Archiv der Kategorie: Feierabend! #03

Spritzig, witzig, militant: Streiktag bei McDonald’s

Es ist drei Uhr morgens, Mittwoch der 16. Oktober, einige müde und „leicht“ angetrunkene GlasgowerInnen versuchen im McDonald’s-Restaurant zu randalieren. Eigentlich kaum erwähnenswert, wenn es nicht Angestellte von McDonald’s wären und wenn nicht zur selben Zeit am anderen Ende der Welt, in Neuseeland, ein Streikversuch gemacht und in Australien Flugblätter an McDonald’s ArbeiterInnen weitergereicht würden.

In der letzten Ausgabe berichteten wir über einen geplanten internationalen Streik der McDonald’s-ArbeiterInnen am 16. Oktober. Nun, der Ausstand stieß weltweit bei den Angestellten auf Zustimmung und wurde kreativ und engagiert in vielen Städten organisiert. Es gab massenhaft individuelle und von Gruppen durchgeführte Aktionen und Sabotageakte, die zeigen, daß Streik nicht nur Demonstration und zu Hause beleiben bedeutet.

Zur Erinnerung

Es ging den Teilnehmenden am Mc-Donald’s-ArbeiterInnen-Widerstand (Mc-Donald’s Workers Resistance, MWR) darum, die Koalitions- und Informationsfreiheit am Arbeitsplatz, sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Löhne durchzusetzen – in allen Filialen des internationalen Konzerns. Im folgenden dokumentieren wir eine Auswahl der Ereignisse des internationalen Streiks der McDonalds ArbeiterInnen am 16.10.02.

Am Vorabend

Es begann schon vor dem 16. Oktober. Beispielsweise gab es in drei Londoner Läden Kampagnen von Angestellten mit Aufklebern und Graffitis, die für den Streik werben sollten. Dann, am Morgen des 16. Oktober, begaben sich Personal und frühe KundInnen zu einem McDo-Laden in Reading (GB) an dem sie „geschlossen wegen Streik, 16. Oktober, mwr.org.uk.“ gesprüht fanden. Einige ArbeiterInnen, die am 16. nicht zur Arbeit erschienen, hatten die Restaurants in der Nacht zuvor sabotiert. So veränderte das Personal irgendwo in England die Einstellung der Mikrowelle im Lebensmittellager und setzte alle Zeiteinstellungen der Grillmaschinen zurück, stahl alle Schlüssel der Überwachungsvideos, stellte alle Uhren zurück und verschloss die Kassenschlösser mit Superkleber! In Frankreich bekräftigten am Wochenende zuvor Mitglieder der CNT mit einigen Aktionen ihre Tradition der Solidarität mit den McDonald’s-ArbeiterInnen innerhalb und ausserhalb der Restaurants – schon im Frühjahr leisteten sie tatkräftige Unterstützung beim Arbeitskampf der unsicher Beschäftigten. In Dallas (USA) versteckten sie unterdessen wichtige Arbeitsmaterialien und tauten das Essen im Lager auf.

Der Streiktag

Am Morgen des 16. Oktober erreichte eine einzelne Chrysantheme das McDonald’s-Hauptquartier in London – „Die Chrysantheme war das Symbol der ungarischen Revolution, die am 16. Oktober 1918 begann. Wir (die Angestellten) schickten sie als ein Zeichen unserer Absicht, eine Welt zu schaffen, die Menschen wichtiger nimmt als Profite. Aber die Chrysantheme ist gleichzeitig ein Symbol des Todes; wir schickten sie als Vorbote der dem McDonald’s-Empire und aller Lohnarbeit inne wohnenden Zerstörung – weder brauchen wir sie (die Lohnarbeit), noch wollen wir sie. In unseren Herzen reift eine neue Welt und wir machen unsere ersten zaghaften Schritte auf diese zu.“

ArbeiterInnen in den Midlands (USA) gingen noch einen Schritt weiter: sie sendeten 57 Chrysanthemen zum Hauptbüro in Chicago – jede für eineN ArbeiterIn in dem Laden.

In Dublin plünderten sie die Kasse, um einen drauf zu machen. In Birmingham gab es einen Mach-langsam-Tag, der das Unternehmen mehrere hundert Pfund der Tageseinnahmen kostete. Die Nachtschicht in Nottingham meldete sich krank und es wurde von mehreren Vorfällen in Northampton berichtet … inklusive Drei-Stunden-Pausen, Verlassen des Arbeitsplatzes, vorgetäuschte Krankheiten und Trunkenheit im Dienst. In Manchester zementierten die Angestellten die Toiletten zu.

In London, Stirling, Derbshire und Dundee verteilten AktivistInnen Flugblätter an den Arbeitsplätzen ihrer Kollegen, um Neuigkeiten des Streiks zu verbreiten und in Adelaide schlitzte das Personal alle Milchshake-Mixer auf.

"Es gibt eine junge Generation von ArbeiterInnen, die nicht mehr hinnehmen wollen, was ihre Vorgänger noch hinnahmen." – London

Einige Liverpooler Arbeiterinnen bestanden darauf, während der Arbeit Make-up zu tragen, was laut Unternehmenspolitik verboten ist – aber: „Wir hassen es wirklich, kein Make-up tragen zu dürfen, besonders weil wir’s oft mit irgendwelchen besoffenen Machos zu tun haben und von der Arbeit bei McD Pickel kriegen.“ Andere in Stirling, Kent, Kopenhagen, Sheffield, Newcastle und Madrid meldeten sich telefonisch krank. In Glasgow und Toronto gab es massenhaft Arbeitsniederlegungen. Die Angestellten nutzten die Gelegenheit, um ihrem Ärger öffentlich Luft zu machen: sie stürmten in Gruppen die Läden, warfen ihre Uniformen auf den Ladentisch, während einer von ihnen auf einem Stuhl stehend eine Rede an Personal und Kundschaft hielt, in der die Arbeitsbedingungen kritisiert wurden und behauptet wurde, daß „das Essen in jedem Fall verdorben“ sei.

