Play
„Pop“ oder „Popkultur“ sind allgegenwärtig und wie immer, wenn jeder ein Wörtchen mitreden will, weiß am Ende keiner mehr genau, worum es geht. Da wird einmal von „Pop“ als Musikstil geredet, dessen populärer Charakter von einigen wesentlichen Elementen abhängt: eingängige Melodie, saubere Produktion, ein bestimmter Aufbau (Strophe, Refrain, Strophe, Refrain…).
Zum anderen gibt es Pop als „Popkultur“. Die lässt sich zum einen gegen die „Hochkultur“ abgrenzen: Popkultur erhebt nicht den Anspruch, Kunst zu sein, sie beruht auf industrieller Massenproduktion und soll entsprechend massenhaft konsumiert werden können. Popkultur wird auch als „Jugendkultur“ verstanden, als expressive Alltagskultur verschiedener Gruppen, die sich durch bestimmte Codes voneinander abgrenzen. Diese Codes umfassen Musik und Kleidung, Embleme ebenso wie bestimmte Wertvorstellungen. In der Kultursoziologie wird dies auch als Bricolage bezeichnet: Vorgefundene Bruchstücke der Kultur werden angeeignet und neu zusammengefügt – so etwa Irokesenfrisuren und Sicherheitsnadeln im Punk oder die Kleidung der britischen working class durch die Skinheads Ende der 60er. Die so entstehenden Codes markieren auch einen gemeinsamen Lebensstil. Subkulturen sind bei ihrer Entstehung an einen bestimmten sozialen Kontext gebunden. So markiert die Aneignung der Kleidung der britischen Arbeiterklasse durch die Skinheads eine Verbundenheit zu diesem Milieu, ebenso wie z.B. die Entwicklung des Reggae wesentlich von der damit verbundenen Party- und DJ-Kultur der jamaikanischen Soundsystems geprägt war.
Auch gegen diese Subkulturen lässt sich die Popkultur abgrenzen. Die Grenzen sind hier fließend, denn zugleich erhält sie von dort neue Impulse. Zu „Pop“ werden die Subkulturen, indem sie von ihrem ursprünglichen Kontext gelöst und einem Massenpublikum zugänglich gemacht werden. Die Triebkraft dabei ist der Markt, der die Subkulturen den Bedingungen der Massenproduktion unterwirft (wobei hier nicht der Mythos einer „verlorenen ursprünglichen Unschuld“ bedient werden soll).
Dies setzt einen widersprüchlichen Prozess in Gang: Zwar werden die „Kulturgüter“ der jeweiligen Subkultur zu Massenprodukten, sie bewahren aber einen Teil ihrer Funktion der Abgrenzung nach außen. Dies entspricht einer allgemeinen Tendenz der Marktwirtschaft, zum einen Kaufanreize durch eine behauptete „Exklusivität“ des jeweiligen Produktes zu schaffen, zum andern aber das Produkt möglichst oft verkaufen zu wollen, wodurch eben diese Exklusivität wieder untergraben wird. Dies führt zu einer ständigen Ausdifferenzierung des gesamten kulturellen Feldes.
Rewind
Da die Popkultur so allgegenwärtig ist, kam auch die Linke nicht um die Frage herum, was denn davon zu halten sei. Die Traditionsmarxisten, für die die Ökonomie das A und O war, konnten es sich einfach machen – sie interessierten sich eh nicht für den kulturellen „Überbau“. Falls doch, wurde die Popkultur nur als Ausdruck bürgerlicher Ideologie gesehen, als Mittel, um das Proletariat zu manipulieren und ruhig zu stellen. Dieser Sicht liegt freilich nicht nur ein verkürztes Verständnis von Ideologie zugrunde, wonach alle kulturellen Erscheinungen sich unmittelbar auf ökonomische Interessen zurückführen lassen. Der Begriff der „Manipulation“ unterstellt auch ein weitgehend passives Publikum, das alles, was ihm angeboten wird, widerspruchslos schluckt.
