Archiv der Kategorie: Feierabend! #15

German Fall and Raise: NPD

Ein Hoch auf die deutsche Verfassung! Ein Hoch auf die deutsche Parlamenterei! Ein Hoch auf die Partei-VergeigerInnen! Nach­dem sie in einer „antidemokratischen“ Anwandlung ihre faschistischen GenossInnen von der NPD kurzerhand verbieten lassen wollten – was bekannter­maßen gründlich schief ging – steht die NPD heute besser da, als je zuvor. In Sachsen auf Augenhöhe mit der SPD. Was als Schlag gegen die Organe der faschistischen Bewegung in Deutschland geplant war, wuchs zu einem riesigen PR- und Propa­ganda­forum für die NPD und die rechte Szene aus, bewirkte Solidaritätsadressen. Wenn DVU- und NPD-Kader neuerdings tönen, sie würden auf einer gemeinsamen Liste für die nächste deutsche Bundestagswahl kandidieren, spricht das für neues Selbstvertrauen und neue Einigkeit.

Daran ist nicht so sehr schlimm, daß Parla­mentarierInnen eventuell mit solchen Dumpfbacken gemeinsam in der Mensa sitzen müssen, sondern vielmehr, daß über den Fond für „Wahlkampfkosten­rücker­stat­tung“ riesige Geldsummen zurück in die rechten Strukturen fließen. Manche Par­tei findet das wohl auch gar nicht so schlecht. Kann man doch jetzt, wo rechtsextreme Positionen wieder offiziell präsent sind, erneut offensiv rechte Themenfelder besetzen und sich dabei nach dem Motto auf die Schulter klopfen: „Wir graben denen schon das Wasser ab!“. Derweil sind die Wahlerfolge der rechten Parteien längst nicht mehr allein aus dem Protestpotenzial zu erklären. Vielmehr hat gerade die SPD mit ihrer nationalistischen „Wir-alle-in-einem-Boot“-Rhetorik, in Zu­sam­men­hang mit dem verstärkten ökonomischen Druck auf die deutsche Volkswirtschaft, mit der sogenannten „Faulenzer“-Debatte und dem weiterhin skrupe­llosen Umgang in der MigrantInnen-Frage, verschiedene ideologische Versatzstücke geliefert, die im Zusammenhang mit der unbewältigten, vielleicht unbewältig­baren Vergangenheit des deutschen Staatsapparats auf breite Empfänglichkeit innerhalb der Bevölkerung deutscher Nation stoßen. Diese rechtskonservative Gemengelage erleichtert es faschistischen Kadern und ihren Orga­nisa­tionen, Junge und Alte, Männer und Frauen zu rekrutieren. Eine sehr bedenkliche Entwicklung, die nur ihre Spitze in den verstärkt aufkommenden anti­ameri­ka­nischen, antiisrae­lischen bis antisemitischen Ressentiments findet.

Die jüngsten Wahlergebnisse in Sachsen und Brandenburg und der Einzug der NPD in die Landtage sind also bei weitem nicht so unvermutet und unerklärlich – aber auch lange nicht so gefährlich, daß jedermensch jetzt zur nächsten Wahlurne rennen muß! Die Parlamen­tarier­Innen sollen sich mal ruhig mit diesen Hohlköpfen auseinandersetzen! In Sachsen-Anhalt hatte sich ja die inkompetente DVU-Fraktion quasi selbst zerschlagen. Gefährlich dagegen sind die gewaltbereiten Gruppen und Kameradschaften, gefährlich ist ihr ideologischer Rückhalt, vor allen in den ländlichen Gegenden, gefährlich sind die gesellschaftlichen Ursachen, auf denen der alte wie der neue Faschismus fußt!

clov

NazisNixHier

Der AZ-Wagenplatz in Osnabrück

Geschichte & aktuelle Entwicklungen

Der AZ-Wagenplatz Osnabrück besteht seit nunmehr über 2 Jahren. Entstanden ist er aus der Hausbesetzung für ein Autonomes Zentrum (Koksche Strasse 1.Mai 2002). Nachdem das Haus geräumt wurde und mehrere Leute auf der Straße standen, bot die Stadt den Ex-BesetzerInnen ein kleines Areal in der Nähe eines städtischen Jugendzentrums übergangsweise an. Hier wurden die ersten Bauwagen aufgestellt, jedoch kam es dort im Juni 2002 zu einem brutalen Angriff von über 30 Nazis/rechten Hooligans, wobei nur durch entschlossene Gegenwehr der Bewoh­nerInnen (und FreundInnen) Zerstörungen verhindert werden konnten.

Aufgrund der Sorge der AnwohnerInnen ein Vorfall dieser Art könnte sich wiederholen musste die Wagenburg zum Fürste­nauer Weg umziehen. Der Fürstenauer Weg liegt am nördlichen Rande der Stadt, ohne Strom und Wasser, zwischen Müllkippe, Klärwerk und bald auch einer Müll­verbrennungsanlage.

Dennoch bildete sich hier bald ein buntes Leben heraus. Immer mehr Aktivis­tInnen verzichteten auf das Leben in einer Wohnung und entschieden sich fürs Bauwagenleben. Auch konnten einige Menschen hierdurch von der Obdach­lo­sig­keit bewahrt werden. Zeitweilig wohn­ten hier über 25 Personen.

Zu betonen ist, dass der AZ-Wagenplatz die Zwischenlösung für ein Autonomes Zentrum darstellt. In diesem Sinne wurde auch ein großes Zirkuszelt gekauft, in welchem seit 2 Jahren vielfältige Veranstaltungen stattfinden (Theater, Konzerte, Lesungen, Politprogramm). Höhe­punk­te waren ein großes Fußballturnier, das bundesweite Vorbereitungstreffen für die Anti-Lager-Action-Tour 2004 sowie verschiedene zum Teil hervorragend besuchte Konzerte. Auch stellt der AZ-Wa­gen­platz Plenumsgrundlage für mehrere autonome Gruppen dar.

Den ersten Räumungstitel erhielt der Wa­gen­platz bereits im Oktober 2003, öffentlich wurde dem etwas entgegengewirkt, indem kurz zuvor offizielle Wagentage mit einer einigermaßen großen, kraftvollen Demo durchgeführt wurden. Gegen den Räumungstitel wurde vor dem Verwal­tungs­gericht Klage eingereicht, diese hatte letztlich aufschiebende Wirkung.

Damit ist es jetzt wohl allerdings vorbei. Zum 31.10. muß der AZ-Wagenplatz, geht es nach der Meinung einiger Starrköpfe der lokalen CDU/FDP, gehen. Eine fundierte Begründung dafür gibt es nicht (lediglich Hinweise auf Baunutzungsver­or­dnung und Flächennutzungsplan), Argumente ob der Zerstörung der un­kom­mer­ziellen, alternativen Kultur, der sozialen Funktion des AZ-Wagenplatzes werden schlichtweg ignoriert. Alternativen sind noch völlig unklar, ein vernünftiges Autonomes Zentrum nicht in Sicht.

Aus diesem Grunde wurde in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober das Luther-Haus in der Jahnstraße besetzt. Die symbolische Aneignung des leerstehenden Hau­ses zu sozialen Zwecken wurde aller­dings nach kurzer Dauer beendet. Ein leider allzu aufmerksamer Bürger berichtete der Polizei „von einer größeren Gruppe Rucksäcke tragender Jugendlicher, wel­che ins Luther­haus eingestiegen seien“.

Annähernd 40 PolizistInnen ,welche aus dem gesamten Landkreis zusammengezogen wurden, beendeten die Besetzung gegen 5.30. Sie zerschlugen die Eingangstür und die 16 BesetzerInnen wurden zur ED-Behandlung auf die Polizeiwache am Kollegienwall gebracht. Anzeige wegen „schweren Hausfriedensbruches“ wurde gestellt.