Neben den eher individuellen Aktionsformen gab es auch einige größere Streiks: In sechs Pariser McDonalds, mit der CNT „unregierbar“, streikten die Angstellten wegen spezieller Forderungen, die sich auf Vollzeitbeschäftigung und standardisierte Löhne beziehen. Sie versammelten sich um 10.00 Uhr an „Fontaine des Innocents“, um 15.00 Uhr trafen sie mit McDonald’s Vertretern zusammen und arrangierten ein öffentliches Treffen am Abend.

In Norfolk legte ein Streik das Restaurant den ganzen Tag durch Streikposten lahm. Einmal kam ein Manager dazu, der sich weinerlich erkundigte: „Warum tut ihr das?“, „Lesen Sie das Flugblatt.“, „Ich werde das nicht lesen!“, brauste er auf und zerriß es. Als das McDonald’s-Hauptquartier gefragt wurde, warum der Laden de facto ohne Personal sei, antworteten sie: „Einige traurige Individuen wollen McDonald‘s in den Ruin treiben.“

Die Ereignisse wurden im Verlauf des Tages von einer speziellen Tagessendung im einzigen unabhängigen slowenischen Radio mit Interviews und Anti-McDonald’s-Liedern begleitet.

Doch bei diesem einen Tag soll es, wenn es nach AktivistInnen des McDo-Widerstandes geht, nicht bleiben! Für sie war’s Sinn und Zweck, das Selbstbewußtsein ebenso zu stärken wie die Fähigkeit der Angestellten, Bereiche ihres Lebens selbst zu bestimmen. Es soll wohl eher eine Aufwärmübung sein, um in nicht allzu ferner Zukunft zu einem selbstbestimmten Leben zu gelangen. Und irgendwie arbeitet jedeR ArbeiterIn oder Angestellte in einer Art „McDonald’s“, oder?

hannah b.

Was geschah an diesem Tag?

– Sechs Belegschaften in Frankreich, organisiert in der CNT (1) streikten.

– Zeitweiliger Arbeitsstop in Moskau.

– Streiks oder Streikversuche in Norfolk, Neuseeland und drei Londoner McDo-Läden, Verlassen des Arbeitsplatzes in Nottingham.

– Aktionen um Angestellte zum Widerstand zu ermutigen, von Schweden bis Sydney.

– All dies begeleitet und dokumentiert in einer speziellen Tagessendung im slowenischen Rundfunks.

– Demonstration in Mexiko, 94 Menschen wurden verhaftet. Die Festnahmen werden mit unhaltbaren Anschuldigungen begründet und auf jeden der Verhafteten ist eine Kaution von 14000 $ ausgesetzt (2)

Weitere Infos zum McDo.-Widerstand: info@mwr.org.uk oder mwr.org.uk
(1) Confédération Nationale du Travail – französische anarcho-syndikalistische Gewerkschaft
(2) weitere Infos zum Ablauf der Demonstration und den Anschuldigungen unter: www.feierabend.net.tc

Streik

Rot-Grüne Bilanz – für eine alternative Atompolitik!

Im letzten Monat rollte er wieder quer durch Frankreich und Deutschland, der Atomtransport von Le Hague zum Zwischenlager Gorleben, jene weißblitzende Raupe aus Castoren, diesmal nicht nur aus sechs sondern gleich zwölf Gliedern bestehend. Sind solche Transporte unvermeidlich? Sind Proteste sinnvoll und wichtig? Gibt es Alternativen zum ‚offiziellen‘ politischen Konsens? Fragen und Antworten zu der politischen Diskussion um das Problem der Atomkraftnutzung.

F: Du bist doch Atomkraftgegner. Hast Du vor vier Jahren die Grünen gewählt?

A: Ja.

F: Na, dann musst Du doch jetzt zufrieden sein – das klingt doch alles ganz gut, was da so passiert ist. Endlich gibt’s den Atomausstieg!

A: Also – als erstes möchte ich klarstellen, dass die Grünen ziemlich geschickt waren – und zwar, was die positive Darstellung auch der größten Zumutungen betrifft. Da kann ich Menschen, die sich nicht intensiv mit der Materie befassen, gar nicht vorwerfen, dass sie das nicht so kritisch sehen. Begriffe zu besetzen, darauf kommt es in der Politik an.

F: So, da bin ich aber mal gespannt, was so schlimm daran sein soll, dass ein jahrzehntelanger gesellschaftlicher Konflikt einvernehmlich im Konsens gelöst wurde. Endlich gibt’s keine ideologischen Grabenkämpfe um die Atomkraft mehr!

A: „Konsens“ ist so ein Begriff. Das bedeutet eigentlich, dass alle beteiligten Personen oder Gruppen einverstanden sind. Der „Atomnonsens“ wurde aber ausschließlich zwischen der Bundesregierung und einigen Atomkonzernen ausgehandelt. Das ist etwa so, wie wenn die Regierung mit der Fleischerinnung über die flächendeckende Einführung der vegetarischen Ernährung verhandelt. Wenn da hinterher alle zufrieden sind, muss doch was faul sein.

