Archiv der Kategorie: Feierabend! #48

Mira und Mordechai

zu Eurem 70. Todestag

Unsicher wendet Mordechai seinen Blick ihr zu. Miras Augen antworten ihm. Und die Unsicherheit verlässt die beiden. Sie sehen wieder geradeaus zu Schlomo und machen einen gemeinsamen Schritt nach vorne. „Wir beide übernehmen das“, sagt Mira, während Mordechai mit kräftigem Druck nach ihrer Hand greift. „Wir werden ihnen an der Hauptstraße entgegen treten. Wenn wir genug Verwirrung erzeugen können, gelingt es den anderen vielleicht zu entkommen.“

Eben hatte Schlomo der Gruppe die bittere Lage erklärt. Etwa dreißig junge Menschen hatten sich versammelt, nachdem die HaShomer Boten durch die Häuser geschickt hatte, die zum Kampf aufrufen sollten. Mira, Mordechai, Schlomo und einige Freunde hatten sich schon lange darauf vorbereitet. Sie wussten seit Wochen, dass die „Liquidation“ kurz bevor stand, und hatten bei den Versammlungen der HaShomer beschlossen, nicht einfach aufzugeben.

Als ich Eure Geschichte zum ersten Mal gehört habe, hat sie mich überwältigt. Ich weiß nicht, Mordechai, ob ich Deinen Mut gehabt hätte. Ich habe meine Geliebte gefragt, ob sie so wie Du, Mira, meine Hand genommen hätte und mit mir vorgetreten wäre. Es wäre unehrlich gewesen, einfach „Ja“ zu sagen. Sie hat mir die Wahrheit gesagt. Die Wahrheit ist, dass wir, so sehr wir mit Euch fühlen, uns der Antwort doch niemals sicher sein können.

Sog nischt kejnmol as du gejst dem letstn weg,

wen himlen blajene farschteln bloje teg,

kumen wet noch undser ojsgebenkte schoh,

‘s wet a pojk ton undser trot – mir sejnen do!

„Danke, Mira, danke, Mordechai. Elisabeth wird auch dabei sein, genau wie Samuel. Sie sind gerade noch beim Treffen der Jüdischen Kampforganisation und werden später am Abend zu uns stoßen. Ich werde mit den beiden die rechte Seite der Stra­ße übernehmen. Die Gruppe von Tosia wird sich auf die Häuser links verteilen und den Bereich in Richtung ‚Umschlagplatz‘ abdecken. Alle anderen sind dafür zuständig, so viele wie möglich von der Zivilbevölkerung zu evakuieren. Wir haben Kontakte hinter der Mauer, die euch durch die Kanalisation helfen sollen.“

Schlomo öffnet die Kiste hinter sich und nimmt zwei Metalldosen heraus, an denen ein öliger Faden hängt. Er drückt sie Mordechai in die Hand, dann gibt er auch Mira zwei der Sprengsätze. „Seid vorsichtig damit! Die Leute in der Fabrik haben versucht, besseres Material zu bekommen, aber das war alles, was möglich war. Vermeidet starke Erschütterungen und lagert sie weit weg vom Feuer!“ Mira und Mordechai wickeln die Granaten vorsichtig in Tücher ein und verstauen sie in ihren Rucksäcken. „Wir werden morgen noch mehr davon erhalten. Wenn wir dann noch hier sind.“ „Lasst uns zum Abschied ein Lied singen, so wie früher, wenn wir zusammen auf Fahrt waren.“, schlägt Mordechai vor. „Das Lied, das Hirsh geschrieben hat“ bestärkt ihn Schlomo.

Eure Geschichte lässt mich für einen Moment fühlen, was der Verstand nicht fassen kann. Die Einzigartigkeit der industriellen Vernichtung von Millionen Menschen, von der wir wissen, aber die doch unser Verstehen übersteigt. Das Paradox, dass jeder Vergleich unmöglich ist, und wir doch ständig unsere Realität daran messen wollen – und müssen, damit nichts Vergleichbares je wieder passieren kann!

‘S wet di morgn-sun bagildn unds dem hajnt,

der schwarze nechtn wet farschwindn mitn fajnt,

nor ob farsajmen wet di sun un der kajor,

wi a parol sol gejn dos lid fun dor tsu dor.

Mira und Mordechai stehen hinter den Gauben von Haus Nummer 62. Von hier hat man freien Blick auf die Hauptstraße. Noch ist es dunkel unten auf der Straße, aber das Morgengrauen beginnt, Dächer und Himmel voneinander zu trennen. Bis hierhin, mitten in der Stadt, riecht es ein wenig nach Frühling. Mordechai erinnert sich, dass erst vor drei Wochen der Schnee weggeschmolzen ist, endlich, und wie ihm das wärmere Wetter Kraft und neuen Mut gegeben hat. Er glaubt, freudiges Kindergeschrei zu hören, doch auf der Straße ist es völlig ruhig. Als er die Augen schließt, sieht er zwei Kinder spielen. Seine Kinder, und Miras Kinder. Er öffnet die Augen wieder und dreht den Kopf nach rechts, verschwommen sieht er Mira. „Warum weinst du?“, fragt sie. „Ich habe gerade an Salomé und Efraim gedacht. Und dass wir sie nie haben werden.“ Für einen langen Augenblick schließen sie sich in die Arme. In einem der Hinterhöfe singt eine Nachtigall, während es langsam hell wird.

Mordechai lenkt ab, will sich und ihr Mut machen. „Ich habe gehört, dass sie auch in anderen Städten Vorbereitungen getroffen haben. In Lemberg und Tschenstochau wollen sie sich uns anschließen. Sogar in die Lager haben sie Waffen geschmuggelt, es soll Kampfgruppen in Treblinka und Sobibor geben.“ „Ja, Mordechai, wir sind nicht alleine. Und wenn wir fallen, werden andere unsere Gewehre aufheben und weiterkämpfen.“

Versteht mich nicht falsch: Ich weiß, Ihr wart gewöhnliche Menschen wie wir. Was Ihr getan habt, war nichts Übermenschliches. Und doch war es außergewöhnlich. Im Angesicht der Vernichtung von Menschen durch Menschen ist nur noch außergewöhnliches Handeln menschlich.

Fun grinen palmen-land bis wajtn land fun schnej,

mir kumen on mit undser pejn, mit undser wej,

un wu gefaln is a schprits fun undser blut,

schprotsn wet dort undser gwure, undser mut.

Dann Motorengeräusch, Kommandos auf Deutsch. Ein Trupp Soldaten marschiert um die Ecke am Ende der Straße. „Durchsucht die Häuser und legt Feuer!“, hören die beiden den Anführer schreien. Haus für Haus kommen die Soldaten näher. Mira beobachtet die jungen Männer in ihren SS-Uniformen. „Werden jetzt auch wir zu Mördern?“, fragt sie, mehr zu sich selbst. Doch Mordechai hört es und flüstert zurück „Es gibt keine Unschuld mehr in diesen Zeiten, Mira. Sie kommen, um uns alle zu töten, alle unsere Leute, die sich noch hier verstecken.“ „Aber wir wollten unser freies Land auf Frieden und Gerechtigkeit aufbauen. Wie soll das möglich sein, wenn es um uns nur noch Unrecht und Sterben gibt?“, hört er Mira verzweifeln. „Jeder Tag, den wir sie zurückschlagen können, ist ein gewonnener Tag.“ Wieder läuft eine Träne über seine linke Wange. Er wischt sie aus dem Auge und zündet seine Kerze an. Mira prüft ihre Pistole und richtet sie auf das Gesicht des ersten jungen Deutschen in der Reihe. Noch immer singt die Nachtigall zwischen den Häusern. „Ist es die Nachtigall oder die Lerche?“, fragt Mordechai. Über seinen Scherz vergisst er für einen kleinen Augenblick die Wirklichkeit. Auch Mira lächelt.

Von rechts blitzt Schlomos Signal auf. „Es war die Lerche.“ Mira wird wieder ernst. Mordechai hält den Ölfaden an die Kerze und schleudert die Granate, Mira zieht den Abzug des alten Revolvers.

Vorsicht vor der Frage, ob und wann es gerechtfertigt ist, sich selbst schuldig zu machen! Sie zu stellen ist legitim und verständlich, immer wieder. Aber wir heute dürfen sie nicht einfach beantworten. Das sind wir Euch schuldig: Für uns ist diese Frage hypothetisch, für Euch war sie real. Es gibt keine eindeutige Antwort darauf, die wir uns heute geben könnten. Jeder Vergleich mit eurer Situation hinkt, denn er relativiert, was ihr erlebt habt – zu Erleben gezwungen wart.

Dos lid geschribn is mit blut un nischt mit blej,

‘s nit kejn lidl fun a fojgl ojf der fraj,

dos hot a folk tswischn falndike went

dos lid gesungen mit naganes* in die hent.

Sie sitzen in einer Ecke des Kellers zusammengekauert, schüt­­­zen ihre Köpfe mit den Händen vor den von der Decke herabfallenden Brocken. Über ihnen das Knattern von Ma­schi­­­nengewehren, Schreie, das Krachen von einstürzenden Decken, das Tosen der Flammen. Rauch und Staub wehen durch die Ritzen der Kellerluke. Mira greift nach Mordechais Hand und blickt ihn im Dunkeln an. „Ich liebe dich, Morde­chai.“ Er zieht sie zu sich. „Ich liebe dich, Mira.“ Dann erstickt der Rauch ihre Stimmen.