Die Ende der 60er entstehende Neue Linke dagegen erhielt ihre besondere Form gerade durch die Verbindung von Protestbewegung und Popkultur (siehe auch hier). Zwei Strategien der politischen Praxis auf dem Feld der Kultur bildeten sich dabei heraus: Gegenkultur und Subversion. Eigene Parallelstrukturen sollten aufgebaut und dann von diesen aus das „Establishment“ unterwandert werden. Auf breiterer Basis wurden diese Strategien aber erst ab Ende der 70er angewendet. Während vorher nur ein paar Bands wie Ton, Steine, Scherben ihre Platten selbst veröffentlichten, wurde das DIY-(Do-It- Yourself-)Modell mit dem Punk zu einer allgemeinen Praxis (siehe hier).
Mit dem Anfang der 80er in Großbritannien aufkommenden „New Pop“, dessen Protagonist_innen zu einem guten Teil durch den Punk sozialisiert worden waren, nahm auch die geplante subversive Unterwanderung des Mainstreams konkretere Formen an. Vor allem die hergebrachten Geschlechterrollen wurden in Frage gestellt. Zu keiner Zeit hatten so viele offen homosexuelle Künstler_innen im Popbusiness Erfolge gefeiert – seien es nun die Village People (die sich musikalisch auf die schon in ihren Anfängen stark von Homosexuellen geprägte Discoszene bezogen), Frankie Goes To Hollywood, Bronski Beat oder die Pet Shop Boys. Und auch Heterobands wie Duran Duran sahen mit hochtoupierten Haaren und Make-up reichlich feminin aus. Auf der anderen Seite standen Künstlerinnen wie Grace Jones mit ihrer androgynen Ausstrahlung, und Madonna. Der „neue Pop“ war auch eine Gegenbewegung zum Punk, dem aggressiven, mackerhaften Auftreten der Punks wurde ein sauberes, „weiches“ Image entgegengestellt, der behaupteten Authentizität des Rock ein bewusstes Spiel mit Image und Selbststilisierung.
Vor diesem Hintergrund von Punk und neuem Pop entstand in Deutschland eine Poplinke, die diese Vorgänge journalistisch begleitete. Mit theoretischen Bezügen zu Poststrukturalisten wie Foucault, Baudrillard und Derrida wurde versucht, in den Popdiskurs zu intervenieren. Pop wurde als Mittel begriffen, um in die Gesellschaft hineinzuwirken, Inhalte zu transportieren, wobei gerade der Warencharakter von Pop als Vorteil angesehen wurde, da über diesen ein breites Publikum erreicht werden konnte.
Stop
Heute lässt sich die Linke nicht mehr so gern auf die Popkultur ein. Die Poplinke ist zum Großteil den Bach runter gegangen, das einstige Zentralorgan Spex verliert immer mehr Profil, ehemalige Protagonisten suchen sich andere Betätigungsfelder. Auch hier in Leipzig lässt sich diese Distanzierung beobachten.
„Das Terrain, in dem wir als Conne Island stehen, ist verloren, das wissen wir selber“, lautete es etwa im Jahre 2003 vom CI-Plenum (1). Das Zitat stammt aus der Auseinandersetzung um die Band Mia, die kurz zuvor mit „Was es ist“ eine Loblied auf Deutschland verfasst hatte. Der Auftritt im Conne Island wurde folgerichtig abgesagt. Aber was ist gemeint, wenn es heißt, man hätte „das Terrain verloren?“ Warum wundert man sich darüber, wenn sich falsches Bewusstsein auch im Pop Gehör verschafft? Scheinbar hat mensch tatsächlich mal an die grenzüberschreitende, internationalistische Dimension von Popmusik geglaubt.