F: So, was ist denn faul am Atomausstieg? War doch klar, dass es nicht von heute auf morgen geht. Immerhin gibt’s jetzt ein absehbares Ende der Atomkraftnutzung in Deutschland!

A: Auch das ist leider nicht wahr. Kurz nachdem Stoiber zum Kanzlerkandidaten gekürt wurde, verkündete er, als erstes den „Atomausstieg“ rückgängig machen zu wollen. Doch die Atomindustrie bremste ihn: Die Branche stehe zu der Vereinbarung. (Siehe Zitat) Es wurde eine Reststrommenge von über 2600 Terawattstunden vereinbart; das entspricht der Menge, die von 1968 bis 2000 erzeugt wurde. Mensch kann also höchstens von der „Halbzeit“ der Atomkraftnutzung in der BRD sprechen. Zudem liegt diese Strommenge über der technischen und wirtschaftlichen Lebensdauer der AKWs.

Otto Majewski, Chef des Bayernwerks und Präsident der Lobbyisten-Vereinigung „Deutsches Atomforum“: „Unser erklärtes Ziel, die deutschen Kernkraftwerke zu wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen weiterhin nutzen zu können, haben wir erreicht. Die rot-grüne Bundesregierung wäre durchaus in der Lage gewesen, den Bestand und den Betrieb der deutschen Kernkraftwerke nachhaltig zu beeinträchtigen.“

Zitat aus dem „Konsensvertrag“: „Die Bundesregierung gewährleistet den ungestörten Betrieb der Kernkraftwerke wie auch deren Entsorgung.“

F: Na ja, der Ausstieg ist eben nicht von heute auf morgen zu haben. Ich habe gelesen, dass immerhin das AKW Stade 2003 stillgelegt wird. Ist nicht das wenigstens ein Erfolg?

A: Jedenfalls kein politischer. Die Stilllegung erfolgt nicht, weil die Regierung das so will; vielmehr hat der Betreiber HEW das von sich aus entschieden, weil das kleine, alte AKW nicht mehr wirtschaftlich arbeitet.

F: Warum sind Strommengen schlechter als Laufzeiten in Jahren?

A: Die Strommengen beinhalten eine zynische Logik: Jeder Stillstand, z. B. nach Störfällen, führt zu einer umso späteren Stilllegung! Die Bundesregierung muss also möglichst störungsfreien Betrieb garantieren; jeglicher Protest wird ad absurdum geführt, da jede kurzfristige Stilllegung den Betrieb letztlich verlängert.

F: Aber die gefährliche Wiederaufarbeitung ist doch wenigstens verboten?

A: Nein, nicht sofort, auch nicht 2005, wie oft behauptet: dann werden lediglich die Transporte in diese Anlagen eingestellt. Mit dem bis dahin angelieferten Material können die Plutoniumfabriken noch bis 2015 weiterarbeiten.

F: Immerhin gibt es doch ein Verbot, neue AKWs zu bauen – ist das auch falsch?

A: Das ist kein Erfolg von rot/grün, denn seit den 80ern wurde in Deutschland kein neues AKW gebaut, also auch nicht in den 16 Jahren Regierungszeit der Atomkraft-Befürworter von CDU/CSU/FDP.

F: Zum ersten Mal spricht eine Regierung wenigstens von Ausstieg, das ist doch toll, oder?

A: Das hat in der Tat was Gutes, weil Atomkraft als negativ dargestellt wird. Der Haken dabei ist: zum ersten Mal wird zwar gesetzlich anerkannt, dass Atomkraftnutzung tatsächlich Risiken beinhaltet; die Konsequenz besteht jedoch darin, dass die Gesellschaft diese Risiken eben als sozial angemessen hinnehmen muss. Schließlich ist der Ausstieg politisch ja nicht erreichbar. Das setzt auch jeglichen Hoffnungen (wer solche denn noch hatte), das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit evtl. einklagen zu können, ein Ende.

F: Aber der abnehmende Protest vom November 2001 zeigt doch, dass anscheinend viele Leute mit dem Konsens zufrieden sind, oder?

A: Auch das sehe ich anders. Sicherlich waren im November weniger Leute gegen den Transport unterwegs als noch im März. Das hat jedoch mehrere Ursachen. Erstmals wurde zweimal in einem Jahr ein Gorleben-Transport durchgesetzt. Dazu kommt, dass sich viele Leute, die sich gegen Atomenergie engagieren, auch in anderen sozialen Bewegungen wiederfinden. Das letzte Jahr war besonders ereignisreich: ich erinnere an Göteborg, Genua, Bonn, Salzburg … Die meisten Menschen haben nicht das ganze Jahr über frei. Und schließlich wurde auch die Repression verschärft; der Polizei gelang es besser als früher, den Widerstand unsichtbar zu machen. Z. B., indem Leute weit außerhalb der „offiziellen“ Demoverbotszone, ohne konkreten Vorwurf in Gewahrsam genommen wurden. Das macht Aktionen schwierig.

F: Wenn der Transportestopp aufgehoben wurde, dann wurde doch bestimmt der Strahlenschutz verbessert?(1998 hatte Frau Merkel als Reaktion auf den „Castor-Skandal“ einen unbefristeten Transportestopp verhängt, der erst von Herrn Trittin aufgehoben wurde.)