Hattet Ihr keine Angst, Mordechai? Bestimmt hattet Ihr Angst. Ihr seid Menschen geblieben selbst in einer Zeit der Unmenschlichkeit. Und doch über einfaches Mensch-Sein hinausgewachsen. Ich will nicht zulassen, dass man Euch vergisst. Und ich wünsche mir, dass Andere eines Tages Eure Kinder großziehen, die Ihr nie haben konntet.

Mira Fuchrer, geboren 1920, und Mordechai Anielewicz, geboren 1919 in Wyszków, erstickten möglicherweise so wie hunderte andere Bewohnerinnen und Bewohner des Warschauer Ghettos in ihren Kellerverstecken. Anderen Quellen zufolge nahmen sie sich vor ihrer sicheren Niederlage selbst das Leben. Bei der Räumung des Ghettos in den Frühlingstagen des Jahres 1943 wurde ein Haus nach dem anderen von der SS in Brand gesteckt. Als Mordechai, Mira und andere sich entschieden, einem völlig übermächtigen Feind im Kampf entgegenzutreten, waren sie kaum mehr als zwanzig Jahre alt, mehr als fünf Jahre jünger, als ich es heute bin.

Zum Warschauer Ghetto und dem dortigen Aufstand 1943 gibt es zahlreiche historische Quellen, eine ausführliche Literaturliste findet sich z.B. auf Wikipedia. Dieser Text wurde unter anderem von dem Buch „Der Aufstand“ von Dan Kurzman inspiriert. Ich habe mich beim Schreiben eng an die historisch belegten Ereignisse gehalten und lediglich Details hinzugefügt, um der Geschichte eine Form zu geben.

Beim zitierten Liedtext handelt es sich um eine lateinische Transkription des jiddischen „Partizaner Lid“ von Hirsh Glik.

*naganes = Russischer Begriff für Revolver

Leserbrief

Dies ist ein Leserbrief. Ich beziehe mich auf den Artikel „Verdammt lang quer“ in Ausgabe Nr. 47. Adressiert ist dieser Brief an die Redaktion des Feierabend! und auch an die Verfasser des Artikels, in diesen Fall die Rote Hilfe Leipzig.

Liebe Freunde,

diesen oben genannten Artikel abzudrucken ist schon ein starkes Stück. Für mich wäre es das jedenfalls. Heute im Jahr 2013 zeigt sich immer noch, wie wenig Sensibilität für Selbstkritik in eurem (linken) Milieu vorhanden ist. Natürlich haben die letzten 20 Jahre Kampf in und zwischen linken Kreisen ihre Spuren hinterlassen. Aber zu unseren Genossen von der Anarcho-Postille und der Roten Hilfe Leipzig scheinen sie nicht durchgedrungen zu sein. Deswegen nochmal deutlich: Antisemitismus ist kein Irrweg. Antisemitismus ist ein Wahn. Er ist nicht der Irrweg, den „der Kapitalist erfindet um die Arbeiterklasse zu spalten“ (Lenin), er ist eine anti-moderne, pathologische Ideologie. Diese Ideologie ist, man mag es kaum glauben, sehr wandelbar und tritt in verschiedenen Derivaten und Ausformungen als Fundament/elementarer Bestandteil in verschiedenen politischen Strömungen mal mehr, mal weniger offen zu Tage. Es ist nicht meine Aufgabe hier ausführliche Kritik am Antiimperialismus zu betreiben, das solltet ihr selbst tun (www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr248.htm).

Doch was hat das alles mit dem Artikel zu tun? Ich weiß, irgendetwas Bedeutungsschweres, im Gegensatz zu den sonstigen Kinkerlitzchen, muss die Rote Hilfe ja tun, um sich ihrer eigenen Existenz zu versichern. Aber Solidarität für Wahnsinnige, nichts anderes sind eure antiimperialistischen Geiselnehmer und Helfershelfer, einzufordern ist doch ein bisschen zu viel des Guten. Unabhängig davon, dass Sonja und Christian, wie ihr sie liebevoll nennt, keine Juden selektiert haben, haben sie doch zu den RZ gehört und ihnen auf die eine oder andere Art und Weise geholfen (und Waffenlieferung ist da kein Pappenstiel). Da reicht auch eure halbherzige Distanzierung zu Carlos und der Entebbe-Aktion nicht aus. Wer diese Mörder unterstützt macht sich mitschuldig, und das haben die Angeklagten getan. Und wenn ihr, liebe Genossen, sie unterstützt, dann seid ihr dabei zivilisiertes Terrain zu verlassen und euch zu Unterstützern von Wahnsinnigen zu machen. Natürlich sollte der Prozess gerecht und an das Recht gebunden sein, aber handelt es sich hier, wenn sich die Anklage bewahrheitet, nicht um eine an den Haaren herbeigezogene Behauptung.

Schöne Grüße!

+ + + + + +

Erst einmal vielen Dank, dass Du Dir die Mühe gemacht hast, diesen Leserbrief zu schreiben – auch wenn uns der moralische Vorwurf, wir würden uns mit Geiselnehmern solidarisieren, etwas weit hergeholt scheint. Natürlich halten wir terroristische Aktionen und insbesondere Morde und Geiselnahmen weder für ein taugliches, noch ein vertretbares Mittel herrschaftskritischer und antikapitalistischer Politik. Und ebenso selbstverständlich meinen wir aus unserer politischen Überzeugung heraus, dass Antisemitismus kritisiert und bekämpft werden muss.

Zugleich halten wir aber auch die Arbeit der Roten Hilfe für enorm wichtig – und die besteht eben darin, linke Aktivist_innen gegenüber der Justiz zu unterstützen. Im Übrigen ist solche juristische Hilfe etwas anderes als z.B. Beihilfe zu einer Geiselnahme, und Solidarität mit den beiden Angeklagten beinhaltet keine Unterstützung für Leute wie „Carlos“.

Die beiden Angeklagten sind aus unserer Sicht sicher keine strahlenden Helden, auch keine „Wahnsinnigen“, sondern schlicht Menschen, die auch Fehler begangen haben – möglicherweise drastische Fehler. Aus politischer Sicht kann und sollte man diese gegebenenfalls kritisieren. Rechtlich wäre es Aufgabe des Verfahrens, das zu erweisen (von zivilisatorischen Errungenschaften wie der Unschuldsvermutung hast Du sicher auch schon gehört).

Was die Geiselnahme in Entebbe betrifft: der Sachverhalt wurde in dem Artikel klar benannt, und wir halten unsere Leser_innenschaft für intelligent genug, sich selbst ein paar richtige Gedanken dazu zu machen. Dass diese Aktion in keiner Weise zu rechtfertigen ist, sollte offensichtlich sein. In dem Text „Gerd Albartus ist tot“ (www.freilassung.de/div/texte/rz/zorn/Zorn04.htm) haben auch die Revolutionären Zellen selbst eine eingehende Selbstkritik dazu verfasst:

„Wir machten uns die Losungen des palästinensischen Befreiungskampfes zu eigen und setzten uns darüber hinweg, dass unsere Geschichte eine vorbehaltlose Parteinahme ausschloss. Wir interpretierten den Konflikt mit den Kategorien eines an Vietnam geschulten Antiimperialismus, mit denen er nicht zu ermessen war. […] Israel galt uns als Agent und Vorposten des westlichen Imperialismus mitten in der arabischen Welt, nicht aber als Ort der Zuflucht für die Überlebenden und Davongekommenen, der eine Notwendigkeit ist, solange eine neuerliche Massenvernichtung als Möglichkeit von niemandem ausgeschlossen werden kann, solange also der Antisemitismus als historisches und soziales Faktum fortlebt. […] Wo wir unter anderen Voraussetzungen auf der Unterscheidung zwischen oben und unten beharrten, sahen wir im Nahen Osten vor allem gute und schlechte Völker. Am Patriotismus der Palästinenser kritisierten wir ebenfalls dieses Pathos, obwohl uns nicht zuletzt die Geschichte Israels ein warnendes Beispiel hätte sein müssen, dass die Verwirklichung der palästinensischen Maximalforderungen nicht das Ende von Ausbeutung und Unterdrückung, sondern lediglich deren Verewigung unter anderen Vorzeichen bedeuten würde. Leid und durchlebte Verfolgung bieten keinen Schutz davor, dass Menschen zu Ungeheuern werden, sobald sie sich als Staatsvolk zusammenballen.“

Natürlich kann selbst die ernsthafteste und gründlichste Selbstkritik die Handlungen der Vergangenheit nicht ungeschehen machen. Aber es zeigt, dass auch antisemitischer „Wahnsinn“ als Irrweg erkannt und verlassen werden kann. In diesem Sinne,

die FA!-Redaktion

Die Redaktion … hört

Vinyl, best sound since 1930, your local record dealer

Knacksen und Knistern, Rauschen und Springen. Das schwarze Gold klingt nicht immer sauber, aber das macht es nur umso menschlicher. Die Tiefe der Bässe, das durch die physischen Übergänge der Klangspitzen entstehende Wärmegefühl, das von Vinylliebhaber_innen immer wieder gelobt wird, die prinzipielle Haptik und eine Umdrehungszahl, die dem menschlichen Auge gerecht wird. Und immer wieder Unsauberheiten, die eine Anziehung ausstrahlen wie das ewige Versprechen von Freiheit.