Zeitgleich machten sich einige weitere emsige NachtaktivistInnen mit diversen Zugmaschinen und Bauwagen auf den Weg, um einen neuen Wagenplatz zu besetzen: ein sich unweit des AZ-Wagenplatzes befindliches neues Areal. Was nicht gewusst werden konnte, die Stadt (als Eigentümer) hatte dieses dem in Osnabrück stationierten britischen Militär verpachtet. Militärpolizei stattete den neuen Be­woh­nerInnen einen Besuch ab, nach 2 Tagen mussten die Bauwagen zurück zum Fürstenauer Weg. Die Neue Osnabrücker Zeitung titelte „Autonome gehen britischen Panzern aus dem Weg“. Einen Tag später gleich wieder eine neue symbolische Besetzung. Mehrere LKW und Bauwagen besetzten für einige Stunden das symbolträchtige, brachliegende Areal des ur­sprüng­lich okkupierten Hauses an der Kokschen Straße.

Der Räumungstermin rückt näher, es wird ernster. Achtet auf Ankündigungen.

(Ein Beitrag der befreundeten Redak­tion der alternativen Osnabrücker Zeitung Die Zwille)

mehr Infos unter:
www.azwp.de.vu

Freiräume

WENDEBECKEN 2004: Deutsche Polizei auf dem Vormarsch

oder: Die Gewalt geht vom Staate aus!!   

Am 08. September 2004 umzingeln 1400 schwer bewaffnete Polizeikräfte das als Wendebecken bekannte Areal zwischen dem Lager der Staatsoper und einer Parzelle des Gartenbauamtes in Hamburg/Barmbek, unter dem Vorwand, nur einen Befehl auszuführen. Genauer einen Räumungsbefehl, der auf dem politischen Willen des städtischen Parlaments fußt und der repressiven Linie seiner Prota­gonis­tInnen folgt. ‚Egal’, denkt sich der gemeine Polizist, der da am frühen Morgen sauer aufstoßend durchs Gestrüpp in das Gelände eindringt, ‚Befehl ist Befehl und Recht ist Recht’. Wie lautete die Begründung für die Räumung noch mal? Ach ja, auslaufender Mietvertrag und Grünfläche geplant. Zwar gibt es noch keinen Finanzierungsplan, aber der politische Wille bestehe schon. Alles klar!? Die Stadt will eine noch zu fi­nan­zierende Grünfläche anstelle eines kostenfreien Wa­genplatzes Wendebecken; beschauliche Blümchen anstelle eines alternativen soziokulturellen und politischen Zentrums. Wieso? Weshalb? Warum? – niemand aus dem riesigen Überfallkommando stellt sich an jenem Morgen diesen Fragen.

JedeR der Beamten rechnet scheinbar mit erbittertem Widerstand, anders sind Aufwand und Ausrüstung nicht zu erklären. Und was war da nicht alles an Vorbereitungen auf der Gegenseite gelaufen. Eine Aktionswoche seit dem Auslaufen des Mietvertrages am 31.08.2004 mit Soli-Veranstaltungen, Kulturprogramm, Demonstrationen, Protestaktionen und der Besetzung des Nachbargrundstücks. Aufrufe, Briefe, Stellungnahmen. Die ent­schei­dungstra­genden Parla­men­ta­rierInnen haben sich derweil auf die andere Seite gedreht und mü­de gegrunzt: Wir halten an unserer Linie fest (siehe Wohnwagengesetz). Auslauf des Nu­tzungsvertrages. Räumung. Ersatz gibt es nicht. Verhandlungen? Später … vielleicht. Genug Fruststau also, um … – der gemeine Polizist tastet unruhig nach den Waffen, während er zusammen mit einer Hundertschaft über eine Mauer vorrückt.

Wenig später. Einige Grünbehelmte popeln am verbarrikadierten Haupttor. Hunderte stehen ratlos davor und auf dem ganzen Platz. Höhere Beamte markieren gerade einen Wagen mit Eins – wie ers­ter Abtrans­port. An­stelle dass die städtisch beorderte Staatsmacht mit­ten in einem Bürgerkrieg steht, wie ihr Aufzug suggeriert, befindet sie sich in einem Laboratorium des gewaltfreien Widerstands. Eine Ankettung auf einem riesig ho­hen und wack­ligem Turm, zwei direkt am Tor. Eine in Fässer einbetonierte Menschenkette vor einem gekreuzten Wagen. Zwei weitere, einzelne Einbetonierungen auf dem Platz. Zusätzlich zwei Tripods (1) und eine Ankettung in einem Baum. Aber die Überraschung ist nur von kurzer Dauer. Alltag. Routine. Es ist zu bezweifeln, dass eineR der BeamtInnen vor Ort nur einen Moment über den Mut und die Entschlossenheit der Bewohner und Bewohnerinnen des Wendebeckens nachgedacht hat. Daß diesem ein ernstzunehmendes Bedürfnis zu Grunde liegen könnte, hat wohl keineR in Erwägung gezogen. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Die beiden am Tor wurden schnell losgelöst und verhaftet, der Turm erstürmt, die Tripods fasst umgekippt, bei dem schließ­lich erfolgreichen Versuch dutzender Beamter, sich der ausharrenden Menschen dort zu bemächtigen. Die Einbetonierten wurden teilweise aufgebohrt, teil-weise mitsamt dem Betonfaß aufs Nachbargelände transportiert. Einigen Ärger machte noch der Mensch im Baum, der nur unter Einsatz seines Lebens und rüdester Methoden „befreit“ werden konnte. Am frühen Nachmittag rollten die ersten Wagen vom Gelände. Zu ihrer letzten Fahrt. Adieu Wendebecken, das war’s dann wohl. Und ein Hoch auf die beschaulichen Blümchenwüsten!

Die Soli-Protest-Demonstration mit ca. 1000 TeilnehmerInnen am Abend verläuft unter dem Eindruck des massiven Polizeiaufgebotes ohne größere Zwischenfälle.

clov

Mehr Infos unter:
www.wendebecken.org
www.de.indymedia.org
www.bambule-hamburg.de
www.squat.net/de/

Freiräume

Freiräume erkämpfen

Soziale Zentren und Bauwagenplätze für Aachen und überall!

Schon im Vorfeld der unter diesem Motto geplanten Demonstration am 30.10.2004 in Aachen wollten Aktivis­tInnen ihrer politischen Forderung Ausdruck verleihen und gleichzeitig den Druck auf die politisch Verant­wort­lichen erhöhen. Deshalb besetzten sie am Samstag den 23.10. einen alten Stadtpalast in der Schildstraße. Aus diesem mussten sie sich jedoch bereits Dienstag wieder zurückziehen, die Verantwortlichen hatten Ver­handlungs­be­reitschaft signalisiert.

Auch wenn zur De­mons­tration am 30.10. lediglich 100 Demons­trantInnen erschienen und immer noch kein konkretes Objekt in Aussicht steht, war die konstatierte Aktion der Aachener ein Erfolg. Schließ­lich gelang es, das Thema eine ganze Woche lang aktuell zu halten und auf den überregionalen Kontext hinzuweisen: Eben nicht nur in Aachen sondern überall soziale Freiräume zu erobern! Um diesen Aspekt herauszustreichen wurde auf der abschließenden Kundgebung eine Grußbotschaft aus Venezuela verlesen. Es bleibt zu hoffen, daß die Aachener das bekommen, was sie fordern und brauchen: Politische Alternativen und mehr soziale Freiräume!

clov

Freiräume

Für mehr autonome Zentren, (Bau-) Wagenplätze und Kommunen!!!