A: Leider wurden die Probleme mit den Behältern nicht wirklich gelöst. Es gab so absurde Maßnahmen wie eine Plastikhülle (!), um Kontaminationen zu vermeiden. Noch absurder ist ein anderer Begriff im Zusammenhang mit der Strahlenschutz-Novelle: der der „Gleichberechtigung“. Damit wurde begründet, dass Schwangere jetzt auch im inneren Kontrollbereich von Reaktoren arbeiten dürfen … Schwachradioaktiver Müll muss nicht mehr getrennt „entsorgt“ werden, er kann also (nach dem „Recycling“) überall wieder auftauchen, z. B. beim Straßenbau oder in Kochtöpfen oder Zahnspangen; niemand wird’s direkt merken. Auch tritiumbelastetes Wasser kann überall hin abgelassen werden.

F: Das Endlager Gorleben wurde doch verhindert – eine langjährige Forderung der Bewegung?

A: Nein, es wurde nicht verhindert, es gibt nur einen vorübergehenden Erkundungsstopp, keinen grundsätzlichen Zweifel an der Eignung. Dafür ist rot/grün die erste Regierung, die mit Schacht Konrad ein Endlager genehmigte.

F: Aber immerhin wird mit den dezentralen Zwischenlagern die Zahl der Transporte verringert – auch eine alte Forderung der Bewegung!

A: In der Tat. Damit wird jedoch der Widerstand unterlaufen und der Sinn der Forderung ins Gegenteil verkehrt: Ziel war und bleibt die sofortige Abschaltung; stattdessen dienen die Zwischenlager dem Weiterbetrieb der Anlagen. Nicht der vorhandene, sondern neu entstehender Müll wird dort gelagert.

F: Starker Tobak – Du willst ja auch gar nichts Positives sehen … War’s das jetzt?

A: Schön wär’s. Manche brisanten Aspekte werden leider in der Öffentlichkeit komplett verschwiegen. Dazu gehört, dass die Urananreicherungsanlage (UAA) in Gronau, allem Ausstiegsgerede zum trotz, ausgebaut wird. Am Ende wird sie fast doppelt so viele AKWs mit Brennstoff versorgen können, wie es hierzulande gibt. Dazu kommt, dass dort abgereichertes Uran als Abfall entsteht – sogenanntes DU (depleted uranium), bekannt aus den DU-Geschossen, die über dem Irak, dem Kosovo und höchstwahrscheinlich auch in Afghanistan eingesetzt wurden. Überdies bietet die UAA Gronau die Option, mit geringfügigen technischen Änderungen atomwaffenfähiges hochangereichertes Uran herzustellen. Der Forschungsreaktor in Garching darf 10 Jahre lang mit solchem Uran hantieren (trotz der Panikmache nach dem 11. September), und in Büchel lagern weiterhin US-Atomwaffen, für deren Einsatz auch deutsche Piloten ausgebildet werden.

F: Du hast doch die Grünen gewählt – worauf haben sich denn Deine Hoffnungen gestützt, was hätte die Bundesregierung denn besser machen können?

A: Inzwischen ist mir klar, wie absurd es ist, Hoffnungen auf eine Regierung zu setzen … Dennoch möchte ich ein paar Möglichkeiten nennen:

# die Rückstellungen in Milliardenhöhe auflösen oder hoch besteuern; …

# die Besteuerung von Uran, das als einziger Energieträger nach wie vor vollkommen steuerfrei ist;

# eine angemessene Haftpflichtversicherung für AKWs; rot-grün hat die Versicherungssumme um den Faktor 10 erhöht – von 0,01%auf 0,1% der zu erwartenden Schäden. Natürlich könnten diese Schäden nicht finanziell behoben werden – eine Gleichbehandlung der AKWs in dieser Hinsicht mit z. B. jedem Kraftfahrzeug würde zu ihrer sofortigen Unrentabilität führen;

# Verpflichtung zu Nachrüstungen auf den aktuellen Stand von Wissenschaft u. Technik;

# Hermes-Bürgschaften für Siemens-Auslandsprojekte streichen (AKW-Nachrüstungen in Slowenien, Argentinien, Litauen; sogar Neubau in China)

F: Was hältst Du von „außen Minister, innen grün“-Fischer?

A: Nur eine Anekdote: Er hat 1987 als Umweltminister in Hessen mitgeholfen, einen Atomunfall bei Siemens in Hanau zu vertuschen, indem er eine Untersuchung stoppte, als diese die ersten brisanten Ergebnisse brachte („Hanauer Kügelchen“).

F: Und was denkst Du Dir jetzt angesichts dieser verheerenden Bilanz?

A: Mit Parteipolitik gibt’s offenbar keinen Ausstieg; ich setze auf außerparlamentarische Bewegung und glaube den schönen Reden noch weniger als vorher. Ich werde mich mal intensiver mit anarchistischen Ideen befassen … Wenn wir was ändern wollen, müssen wir es selbst in die Hand nehmen; niemand nimmt uns die Arbeit ab!

wolf

(Wir möchten uns für das eingesandte Selbstinterview noch einmal bedanken. Kopf und Ärmel hoch! [Anmerkung d. Redaktion])

Atompolitik

Über die ewige „Kreativität“ studentischer Proteste…

…und den Hochschulumbau in Sachsen und Leipzig von 1997 bis 2002

Die Motivation diesen Text zu schreiben, ist die Reflektion der vergangenen Jahre studentischen Protests, an dem auch ich mich beteiligt habe. Mitanzusehen, wie emanzipatorische Inhalte und Kritik an der Universität als gesellschaftliche Institution (was damit gemeint ist: siehe Feierabend! #2) konsequent ausgeblendet werden, tut schon weh. So macht Protestieren keinen Spaß! Immer nur Minimalforderungen, immer nur im Rahmen des Bestehenden agieren, unfähig weiterzudenken, ständig die gleichen Protestformen zu wiederholen, sich in Standortideologie zu verfangen, das kennzeichnet auch diese studentische Protestphase. Die Entwicklung der letzten zwei Jahre zu reflektieren, dieses Wissen weiterzugeben scheint mir wichtig. Vielleicht kann sich die studentische Protestkultur ja doch noch weiterentwickeln?