Empfohlen sei exemplarisch der von DJ Premier produzierte Beat „Statik“, auf den Jeru the Damaja rappen darf. Die knisternde klAuslaufrille geloopt und mit schlichten Drums und Bass hinterlegt, ist eines der eindrucksvollsten Beispiele dafür, wie gut Staub klingen kann. Auf Vinyl!

shy

Los Fastidios

Los Fastidios ist eine Streetpunkband aus Verona, die im Jahr 1991 gegründet wurde. Ihre Musik setzt sich aus kraftvollen Hardcore und Oi Punk zusammen, aber auch die melodischen Einflüsse aus Rock ‘n Roll und Ska sind deutlich herauszuhören. Durch diese musikalische Vielfältigkeit und durch Texte in italienischer und englischer Sprache entstehen abwechslungsreiche Alben und Konzerte. Die Band bezieht in ihren Texten eine eindeutig linke Stellung. Themenschwerpunkte, die sie dabei aufgreift, sind hauptsächlich sozialkritische politische Themen und Fußball. Eine Band, die vom politisch aktiven Ska-Tänzer bis zum antifaschistischen Fußballfan alles abdeckt und sich zu einer meiner Lieblingsbands entwickelt hat.

Klaus Cancely

Astrid Lindgren

Ob Karlsson vom Dach, Lotta aus der Krachmacherstraße, die Brüder Löwenherz oder Mio, mein Mio. Alle Geschichten von Astrid Lindgren sind mir, wie so vielen, bekannt. Und immer noch schaffen es diese Geschichten mich mitzunehmen auf eine Reise weit weg von hier, der Realität. Wenn ich die Zeit über Bord werfe und pfeife: „Faul sein ist wunderschön!“

Vogel

Kythibong 10th Anniversary Compilation – „Décennie: Couverture“

Kythibong, was´n das? Antwort: ein sympathisches kleines Label aus Frankreich, das ebenso wie unsere Postille vor Kurzem gerade sein zehnjähriges Bestehen feierte. Dazu gibt´s eine Compilation mit einem ebenso einfachen wie bestechenden Konzept: 18 Bands (die meisten ziemlich unbekannt, dafür aber gut) sind hier versammelt und covern sich gegenseitig. Das Ergebnis ist stilistisch gemischt, zwischen elektronischem Vier-Vierteltakt und instrumentalem Gitarrengefrickel, dazu Indierock, hippiesker Folk, Pop mit komischen Geräuschen drin und vieles mehr. Durchgehend hörenswert und von vorn bis hinten unterhaltsam. Gibt´s auch zum kostenlosen Download unter www.kythibong.org/KTB31/KTB31.html

justus

Interview with Anarchist Black Cross Belarussia

The Interview was conducted by three activists from Leipzig and the one activist from Belarussia doing the “Belarus Info & Solitour” in April 2013. It was held in the style of an open discussion. I means Interviewers, A means Activist (Belarussian)

A: I would prefer not to speak about myself. I can tell you about the Anarchist Black Cross (ABC) though.

I: What is your personal opinion about your situation in Belarus right now? I mean, not as the ABC but as you, as an anarchist, who is seeing whats happening in your city.

What IS happening, what is not happening and what is your personal opinion?

A: In general in Belarus, the political situation and the situation of society is quite depressing.

People are not politically active at all. It’s not only about political actions or in anarchist case trying to boycott the action, it’s about everything. … A nuclear power plant is being built. No one likes it, but no one …

I: But people are gathering, they meet and talk about it? In a Bar, for example, they would talk about it, would they?

A: Sometimes, but also in everyday life a lot of people simply … when you start to speak about something political, they simply go away or say: „Please don’t put even more stress on us.“ In the Soviet Union times, people spoke about politics in the kitchen. Now, they prefer not to speak about it even in the kitchen.

I: Why do you think that is? Are they scared of repression?

A: Partly. They are scared of repression, surely, but many people are also disappointed by what had happened in the 90’s. It turned out that all these people, who were in power were corrupted of course and the ones not in power, they were sometimes really strange and what they were proposing as an alternative was not an alternative.

I: You were talking about the Opposition?

A: The problem of the opposition is not so much the indifference to the program of Lukaschenka, that’s maybe one of the points. I understand that people do not participate in party-politics, but I’m really frustrated that people will not participate in everyday politics, in the life of their street, fight against environmental rollbacks, they do not fight against privatization of commons. It’s still ongoing, like with water and electricity, there are some public enterprises which are to be privatized. It will be bad for workers. Private companies will cut their wages and fire people and so on.

But workers are also quite early – the workers are a kind of okay, because they tried to organise …

I: But you say you are frustrated about it, do you think that there are options, to do something about the situation?

A: I think there are quite a lot of options, but obviously not so many people are using these options.

I: So what kind of options are there?

A: Like, freedom of speech, in a very abridged version, is still existent. So you can talk about whatever, over the internet or in the streets, to people, or make or attend some public events. Sometimes police will attend these public events, will take passport data from people or secret service will call, authorities will call the organizers…

I: And will they record what you are doing?

A: Most often they will do everything they can to cancel the event. But still it’s possible to make some useful events, it’s possible to make some kind of independent media, or campaign. It’s possible to campaign for these or that cause, it’s possible still to go to court trying to get, not justice actually, but public attention for your case. And even some small legalistic stuff is working. Also what is working is street protest. In some cases, when it’s not organised by, what i’d call „traditional opposition“, but by some local communities, authorities are afraid to just dissolve it (the protest) in a moment. Also people can demand from local organizations, then local organizations have to deal somehow with it and normally it really changes that situation.

There are some changes, but they are not enough for me. There are different social movements but they are not so numerous.

I: So you speak about social movements, are there other social movements in Belarus, not Anarchist possibly?

A: I perceive quite positively the environmentalists, they are an environmental group, they are not militant, they are quite peaceful but they are very strict on defending what they see is right, what they think is right. Now we have for example a strong campaign to defend our peetlands. The peetlands are still half alive, like half of them are still there to this time and there are now plans to drill oil in the peetlands. Environmentalists are opposed to this and I wish them success.

They intend to dry these peetlands to…

I: To harvest the resources, right? German: Sie legen das Gebiet trocken um den Torf abzubauen und zerstören damit das Naturschutzgebiet (peetlands). So people are active against that kind of thing, I would like to ask: Are they organized, like in a group so they can publish things, so that people from different areas of Belarus can support that campaign?

A: Yeah, unfortunately, many petitions in Belarus are online. These are official online petitions which are really sent, with enough signatures these are sent to the authorities. And you will get some reaction from authorities at least. And also like we have workers industrialization in Belarus, we haven’t had that before, there are different ministries which have conflicting interests. Even conflicts for those who govern and sometimes it’s possible to rollback some older decisions. The ministry of energy wants to … but the ministry of environment, which is heavily sponsored by the European Union, with international and United Nations, they try to, at least officially, have a nice face. They try to hide their face and they are a governmental project that can help us and sometimes can stop the other. But for other social movements it’s … well, now we have a „right to the street“ movement. Some are groups of locals who fight for their local parks, for this or that, quite often they are able to defend the green ground right next to their homes or a playground for children.

I: Are there also leftwing places or squats or something?

A: Unfortunately, no. The most leftwing open place in Minsk is an office of green party. There is also an office of a left party but it is not so open.

I: Communist, huh?

A: Post-communist, yeah. They are also anti-Lukaschenka and present themselves as democratic but they are, Post-Bresnevists, not Bresnevists anymore

I: Do you believe that more people are getting organized or that the movements are growing?

A: Sighs We have to do it by ourselves. Not only stand by while others organize. There are some alternative ways that some alternatives can go. Youth Clubs or something like this, but they are not numerous in Minsk and they are quite strictly … or gallerys, private art gallerys, there are some examples of non-governmental organizations as well which are quite friendly and it’s possible to organize events in their premisses. But there are also these cultural places which are really open and kind of accessible people, distance themselves from many things political. It’s possible to have a guest, a festival with some Bands, right or left political, but if political bands are playing … it’s possible maybe to organize an official benefit concert without saying your gathering money in these places but not something really political.

I: But to ask again: You say that it’s not possible because the government or the officials would cause trouble?

A: Yes.

I: Maybe we can talk a little bit more about the Anarchist Black Cross? Can you tell us why you (ABC) were founded, or something like that, a little bit about your group, do you suffer from a lot of repression ?

A: Okay, I have to make an official statement: I’m a speaker with a mandate from ABC Belarus but I am not part of ABC Belarus. And because I am doing this on legislation, ABC Belarus is, as a group, strictly underground. What I can say about ABC is, it is closed, like you can not just apply to be a member of ABC.

