Die Industrie kriegt die Krise
Vielleicht bist du ja auch ein Raubkopierer. Hast du ein paar selbst gebrannte CDs im Schrank, mit Musik, für die du nicht bezahlt hast? Oder MP3-Dateien auf deinem Rechner, die du dir unerlaubt aus dem Netz gezogen hast? Na also! Du bist ein gemeiner Verbrecher – jedenfalls, wenn man der Rhetorik der Musikindustrie glaubt.
„Ein Verbrecher? Wieso denn das?“, könntest du fragen. „Tut doch keinem weh.“ Aber darum geht es nicht. Denn wir leben nun mal in einer warenproduzierenden Gesellschaft. Und um einen nützlichen Gegenstand in eine Ware zu verwandeln, muss man erstmal Leute daran hindern, ihn zu benutzen. Wer eine Ware nutzen will, ohne dafür zu bezahlen, gilt juristisch als Dieb. Und zwar unabhängig davon, ob die Eigentümer ansonsten einen Nutzen von ihrem Eigentum gehabt hätten oder ihnen ein Schaden daraus entsteht, wenn Leute etwas umsonst nutzen, wofür sie sonst ohnehin nicht hätten bezahlen können.
Das „digitale Zeitalter“ hat die Musikkonzerne in eine Krise gestürzt: Die materielle und juristische Barriere zwischen Ware und Kunde bröckelt – die Ware, die die Konzerne verkaufen wollen, rinnt ihnen durch die Finger. Das ruft verständlicherweise Panik hervor. Denn wenn sich die Leute die zum Verkauf angebotene Ware anderswo einfach aus dem Netz ziehen, ist das Geschäft an seiner Basis gefährdet. Nach Angaben des Bundesverbands der deutschen Musikindustrie wurden im Jahr 2007 allein in Deutschland 312 Millionen Songs illegal aus dem Internet heruntergeladen und damit „Schäden in Milliardenhöhe“ verursacht. Freilich sind diese Zahlen wohl ebenso frei erfunden wie die Behauptung, allein in Deutschland entfielen rund 70% des Internetverkehrs auf die Nutzung (meist illegaler) Tauschbörsen (1). Zudem unterstellt die Musikindustrie, dass die Zahl der Musikdownloads tatsächlich den realen Verlusten entspricht, dass die Leute sich die Alben also andernfalls gekauft hätten.
An der Art, wie die Konzerne der Krise begegnen, hat sich seit den Prozessen gegen die Internet-Musiktauschbörse Napster vor knapp zehn Jahren wenig geändert: Man versucht, die Entwicklung aufzuhalten. Millionenschwere Kampagnen werden gestartet. Wo früher „Hometaping is killing music“ der Slogan war, heißt es heute „Raubkopierer sind Verbrecher“ und man versucht, den Leuten weiszumachen, dass sie mit ihrem verderblichen Tun früher oder später im Gefängnis landen. Gleichzeitig experimentiert man (wenig erfolgreich) mit kopiergeschützten CDs und versucht, Musik-Downloads via Internet kommerziell nutzbar zu machen. Und man übt sich in handfester Repression.
Das Imperium schlägt zurück
Der Staat greift den Unternehmen dabei freundlich unter die Arme. Zur Abschreckung werden Razzien durchgeführt, Computer beschlagnahmt und Nutzer von Filesharing-Systemen (2) mit Gerichtsverfahren bedroht. Allerdings sind die Behörden damit hoffnungslos überfordert – schließlich ist illegales Filesharing ein massenhaft begangenes Bagatelldelikt. Also werden den Musikunternehmen zunehmend mehr Kompetenzen übertragen, um in eigener Sache zu ermitteln (siehe Kasten unten).
Aber den aufmerksamen Betrachter beschleicht dabei nur zu oft das Gefühl, dass es sich hier um ein Kampf gegen Windmühlen handelt – es ist nicht nur fraglich, ob die Musikkonzerne diesen Kampf gewinnen können, sondern auch, ob sie sich überhaupt den richtigen Gegner ausgesucht haben. So wurde zwar nach Angaben der Musikindustrie in den letzten Jahren die Zahl der illegalen Musikdownloads von ca. 600 auf ca. 300 Millionen im Jahr reduziert, spürbare Auswirkungen auf die Verkaufszahlen hat das aber bisher nicht gehabt. Zwar konnte für das Jahr 2007 erstmals wieder eine kleine Steigerung bei den CD-Verkäufen gemeldet werden, aber dies könnte ebenso der allgemein verbesserten Wirtschaftslage zuzuschreiben sein. Gut möglich also, dass nicht die illegalen Internet-Tauschbörsen die sinkenden Verkaufszahlen zu verantworten haben, sondern dass beides nur Ausdruck eines viel grundsätzlicheren Vorgangs ist – der sich wandelnden Konsumgewohnheiten im digitalen Zeitalter.