Nachdem 1997 Stellenkürzungspläne durch einen Streik abgewehrt wurden und stattdessen als Kompromiss die Einberufung einer Kommission zur Überprüfung der Situation der sächsischen Hochschullandschaft beschlossen wurde, konnte man sich kurzzeitig freuen. Jedoch zeigte sich auch in Ostdeutschland zunehmend die chronische Unterfinanzierung der Hochschulen, die in den alten Bundesländern in den 70er Jahren durch das Einfrieren der Bildungsfinanzierung angelegt wurde, so daß es bis zu den nächsten Kürzungsplänen nur eine Frage der Zeit war.

Ende 2000 wurde dann nicht nur angekündigt 1700 Stellen bis 2010 zu kürzen, auch die oben genannte Kommission machte sich wieder bemerkbar. Im November legte die Sächsische Hochschulentwicklungskommission (SHEK) ihren Entwurf vor, der durch undichte Stellen, an die Öffentlichkeit gelangte. In diesem Bericht sollten die Institute und Fakultäten nach Kriterien wie Drittmitteleinwerbung, Publikationsquote, durchschnittliche Studiendauer und Profilierung innerhalb der sächsischen Hochschullandschaft eingeordnet werden.

Gegen die Stellenkürzungen und diesen Entwurf kam es am 18.12. zu einer Demo vor dem Landtag und am 18.1. zu einem Besetzungstag, der größtenteils von BasisaktivistInnen organisiert wurde, d.h. Der StuRa (StudentInnenRat) wurde im „AK gegen Stellenkürzungen“ überstimmt.

Neben diesen „Großaktionen“ gab es viele kleinere Aktionen, wie die Nachtbesetzung der Uni Bibliothek. Es wurden E-Mail-Listen angelegt, falls der Bericht bereits in den Semesterferien herauskommen sollte und Ähnliches mehr.

Wie es im Rahmen solcher Proteste üblich ist, gab es einen Arbeitskreis und verschiedene AG’s (Vernetzung, SHEK/Hochschulumbau, Protestformen). Doch wie in unseren Zeiten ebenso üblich, ist die kritische Betrachtung nicht sehr weit verbreitet, und damit der Standortideologie Tür und Tor geöffnet. In diesem Zusammenhang gab es dann natürlich auch Divergenzen innerhalb der AG’s zwischen AnhängerInnen grundsätzlicherer Analyse und Kritik (die „Radikalen“, die „die einfachen Studierenden verschrecken“, d.h. denen kann das nicht zugemutet werden) und denen, die z.B. nur die Stellenkürzungen ablehnen wollten. So ist die SHEK-AG gescheitert, die Vernetzungs-AG schlief ein, weil der StuRa die Zusammenarbeit einstellte. Ein weiterer Grund war auch die chronische Überlastung der Aktiven.

Nun, der Bericht kam erst im April heraus und hatte es auch ideologisch in sich. In ihm sind Kernelemente des bundesweiten Hochschulumbaus enthalten (s. Kasten).

Diesem folgten wiederum Aktionen und am 16.5. ein bundesweiter Aktionstag. Die Organisation dieses Aktionstags lag nun fast ausschließlich in der Hand des StuRa’s. Der AK wurde auf ein Mitmachorgan zurückgestuft. Der Grund dazu lag in einem „Mißverständnis“. Während einige (die vor allem später dazukamen) diesen AK selbstverständlich als eigenständiges Gremium verstanden, war er für andere einfach ein AK des StuRa . Dies gipfelte in dem (wohl nicht sehr sinnvollen) Streit, ob es ein „Aktionskomitee“ oder ein „Arbeitskreis“ wäre. Als Fazit kann man sagen, daß er für die „offizielle Studierendenvertretung“ zu radikal war und diese ungern die Fäden aus den Händen geben wollte. So verfuhr sie bei der Organisation des 16.5. nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“, verstand sich als Organisator, der die Arbeit dreier verschiedener Gruppen koordinierte (des AKs, eines neu eingerichteten Fachschaftsrätetreffen und des StuRa’s der HTWK, eine Fachhochschule in Leipzig). Das führte natürlich zu Koordinationsschwierigkeiten und Informationslücken bei den AK-Leuten und schließlich zu Frustration und zur Selbstauflösung des „AK gegen Stellenkürzungen.“ Im September setzte dann der nächste Schritt, die Haushaltsperre ein, die an den Hochschulen überproportional angelegt wurde. Nun hatte sich die Aktivität vollständig auf StuRa und Fachschaftsräte verlagert. Es kam in Folge zum Sammeln von Decken und Klopapier für die armen Studenten und zu anderen unpolitischen Aktiönchen. Die „kreativen“ Aktionen verloren jeden emanzipatorischen Gehalt.