I: But, I don’t know, we will have the presentation later and a lot of questions will be answered than I think, but it’s a really difficult question. A week ago there was a group of people here from „Partisan Minsk“ which stated that they are clearly Anti-Fascist, maybe you can tell us something about the Anti-Fascist Situation in Belarus. Maybe about Minsk?

A: There are some cities and towns with clearly Anti-Fascist Movements, there is one town with about 7.500 inhabitants, that is almost 100% Anti-Fascist

I: Exclamation: Really? Good to hear that.

A: and since the middle of the 90’s, late 90’s, I heard some stories like on the way from Minsk to Briersk either Dynamo Minsk or Dynamo Briersk Hooligans arriving in a regional train and the train stayed there for some minutes there were some rumours that locals had gathered to beat up the Hooligans in the train.

I: That is happening in Belarus? This is amazing

A: It was some years ago. And the Belarussian Antifa-capitol is Grodna. They also have some local Fan support for one the local Teams…

I: It’s mainly related to football, as I see?

A: Now it’s related to football in many aspects, but there are also many Anti-Fascists, not Street Anti-Fa, but like, Anti-Fascist people who are not really into football. But anyway, everyone knows something about football, and anyway people have to organize and I have to recognize when I see stickers in a subway or in the streets, I have to realize whether these people are just football Hooligans or Nazis. The Nazi-scene is quite strongly connected to the football Hooligan scene. Antifa scene also, but also more distanced. So in Grodna, Grodna as a Antifa-Capital, it’s (Antifascism) not so related to football but in Minsk „Partisan“ Club really do whith it’s Fans a lot of work. And around the southern streets a lot of youngsters from football came to the Antifa and it became really much safer in Minsk in the sense that Nazis stopped attacking Punk Concerts because they knew that they’d be beaten anyways.

I: Seriously? That’s good to hear though!

A: And it’s even that at some point Nazis were no longer attacking the squat itself but just moving around the area, fishing for single people but later even this stopped because they knew that they will be beaten if they waited around. I almost never got into fights but I feel much safer on the streets now thanks to this.

I: And how is the situation with the police? Do they support, more or less, the fascist movements? Or do they fight them in the same way that they fight the leftist movements?

A: The secret service takes down nazis and gathers dossiers on them and then uses this against the Nazis to make them collaborate. And secret service in Belarus makes sure that Nazis do not make extremely violent crimes, like bombings or even if some group of nazis severely beats some migrants, mainly students. Sometimes Nazis attack them. If they are beaten so severely that they have to go to a hospital for several weeks, then Secret Service will put these Nazis into prison. Of course secret service and police are using Nazis against leftist and Anti-Fascists, they maintain this nazi-stuff at a certain level. And in (intelligible) Town for example, maybe it was organized by a secret service, Nazis attacked Anarchists walking in the Demonstration and there were various sound events and it looked like it was organized by secret service and police because there was no protection. Normally police heavily controls a demonstration but at this moment there were no riot cops at all around, which never happens in Belarus and riot police arrived maybe 5 minutes after the fight began, which for sure was organized by them.

I: You know in Germany there is the situation that in political groups we are always worried that there might come new people that are spies. Is this also happening in leftwing groups in Belarus?

A: Unfortunately, we have too many people who are like, really activists but cooperate with police and secret service after they were approached by someone.

I: So they pass on names and news and stuff?

A: Yeah, and so we are more into excluding those people and the anarchist movement is now quite splitted into small groups in different locations, not so many people are organized, not so many new people are coming and if they are coming they are first coming to public groups, a lot of which are quite open and nobody knows what they are really about. And afterwards they might do other stuff which is not so open, less official.

Police comes quite a lot to some of the events to take passport data from people.

I: I met some students from Belarussia but they said they had been sighted in a demonstration and because of that they lost the privilege to study in Belarussia, they had to study in Great Britain. Is that still happening?

A: It’s happening, not for many, but some.

I: Ok, so groups that are not existing officially like the ABC or Anti-Fascist groups, or groups like „Food not Bombs“ or environmental groups, or the last one, „right for street“? Is there even one of them that’s official? Because you mentioned the green party for example.

A: For Anarchists there is no official organization, some people go and become members of some environmental NGOs, some people become members of green party, like to protect themselves from harm. Yeah, but most people do the things they do just on behalf of their own.

I: What about Stuff to inform yourself, books, magazines and stuff? Is it possible to get this kind of things? The internet is probably the primary source?

A: It’s possible to download stuff from the internet, normally books come from some town or city from the people. But it’s impossible to sell books in Belarus. Some times in the bookstores you find Kropotkin und Bakunin, but it’s not possible to find contemporary anarchist books which are published nowadays, for instance Crimethinc stuff, which was published in Moskow, even if it is published officially. Mainly because the market is very small and partly because allmost all bookstores are afraid to sell anything political.

I: Maybe one last question: Is there any way we can support ABC from Germany after the tour is over?

A: … Maybe you can participate in the next demonstration in front of the Belarussian embassy in Berlin. Support you local comrades. … well possibly if you have a local ABC group, than you participate generally in an international network. International ABC Network is in the process of building itself, join this for sure.

I: I really hope that the tour that you guys did and do will be successful!

Repression

Die Autodidaktische Initiative

Freie Bildung und kritische Wissenschaft im Leipziger Westen

Im Juli werden in der Georg-Schwarz-Straße 19 die Räume der Autodidaktischen Initiative eröffnen. Bildung für alle und zwar umsonst!

Das heutige Verständnis von „Bildung“ beschränkt sich oft auf ein reines Aneignen von Faktenwissen. Gebunden an feste Strukturen und offizielle Institutionen dient dieses dann dem Erwerben von Abschlüssen und Titeln. Diese Qualifikationen versprechen neben dem Zugang zu einem möglichst gut bezahlten Beruf auch noch gesellschaftliche Anerkennung. „Bildung“ wird somit zum „Lernen“ in einem rein funktional-technischen Sinne, weshalb von den „Bildungs-Institutionen“ ein hoher Erfolgsdruck ausgeht. Ihre didaktische Struktur ist auf das „Herantragen“ der Bildung von „außen“ ausgerichtet. Dadurch ist ein genormtes Vollzeitstudium ungeeignet für Menschen mit anderen Interessen und Fähigkeiten als sturem Auswendiglernen oder mangelnden institutionellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Außerhalb der Institutionen fehlen die strukturellen Möglichkeiten um sich gemeinsam mit Themen auseinanderzusetzen oder sich Fähigkeiten anzueignen und weiterzuentwickeln, die außerhalb dieser festen Anforderungen liegen.

Vor diesem Hintergrund ist das autodidaktische Selbststudium aus dem Blick geraten und wird selten gesellschaftlich anerkannt. Wir wollen einen Beitrag für dessen Aufwertung leisten und auch eine gemeinsame Umsetzung unterstützen. Dazu schafft die Autodidaktische Initiative (e.V.) einen Ort der Wissensaneignung, des Ideenaustauschs und der Ideenproduktion für Selbstlernende. Umfasste die Gruppe der InitiatorInnen zunächst fünf Personen zwischen 22 und 29 Jahre, ist mittlerweile ein engerer Kreis um die A.D.I. von etwa 15 Personen entstanden. Dieser heterogene Personenkreis setzt sich aus Studierenden, HochschulabsolventInnen, Auszubildenden und AutodidaktInnen aus unterschiedlichen Fachbereichen (Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, Umweltwissenschaften, Informatik, Kunst und Psychologie) zusammen. Sie verbindet die Liebe zur Wissensaneignung, Bildung und Philosophie, der Drang sich zu organisieren, sowie der Wille, mit ihrer Arbeit und ihren Ideen die Kultur und das gesellschaftliche Leben in Leipzig positiv zu beeinflussen.

Die Autodidaktische Initiative wird einen Raum mit entsprechender Infrastruktur (Internet, Gruppenarbeitsplätze, Materialien) zur Verfügung stellen. Darüber hinaus versuchen wir auch ein Netzwerk von Selbstlernenden („Mitlerngelegenheit“) im Internet zu schaffen. Unser Anspruch ist es, einen neuen Typ von Wissenschaft zu fördern: integrativ, kollektiv, kritisch. Auf der Basis von Arbeitsgruppen, bisher hauptsächlich zu gesellschaftswissenschaftlichen Themen, später auch zu Kunst und Psychologie, soll eine inhaltliche und methodologische Weiterbildung erfolgen.

Als Raum dient ein bisher ungenutztes und frisch renoviertes Ladengeschäft in der Georg-Schwarz-Straße 19. In diesem Mietshäuser-Syndikats-Haus (1) KunterBunte 19 (KuBu), stehen neben den 60m² Ladenfläche noch 20m² Arbeitsraum im ersten Stock zur Verfügung. Die Räume bieten Platz für Lesekreise, Diskussionsrunden und individuelle Studien. Die Sanierung des Raumes ist in vollem Gange, die Eröffnung ist Anfang Juli geplant, im Anschluss an das erste größere Projekt der Initiative, der Ausstellung „Europa im Cluster“ (2) (siehe Kasten). Eine Kommunikationsplattform („Mitlerngelegenheit“) ist bisher auf Riseup (3) entstanden. Die Gruppe auf dieser aktivistischen Plattform dient als Ort der Materialsammlung der einzelnen Arbeitsgruppen, der Lesekreisvermittlung bzw. dem Verabreden zum gemeinsamen Lernen. Zu den ersten Arbeitsgemeinschaften der A.D.I. gehören die AG „Weltpolitik, Weltökonomie, Imperialismus“ sowie die AG „Anarchismus“. Eine AG, die Deutsch-Kurse anbieten möchte, befindet sich in der Entstehungsphase. Bereits anhand dieser Beispiele lassen sich die vielfältigen Möglichkeiten der A.D.I. erkennen.