Zunächst einmal führt dieser Prozess dazu, dass sich der Markt ausdifferenziert. So ist es dank der Computertechnik heute wesentlich einfacher, Musik in annehmbarer Qualität aufzunehmen. Durch das Internet beschleunigt sich zudem der Austausch von Informationen enorm, ebenso eröffnet es neue Möglichkeiten der Distribution. Die Menge an Musik, die den Konsumenten potentiell zugänglich ist, wird so enorm gesteigert. Das führt zum einen dazu, dass sich der Geschmack des Publikums verändert – jeder sucht sich eben die Nische, die ihm am besten gefällt. Ebenso wächst auf der Seite der Anbieter die Konkurrenz – wenn mehr Leute ein Stück vom Kuchen abhaben wollen (und es auch bekommen), bleibt für alle weniger übrig. Dies trifft vor allem die großen Majorlabels, die darauf spekulieren (und darauf angewiesen sind), mit ihren Produkten ein Massenpublikum zu erreichen. Diese könnten sich langfristig als Auslaufmodell entpuppen – die Zukunft dürfte dann den kleinen spezialisierten Nischenlabels gehören, die Platten in Auflagen im vierstelligen Bereich herausbringen und damit ein zwar kleines, aber relativ stabiles Publikum bedienen.
Und wie geht’s weiter?
Hinzu kommt, dass Tonträger als Sammlerobjekte zunehmend an Bedeutung verlieren. Die Folgen der Digitalisierung machen sich dabei nicht nur bei illegalen Downloads bemerkbar: Man kann sich Musik auch im Freundeskreis auf CD brennen oder MP3-Dateien tauschen. Dagegen lässt sich kaum vorgehen – wollte man das tun, könnte man in jedem bundesdeutschen Haushalt Razzien durchführen. Bis diese Erkenntnis aber bei den Plattenfirmen angekommen ist, dürfte es noch eine Weile dauern. Bis dahin verfährt man weiter nach der Devise: „Wenn das, was wir tun, keine Wirkung zeigt, haben wir noch nicht genug davon getan.“
Mit verfehlten Konzepten tragen die Konzerne dabei selbst einen guten Teil zu ihrem Dilemma bei. So vermindert etwa der Kopierschutz den Gebrauchswert der Tonträger erheblich – z.B. wenn eine zum vollen Preis gekaufte CD sich nicht auf dem heimischen PC oder dem CD-Gerät im Auto abspielen lässt – ohne wirklich viel zu schützen. Dass das deutsche Urheberrecht es seit 2003 verbietet, den Kopierschutz zu umgehen, spricht Bände: Der angebliche Schutzmechanismus ist offensichtlich selbst hochgradig schutzbedürftig. Zudem ist es zwar verboten, einen Kopierschutz zu knacken, dies wird aber nicht bestraft, weil Privatkopien völlig legal sind.
Ein Punkt verdient es noch, erwähnt zu werden: Wenn die Musikindustrie über „Raubkopierer“ und „Musikpiraterie“ klagt, dann tut sie das gerne im Namen der Musiker. Durch Urheberrechtsverletzungen würde diesen der gerechte Lohn ihrer Arbeit vorenthalten. Klar, das kommt besser und selbstloser rüber, als die eigenen Profitinteressen als Begründung anzuführen (zumal Popmusiker_innen auch mehr Sexappeal haben als irgendwelche Managerfiguren). Aber natürlich sind die Plattenkonzerne kein Wohlfahrtsverein, und die Künstler_innen, für deren Rechte sie sich angeblich stark machen, haben diese mit der Vertragsunterzeichnung schon zum größten Teil an die Unternehmen abgegeben. Selbst bei erfolgreichen Bands (wie z.B. den Backstreet Boys) ist es nicht selten, dass sie am Ende ihrer Karriere noch immer Schulden bei ihrer Plattenfirma haben, während diese mit ihrer Musik Millionengewinne erzielt hat (3). Kurz gesagt: Wenn die Musikindustrie sich für die Rechte der Urheber_innen stark macht, dann deshalb, weil diese kaum was davon haben.
Es gibt also auch hier keinen Grund, in das Lamento der Plattenfirmen einzustimmen. Dennoch bleibt die Frage, wie eine halbwegs gerechte Entlohnung von Musiker_innen und Komponist_innen künftig aussehen könnte – zumindest, solange wir in einer Gesellschaft leben, in der jede(r) zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft gezwungen ist. Der Verkauf von Tonträgern wird jedenfalls weiter an Bedeutung verlieren – sehr wahrscheinlich werden in Zukunft Konzerte die Haupteinnahmequelle sein. Ob Musiker_innen unter diesen Umständen noch auf die Unterstützung einer Plattenfirma (oder der GEMA) angewiesen sind, oder ob es nicht (auch unter finanziellen Gesichtspunkten) klüger ist, sich seine Unabhängigkeit zu bewahren, ist die spannende Frage.
(justus)
(1) Diese Zahl stammt aus einem offenen Brief der deutschen Musikindustrie, eine PDF-Datei davon gibt´s unter www.musikindustrie.de/fileadmin/news/politik/downloads/080425_offener_brief_deutsch.pdf. Einen Zähler, der (angeblich) die genaue Anzahl der illegalen Downloads in diesem Jahr anzeigt, kann man unter www.musikindustrie.de/raubkopien.html bewundern.