Der Versuch im November ein „Brain- und Bildungsstorming“ (BBS) ins Leben zu rufen, schien am Anfang Erfolg zu versprechen. Es gab drei Treffen mit insgesamt hundert verschiedenen Leuten. Jedoch musste durch die starke Fluktuation (beim zweiten Treffen waren kaum Studierende des ersten Treffens da) und der sehr großen ideologischen Bandbreite quasi jedes Mal von vorne begonnen werden. Zum Dritten fehlte der Anstoß zur Organisierung. (Durch einen frühen Vorschlag hätte womöglich eine Perspektive für das Treffen aufgezeigt werden können.) Von vielen Leuten wurde Informationsmangel beklagt. Daraufhin wurden in der AG seminare Veranstaltungen zum Thema Bildung & Hochschule konzipiert, auf denen man sich hätte austauschen können. Diese fanden auch statt, aber nach der Auflösung des BBS, kam niemand mehr.

Doch kurz zurück: Im Oktober legte das sächsische Bildungsministerium den Universitäten den Entwurf eines Hochschulkonsenses vor. Dieser forderte im Kern die Anerkennung der Stellenkürzungen und die Hochschulplanung auf Basis des SHEK-Berichts, im Gegenzug sollten die Hochschulen Planungssicherheit und Globalhaushalte (die Verteilung der Gelder durch die Universitätsleitung) bekommen.

Anfang 2002 sollte dieser Entwurf an der Ablehnung der Rektoren scheitern. Die Zuweisung der Gelder erfolgt nun weiterhin durch Doppelhaushalte des Landtags. Dafür folgte Anfang des Sommersemesters ein internes Papier des Rektorats, in dem Kürzungspläne aufgestellt wurden, u.a. sollten die Niederlandistik, Logik- und Wissenschaftstheorie und die Hälfte der Politikwissenschaftprofessuren (und damit auch der Diplomstudiengang) gestrichen werden.

Inzwischen scheint ein großer Teil wieder zurückgenommen zu sein. Schließlich hätte sonst das Rektorat dem SHEK-Bericht und der Standortlogik engegengehandelt, da es die Niederlandistik und Logik nur zweimal in Deutschland und den Diplomstudiengang in Sachsen nur in Leipzig gibt. Die Frage ist, ob sie wirklich so blöd waren, oder ob es sich um ein Ablenkmanöver gehandelt hat, um dann die „harten“ Kürzungen rauszunehmen und sagen zu können, man habe auf Kritik reagiert. Aber das bleibt Spekulation.

Inzwischen nahm der studentische Protest immer krudere, d.h. medienfixierte und standortideologische, Formen an. Da ging medienwirksam die Bildung baden oder am 1.Mai vor Schröder zu Boden, da wurden standortideologische Aktionen geplant, wie „Raus aus diesem Sachsen“ oder „Mit der Stadt in einem Boot“, der Fachschaftsrat (FSR) der Politikwissenschaft knüpfte Connections mit der SPD-Fraktion, wie denn Stadt und FSR gemeinsam zur Rettung des Standorts Leipzig beitragen könnten.

Mit viel Getöse wurde auf der PoWi-Vollversammlung im Sommersemester 2002 die Absetzung des Rektors gefordert. Als dieselben dann aber beim Rektorat vor dem Kanzler standen, wurden sie ganz klein und boten ihm ihre Hilfe an. Sie könnten doch der Uni bei einer PR-Kampagne helfen. Es drängt sich der Eindruck auf, daß radikale Töne, nichts weiter als Teil der Corporate Identity sind, und zum Image studentischen Protests dazugehören.

Es ist interessant die Entwicklung zu verfolgen, wie sich einerseits der Hochschulumbau, basierend auf der Standortlogik, schrittweise durchsetzt und auf der anderen Seite die StellvertreterInnen radikale Kritik abdrängen und sich schließlich im gleichen ideologischen Becken wie die Umbauer befinden. Konsequenterweise wird dann natürlich auch der Hochschulumbau nicht kritisiert, sondern man möchte selbst mitmachen, und kritisiert die Stellenkürzungen mit dem Standortargument. Als ob man es besser wüßte, als die Vertreter des Standorts selbst. So betreiben die StellvertreterInnen auf ihre Weise die Einbindung der Studierendenschaft in die Standortlogik.

Auch im Wintersemester 2002 wiederholt sich das Protestkarusell, immer „kreativere“ medienwirksame Aktionen werden sich vom „Aktionsbündnis Proteste & Perspektiven“ ausgedacht, denen jedwede inhaltliche Reflektion zu fehlen scheint. Vom 10. bis 12. Dezember soll es wieder Protesttage geben. Die Menschen in den Gremien haben gewechselt, die Proteste bleiben gleich. Man passt sich an so gut es geht und fühlt sich toll als „legitimierte VertreterInnen der Studierendenschaft“. Ein Lerneffekt ist dort wohl nicht zu erwarten.

Um in diesem Wirrwar nicht unterzugehen, haben sich einige Leute, die sich als BasisaktivistInnen verstanden, vorerst ausgeklinkt, zur Zeit laufen selbstorganisierte Seminare (von der AG seminare vorbereitet) und konstituiert sich das Syndikat Bildung Leipzig, um mittels basisgewerkschaftlicher Arbeit, eine Alternative zu Standortprotesten aufzeigen zu können und nicht darin unterzugehen.

francis

Weitere Texte zu Studierendenprotesten: www.bildungskritik.de

SHEK-Forderungen

· Forderung nach konsekutiven (BA/MA)-Studiengängen

· Verstärkung des wirtschaftlichen Einflusses auf die Hochschulen

· Verstärkte Drittmitteleinwerbung

· Kostenpflichtige Weiterbildungsangebote

· Einführung von Managementmethoden

· Straffung der Hierarchien

· Erwähnung von Studiengebühren

· Profilierung der Universitäten (Zuschnitt auf Standort Sachsen)

· Konkurrenz der Hochschulen um Mittel und Stellen

· Gleichzeitig verstärkte Kooperation gefordert

Hochschulkonsens

· Globalhaushalte, Planungssicherheit vs.