Hintergrund

Unsere Herangehensweise beruht auf der Bedeutung, des Begriffs „Bildung“ – dies allerdings in einer kritischen Auseinandersetzung. Der Begriff der Bildung hat eine lange Geschichte und ist erst in jüngster Zeit so stark auf den reinen Wissenserwerb und die Aneignung von Fähigkeiten beschränkt worden. Wir beziehen uns mehr auf die ursprünglichere Bedeutung des „sich Bildens” im Sinne einer Arbeit an sich selbst. Aus einem christlichen Ursprung im 13. Jahrhundert entwickelte sich über Jahrhunderte das Ideal des wissenden Menschen. Die Aufklärung idealisierte die Logik und Rationalität und machte das Lernen des „richtigen“ Denkens sogar zum Maßstab der Kultur (4). Immer ging es dabei auch um die Veränderung, die Verbesserung des eigenen Selbst. Diese Ebene des Begriffs ist nur noch im breiteren Diskurs der Selbstoptimierung erkennbar. Die Verbesserung meines Selbst soll und muss einer Verwertbarkeit dienen, also mir helfen einen guten Arbeitsplatz zu finden. Dabei entsteht der Konkurrenzdruck, der dann auch in der Bildung die Menschen zu Einzelkämpfer macht.

Gemeinsam statt einsam

Dieser Erziehung zum isolierten Einzelnen wollen wir unser Verständnis von Bildung als sozialem Prozess entgegensetzen. Einer Erziehung von Oben nach Unten begegnen wir mit gemeinsamer intellektueller Arbeit. Anregungen, Auseinandersetzungen und ein kontinuierlicher Austausch sollen nicht nur einfach „motivieren”, sondern die eigene Veränderung rahmen und katalysieren. Anschließen wollen wir uns dem Begriff der Bildung also, indem wir versuchen „das zu werden, was wir noch nicht sind“ – und zwar ganz bewusst im Plural. In der Ich-Form führt der Gedanke einer Veränderung des Selbst gefährlich nahe an die bereits erwähnten Anforderungen von Selbstoptimierung und geistigem Wettbewerb. Es gilt die herrschende Sicht von Erkenntnissen als rein persönlicher Leistung aufzubrechen. Wir wollen dieses Verständnis ersetzen durch den Gedanken, der Positionen als Ausdruck gesellschaftlicher Selbst-Reflexion begreift. Es sind zwar die einzelnen Menschen die Meinungen und Theorien aussprechen, aber diese werden nicht von ihnen ursächlich hervorgebracht. Vielmehr sind Ideen und Gedanken die Frucht von unzähligen Anregungen in verschiedenster Form. Inspiration kommt aus der Kommunikation mit Menschen (oder anderen Lebewesen) und daher sollten auch ihre Folgen als der Verdienst vielerlei Einflüsse angesehen werden. Diese Ansicht soll Schluss machen mit dem Wettbewerb um das genialste Ego und uns eine Diskussions-Kultur ermöglichen, die weniger von persönlicher Eitelkeit getragen wird, als vielmehr von dem Bewusstsein der gemeinsamen kulturellen Produktion. Wir fassen diese Herangehensweise unter dem Konzept der „kollektiven Autodidaktik“.

Neben dem universitären Wissen, den sozialwissenschaftlichen Theorien, sollen in unserer Initiative marginalisierte Stimmen und Positionen Gehör finden. Im Anschluss an die Strömung der „peoples science“ (5) möchten wir einerseits mehr Menschen sozialwissenschaftliche Werkzeuge nahebringen und andererseits Auseinandersetzungen auch mit lokalem Wissen der „einfachen Bevölkerung“ bereichern.

Anspruch und Anstöße

Unsere Pläne sind ehrgeizig und es wird sich zeigen wie unsere Überlegungen sich in der Praxis verwirklichen lassen. Überhaupt eine dauerhafte Basis zu errichten ist eine große Leistung für gegen-hegemoniale Bildungsräume. Die Motivation zur freien Bildung reicht selten für einen kontinuierlichen Betrieb von Räumen, zu denen auch immer rein koordinierende und organisatorische Tätigkeiten gehören. Viele Initiativen zur freien und kritischen Bildung gehen auch schnell wieder ein. Deshalb ist der Betrieb eigener Räumlichkeiten ein zentraler Bestandteil des Konzepts. In dem Raum kann sich unser Bestreben auch wirklich materialisieren, kann ein sozialer Raum entstehen, in dem sich der Wunsch zu lernen mit der „Liebe zur Weisheit“ (Philo-sophia) verbindet. Schon der Glaube an die verändernde Macht der Philosophie und Theorien widerspricht ganz klar dem Zeitgeist. Quer durch die ideologischen Lager zieht sich eine Geringschätzung von nicht direkt „verwertbaren“ Gedanken. Aktionen scheinen der Theorie immer überlegen, da sie durch ihren unmittelbaren Charakter direkte Ergebnisse mit sich bringen. Diese Annahme, also die Idee, dass auch Gedanken und Theorien unmittelbar „zu etwas gut“, direkt benutzbar sein müssen, füttert allerdings einen gefährlichen Funktionalismus. Dieser brandmarkt abstrakte Gedankengänge als ineffizient und nutzlos. Dabei wird die grundlegende Rolle bestritten, die die Philosophie bei der Wahrnehmung und Einordnung der Realität hat. Jede Bewertung und jede Meinung beruht auf Weltbildern und Werturteilen. Diese grundlegenden Annahmen sind meist umso problematischer je natürlicher sie uns erscheinen. Der positivistische, bürgerliche Mythos einer neutralen Wahrnehmung und des nüchternen Urteils hat sich tief eingeschrieben – wird aber dadurch nicht „wahrer“.Diesen und anderen hegemonialen Mythen unserer Zeit werden wir in unserem gemeinsamen Arbeitsraum auf die Pelle rücken. Mit unserer theoretischen Arbeit wollen wir Denk-Räume öffnen. In den Räumen soll ein anderes Denken möglich werden, das dann nach Außen wirkt. Offen genug, um neue Menschen mit niedrigschwelligen Veranstaltungen einzuladen, aber auch organisiert genug, um einen gut organisierten Betrieb aufrechtzuerhalten.

AdI

(1) www.syndikat.org
(2) europa-cluster.net
(3) we.riseup.net
(4) Eine genauere Herleitung findet ihr auf unserer Homepage.
(5) Bewegung, die sich für die Überbrückung der Kluft zwischen Wissenschaft und „normalen Menschen“ einsetzt, z.B. www.thepeoplesscience.org

Lokales

„Anarchie ist machbar, Frau Nachbar.“

10 Jahre Libelle: Zwischen Klassik, Romantik und Politik

Vor zehn Jahren, das war 2003, bestand der Innenhof der Universität Leipzig noch aus zerbrochenen Steinplatten, war dekoriert mit DDR-Blumenkübeln aus Beton und bot, so munkelten Mensa-ArbeiterInnen, ganzen Rattenkolonien eine Heimstatt.

Damals gab es noch Disketten, 56k-Modems, indymedia war der Knotenpunkt im Netz und Seattle und Genua waren noch frische Erinnerungen. Die großen Proteste gegen Studiengebühren waren vorbei, die gegen Stellenkürzungen der SHEK (Sächsische Hochschul-Entwicklungs-Kommission) sollten noch kommen (oder war es umgekehrt?), und die gegen die Bologna-Reform (Bachelor-Master) kamen nie richtig in Gang. Das Leben damals war angefüllt mit Dingen, die viele von uns vorher noch nie gemacht hatten: Demos, politisch aktiv sein, heftige, endlose Diskussionen – Idealismus pur und jung. Natürlich würden wir was bewegen!

Als verschworener Kreis namens „unbequem nachfragend initiativ“ engagierten wir uns bei allen Protesten, besetzten das Hörsaalgebäude, kurzzeitig auch das Rektorat, demonstrierten gegen und für… Zu dieser Zeit – 2001, 2002 –  hatten wir uns manchmal in der Uni getroffen und oft auch bei jemandem zu Hause. Manko: Die Uni wurde um 21 Uhr geschlossen. Dennoch, irgendwer meinte, es gäbe da auf dem Augustusplatzcampus, gleich gegenüber des kleinen Mensa-Ablegers, einen ungenutzten Raum, den man als selbstorganisiertes Café nutzen könnte! Im Nachgang der Hörsaalbesetzung brachten wir eine Kaffeemaschine, ausrangierte Stühle und sonstigen Kram dorthin. Aber wir hatten keinen Schlachtplan, kein Dekor, keine Öffentlichkeit. Kurze Zeit später waren die Sachen weg. Ein altgedienter Hausmeister meinte, wir wären schön blöd gewesen, hätten wir das nicht so ohne jegliche Absprache oder Anfrage gemacht, hätten wir den Raum wohl sogar bekommen. Ach ja, die Jugend.