Die moderne Mietskaserne und die Reste der Überlebens-Einheit: Familie, sind zwei idealtypische Erscheinungen der bürgerlichen Gesellschaft. In ihnen kommt der Zwangscharakter der gesamten modernen Vergesellschaftung zum Ausdruck, der die Menschen durch die Mechanismen der Hie­rarchisierung, Entsolidarisierung und Isolierung auf die Konkurrenz am Arbeitsmarkt zurichtet. Wenn mensch bei der Analyse der bürgerlichen Gesellschaft die sozioökonomische Verengung des historischen Materialismus teilt – Menschsein heißt in erster Linie produzieren und reproduzieren – sucht mensch auch folgerichtig das revolutionäre Potential zur Aufhebung dieses Zwangs in den Produktivkräften, das Subjekt eines solchen Umsturzes der Produktionsverhältnisse und damit der Grundlage bürgerlicher Vergesellschaftung in der ArbeiterInnenbewegung – und dementsprechend heute in den absterbenden Resten der gewerkschaftlichen. Aus dieser Perspektive bleibt jeder konstatierte Angriff auf die bürgerlichen Lebensverhältnisse von Vornherein sinnlos, solange nicht „weltgeschichtliche, empirisch universelle Individuen“ [1] (also der organische Zusammenhang von internationaler ArbeiterInnenbewegung und internationaler KP oder Gewerkschaft) die modernen Produktionsverhältnisse umwälzen. Aus dieser Perspektive und dem Abgleich mit den gegenwärtigen Zuständen ergibt sich aber auch der resignierende Rückzug der Aktiven in die Kritik, ins Private, der Austritt aus progressiver Praxis und der Eintritt in Mietskaserne und Familie. Da­bei war es gerade Marx, der sich in seinem Glauben nie erschüttern ließ.[2]

Sind wir also im 21. Jahrhundert in der Wirklichkeit der bürgerlichen Gesellschaft angekommen? Gibt es keine Kräfte mehr, die sich ernsthaft gegen ihre Zwangsverhäl­tnisse wehren? Doch, es gibt eine Praxis neben den ideologiekritischen Debatten – Kontinuitäten, an die die Kommunika­tions­netzwerke, die Organe, die punktuellen Demonstrationen und Manifestationen anknüpfen. Es gibt sie, die (sozialen) Freiräume, die Nischen der bürgerlichen Vergesellschaftung. Und sie sind umkämpft! Diese Freiräume leichtfertig und aus Haarspalterei aufs Spiel zu setzen ist grob fahrlässig gegen jedmög­liche Emanzipation aus den bürgerlichen Verhältnissen. Wo sonst könnte dann noch Alternativen erprobt, Experimente vollzogen, Widerstand geübt werden? Das Scheitern mit inbegriffen!

Der moderne Staat mit seinen aufgerüsteten Polizeieinheiten hat sich zum repressivsten Schutzpatron der bürgerlichen Ge­sell­schaft erhoben, seit sich eine Geschichte bürgerlicher Vergesellschaftung erzählen lässt. Und er ist im Namen des guten Bürgers auf dem Vormarsch, gerade in den deutschverwalteten Territorien. Aktionen, wie die Räumung des Wendebeckens, bezeugen das. Demonstrationen, Widerstand, selbst Protestaktionen sind mit einem nie da gewesenen Aufmarsch der Polizei konfrontiert. Und die „Sicher­heits­kräfte“ der deutschbürgerlichen Gesellschaft haben auch den Zusammenhang von Freiräumen und Aktionen erkannt. Die politische Hausbesetzungs-Szene wurde in den Neunzigern massiv zurückgedrängt – die meisten autonomen Zentren stehen heute mit einem Fuß auf bürgerlichem Recht. Neubesetzungen sind schwerer denn je. Die harte Linie in Hamburg und anderen Städten zeigt: Die politische (Bau-)wagen-Szene steht als nächstes auf der Liste. Einzig die (zugegebenermaßen wenigen) politischen Kommunen scheinen derzeit sicher. Allerdings ist diese Sicherheit schwer erkauft. Ihre Existenz fußt leider oft auf ganz bürgerlichem Eigentum.

Nun kann der gewaltigen Übermacht der Repressionsorgane einzig die Kreativität des Widerstands entgegengesetzt werden und vielleicht ist dieser Kampf aussichtslos. Aber ihn aufzugeben, hieße aus meiner Sicht, einen der letzten Zipfel möglicher Emanzipation aus den bürgerlichen Lebens- und Produktionsverhältnissen für sehr, sehr lange Zeit aus den Händen verlieren. Deshalb plädiere ich für mehr Zusammenhalt und Solidarität zwischen den einzelnen Projekten. Vom Land, über die Vororte, bis ins Zentrum der Städte. Von den autonomen Zentren und Projekten, über autonome (Bau-)Wagenplätze bis zu den autonomen Kommunen. Auch Selbstkritik ist dabei wichtig! Schließlich heißt Emanzipieren immer auch, sich auf dem Weg befinden. Schützt die verbliebenen (sozialen) Freiräume, erobert neue!

clov

[1] Karl Marx u. Friedrich Engels, „Deutsche Ideologie – I. Feuerbach“, in: „Gesammelte Werke Band III“, S. 35
[2] „[Marx] … hatte volles Vertrauen zur intellektuellen Entwicklung der Arbeiterklasse, einer Entwicklung, die sich aus der Verbindung von Aktion und Diskussion notwendig ergeben musste.“ Engels in der Vorrede vom „Manifest der Kommunistischen Partei“ zur englischen Ausgabe 1888, in: Karl Marx und Friedrich Engels, „Manifest der Kommunistischen Partei“, Reclam, Ditzingen, 1997

Freiräume

»Tant de bruit pour une omelette!«

„Viel Lärm um nichts!“

Notwendige Vorbemerkungen

‚Au Backe‘ mag der ein oder die andere Feierabend!-RedakteurIn gedacht haben, als uns ein interner (nicht zur Veröffentlichung freigegebener) Brief von „Falco (aus dem conne island)“ erreichte. ‚Wir sollen uns von dem Artikel aus der FA!#14 „Zum Antideutschen Kommunismus“ S. 20-25 distanzieren.‘ Das gab es in über zwei Jahren Redaktionsarbeit noch nicht! Die Vorwürfe gegen unseren Autor v.sc.d. waren hart und scharf. Bis hin zum Antisemitismus! Wir sind noch einmal in Klausur gegangen und haben uns intensiv und ernsthaft damit auseinandergesetzt. Schließlich war unsere Absicht, eine Position neben und in kritischer Differenz zu den diversen kursierenden antideutschen Positionen aufzubauen, und das besondere Anliegen des Autors bestand darin, das unerträglich gewordene Schweigen über dieses Thema (auch persönlich) zu durchbrechen. Nicht jedoch hatten wir die Intention, in Konfrontation zu Leipziger Projekten wie dem conne island zu gehen oder auch Involvierte zu beleidigen. Nun müssen wir eingestehen, daß Sache und Anliegen in dem veröffentlichten Text durch den persönlichen Gehalt und die teilweise starke Polemik überdeckt wurden, das war uns im Vorfeld nicht so bewußt gewesen. Auch haben sich Fehler im Ausdruck eingeschlichen (Korrekturen s. www.feierabend.net.tc) und einige Passagen sind unglücklich argumentiert. Aber auch wenn es zu einzelnen Punkten des Artikels Kontroversen und Kritik innerhalb der Redaktion gegeben hat; was die inhaltliche Ausrichtung des Textes angeht, stehen wir auch jetzt voll vor und hinter unserem Autor v.sc.d und weisen jeden Vorwurf des Antisemitismus bzw. die Behauptung einer wie auch immer gearteten „rechten“ Denkweise entschieden zurück. Wir halten grundsätzlich an unserer antinationalen Position fest – in dem Sinne sind wir genauso antizionistisch wie antideutsch – und teilen nicht das historische Urteil, mit dem antideutsche Ideologeme operieren, allein die Existenz des Staates Israel wäre Indiz der Möglichkeit antikapitalistischer Emanzipation. Darüber hinaus wenden wir uns gegen die unkritischen Feindbildkonstruktionen diverser antideutscher Positionen, deren hauptsächlicher Mangel in ihrem fehlenden Differenzierungsvermögen besteht. Wir halten darüber hinaus auch nichts von Diskursen – von denen es ja mehr als genug gibt – die auf Grundlage staatlichen Handelns argumentieren und damit staatliche Gewalt und nationale Konstrukte legitimieren. Die Reaktionen auf eine Veröffentlichung zu diesem Thema, auch von anderer Seite, geben uns schließlich darin recht, daß das Thema auf den Tisch gehört. Für unsere redaktionelle Arbeit bedeutet das ganz selbstkritisch auch, daß wir uns nicht länger mit einer ignoranten Haltung demgegenüber zufriedengeben können. Deshalb haben wir uns nach langem Überlegen entschieden, in dieser Ausgabe einen Text abzudrucken, der Appetit machen soll auf eine neuerschienene Publikation des Unrast-Verlages („Wir waren die Antideutschesten der deutschen Linken“ ISBN: 3-89771-432-9). Die dort geführte, umfassende, inhaltliche und geschichtliche Auseinandersetzung mit dem deutschen „Antideutschtum“ bietet einen systematischen Einstieg in das Thema und ist deshalb nur zu empfehlen. Eine andere, an uns heran­getragende Leserkritik des in FA!´#14 veröffentlichten Artikels findet sich auf unserer Homepage.