Stellenkürzungen, Erfüllung der SHEKForderungen

· Einnahmen (inkl. Studiengebühren) verbleiben bei Hochschulen

· Unterteilung in Zentral- und Innovationsbudget

Bildung

PIERRE-JOSEPH PROUDHON

Ein Blick zurück in die Geschichte eröffnet zuweilen mehr Möglichkeiten des Weiterdenkens, Zuwiderhandelns oder Neuerfindens als der einfache Blick nach vorn. Denn wer nicht erinnert, der vergißt! Deshalb wollen wir in loser Folge auch Exkurse in die Geschichte anarchistischer Ideen eröffnen. Nicht so sehr, um über Denker wie Proudhon, Bakunin, Kropotkin oder Landauer und ihre Gedanken zu urteilen, als vielmehr zur Beschäftigung mit dererlei Überlegungen anzuregen.

Betritt man in heutiger Zeit den Politzirkus der polemischen Meinungen, ist man im ersten Moment von den gebotenen Attraktionen fasziniert. Hartz-Komissionen, Riester-Rente, Vermögenssteuer, Kindergeld oder Studiengebühren, das bunte Chaos hat demokratischen Anschein. Doch blickt man länger in die Manege, fällt es schwer, nicht in Zweifel über den Wert und Sinn der sich darbietenden Veranstaltung zu verfallen, angesichts der Böllermänner, Spätzünder und Stimmenfischer, die eher als hölzern-statische Artisten denn als virtuose erscheinen. Dererlei Zweifel an den ‚guten alten‘ demokratischen Traditionen hegend, sieht man sich seit je her schon mit einem Bilderverbot belegt. Dabei geht gerade heute vielen Menschen die Geschichte der guten Idee der Demokratie verloren. Der kritisch-kluge Mensch hat es aber ebenso seit je her verstanden, diese Idee gegen ihre institutionelle Erstarrung, gegen die Machtübernahme Einiger zu wenden. Kritik am Staat, welcher sich selbst als demokratisch verfaßt bezeichnete, war sie nicht reaktionär, ging so einher mit einem radikaleren Demokratieverständnis bzw. mit einem radikaleren Verständnis des Begriffs von ihr. Die Debatten um die außerparlamentarische Opposition (APO) der 68er Bewegung, die kritischen Strömungen der Weimarer Republik, die politischen Unruhen des 19. Jahrhunderts zeugen davon.

Hier, sage ich Ihnen, unter dem Säbel Bonapartes, unter der Zuchtrute der Jesuiten und dem Kneiper der Polizei, ist es, wo wir an der Emanzipation des Menschengeschlechts zu arbeiten haben. Es gibt für uns keinen günstigeren Himmel, keine fruchtbarere Erde.“

Es gibt keinen Platz für mich in der Welt, ich betrachte mich als im Zustand ständigen Aufstands gegen die Ordnung der Dinge befindlich.“

(P.-J. Proudhon, 1852)

Hier, am Wurzelwerk der modernen Staatsbildung, ist das Leben und Wirken Pierre-Joseph Proudhons situiert. Mit seinem politischen, intellektuellen und sozialen Engagement, seinem regen Interesse für die Vorgänge seiner Gegenwart ist er über sie hinausgewachsen und hat sich in die Geschichte der französischen Kultur eingeschrieben. Seine Staatskritik auf Grundlage eines radikalen Demokratieverständnisses gehört auch heute noch zu den Eckpfeilern anarchistischer Skepsis gegenüber Regierung und Regierenden. Der Durchgang durch die Herrschaft Aller mittels unlauterer Vertreter sollte zur Herrschaft jedes Einzelnen führen, zur Herrschaftslosigkeit der Gesellschaft, zum Ende der Herrschaft des Menschen über den Menschen. „Die Politiker endlich […] sträuben sich unüberwindlich gegen die An-archie, welche sie mit dem Chaos für identisch halten, als wenn die Demokratie sich anders als durch Machtverteilung verwirklichen ließe und der wahre Sinn des Wortes Demokratie nicht Abschaffung der Regierung wäre.“ (1a) Aufgrund des umfangreichen Schriftenmaterials, von dem noch immer nicht alles übersetzt zu sein scheint (2), wäre es illusorisch anzunehmen, ein solcher Artikel könnte alle Facetten des Proudhonschen Denkens aufzeigen und letztlich eine weiterführende Lektüre ersparen. Ich will demzufolge nur einige Lesezeichen setzen.