Aber die Idee eines Cafés als offener Treffpunkt, als Infrastruktur für allerlei freiheitlich-politische Gruppen, als Anlaufstelle für Interessierte und noch Desinteressierte, blieb in einigen Köpfen hängen. Eines war immer noch sicher: Wir würden was bewegen! Der Masterplan war einfach, aber einleuchtend. „Zur Erneuerung der Gesellschaft brauchen wir: Gewerkschaft, Zeitung, Lokal.“ Gewerkschaft und Zeitung, FAU Leipzig und Feierabend!, hatten wir seit 2002 (oder glaubten das). Nun fehlte noch ein Ort, der Schaufenster und Hauptquartier zugleich sein sollte. Ganz bewusst versuchten wir, uns vom linken Szenebetrieb und seinem Distinktionsbedürfnis, das seinerzeit die extravagantesten diskursiven Volten schlug, abzugrenzen. Denn klar war und ist, ohne die „normalen Leute“ ist kein Staat zu stürzen. Das Lokal, oder salopp gesagt: „der Laden“, sollte ohne große Worte, sondern allein durch seine Existenz, Struktur und Außenwirkung den alten Spucki-Spruch belegen: „Anarchie ist machbar, Frau Nachbar.“

Nicht zuletzt wäre er die erste explizit anarchistische, oder verschämt gesagt: libertäre, Anlaufstelle in Leipzig. Im Laden war Platz für die Redaktion des Feierabend! sowie für die Treffen der FAU, der linken studentInnen gruppe (lsg) und vielerlei sonstige Initiativen. Legendär sollten die „Kulturabende“ der BÜHNE und später die Theatervorführungen der Gruppe tag werden. Er sollte auch einen repräsentativen Charakter haben: Die Bibliothek sollte beweisen, dass da mehr ist als nur das A im Kreis. Und der vordere Bereich sollte – damals noch ohne Sofas, sondern mit nagelneuer Gastro-Garnitur! – tatsächlich auch als Café (mit Bedienung!) auf Spendenbasis dienen und auf PassantInnen einladend wirken.

Connewitz und Plagwitz schieden also aus. So führte ein Weg zu einer alten Metzgerei auf der Georg-Schumann-Str. Der dafür angedachte Name war Kachelstan. Geklappt hat’s dann letztlich, wo die „Libelle“ – Libertärer Laden Leipzig – noch heute sitzt: im schönen, innenstadtnahen Kolonnadenviertel. Beim ersten „Plenum“ nach Unterzeichnung der Mietverträge waren bestimmt 30, 40 Leute da. Die Hoffnung war groß, die Ambitionen mannigfaltig. Sehr elanvoll gestaltete sich die mühselige Renovierung, und zur Eröffnung im Frühsommer kamen tatsächlich auch viele Leute aus der Nachbarschaft. Ein guter Auftakt. Wie steht’s doch im Faust und in anarchistischen Broschüren: „Im Anfang war die Tat!“

Gelöst hat sich die „Libelle“ nicht aus der linken Szene, vielmehr hat sie dem Anarchismus ein Standing verschafft und darf wohl auch als Impulsgeber einiger libertärer Initiativen etwa in Plagwitz oder in der PDS/LINKE gelten. Trotz einiger zarter Anwandlungen über die politische Jugendsubkultur hinaus ist der anarchistische Funke nicht übergesprungen. Und manchmal hat man den Eindruck, nicht zuletzt dank der Sofas, es handele sich, sympathisch genug, um einen gewöhnlichen Jugendclub. Das Besondere ist und bleibt jedoch, dass der ohne jegliche Subventionen auskommt und vollkommen selbstorganisiert ist – und das ist naturgemäß, trotz allen Wollens, ergebnisoffen. Von daher blieb und bleibt sich die „Libelle“ auch in der zweiten oder dritten Generation treu.

wanst & AE

Lokales

10 Jahre Libelle: Und wie stehts heute?

10 Jahre wird die gute Libelle alt, und ich wurde angehalten, einen Text dazu zu schreiben. Ganz ehrlich gesagt wusste ich und weiß auch bis zum Verfassen dieses Textes gar nicht richtig, was ich dazu schreiben soll. Deshalb habe ich mir, frei nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“, gedacht: einfach drauflos tippen. Vor ca. 3 ½ Jahren bin ich das erste Mal hier aufgeschlagen, damals zum FAU-Plenum. Als unschuldiger Arbeiterjunge vom Dorf ließ ich also meine politische Abstinenz hinter mir und gastierte zu oben erwähntem Plenum. Ganze sechs Leute waren anwesend – mich inbegriffen. Ich kann mich noch genau an meinen Gedankengang zu diesem Zeitpunkt erinnern: „Naja, die anderen 20 Mädels und Jungs müssen bestimmt arbeiten.“ Nach ca. drei Plena stellte ich dann fest, dass sechs Personen so ungefähr der Durchschnitt ist. Kurze Zeit deprimiert und enttäuscht von der sogenannten revolutionären Arbeiterklasse, die man überall sieht, nur nicht beim Gewerkschaftsplenum, machte ich dann aber doch irgendwie weiter.

Somit waren meine ersten Erfahrungen eher enttäuschend, obwohl dieser schöne Laden gar nichts dafür konnte. Trotz beschränkter Kochkünste half ich dann auch bei den VoKüs und der Brunchorganisation mit, schnippeln kann ja schließlich fast jede_r. Obwohl wir hier ca. acht Gruppen im Laden haben, sind es doch immer wieder die gleichen Leute, die diese Arbeit auf sich nehmen. In diesem Rahmen einmal ein dickes Minus an die Leute, die den Laden nur als Treffpunkt benutzen und sich sonst nicht um ihn scheren. Aber vor allem ein großes „Dankeschön!“ an alle Leute, die immer wieder mithelfen. Ich denke da vor allem an unsere ASJ-Küchendiktatorin, vor der selbst ich Angst bekomme, wenn sie mal wieder ca. 70% der Brunchspeisen vorbereitet; an alte Männer mit Wrestling-Fetisch, die bei einem vierstündigen Brunch ca. 10 Stunden arbeiten; an Mütter, die trotz Kindern auch gleich einmal eine ganze VoKü alleine schmeißen und die Libelle danach so sauber ist wie sonst nie. Natürlich auch ein herzliches „Dankeschön“ an alle, für die mir keine lustige Metapher eingefallen ist. Einmal da­von abgesehen, dass es auch einige Leute gibt, die mich hier manchmal nerven – mit ihrer links-elitären moralischen Argumentationsweise – habe ich hier auch Freundschaften fürs Leben geschlossen. Zum Beispiel zwei Leute, die ich in der Libelle kennengelernt und auf die ich einen sehr schlechten Einfluss ausgeübt habe. Denn letztendlich sind sie zu unkultivierten, aggressiven Fußball-Fans mutiert. Aber selbst das konnten sie mir verzeihen, und ich kann mich nur schwer an Leute erinnern, auf die man sich so sehr verlassen kann. Eigentlich ist das schon eher Familie als Freunde.

Das politisch erfolgreichste Erlebnis war für mich bis jetzt die Gründung der ASJ. Eine Freundin und ich dachten zu Beginn: „Naja, lass es uns einfach mal versuchen.“ Heute hat sich die Gruppe, meiner Meinung nach, zu der aktivsten in der Libelle entwickelt. Hier auch nochmal ein „Dankeschön!“ an oben erwähnte Freundin, die nach anfänglich gemeinsamem Flyer- und Plakatentwurf die Gründungsveranstal­tung allein geschmissen hat, weil ich mich damals erst einmal von meiner politischen Aktivität zurückgezogen habe. Ja, jetzt habe ich nicht wirklich was zum Laden an sich geschrieben, sondern eher über meine Erfahrungen, die ich mit ihm hatte. Aber wahrscheinlich ist das dann doch genau der richtige Weg, diesen Laden zu beschreiben: mit persönlichen Erinnerungen und Emotionen. In diesem Sinne: „Ohne euch kein Laden, kein Laden ohne euch!“

Klaus Canzely

Lokales

150 Jahre SPD – ein Nachruf

Nicht nur das Völkerschlachtdenkmal, auch ein anderes Bollwerk deutscher Geschichte feiert dieses Jahr einen runden Geburtstag, und wieder mal ist Leipzig besonders betroffen. Gemeint ist die deutsche Sozialdemokratie, die es nun seit 150 Jahren gibt, obwohl man sie nach ihrem greisenhaften Auftreten für wesentlich älter halten könnte. Am 23. Mai 1863 gründete sich in Leipzig der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein unter dem Vorsitz Ferdinand Lassalles. Und weil es heute sonst nix zu feiern gibt, feiert man eben Jahrestag. Rund 1600 Gäste fanden sich dazu im Leipziger Gewandhaus ein, darunter auch Bundespräsident Gauck, der es sich nicht nehmen ließ, die historischen Leistungen der SPD in einer Rede zu würdigen: „Es war die SPD, die auf Reform statt auf Revolution setzte. Und es war die SPD, die den mühsamen und schließlich mehrheitsfähigen Weg beschritt, das Leben der Menschen konkret Stück für Stück zu verbessern, anstatt utopische Fernziele zu proklamieren.“

Tatsächlich hat die Partei viel für dieses Land getan – egal ob es um die Bewilligung von Kriegskrediten ging, oder darum, unliebsame Kommunist_innen wie Rosa Luxemburg ihrer mangelnden Reformwilligkeit wegen zu ermorden. Ihren Ruf als Verräterpartei hat sich die SPD tatsächlich mühsam erarbeitet. Neuere historische Schandtaten kamen kaum mehr überraschend. Verglichen mit dem 1. Weltkrieg war der Einsatz der Bundeswehr im Kosovo 1999 nur ein Klacks. Und mit den Hartz-Reformen hat die SPD zwar nicht das Leben „der Menschen“, aber immerhin der deutschen Unternehmer_innen tatsächlich Stück für Stück verbessert.