Mit der ist es momentan tatsächlich nicht weit her. In Zeiten sinkender Verkäufe bedient die Musikindustrie lieber ein fest umrissenes Marktsegment und liefert den naiven Mittelstandskids etwas, womit sie sich identifizieren können: deutsche Wertarbeit. Dabei ist es durchaus nicht so, dass der internationalistische Charakter des Pop reine Illusion wäre. Gerade ihre Warenförmigkeit verleiht der Popkultur einen universellen Charakter – sie soll sich verkaufen, und zwar an möglichst viele Menschen. Aber auch dies wird dem Pop zum Vorwurf gemacht – meist mit Rückgriff auf Adornos „Kulturindustrie“ – Kapitel in der „Dialektik der Aufklärung“. Popkultur bleibe letztlich in der Warenform gefangen, die alle noch so kritischen Inhalte ihrer Substanz beraube.
Das mag so sein. Nur: Warum sollen, wenn sich Pop wirklich restlos auf die Warenform reduzieren ließe, nicht auch Mia im Conne Island spielen? Warum nicht der Aggro-Berlin-Knallkopf Bushido oder gar die Naziband Landser? Genauer: Wenn die Kulturindustrie kritische, emanzipatorische Inhalte zur beliebig austauschbaren Chiffre macht, warum gilt das nicht auch für andere Inhalte, also etwa den homophoben, sexistischen und sonstigen Quark, den Bushido absondert?
Man kommt also nicht um die Einsicht herum, dass es – bei aller Gleichheit in der Warenform – im Pop dennoch inhaltliche Unterschiede gibt und dass diese eine Rolle spielen. Es mag der Plattenfirma egal sein, ob nun Bushido auf Platz 1 der Hitparade steht oder eine feministische Band wie Le Tigre. Das heißt nicht, dass man das Feld der Popkultur umstandslos dem „Gegner“ überlassen sollte. Natürlich ist „Pop“ genauso Teil des kapitalistischen Systems wie die restliche Gesellschaft auch. Aber gerade das ist ein Argument dafür, das Projekt „Pop“ nicht voreilig über Bord zu werfen: Wenn es ohnehin kein „Außen“ gibt, keinen Bereich der Gesellschaft, der nicht der kapitalistischen Logik unterworfen wäre, dann muss man zur Überwindung der herrschenden Zustände eben auf das zurückgreifen, was diese Gesellschaft anbietet und versuchen, es im eigenen Sinne zu nutzen.
Dabei muss die ökonomische Basis der Popkultur freilich mitberücksichtigt werden. Das Agieren auf der Diskursebene macht nur dann Sinn, wenn es darauf abzielt, von dieser Ebene wieder runterzukommen, materielle Veränderungen zu erreichen. Alles symbolische Dagegensein hat sich letztlich an der Praxis zu beweisen. Hier liegen auch die Gründe für die Krise der „Poplinken“. Man hat sich in einer mentalen und wirtschaftlichen Nische gemütlich eingerichtet – ein Hinterfragen der eigenen Position ist auch ein ökonomisches Risiko. Der Rückgriff auf kritische Theorie zielt dabei nicht mehr auf Veränderung ab, sondern wird zum Abgrenzungsmerkmal: „Wir“ gegen die böse Welt da draußen (als würde die sich so einfach aussperren lassen). Künstler_innen, Journalist_innen und Publikum bestätigen sich dabei wechselseitig in ihrer Position.
Fast Forward
Auch beim Pop gilt, dass Pauschalurteile meist am Kern des Problems vorbeigehen. Dass Popkultur „an sich“ emanzipatorisch sei, kann nur glauben, wer die Augen hartnäckig vor der Realität verschließt – Pop als total von der Kulturindustrie vereinnahmt zu verwerfen, ist das selbe in Grün. Im beiden Fällen erübrigt sich eigenes Handeln, entweder, weil das „Gute“ ohnehin siegen wird oder weil es eh schon verloren hat. Beides ist Blödsinn: Zumindest von den Inhalten her, ist Pop nur das, was mensch draus macht.