(2) Filesharing ist der Austausch von Dateien im Internet über so genannte Peer-to-Peer-Netzwerke („Peer-to-Peer“ heißt so viel wie eine Verbindung von Rechner zu Rechner). Dabei können Nutzer_innen Dateien von den Computern anderer NutzerInnen kopieren (downloaden) und stellen diesen gleichzeitig auf dem eigenen Rechner befindliche Dateien zur Verfügung.
(3) Einen Text des Musikers und Produzenten Steve Albini, der sich kritisch mit diesen Praktiken der Musikindustrie auseinandersetzt, kann man unter www.negativland.com/albini.html nachlesen.
Neues Gesetz gegen Datenpiraten
Eine ganze Reihe von Anwaltskanzleien befasst sich mit Urheberrechtsverstößen im Internet. Für das deutsche Musikbusiness übernimmt diese Aufgabe die ProMedia Gesellschaft zum Schutz geistigen Eigentums mbH. Deren Geschäftsführer Clemens Rasch hat sich mit der von ihm geleiteten Rechtsanwaltskanzlei Rasch darauf spezialisiert, Nutzer_innen von Filesharing-Börsen mit Massenabmahnungen zu bestücken (mehr dazu unter www.rasch-vs-djs.de).
Viele Betroffene kommen aus Unkenntnis der rechtlichen Lage und Angst vor einem Gerichtsverfahren den Forderungen nach. Mitunter muss jedoch auch Rasch eine Niederlage einstecken. In einem Urteil vom 20. Juli 2007 wies das Amtsgericht Offenburg die Forderungen des Anwalts zurück, der von einem Internet-Provider die Herausgabe von Kundendaten verlangte. Der Anlass war nichtig: Der Kunde wurde beschuldigt, zwei Musikdateien als Download angeboten zu haben. Das Gericht hielt dies nicht für ausreichend, um eine Herausgabe der Daten zu rechtfertigen, es verwies auf den Preis für legale Downloads, der bei ca. 10 Cent läge.
Die wichtigste rechtliche Grundlage für den Zugriff auf die Kundendaten war bisher das im Januar 2007 in Kraft getretene „Telemediengesetz“. Das Verfahren war dabei bisher relativ umständlich: Hatten die Rechteinhaber bzw. deren Vertreter einen vermeintlichen „Musikpiraten“ ausfindig gemacht, erstatteten sie Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Diese leitete daraufhin ein Strafverfahren ein und verlangte vom Provider die Herausgabe der Kundendaten. Die Verfahren wurden zwar meist wegen Geringfügigkeit eingestellt, im Nachhinein konnten die Rechteinhaber jedoch Akteneinsicht verlangen, so an die Daten der Beschuldigten gelangen und ein Zivilverfahren gegen diese in Gang bringen.
Ein neues Gesetz zu „Verbesserung der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums“ soll die Prozedur nun vereinfachen. Dieses wurde im April 2008 vom Bundestag abgesegnet und Ende Mai ohne weitere Diskussionen vom Bundesrat „durchgewunken“ – jetzt fehl nur noch die Unterschrift des Bundespräsidenten.
Das Gesetz schreibt fest, dass Internet-Provider die Daten ihrer Kunden herausgeben sollen, wenn diese Urheberrechte „in gewerblichem Ausmaß“ verletzen bzw. ein entsprechender Verdacht besteht. Eine genaue Definition von „Urheberrechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß“ lässt noch auf sich warten. Neu ist vor allem, dass die Rechteinhaber ihre Ansprüche den Providern gegenüber direkt geltend machen können. Dies soll die Behörden entlasten, die seit 2004 von Massenanzeigen überschwemmt worden waren.
Zum Schutz der Rechte der Betroffenen soll die Höhe der Abmahnungen „für erste Urheberrechtsverletzungen“ (also solche in „nicht-gewerblichem Ausmaß“) auf 100 Euro beschränkt werden. Zudem sieht das Gesetz einen so genannten „Richtervorbehalt“ vor. Für den Fall, dass „die Auskunft nur unter Verwendung von Verkehrsdaten“ erteilt werden kann, ist dafür eine richterliche Anordnung nötig – bei Bestandsdaten hingegen nicht. Diese Regelung dient vor allem dem Datenschutz. Bestandsdaten sind die „festen“ Daten des Kunden, also Name, Anschrift, Geburtsdatum usw. Verkehrsdaten sind hingegen die „beweglichen“ Daten, die der Kunde bei der Nutzung des Internets hinterlässt – also z.B. welche Seiten er aufgerufen oder (besonders wichtig) welche IP-Adresse er für die jeweilige Sitzung vom Zugangsanbieter zugeteilt bekommen hat. Die dynamische IP-Adresse gehört also zwar zu den Verkehrsdaten, sie muss der Staatsanwaltschaft oder den Rechteinhabern aber ohnehin schon bekannt sein – erst dann können sie vom Provider erfragen, welchem/r Nutzer_in er diese Adresse zum gegebenen Zeitpunkt zugeteilt hat.