Das Jubiläums-Motto „Ein besseres Land kommt nicht von allein“ und das „150-Jahre“-Logo in staatstragendem Schwarz-Rot-Gold zeigen, dass die Sozialdemokratie diese Tradition auch künftig nahtlos fortsetzen will. Zwar soll es auch immer noch Menschen geben, die die SPD für eine Arbeiterpartei halten – aber im Zweifelsfall war der Partei das Interesse der Nation immer wichtiger als das der lohnabhängigen Klasse. Die deutsche Sozialdemokratie war stets vor allem eines: deutsch.

justus

Kommentar

Endlich Theater im Osten!

Initiative: Ost-Passage Theater im Entstehen

Ein Ort. Ein Gebäude. Viele offene Fragen. Enorm viel Arbeit. Kleinere und größere Sorgen. Eine spannende Suche. Ein sich entwickelndes Konzept. Verschiedene Persönlichkeiten, Mitwirkende. Unterschiedliche Meinungen, Geschmäcker, Vorlieben. Doch schließlich ein Konsens, eine Leidenschaft, auf der alles aufbaut: THEATER. Theater kann und muss so verschiedene Gesichter haben, wie die Gesellschaft aus unterschiedlichen Menschen besteht. Ein Theater, das sich an den Menschen orientiert, die um den Ort herum leben – den Nachbarn. Sie geben die Themen für die Stücke und bilden letztlich das Publikum. Ein Theater, das für die Nachbarschaft ausgelegt ist.

Nachbarschaftstheater eben. Das ist der Konsens der sieben Menschen, die in der Eisenbahnstraße aus dem alten Kinosaal im Gewölbedach über dem Aldi ein Theater machen, das neue Wege sucht: Das Ost-Passage Theater (OPT). Ich habe mich mit Zweien von den Sieben über das OPT unterhalten. Zuerst mit Matthias Schluttig:

Es geht um die Kunst

„Im Vordergrund stehen selbst erarbeitete Stücke, die von den Theatermachern des Hauses konzipiert und aufgeführt werden. 60% sollen sie im Spielplan einmal übernehmen. 40% sollen andere Gruppen, Künstler und auch Bands ausfüllen.“, stellt er sich vor. „Freiberuflich Theaterschaffende brauchen eine Struktur.“ Also gründet mensch ein eigenes Theater. Wobei die Kunst ebenso wichtig ist wie die Klientel, die Thema der Stücke sein soll. Eine Nische ist gefunden: Hier steht weniger das Ergebnis der Produktion im Vordergrund, als vielmehr der Prozess um die Theaterarbeit. „Die Theatermacher öffnen sich, probieren aus, geben viel Leidenschaft und Engagement rein. Aber sie nehmen schließlich auch immer etwas für sich wieder mit raus und lernen daran.“ Das OPT soll für Schluttig Soziokultur werden. Es geht nicht nur darum Kultur anzubieten, sondern auch das Publikum zu beachten und mit einzubeziehen – eben nicht nur als Publikum, sondern auch als Mitwirkende. So hat Schluttig schon einige Projekte initiiert und durchgeführt, die sich an bestimmte Zielgruppen (bspw. Arbeitslose) richtete.

Das inhaltliche Konzept wird intern stetig diskutiert. Aber Schluttig sieht das entspannt: „Gerade wird an vielen Ecken gleichzeitig gearbeitet. Das muss man dem Flow überlassen.“ Jetzt wird viel organisatorisches Geschick verlangt. Da ist es schwierig erst darauf zu warten, bis die Gruppe das inhaltliche Konzept ausformuliert hat. „Deswegen wird der Spielplan zu Anfang wahrscheinlich sehr projektorientiert sein – aus rein pragmatischen Gründen.“

Außerdem ist der Gruppe wichtig, dass das Konzept für neue Ideen offen bleibt. Somit kann es kein Ausschlussverfahren geben, bei dem es heißt: „Diese oder jene künstlerische Form wird es im Ost-Passage Theater nicht geben.“

Was ist das für ein Ort?

Der gefundene und perfekt erscheinende Ort ist ein alter Kinosaal – oder vielmehr die Schillerdecke desselben. „Wenn man da drin steht, sieht es aus wie in einem umgedrehten Schiff. Ein Schuhkarton mit Wölbung.“, beschreibt Schluttig den Raum begeistert. Es ist ein Aufführungsraum. Eine Unterteilung in mehrere kleine Probebühnen wird es nicht geben. Das beeinflusst natürlich auch den Spielplan. Für mehrere Projekte gleichzeitig sind die Probemöglichkeiten nicht vorhanden. „Mensch wird sich reinteilen müssen. Die Kapazitäten strukturiert nutzen.“

Die Idee, ein eigenes Theater als Nachbarschaftstheater zu gründen, bestand schon lange. Vor zwei Jahren fing dann die aktive Suche nach einem geeigneten Objekt an. Doch schließlich war es – wie so oft – der Zufall, der die Gruppe auf den alten Kinosaal brachte. Schluttig ging regelmäßig an dem Gebäude vorbei. Er wurde schließlich neugierig: „Da muss was drunter sein, unter diesem Kuppeldach.“ Er recherchierte, ob der Saal noch zu haben sei, wer ihn besitze und ob Möglichkeiten bestünden, das Objekt zu nutzen. Zuerst sah es leider gar nicht gut aus, da von der Volkssolidarität geplant wurde in dem Raum eine Art Seniorenzentrum zu integrieren. Doch der Plan scheiterte durch die unterschiedlichen Interessen von Stadt, Eigentümer und Volkssolidarität. Und so begannen also für das OPT die Verhandlungen mit dem Besitzer. Auch diese erwiesen sich leider immer wieder als schwierig. Denn „der ist natürlich Kapitalist, nicht einer von den ganz Schlimmen, aber dennoch mit gewissen Interessen.“ Trotzdem ist er der Idee gegenüber offensichtlich aufgeschlossen, obwohl bekannt ist, dass Theater nicht viel Geld einbringt. Schließlich befinden sich die beiden Parteien seit etwa zwei Wochen in der „heißen Phase“: Die Gespräche zur Nutzungsvereinbarung laufen und befinden sich im Endspurt. (Anm. d. Red.: Inzwischen sind die Nutzungsverträge unterschrieben und die Schlüssel wurden ausgehändigt) Somit steht einer inoffiziellen Eröffnungsparty für Freunde des OPT nichts mehr im Wege. Bis das Theater aber offiziell den Einlass öffnen kann, wird es noch dauern. Denn das Brandschutzkonzept ist noch nicht abgesegnet.

Aber Schluttig ist erfreut über die Resonanz, die die Gruppe jetzt schon bekommt. Obwohl sie doch noch gar nicht offiziell werben können. Menschen aus der Nachbarschaft kommen neugierig und aufgeschlossen auf die Gruppe zu. Außerdem bietet sich der Osten als Standort sehr gut an. Der Kiez entwickelt sich gerade besonders stark: „Das kann in Zukunft wie Plagwitz oder Schleußig werden. Und schließlich sind wir die ersten, die den alten Kinosaal entdeckt haben.“ Wie es sich entwickeln wird steht in den Sternen – auch das muss mensch dem Flow überlassen. Von dieser Gruppe, die einen ganz neuen Ansatz versucht und gleichzeitig ein so offenes Konzept hat, will ich noch eine Perspektive kennenlernen. Eine Ahnung davon bekommen, was das Ost-Passage Theater ist. Also habe ich mich mit Verena getroffen. Sie ist noch gar nicht so lange in der Gruppe aktiv, dafür aber schon stark involviert.