Als Mittel zum Beispiel gegen sexistische und rassistische Stereotype hat sich die Popkultur schon als nützlich erwiesen – gerade ihrer „Künstlichkeit“ und mangelnden „Authentizität“ wegen, als ein Feld, wo Menschen sich bis zu einem gewissen Grad selbst aussuchen können, wer oder was sie sein wollen. Die Einsicht, dass Identität nicht „angeboren“, sondern Resultat eigener Entscheidung ist, dass mensch sich sein „Selbst“ durch bewusste Tätigkeit erarbeitet, entzieht starren Rollenzuschreibungen den Boden.
Das Problem dabei ist, dass solche Zuschreibungen nicht nur diskursiv erzeugt werden – sie sind auch von materiellen ökonomischen und politischen Strukturen bedingt. Ohne eine grundlegende Veränderung eben dieser lässt sich z.B. sexistische Diskriminierung zwar in ihren Auswirkungen abmildern, aber nicht aus der Welt schaffen. Wenn Popkultur emanzipatorisch wirksam werden will, muss sie also ihre eigene Bedingtheit durch materielle Zwänge mitbedenken. So ist es zumindest eine zwiespältige Sache, wenn bei Bands wie Chumbawamba oder Rage Against The Machine die Kapitalismuskritik in Warenform daherkommt. Die kapitalistischen Strukturen lassen sich nicht einfach so für die eigenen Zwecke übernehmen – vor allem, wenn es darum gehen soll, den Kapitalismus abzuschaffen.
Eine mögliche Antwort darauf ist der Aufbau von eigenen Strukturen, wie es die DIY-Szene tut – im Punk und Hardcore, aber auch in anderen musikalischen Nischen (freie Improvisation, Industrial usw.). Die Anfang der 90er in den USA entstandene Riot-Grrrl-Bewegung (die in den letzten Jahren durch die Ladyfeste eine Neuauflage erhielt) ist ein Beispiel dafür, wie die DIY-Strategien der Selbstermächtigung und selbstorganisierter Kultur, die Kritik an Sexismus (auch innerhalb der eigenen Szene) mit Kritik an Kapitalismus und Herrschaft allgemein, politisches Engagement und lustvoller künstlerischer Ausdruck verbunden werden können.
Natürlich findet auch dies im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft statt, gewisse Inkonsequenzen lassen sich also nicht vermeiden. Der Wert dieser Praxis muss sich daran messen lassen, wie weit es gelingt, sich den marktwirtschaftlichen Spielregeln zu entziehen. Coole Indie-Kleinkapitalisten, die ihr Minus an ökonomischem Kapital gegenüber den Majorlabels durch ein Plus an symbolischem Kapital (Nähe zur Basis usw.) kompensieren, gibt es schließlich schon genug. Und auch wenn die Indielabels ihre Stellung gegenüber den Majors dadurch zu festigen versuchen, dass sie sich als die „besseren“ Kapitalisten in Szene setzen, ist die einstige Frontstellung zwischen „Indie“ und „Major“ ohnehin längst bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht – nicht umsonst sind die meisten bedeutenderen Indielabels wie SubPop, City Slang oder L´Age d´Or längst nur noch Unterabteilungen der großen Majors. Und selbst wenn das (noch) nicht der Fall ist, sagt es nichts über den emanzipatorischen Gehalt des eigenen Handelns aus, wenn man zufällig etwas weniger verdient als andere.
DIY dürfte auch der technologischen Entwicklung wegen an Bedeutung gewinnen. Dank der Computertechnik ist es heute kein Problem mehr, Musik in guter Qualität und zu niedrigen Kosten aufzunehmen, und das Internet macht es möglich, diese ohne den Umweg über eine Plattenfirma allgemein zugänglich zu machen. Während die Musikindustrie dadurch in eine Krise gerät, deren Ausgang noch unklar ist (siehe Seite 30), öffnet sich hier ein neues Feld für einen lebendigen Untergrund, für experimentelle, innovative Musik ebenso wie für eine Praxis, die politische und künstlerische Belange miteinander zu verbinden versucht.
(k.rotte & nils)
(1) den dazugehörigen Text könnt ihr unter www.conne-island.de/nf/105/17.html nachlesen.