Einen heißen Kopf und viel Vergnügen beim Lesen

Die Redaktion

Es gibt genug Gründe, gegen Deutschland, ja regelrecht anti-deutsch zu sein: da wäre zuallererst das unabgegoltene Ge­schichtsverbrechen, das den Namen Ausch­witz trägt. Die For­mierungs­leis­tungen des barbarischen Nationalsozialismus haben sich in die BRD-Leistungsgesellschaft eingeschrieben und noch heute manifestieren sie sich unter anderem in dem niedrigen Streik- und Rebellionsniveau im Standort Deutsch­land. Wie zur Unterstreichung dieses Zustands machen sich immer wieder so nationalistische wie klassenübergreifende »Die Deutschen als Opfer«-Diskurse breit – die letzten Jahre beispielsweise in den historischen Kon­junktur­themen »Vertreibung« und »Bom­ben­nächten«. Zu dieser Tendenz in der zukunftsweisenden »Vergangenheitspolitik« gesellte sich jüngst noch die Adelung der Reform-Nazis vom 20.Juli zu Widerstandskämpfern – obwohl »Widerstand« in Deutschland ohnehin einem Fremdwort gleichzukommen scheint. Alles gute Gründe, anti-deutsch zu sein. Selbst eine globalisierte Welt verlangt nicht unbedingt die Aufgabe anti-deutscher Positionen. So kann der im Islamismus sich ausdrückende Antisemitismus berechtigten Deutsch­land­hass bei all denjenigen hervorrufen, die die historischen Verbindungslinien von deutscher (Au­ßen)Politik und Djihadismus kennen, ebenso bei denen, die die Begeisterung heutiger Djihadisten für »Deutschland« und vor allem für seine mörderische antisemitische Geschichte anekelt. In ihren positivsten Momenten war die alte und neue Linke – vor und nach dem NS und bei allen sonstigen Irrtümern – anti-deutsch: Wilhelm Weitling, Bakunin, Franz Pfem­fert mochten Deutschland nicht und auch einige Aktionen des SDS zeugten von einem guten Riecher für die postfaschistischen deutschen Verhältnisse. Aber um heutzutage als »antideutsch« zu gelten, muss man zuallererst Fahnen hissen, man muss bedingungslose Solidarität mit Scharon und dem Staat Israel üben, Befreiung an US-amerikanische Konservative delegieren und ohnehin Front machen gegen einen als »deutsch« apostrophierten »barbarischen Antikapitalismus« – dieser droht überall dort sein Haupt zu erheben, wo sich irgendetwas »von unten« artikuliert, wogegen man beim heutigen Hegemon des kapitalistischen Weltsystems Zuflucht nehmen soll. Zu guter Letzt artikuliert sich laut antideutscher Sicht der Dinge in Kapitalis­muskritik und Solidari­täts­be­dürf­nissen nur die Sehnsucht von völkischen Herdentieren. Vereinzelt euch, seid stark, individualistisch und konsumis­tisch, damit auch ihr euch nicht zum deutschen Volksgenossen eignet, lautet das neue antideutsche Motto.

Schaut man sich maßgebliche Teile der deutschen Linken an, liest man ihre Organe und Publikationen, drängt sich so die sicherlich von verzweifeltem Identifi­zie­rungs­wunsch getragene Frage auf: »Ist das noch links?«. Die wichtigen Themen der historischen Linken, wie Ungleichheit, Herrschaft, Ausbeutung, Krieg finden mittlerweile durch Publizisten, Autoren und Ak­tivis­ten, die sich als »links« begreifen, eine ganz andere Beantwortung als erwartet. Nun war der Begriff »links« schon immer ein schillernder, und nicht umsonst lehnen in anderen Ländern radikale aus­beutungs- und herrschaftskritische Aktivisten und Theo­retikerinnen die Bezeichnung »links« ab, weil sie zu sehr an eine parlamentarische und staatliche Tradition gebunden ist. Die­se Tradition des Linksradikalismus, die immer in Opposition zur Sozialdemokratie, zum Realsozialismus und zum Arbeit und Staat­lichkeit affirmierenden Sozialismus stand, ist im deutsch­sprachigen Raum verschüttet und viele Verwirrungen der heutigen, meist aus dem ein oder anderen dogmatischen Fundus schöpfenden Linken wurzeln genau darin.

Unmittelbar mit der Existenz »der Linken« war »die Kritik« verknüpft – affirmativ, das sind die andern. In der deutschen Mainstream-Gesellschaft ist nach wie vor eine historische Tradition vorherrschend, die radikale Kritik als zersetzend diffamiert und alles und jeden auf unbedingte Konstruktivität verpflichten will. So ist ebenfalls die Geschichte der deutschen Linken geprägt vom Konformitäts- und Konstruktivitätszwang. Gerade deshalb ist die Bedeutung der Kritischen Theorie und ihre Entdeckung durch die bundesrepublikanische Revoltebewegung um 68 nicht zu unterschätzen. Da sich radikale Kritik in Deutschland auch auf Grund der post-faschistischen Zustände nicht mit dem historischen Subjekt verknüpfen konnte, geriet sie jedoch des Öfteren zur »kritischen Kritik« (Marx) und zur reinen Selbstbespiegelung vermeintlich kritischer Geister. Den Umstand vor Augen, dass eine fundamentale Umwälzung der Verhältnisse in weite Ferne gerückt zu sein scheint, radikalisierte sich diese Haltung zum distanzierenden Habitus, und Kritik wurde gleichbedeutend mit Denunziation und Polemik. Doch so sehr die innerlinke Diskussion von dieser Schein-Kritik geprägt ist, so sehr fällt ins Auge, wie affirmativ sich Positionen mancher Linker – gerade der antideutschen – ausnehmen, wenn es um welthistorische Ereignisse geht. Selbstkritik war noch nie die Stärke deutscher Linker. Das Versinken in Selbstmitleid übernahm für die meisten Linken die Stelle, die Selbstkritik einnehmen sollte, denn sie hatten Selbstkritik nur als stalinistischen Exhibitionismus und Selbstverleugnung kennen gelernt. In dem Erfahrungsbericht ehemaliger K-Grüppler »Wir warn die stärkste der Parteien…«, 1977 im Berliner Rotbuch Verlag erschien, findet sich larmoyantes Wundenlecken von Individuen, die ihre Individualität in solchen sek­tenartigen Gruppierungen zugunsten einer festen Gruppenidentität eintauschen wollten. »Die Linke« war nicht nur in Form der K-Gruppen oftmals ein obskures Unterfangen und ist es noch. Viele heutige antideutsche Positionen versuchen sich daran, diese Fehler unter Druck und mit sehr viel Hitze auszubügeln.