„Wir brauchen ein Theaterhaus, eine Spielstätte, um das Theater von der Hochkultur runter zu holen!“

Das ist Verenas Vision und Ansatz, warum sie sich für das Ost-Passage Theater engagiert. Sie sieht sehr viel Potenzial in der Idee „das Theater, aus einem soziokulturellen Blickwinkel betrachtet“ weiterzuentwickeln. „Gerade in Leipzig! In der Stadt wo Gentrifizierung ein großes Thema und gerade heute sehr stark erfahrbar ist.“ Verena denkt daran, wie sie einen Jungen kennengelernt hat, der wegen Mobbingerfahrungen nicht mehr zur Schule geht, sich dafür aber im soziokulturellen Wohnprojekt Erythrosin engagiert. Solchen Menschen soll das Theater auch eine Anlaufstelle bieten – ein neuer Ansatz für das Theater, dafür aber „kein Hipstergehabe“. Außerdem hat sie selbst als Jugendliche erfahren, wie hilfreich Theater für sie war, aus einer belastenden Lebenssituation herauszufinden. Sie gewann dadurch wieder Struktur und auch Freude am Alltag, das Leben ging wieder leichter.

„Leider gibt es ein Überangebot!“

Verena macht gerade ihren Master in Kulturwissenschaften. Mit dem OPT verbindet sie neben dem Spaß am Engagement auch eine Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Denn das ist sehr schwer: „Gerade in Städten wie Leipzig gibt es zig Theater, Schauspielgruppen und andere Möglichkeiten in Vereinen oder Clubs aktiv zu sein. Trotzdem und auch gerade deswegen braucht es neue soziokulturelle Projekte.“ Mensch muss an Problempunkten ansetzen. Es gibt einige solcher Projekte in Leipzig. Aber Theater wird selten angeboten, insbesondere mit einem solch stark künstlerischen Anspruch. Dabei ist die aufklärerische Arbeit und das Verständnis für die künstlerische Arbeit und für die Menschen, die Nachbarn, die damit unweigerlich verbunden sind, ebenso wichtig! Elemente des Streetworks sind also unabdingbar. Aber auch der künstlerische Prozess soll nicht zu kurz kommen! Verena versteht das OPT auch als einen Experi­mentierraum für Künstler. „Der kreative Prozess soll und muss gefördert werden!“ So will sie beispielsweise auch Schriftstellern Raum geben – eine Gruppe, die sehr wenig Aufmerksamkeit bekommt, gerade im Theater. Verena verspürt ein starkes Bedürfnis, aus einem sozialen Aspekt heraus künstlerisch-kulturell tätig zu sein. Darin steckt ein großes Potential: „Es sollen gemeinsame Lernprozesse über Kunst und Gesellschaft im links-politischen Rahmen entstehen.“, wünscht sie sich. „Das konventionelle Regietheater wird hinterfragt, wodurch Denk- und Handlungsstrukturen aufgebrochen werden. Neue Möglichkeiten und Alternativen werden gefunden und ausprobiert, die dem Bisherigen entgegengesetzt werden.“ Gerade neue Formen, wie beispielsweise die Performance, müssen eine Chance bekommen! Dabei bleibt aber das Konzept ungenau, das Detail fehlt: „Es muss schwammig sein! Ansonsten besteht ja die Gefahr des Ausschlusses!“ Dabei ist sie sich sicher, dass es verschiedene Gruppen mit verschiedener Ausrichtung geben wird. „Inwiefern diese aber miteinander Kooperationen eingehen, wird sich entwickeln und entwickeln müssen.“ Neben den Tätigkeiten im organisatorischen Bereich und Management will sie auch als Darstellerin in der Theater-gruppe tag, die diese Bühne nutzen wird, aktiv sein.

„Die Leute, die das Theater gerade aufbauen, kommen aus verschiedenen Richtungen. Das ist viel wert!“ Stark Theorieverhaftete sind ebenso vorhanden wie die Praxisorientierten. Und gerade das macht den Reiz der Gruppe aus. Hier zeigt sich nochmals: Es kann kein fertiges Konzept geben! „Das OPT ist wie ein roher Speckstein. Bei dem jeder und jede eine Feile hat und ein wenig dran arbeitet. Es kann jeder mitmachen. Zwischenzeitlich legt der eine oder die andere seine Feile mal zur Seite, jemand nimmt die Arbeit an anderer Stelle wieder auf. Wie die Form letztlich aussehen wird, ist ungewiss. Nur eines ist sicher: Schließlich soll ein Theaterhaus daraus geformt sein.“

Zwei Gespräche, die mir die Idee des OPT näher gebracht haben. Ich bin schon sehr auf den Moment gespannt, wenn es hinter den Kulissen heißt: „Alle Schauspieler zur Bühne, bitte! Noch fünf Minuten zum Vorstellungsbeginn! Noch fünf Minuten! Alle Schauspieler zu Bühne, bitte!“ Und vor den Kulissen: „Wir bitten Sie Ihre Handys nach der Vorstellung wieder einzuschalten.“ – obwohl: Wird es solch konventionelle Sätze in einem Theater wie dem Ost-Passage Theater überhaupt geben?

Vogel

Lokales

Minijob – Maxiverwertung

Minijob: Ein Wort, das jede_r schon mal gehört hat. Bei dem einer_m viele Stichpunkte einfallen, aber dennoch einige Fragen offen bleiben. Ganz kurz also erklärt was ein Minijob ist: „Minijobs sind geringfügige Beschäftigungen, bei denen die monatliche Verdienstgrenze bis zu 450 € beträgt.“ Das wäre ein Jahreseinkommen von 5.400 Euro. Wird diese Grenze überschritten, ist es kein Minijob mehr.

Die Idee, aus der sich der Minijob entwickelt hat, ist nach hinten los gegangen. 2003 im Rahmen der Hartz-IV-Gesetzgebung wurde das Minijob-Format weiterentwickelt, um arbeitslosen, aber „arbeitswilligen“ Bürger_innen ein Sprungbrett zu einer Festanstellung zu bieten. Dass sich diese Vision (zumindest für die Betroffenen) in einen Albtraum verwandeln würde, hatten einige Gewerkschaften schon vorausgesehen. So kam es dann auch, dass Vollzeitstellen eher ab- als aufgebaut wurden und heute jede_r fünfte Bürger_in in Deutschland einen Minijob ausübt – manchmal auch zwei oder drei. Dafür ist die (statistische) Arbeitslosenquote zurückgegangen – welch Erfolg!

So ein Minijob – wenn mensch sich länger mit dem Thema beschäftigt, fragt er_sie sich doch, ob es dabei überhaupt Vorteile für die Arbeitnehmer_innen gibt? So zahlt der_die Arbeitgeber_in pauschalisierte Abgaben an die Knappschaft, aber der_die Minijobber_in ist somit noch lange nicht sozialversichert. Viele Minijobber_innen wissen oft nicht, dass in einem Arbeitsverhältnis auch gewisse Regeln (Pflichten) bestehen, die der_die Arbeitgeber_in einzuhalten hat, wie bspw. Pausenzeiten. Oft spielt die Existenzangst der Arbeitenden eine Rolle. Das wiederum begünstigt Ausbeutung. Denn Arbeitgeber_innen wissen, was sie machen können. Vor allem mit oft jungen, unwissenden, kuschenden Arbeitnehmer_innen, die vielleicht wenig über Kündigungsschutz wissen oder Angst haben ihre Rechte einzufordern.

Die Kampagne Jung und Billig setzt sich genau dafür ein: Nicht-Wissende zu informieren. Sie ruft dazu auf, sich für die Rechte der Ar­beit­neh­mer_innen einzusetzen. Hinter der Kampagne steht die ASJ Berlin (Anarchosyndikalistische Jugend). Die Jugendgruppe, die im nahen Kontakt zur Gewerkschaft FAU (Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union) steht, hat sich über ein Jahr erst intern mit dem Thema beschäftigt, sich das Rechtswissen angeeignet und die Kampagne entwickelt. 2012 ist die AG dann mit den Ergebnissen an die Öffentlichkeit gegangen und steht jetzt für Fragen und Kritik zur Verfügung. Inzwischen unterstützt auch die ASJ Leipzig die Kampagne. So plant sie, in näherer Zukunft Beratungsgespräche im Rahmen einer regelmäßigen Sprechstunde anzubieten. Jung und Billig über ihre Arbeit auf ihrer Internetseite: „Zur Durchsetzung der Forderungen setzen wir allein auf die Wünsche der betroffenen Personen, sie bestimmen die Vorgehensweise. Somit sind auch der Wahl der Kampfmittel keine kreativen Grenzen gesetzt, seien es Angestelltenversammlungen, Kund­gebungen, Arbeitsniederlegung oder die Sabotage des Betriebsablaufes. Bei der Planung, sowie bei der Durchführung werden wir zur Seite stehen. Es liegt an allen Minijobbenden selbst, den ersten Schritt zu tun, den Weg gehen wir gemeinsam. Time to organize!“

Auf ihrer Webpräsenz bietet die Kampagne eine breite Informationssammlung. Für Minijobbende gibt es die Möglichkeit, sich untereinander zu vernetzen, auszutauschen und sich gegenseitig Mut zu machen. Außerdem lädt die Kampagne zu ihren Treffen in Berlin ein und gibt eine Kontaktmöglichkeit für etwas weiter entfernt Wohnende.

Da kann mensch nur gutes Gelingen und viel Erfolg fürs weitere Schaffen wünschen! Macht weiter so!

Vogel

www.arbeitsagentur.de/Navigation/zentral/Buerger/Arbeit/Minijobs/Minijobs-Nav.html

Soziale Bewegung