten geklärt werden. In ihrer Pressemitteilung erklärte die Staatsanwaltschaft außerdem, die Ermittlungen hätten keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine „ausländerfeindliche“ Motivation der Tat ergeben.

Da fragt sich freilich, was denn die Staatsanwälte überhaupt als „hinreichende Anhaltspunkte“ gelten lassen würden. Immerhin ist bekannt, dass Daniel K. seit 2002 in die Neonazi-Szene involviert war, u.a. als Mitglied der Kameradschaft Aachener Land. Sein Verteidiger erklärte zwar, K. habe sich, nachdem er 2008 eine Haftstrafe antrat, von der Szene distanziert. Sympathien in diese Richtung hegt K. aber offenbar immer noch: So trug er bei seiner Festnahme einen Kapuzenpullover mit der Aufschrift „Kick off Antifascism“. Zudem wurde K. während seines Haftaufenthalts von der rechten Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene unterstützt. Nach Aussage des Aachener Journalisten Michael Klarmann ist K. „ein hartgesottener Neonazi“, „kein Mitläufer, sondern ideologisch außerordentlich gefestigt“.

Die Fakten sprechen also für ein rassistisches Tatmotiv. Um dies zu thematisieren, gründete sich kurz nach dem Tod von Kamal der Initiativkreis Antirassismus, der seitdem u.a. mit mehreren Demonstrationen an die Öffentlichkeit trat. Bleibt nur zu hoffen, dass die Wahrheit sich am Ende durchsetzt.

(justus)

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