Statt Selbstmitleid herrscht bei älteren anti­deutschen Semestern aggressiver Zynismus vor, der erstaunlicherweise auch unter jugendlichen Antideutschen Anklang findet und Nachahmungsverhalten hervorruft. Besonders in dieser Hinsicht ist das Antideutschen-Phänomen ein Phänomen aggressiver Verdrängung von An­pas­­sungsleistungen. Welche Befreiung muss es für ehemalige Dritt-Welt-Aktivisten sein, das schlechte Gewissen wegen der viel zitierten »privilegierten« Metro­po­len­existenz und die schlechte Verdauung dank Sandino-Dröh­nung gleichermaßen hinter sich zu lassen, um ganz »antideutsch«-lustvoll in der Debatte über linke Kriegs- und USA-Begeisterung zu gestehen: ich würde auch lieber in New York als in Bagdad leben. Wer von Antideutsch-Sein redet, kann folglich vom kapitalistischen Weltsystem schweigen. Das passt gut zusammen mit dem beispiellosen Idealismus vieler neuer linker De­batten. Egal was empirisch-praktisch passiert, nicht nur antideutsche Autoren sehen immer idea­le, übergeschichtliche Prinzipien am Werk. Genau diesen Idealismus, diese »Illusion der Ideologen« nahm Marx in der »Deutschen Ideologie« auseinan­der und beschreibt das unkritische Verfahren fol­gender-maßen: »Man muß die Gedanken der aus empirischen Gründen, unter empirischen Bedingungen und als materielle Individuen Herrschenden von diesen Herrschenden trennen und somit die Herrschaft von Gedanken oder Illusionen in der Geschichte anerkennen.« Wie im Brennglas kommen im »antideutschen Syndrom«, das sich seit einigen Jahren in­nerhalb der deutschen Linken breit macht, diese ganzen Schwächen der deutschen Linken zusammen: der germanische Nonsens, wonach Geist, Idee und Bewusstsein die treibenden Kräfte in der Geschichte sind, das Fehlen bzw. Abreißen einer undogma­tischen, antiautoritären Theorie- und Praxis­tradition in Deutsch­land eben­so, wie die zur reinen diskursiven Machtpolitik sich steigernde Polemik und »Kritik«, die sich in immer absurderen, Wirk­lich­keits­abstinenz übenden Selbst­über­bie­tungs­ritualen gefällt. Die Unfähigkeit zur aufhebenden Selbstkritik linker Irrtümer verbindet sich mit der Aufgabe von Herrschafts- und Kapi­ta­lis­muskritik und endet in der Affirmation der bestehenden globalen Verhältnisse.

Lohnt es sich wirklich, in Zeiten der verschärften Restrukturierung der kapitalistischen Ausbeutung auf eine Gruppe linker oder wahlweise: ehemals linker Autoren und Autorinnen einzugehen, die man durchaus ignorieren könnte? Wären es nur die wenigen antideutschen Publizisten, die in der Freiburger Gruppe ISF und der Ber­liner Zeitschrift Bahamas sich heimisch fühlen, könnte man so verfahren. Auch scheint die Zeit so langsam zu Ende zu gehen, in der ein großer Teil der publizistischen deutschen Linken mit einem nach Berlin oder Freiburg schielenden Au­ge ihre vermeintlich in gesellschaftskri­tischer Absicht verfassten Texte schreibt.

Einige winken ohnehin ab und wollen »die Antideutschen« nur als Teil einer sub­kulturellen Jugendbewegung behandelt wissen. Demnach lägen die »Antideut­schen« in einem internationalen Trend: dem Abdriften ehemals links kodierter Jugend- und Subkulturszenen nach rechts. So findet man in den USA »conser­vative punks«, die für Bush und den »war on terrorism« votieren und die vermeintliche »links-liberale Vorherrschaft« in ihrer Szene wie in der Mehr­heits­gesellschaft attackieren. Auch die adoleszente Selbstins­ze­nierung vieler antideutscher Wortführer scheint darauf hinzudeuten, dass es sich lediglich um ein Phänomen der vom Feuille­ton diagnostizierten jugendlichen Spaßgesellschaft handelt.

Doch diese Zuweisung scheint zu verkürzt zu sein. Wenn ehemalige Antideutsche wie der Publizist Jürgen Elsässer, der Mitte der 90er Jahre noch Luxusleben, Hedonismus, A-Nationalismus und Wilhelm Reich propagierte, heutzutage wieder Antiamerikanismus, Souveränismus, Populismus und hemd­särmeliges Gewerkschaftlertum hoch­­halten, dann lässt sich das nicht nur mit der Beliebigkeit und Durchlässigkeit jugendlicher Subkultur-Szenen erklären, zumal es sich bei solchen Protagonisten auch um ältere Semester handelt. Ebenso wären die nach rechts driftenden, sich antideutsch definierenden Antifa-Gruppen, die den Antifaschismus jeglicher sozialer und subversiver Dimension entkleiden, zwar ein Ärgernis, aber keine eigene Abhandlung wert, dies müsste vielmehr als Fußnote in einer Untersuchung der seit der Volksfront-Politik erfolgten staatlichen Pazifizierung des Antifaschismus erfolgen. Doch hier deutet sich am ehesten das tie­fer­liegende Problem an. Die honestly con­cerned vorgetragenen anti­deut­­schen Positionen der Antifa- und Ver­gan­genheits­po­li­tik-Linken haben jegliche Verbindung zum Linksradikalismus, zur radikalen Aus­beutungs- und Herr­schafts­kritik gekappt. Immerhin stellen die Antideut­schen zusammen mit der Regierungslinken von Rot-Grün die erste Generation nach 1945 dar, die den Krieg wieder unter der politisch korrekten Fahne des Antifaschismus hoffähig machen wollte – Joschka Fischer und Co. 1999 in Jugoslawien, die Antideutschen 1991 und 2003 im Irak, 2001 in Afghanistan. Dem ehemaligen »Vordenker der Antideut­schen« und heutigen launischen Kritiker dieses Phänomens Wolf­gang Pohrt ist nämlich durchaus Recht zu geben, wenn er auf die Frage »Wer sind die überhaupt, diese Antideutschen?« die Antwort gibt: »Vielleicht alle und die Regierung vornedran.« Tatsächlich ist das, was sich in der Linken als radikale Kritik aufspreizt, viel mehr Teil des Mainstream, als man denkt. Gemein!, ruft der Antideutsche und erinnert an die alleinige Frontstellung seines Grüppchens im friedensbewegten Deutschland vor und zur Zeit des Golfkrieges 2003. Wir waren und sind es doch: eine radikale kleine Minderheit! Doch auch die lautstark verkündete Negation bleibt ihrem Gegenstand verhaftet, wie der Satanist Kirche und Gott. Ähnlich verhält es sich mit der Antifriedensbewegungsemphase der Anti­deutschen und ihrer Anrufung der free­dom and democracy bringenden USA. Um die so pazifistischen wie harmlosen Schüler, Lehrer und Pfaffen zu erschrecken, schlüpfte man in die böse Kutte des kriegerischen Belzebubs. Generell sind die Antideutschen ein Syndrom weit verbreiteter Ge­schichtslosigkeit und -ver­gessen­heit innerhalb der Linken. Die Ge­schichts­losigkeit der Antideut­schen kommt gerade in ihrem Kokettieren mit belli­zistischen Positionen und dem Krieg selbst zum Ausdruck. Zwischen Fried­rich Ebert und Rosa Luxemburg verlief die Grenze in der Zustimmung zu und dem Sich-Beugen vor imperialistischer oder kapitalistischer Kriegslogik. Diese Auseinandersetzung sollte sich zwischen den Rechtsbolschewiki und den linken Kommunisten und Sozialrevolutionären in Russ­land wiederholen. Und im Spanischen Bürgerkrieg spitzte sich diese Frontstellung auf die Alternative revolutionärer Kampf oder antifaschistisch-republikanischer Krieg zu. Ist bei den Antideut­schen die Waffe der Kritik zum intellektuellen Querschläger verkommen, so ist ihre Position zu der »Kritik der Waffen« ähnlich verquer. Niemand, der ernsthaft eine radikale Befreiungsperspektive und eine Aufhebung der Verhältnisse anstrebt, kann die Frage der Gewalt mit pazifistischen, frommen Sprüchen beantworten. Doch in den antideutschen Kriegs- und Gewaltphantasien ist die letzten Endes auf den Staat bezogene Kritik des Gewaltmonopols und des Militarismus zum Erlöschen gebracht worden. Mit den Antideutschen steht nicht so sehr »die Linke« auf dem Spiel, die hat schon so einige weitaus folgenschwerere Phänomene hervorgebracht. Kommunisten kennen keine Monster, sie sollten es zumindest nicht, und an einem »Feindbild Antideutsche« kann niemand ein Interesse haben, der die Kritik voranbringen will. Aber die Dumm­­heit auf hohem Niveau, die das antideutsche Ärgernis darstellt, ist Ausdruck eines Verfalls kritischen Denkens im Namen der Kritik. Will von links wieder eine radikale Herrschafts- und Ausbeu­tungskritik formuliert werden, muss zuerst der antideutsche Scheinradikalismus als solcher erkannt werden. […]

Gerhard Hanloser, Freiburg im Breisgau, im Spätsommer 2004

Theorie & …

Soldaten sind Gärtner?

Eines morgens erreichte die bestürzte Feierabend!-Redax eine wütende Postkarte: Abo-Kündigung! Und alles wegen einer ‘harmlosen’ Überschrift: „Mörder zum Anfassen“, FA!#13, S.1.

Gemeint waren wahrscheinlich die uniformierten Damen und Herren der Bundeswehr-Show „Heer on tour“, die in dem Artikel auch sonst nicht besonders gut wegkommen. Die Begründung der Kündigung klingt genial: „Nicht alle Soldaten werden zum Töten ausgebildet, schon garnicht in unserem Land.“ Gut zu wissen, dachte sich die Redaktion, dann gibt es also doch keinen qualitativen Unterschied zwischen Soldaten und, sagen wir, Gärtnern? Beide machen ja nur ihren Job für die Gemeinschaft. Aber muss mensch denn wegen einer philosophischen Kontroverse gleich zum finalen Mittel (Kündigung) greifen?? Es ist wohl am besten, an dieser Stelle noch­mal laut über einen der einfachsten und gleichzeitig umstrittensten Vergleiche nachzudenken.

Als Kurt Tucholsky 1919 sein populäres Zitat „Soldaten sind Mörder“ auf einer Antikriegs-Kundgebung in die Welt setzte, war es eine Antwort. Eine Antwort auf die Frage, wie das millionenfache Morden der Jahre 1914-18 denn zustandekommen konnte. Schuld war nicht ein „Volk“, ein Kaiser, ein Generalstab. Schuld war das System der kapitalistisch-nationalen Kriegsmaschinerie, soviel stand für damalige Antimilitaristen fest. Und doch braucht ein Mord immer einen Mörder. Was liegt also näher, als die Schuldigen in den ausführenden Organen der „Maschine“, also in den Soldaten, vom General zur Rekrutin, zu suchen? Massenhaftes Sterben von Menschen im Krieg entsteht ja nicht nebenbei durch ein System, sondern durch Menschen, die Waffen zum Töten anderer Menschen bedienen. Und dazu werden Soldaten zielgerichtet ausgebildet.

Was Soldaten von Mördern unterscheidet, ist ihr fehlendes, individuelles Motiv, diesen oder jenen Menschen umzulegen. „Sorry, war nicht persönlich…“ Soldaten handeln grundsätzlich unter „Befehlsnotstand“. Ein Begriff, der Prozesse gegen Kriegverbrecher aller Art nahezu unmöglich macht. Gesetz ist Gesetz, Befehl ist Befehl. Da kann man nix machen. Menschen die während der Ausführung einer staatlichen Maßnahme (Krieg) ums Leben kommen, fallen unter die Vollstreckung des staatlichen Gewaltmonopols, das die Vernichtung menschlichen Lebens in Kauf nimmt oder bewusst plant. Innerhalb einer solchen Maßnahme als Soldat zu töten, kann juristisch also kein Mord sein.

Bleibt jedoch der Unterschied zwischen individueller und kollektiver Motivation. Bei ersteren entscheiden Juristen zwischen Gründen wie Notwehr oder wechselseitigen Gewalttätigkeiten, die irgendwann zur Tötung führen, und „niederen Beweggründen“, wie Habgier, Eifersucht, Sexualmorden. Anders beim Soldaten, in dessen Rücken ein autoritäres Kollektiv („Staat“) steht, in dessen ideologischem Auftrag er handelt und das seine Gemetzel an der „Front“ legitimiert. Hier ist das Gewaltmonopol des Staates Grund genug, das systematische Töten nicht mehr zu hinterfragen. Mörder und Soldaten zu trennen liegt also in der Logik von Institutionen, die eben dieses Monopol an Gewalt verteidigen.

Wie immer mensch aber zum Gewaltmonopol steht – genügend Studien belegen den Zusammenhang von berufsmäßigem Töten von „Feinden“ und der anschließenden Tendenz der Soldaten, Morde (diesmal illegal) aus „niederen Beweggründen“ zu begehen. Die Grenze zwischen Mörder und Soldat lässt sich auch für MilitaristInnen im Krieg immer schwieriger ziehen. Übrig bleibt am Ende nur Gewalt.

Dass in diesem Kontext die Behauptung, „Nicht alle Soldaten werden zum Töten aus­gebildet, schon gar nicht in unserem Land“ ein Feigenblatt ist, scheint klar zu sein. Sie folgt der Tendenz, Morden im Namen des eigenen Kollektivs als nicht weiter schlimm zu betrachten. Letztlich ist das delegiertes Töten mit dem Vorsatz, dafür nicht die Verantwortung übernehmen zu wollen. Und den Dreck räumen die Soldaten weg. Deren physische wie psy­chische Verstümmelung wird da­­bei noch billigend in Kauf genommen. Nach dem Motto: „Die kriegen ja fette Pensionen!“ Doch die Wirklichkeit im Arbeitsleben eines Soldaten sieht anders aus: Drill, Erniedrigung und geringer und ausbleibender Sold gehören fast überall auf der Welt zu den Machtinstrumenten der Offiziere. Die Existenz einer moralisch überlegenen „Nation“ und die Eingliederung in eine militärische Befehlskette scheinen für den Menschen hinter der Waffe also ein guter Grund zum Töten zu sein. Und wem das nicht reicht, der spürt den Stiefel!

Unserer Meinung nach genug Argumente, sich gegen eine wie auch immer getünchte Kriegsmaschine zu wenden. Der Satz „Soldaten sind Mörder“ appelliert an den autonomen Verstand der Uniformierten, sich nicht länger das Gehirn vernebeln zu lassen. Nur, wenn Mörder nicht glauben, Mörder zu sein, ist morden für sie einfach. In diesem Sinne: Tucholsky hat recht! – Soldaten sind keine Gärtner!

soja, clov, A.E.

Leseecke

Die GroßstadtIndianer (Folge 13)

Kein Krieg, Kein Gott, kein Vaterland  IV

Tnnng. Tunng. Tung. Hahh. Schmerz. Togg. Hh! – stechend – am Schädel. Meine Fingerspitzen tasten vorsichtig über die Schläfen. Die aufgeplatzte Stelle ist noch feucht. Chch. Die Berührung beißt sich ins Fleisch. Ich schaue an mir hinunter und sehe den nackten Körper in Fetzen gehüllt. Ein Mensch. Eine Wunde. Übelkeit würgt mir die Luft, ich speie den Ekel heraus. Nach dieser schnellen Bewegung, schießt frisches Blut in die Risse der Haut, ich spüre genau den Druck auf dem Schorf. Togg. Togg. Mei­ne Hände tasten nach Halt. Vorsichtig. Chchch. Dieser stechende Schmerz. Taub und schwer. Langsam, den zertrümmerten Rücken an der Wand hochschiebend, richtet mein Körper sich auf … und sackt sofort wieder in sich zusammen. Cch-ah. Das rechte Bein unansprechbar, baumelt leblos am Becken hinunter. Tauber Klump. Der Gedanke dreht Wirbel im Magen. Erneute Übelkeit. Erbrechen. Was­ser schießt in meine Augen. Luft! Ein heftiger Atemzug zwingt mich auf den intakten Fuß. Chaaah! Die Schulter prallt knirschend gegen den Putz. Warm! Ich spüre den blutenden Lauf, der mir die verbliebenen Fetzen mit dem Leib neu verklebt. Wo bin ich? Was ist geschehen? Der Schmerzbrei löst sich jetzt langsam in lokali­sierbaren Reiz, Sinfonien des Leidens synchronisiert in meinem Ner­ven­system. Togg. Togg. Verdammt, was ist nur passiert! Die Dämmerung beginnt sich zu lichten. Erste Gedanken suchen nach Helle. Ich schiebe mir die Hand erneut über die Schläfen, aber die Berührung ist halb. Kalter Schock erschüttert die Glieder. Den Blick starr auf die Finger gerichtet: Der kleinste kaum mehr als ein Stumpf. Der Würgreiz verebbt in den tauben und lahmenden Muskeln. Der Magen ist leer. Dafür steigt Kälte in jeden Winkel dieser Wunde aus Mensch. Erinnere Ich? Taumel. Abwesenheit. Togg. Togg. Das ver­zerrt grinsende Fletschen einer alten Frau springt mir entgegen. Ein weiß-greller Blitz. Schatten huschen über den trüben Augenschein. Angst! Wo? Der Schwindel taucht sich in Farben, und ich sehe brennende Reifen, Chaos und Menschengemalme. Uniformen, Schreie nackter Körper. Kalle!?! Bleifüßig senkt sich die lähmende Schwärze auf meine Augenlider. Togg.Toggtogg. Togg. Dann erneut diese gräßlichen Bilder. Der kleine Finger springt von mir – glatter Schnitt, vom Stumpf getrennt. Ein Goldzahn mit schlechtem Geruch grinst gegen mich, näher als nah! Ich drehe den Kopf, während das monotone Hacken immergleicher Stimmgewalt mir den Schädel spaltet, meinen Leib immer tiefer in die Wand presst. Die wunde Hand tastet hilflos nach Halt. Ohnmacht. Togg. Togg. Als mir Metall unter die Haut fährt, holt mich der Schock zurück. Ich schreie. Dunkelheit. Warten. Ein Lichtpunkt dringt vom Ende des Tunnels. Unruhiges Licht. Flackern. Der grundlose Boden schleift über die kraftentzogenen Glieder. Widerstand regt sich aus dem aufbäumend schlagenden Herz. Befehle. Wütende Hiebe. Der willfährige Trampelpfad führt direkt über das zerstampfte Bein. Ich schreie wieder. Togg. Togg. Togg. Eisengeklirr. Dumpfes Knarren. Das Geräusch fährt mir unter die Haut. Ich lenke alle Kraft gegen die erdrückenden Lider, stemme sie auf und starre hinaus. Gespenstische Schreckgestalt! Unbild­liche Fratze!! Ihr fragender Ton dringt durch meine Schädelplatte, wie eine Nadel durch Stoff. „B-o-o-r-i-ssss. Borrrriissss??? Booories? Boriss!? Boris, Mensch, wach auf!“ Ein kalter Schauer kommt von den Schläfen, reißt ruckartig die Maske des Fiebers herunter, löst die taubträge Zunge: „Ich…“ – „Boris, hallo! Kannst du mich hören!?“ Plötzlich bin ich wach. Ich greife reflexartig nach meinem Bein und sehe dann auf. Vor meinen Augen erscheint Kalles Zahn­lückenlachen. „Na Matrose, wieder unter den Lebenden?“ „Kalle? Ich – ich weiß nicht… was… was??“ „Bleib mal ganz ruhig!“, auch Schlumpf taucht jetzt in meinem Blickfeld auf. Moni und Finn stehen daneben. Kalle ditscht mir mit einem unerträglich nassen Lappen auf die Stirn. „Aua, laß den Scheiß!“ Ich reibe mir über die Schläfen und stoße gegen eine riesige Beule: „Verdammt!“ „Er ist eindeutig gesund, er flucht wieder! Gute Arbeit, Genossen.“ Kalle wendet sich zurück zu mir: „Wünscht denn unser Patiuent noch etwas?“ „So mütterlich kommt der Kalle echt schlecht!“ Schlumpf lacht. Die anderen stimmen ein. Ein saures Gefühl stößt in mir auf und ich lasse es heraus: „Was soll das Theater? Was ist eigentlich passiert!? Ich erinnere mich nur noch bruchstückhaft. Auf der Demo am Montag. Nazialarm und Unmengen Polente! Dann: Barrikaden, brennende Reifen, Straßenschlachten, Gas! Schlumpf, du wolltest mir doch noch helfen?!“, noch bevor ich den letzten Satz zu Ende spreche, brustet es aus allen heraus. Kalle zuerst: „Die Alte hat dir wohl die Birne weichgekloppt!“, „Das muß ja ein Traum gewesen sein!?!“, „Aber das Bein …“, „WAS hast du denn im Fieber erlebt!?“, „Mensch Boris, du hast Wahnvorstellungen!!“ Ich blicke verständnislos in die Runde: „Kann mich mal jemand aufklären!“ – „Also Boris,“ Kalle räuspert sich, „das war so: Da kommt doch so ein altes Muttchen, denkt, die Flyer der Nationalisten sind von dir und zieht dir so voll eine mit dem Stock über den Kopf. Du sackst sofort zusammen. Ohnmächtig und so. Wir haben natürlich mit der Frau diskutiert und ihr die Sachlage erklärt. Sie läßt sich entschuldigen und kommt morgen mit Kuchen. Sahnefrau, sag ich dir! Pico-bello-Ansichten! War halt ein Miß­verständnis zwischen Euch.“, er grinst süffisant, „Dann haben wir dich in zwei Transparente gewickelt und den ganzen Berg hoch bis hierher geschleppt. PotzBlitz­undWelle bist du schwer, Mann!“ – „Aber, ich meine, was war mit der Demo? Keine Barrikaden? Kein Widerstand? Nichts?“ „Nichts.“ Kalle steht auf. „Hast du was anderes von unseren guten Bürgern erwartet?“ „Nein, nur davon geträumt, geträumt leider nur.“ Ich runzle die Stirn und nicke wieder ein.

(Fortsetzung folgt…)

clov

…eine geschichte

Albrecht Paluttke – Folge 4

Dies war das letzte Mal!

Wollt Ihr wohl aufhören?! Ist ja wirklich schön, dass ihr jetzt nicht nach Grünau zieht, aber müßt ihr deswegen auch noch „Wir bleiben hier!“ auf der Montagsdemo brüllen?

Ja, ja Dieter und Inge haben letztendlich eine andere Lösung gefunden als ins „HartzIV-Gettho“ (die LWB dementiert ja mittlerweile, dass es so was wie Wohnungen für „HartzIV-Opfer“ gäbe) zu ziehen, und ich muß sagen, daß ich heilfroh darüber bin. Hatte ja wirklich glatt vergessen, wie wichtig mir Dieter, dieser alte Penner, immer noch ist. Mein Ding ist das ja nicht, jetzt nach all diesen Jahren wieder Montags mit diesen ganzen Schreihälsen durch die Stadt zu rennen, aber nachdem ich so lange Überzeugungsarbeit bei den zweien, von wegen „Nicht resignieren“ und „Es gibt immer einen Weg“, geleistet habe, sind die jetzt dabei ihr Leben völlig umzukrempeln und ich habe den Dreck. Dieter und Inge hat´s auf einmal voll gepackt und jetzt muß ich sogar mit auf diese Anti Hartz-Demos rennen.

Irgendwie ist mir das Ganze echt suspekt. Auf der einen Seite ist das sicher gut, wenn die Leute endlich mal ihr Maul aufkriegen, aber was da teilweise bei raus kommt… Überhaupt scheint da fast jeder sein eigenes Süppchen zu kochen. Jedes Grüppchen, das sich irgendwie einbildet auf Sozialabbau beziehen zu können, versucht hier was abzuziehen. Na ja, immer noch besser, als wenn Dieter und Inge wieder auf so einen Resignations-Trip kommen, oder wie das heißt.

Dieter, jetzt halt aber mal die Klappe! „Arbeit für alle – und zwar umsonst!“ – Was soll´n der Quatsch? Musst Du alles mitbrüllen? Wenn´s dir zu bunt geht, kannste gern morgen zu mir in Garten kommen und dich dort beschäftigen. Jetzt hab ich aber die Faxen dicke!

Puh! Mann, bin ich froh endlich zu hause zu sein. Da hätt ich auch in Ellys Bier-Pub gehen können, bei dem Niveau, wäre das wenigstens noch die ehrlichere Variante von ´nem scheissprolligen Abend gewesen! Vielleicht geh ich wirklich noch bisschen Frustsaufen… ? Ah nee, das pack ich heut nicht mehr, so krocky wie ich jetzt bin. Nee, ich leg jetzt lieber erst mal schön die Beine hoch und versuch das Ganze zu vergessen, sonst sitz ich spätestens um 5 wieder in der Küche und kann nicht schlafen. Nur mal paar Minuten entspannen, dann mach ich uns das Abendbrot fertig. Rita wird sich freuen, wenn sie nach hause kommt…

Was ist denn da draußen los? So ein Lärm unten von der Papiermühlenstraße. Schon wieder Gebrülle… HimmelArsch&Zwirn das ist die Montagsdemo! Was wollen die denn jetzt auch noch hier in Stötteritz?! Na, jetzt muss ich doch noch mal fix da runter – denen werd ich was erzählen…

Herr Bayer vom Zeitkaufhaus steht auch schon vor seinem Laden. „Hallo Herr Paluttke! Hah, ich dachte ja schon jetzt gibt’s endlich mal ´ne Revolution, aber kuck´n se mal, für was die hier rumlaufen…!“

Ein hektischer Typ am Rande, mit verblichener Jeansweste, der entweder ein 80er Jahre Bürgerrechtler oder ein Zivilpolizist sein muß, fällt mir sofort auf. Er schimpft heftig auf eine andere komische Gestalt ein: „…Wenn ich das vorher gewußt hätte! Da kuckt man mal eins, zwei Demo-Serien nicht auf die Transparente und dann wird man soo mißbraucht. Wie ich mich schäme! Ich als Initiator von Montagsdemos für Olympia und anderen Humbug! …und jetzt auch noch für den Ausbau der Stötteritzer Schrebergärten. Aber jetzt ist Schluß! Dies war das letzte Mal!“

Der Andere windet sich und versucht ihn zu beschwichtigen. Ich höre phrasenhafte Wortfetzen wie: „Aber Herr Pfarrer … mein Führer! Schließlich wollen wir ja… Ich weise allerdings entschieden zurück, daß ich hier das einzige schwarze Schaf, quasi DAS schwarze Schaf bin…“

Die beiden kommen an mir vorbei. Der Schwätzer redet sich in (G)eifer und nun kann ich ihn richtig verstehen: „…alles in allem eine Kleinigkeit in Anbetracht von so vielen Jahren erfolgreicher Arbeit, die jedem von uns eine Menge Kraft gekostet haben. Diese wenige Ausnahmen sollten weder dazu dienen, das Erreichte grundsätzlich in Frage zu stellen, Inhaltliches mit Persönlichem zu verwechseln, noch unsere Vertrauensbasis erschüttern, die sich nach nun fast 15 Jahren gemeinsamer politischer Entwicklung doch von einer solchen „Krise“ nicht in Frage stellen läßt, oder?

Endlich verschwinden die zwei aus meinem Blickfeld. Ich sehe nur noch wie die Jeansweste einen Tobsuchtanfall und von der Polizei ordentlich was auf die Mütze kriegt, und sodann in Gewahrsam genommen wird. Na, hier is schon was los.

Weiter hinten kommt jetzt eine Art Sekte mit „DAS ENDE IST NAH!“-Schildern, gefolgt von ein paar wie narkotisiert wankenden Nachzüglern und dann ist wirklich Schluß mit dem Spuk.

Aah! Wie – was?! Ach so …. Mann, so ein Scheiß aber auch … Montagsdemo in Stötteritz… Oh je, Rita ist schon lange zu hause und im Bett. Jetzt aber ab in die Heia.

Was?! Nee, ´schuldigung, dass ich dich geweckt hab – schlaf weiter Rita. Ich bin nur auf der Couch eingepennt und hab komisches Zeug geträumt. – Oh, schon früh um 5…

lydia

(alle Folgen auf www.paluttke.de.vu)

früh um fünf in stötteritz…

Parkverbot!

Die LeipzigerInnen lassen sich nichts gefallen – keine Frage. Wo andere nur müde die Schultern zucken und mit einem „Kannste doch eh nix ändern… die mache doch alle wasse wolle! (da oben)!“, die nächste Flasche Spätlese aufmachen, ergreifen sie beherzt die Initiative, legen die Fernbedienung zur Seite und stellen sich den Herausforderungen unserer Zeit.

Der untenstehende Beitrag geht allerdings mal wieder zu weit. Als unsere Dauer-Demotouris clov&soja letztens mit dem Kanister unterwegs waren, um schon mal das Zubehör für den 27.11. in Pirna zu besorgen, kriegten sie an der Tanke von einem Vokuhila-Typen, mit einem genuschelten: „Hier … ihr seid doch von dor Zeidung…“ einen schmuddeligen Zettel zugesteckt. Noch unverschämter als diese unseriösen Übergabepraktiken, finden wir es, daß gerade uns so ein Beitrag zugespielt wird. Haben die unser Heft im Car-Tuning-Center aufgelesen?

Ähnlich wie die Montagsdemos für Olympia ist diese Kampagne mal wieder ein grotesker Auswuchs des aktionistischen Massentaumels in der Maul-Heldenstadt. Nicht nur, daß die angestrebte Aktionsform eher auf Ausweichen setzt, handelt es sich doch, den verwendeten Formulierungen nach zu schließen, wahrscheinlich auch noch um eine reine Männerclique mit deutlichen Tendenzen gegen sozial Benachteiligte. Antisemitische Tendenzen konnten zum Glück nicht ausgemacht werden.

lydia

Leipzig: Garage zeigen!

Wer kennt sie nicht die Horrorszenarien der Massenaufläufe. Ob Marathonlauf, Naziaufmarsch oder Schlußverkauf bis hin zu Weihnachtsmarkt und ausufernden Kindergeburtstagen. Horden von Menschen ziehen von gedankenlos schrammend bis mutwillig zerstörend durch die City und immer wieder sind es die Pkws der Messestädter, die bei derartigen Events in Mitleidenschaft gezogen werden.

Wer kann ihn wohl so schnell vergessen, den 03.10.04 (den „schlimmsten Tag des Jahres“ in Leipzig) als wieder die schlimmsten Bilder des Jahres durch die Medien gingen? „Die vielen beschädigten Autos“, war einer unserer ersten Gedanken, dicht gefolgt von der Frage: „Wie viele hilflos zuschauende PKW-Halter, die am Tag darauf weinend mit dem Lack-Reparaturstift vor ihren Fahrzeugen kauern?“ Ein Ende der autogefährdenden Events ist nicht abzusehen. Christian Worch, der Neonazi aus Hamburg (mit wahrscheinlich schon Nebenwohnsitz in Leipzig-Grünau), hat Demonstrationen bis zum Zusammenbruch der Spaßgesellschaft angemeldet und die Stadt Leipzig wirft sich immer wieder ins Zeug, wenn es darum geht irgend ein noch so unmögliches Großevent zu ergattern.

Wir sind ein lockerer Zusammenschluß von Leuten aus Gohlis und angrenzenden Leipziger Stadtteilen, die, meist zufällig, bei so alltäglichen Tätigkeiten, wie Einparken, Auto waschen oder AUTO-BILD kaufen ins Gespräch kamen. Als mitfühlende Autobesitzer wurden wir uns schnell unserer Gemeinsamkeiten und Stärken bewußt und wollen nun endlich die Initiative ergreifen. Auch über uns kann irgendwann einmal eine fahrzeuggefährdende Massenhysterie hereinbrechen – der Leipziger Norden ist kein ruhiges Hinterland! Immerhin befindet sich hier das Arbeitsamt und somit ein Hauptärgernis der ab nächsten Jahr sicher nicht mehr nur potentiell gewalttätigen Hartz IV-Verlierer. Außerdem gilt es Solidarität zu zeigen.

Schnell waren wir uns nach einem ersten gemeinsamen Treffen einig: die Fahrzeuge brauchen Schutz! So heldenhaft die Leipziger auch sind, ihre Autos sind diesem Treiben meist hilflos ausgeliefert und niemand möchte nun auch noch Montagsdemos zum Erhalt der Fahrzeuglackierung zu organisieren. Was lag nun näher als für eine sichere Unterbringung der Pkws zu sorgen?

Nach umfangreicher Überzeugungsarbeit bei Garagenbesitzern in den Leipziger Vororten, bei den Bauern im Umland und auf Deponien, können wir nun erstmals mit einem deutschlandweit einmaligen Angebot aufwarten. In den nächsten Wochen bis zum nächsten Gefährdungszeitraum werden wir unermüdlich unter dem Motto GARAGE ZEIGEN in den permanent gefährdeten Stadtteilen unterwegs sein um auf unsere sicheren Stellplätze verweisen und unsere Kampagne weiter zu tragen.