Sozialismus vs. Liberalismus

Ohne Zweifel schließt Proudhon an die sozialistischen Traditionen seiner Zeit an. In dem politisch unruhigen Frankreich Anfang des 19. Jahrhunderts groß geworden, kennt er die Gefahren der absolutistischen oder konservativen Reaktion und verteidigt gegen sie die Ideen und Errungenschaften des sozialen Fortschritts (z.B. Stimmrecht. Organisierung o. Redefreiheit). Aufklärerischer Idealismus und soziale Ideen verbinden sich in seinem Werk organisch. „Geboren und auferzogen im Schoß der arbeitenden Klasse …“ (1a, S.93) schenkt er den liberalen Mythen von der Naturwüchsigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse nur wenig Glauben. Ob als Druckereiarbeiter, gewählter Vertreter, Häftling oder Barrikadenbauer – überall erscheint ihm Gesellschaft als von Menschen gemachter und beeinflußbarer Zusammenhang, als Sozietät zwischen Menschen, aus deren Spielräumen der Stoff sozialer Fragen entspringt. Aus dem Studium der sozialistischen Traditionen des 17. Jahrhunderts heraus richtete er seine Kritik gegen die liberalen Theorien mit ihrer Projektion von allem Bösen, Schlechten und Noch-Nicht-Gewordenen in den Naturzustand, vor jeder Gesellschaft, vor jeder Vergesellschaftung. Dererlei Überlegungen spalteten den Menschen von vornherein mitten entzwei, in einen zur liberalen Gesellschaft fähigen und einen dazu unfähigen Teil. (2) Auch schienen die liberalen Vorstellungen zur Zeit Proudhons zunehmend an Erklärungskraft zu verlieren. Industrialisierung und politische Revolte hatten ungeheure gesellschaftliche Dynamiken entfesselt. Phänomenen wie dem im 19. Jh. grassierenden Pauperismus stand die liberale Theorie ratlos gegenüber. Für Proudhon war so früh klar, daß die liberale Vorstellung der Demokratie zu kurz fassen mußte. Für sein Freiheitsverständnis wird diese Einsicht fruchtbar…

Mutualismus und Freiheitsbegriff

„Es gibt zwei Arten von Freiheit; eine einfache: dies ist die Freiheit des Barbaren, auch des zivilisierten Menschen, sobald er kein anderes Gesetz anerkennt als das des ‚jeder in seinen vier Pfählen und jeder für sich‘; – eine zusammengesetzte*, wenn sie für ihr Dasein die Mitwirkung von zwei oder mehreren Freiheiten voraussetzt.“ (1a)

Die liberale Idee der individuellen Freiheit des Einzelnen erscheint im Proudhonschen Denken radikal gewendet, nicht als Ziel und Zweck gesellschaftlicher Verhältnisse zwischen Menschen, sondern als deren Voraussetzung. Durch die individuelle Freiheit hindurch wird eine Freiheit höherer Qualität möglich, die durch Gegenseitigkeit. Der Andere ist nicht mehr nur die Grenze der eigenen Freiheit, er wird zur Bedingung der Möglichkeit größerer Freiheit. Das Prinzip der Gegenseitigkeit bildet den Kern der Lehre vom Mutualismus, so wie Proudhon ihn vertrat. Der freieste Liberale ist letztlich allein auf der Welt, die freieste Mutualistin dagegen pflegt die meisten Beziehungen zu anderen Menschen. Während Proudhon die mutualistische Idee der Gegenseitigkeit noch im Kopf herumschwirrt, betreibt er ökonomische Studien … ja auch er sah das Elend schon heraufsteigen.

Proudhons Ökonomie und der große Bruder Marx

Das Urteil, welches des kalt rationale Karl Marx über seinen älteren Zeitgenossen fällt, ist vernichtend. „Vulgärökonomie“, Proudhon sei der „lebende Widerspruch“, das „Elend der Philosophie“. Der autoritäre Charakter des ‚absoluten Geists‘ seines Meisters Hegel kehrt im jungen Marx zurück. Ein weites Feld. Doch auch wenn die ökonomischen Überlegungen Proudhons in Konsequenz, Reichweite und Tiefe denen Marxens nicht im mindesten das Wasser reichen können, so fehlt ihnen auch der Dogmatismus der Methode, nach dem Proudhon vielleicht sein Leben lang vergeblich trachtete. Der Inhalt scheint durch die organische Form des Proudhonschen Denkens. Zwei gute Ideen…

Eigentumskritik und Volksbank

„Während ich so, als der einzige meiner Schule, gegen die Bollwerke der alten politischen Ökonomie die Laufgraben eröffnete…“ (1a) Was ist Eigentum, fragte Proudhon 1840 und gab auch gleich die Anwort: Eigentum ist Diebstahl! So oder so ähnlich ist es in die „gängige“ Geschichte eingegangen. Und auch heute noch wird diese These, so verkürzt dargestellt, gegen anarchistische Eigentumskritik ins Feld geführt. Doch auch wenn Proudhon nicht zu den großen Dialektikern zählt, sieht er doch den doppelten Charakter des Eigentums, als wohlstandsschaffendes und wohlstandsverhinderndes Moment. Proudhons Denken kennt nicht die Tiefe einer „Akkumulation durchs Kapital“, aber als guter Beobachter sieht er sehr wohl die Schieflage in der Verteilung der gesellschaftlichen Güter, seiner Zeit, die politische (durch Reaktionen im Frankreich des frühen 19. Jh.’s immer wieder gefährdet) aber nicht ökonomische Entmachtung der alten Feudalherren. Sein Idealismus treibt ihn dazu, den Eigentumsbegriff unkritisch in seine ökonomischen Überlegungen einzubetten. Das Zauberwort heißt hier: Zirkulation. Den Schlüssel hingegen bietet seine mutualistische Grundidee. Die „Zirkulation der Werte“ ist für Proudhon letztlich ein Zusammenhang menschlicher Verhältnisse, je mehr Zirkulation um so besser. Im Prinzip der Gegenseitigkeit sieht er den fairen (gerechten) Betrieb der Zirkulation gesichert. Privateigentum (relevanter Menge) wirkt sich, so gedacht, immer hemmend auf Zirkulation und Freiheit der ökonomisch Betroffenen aus.

Von hier versteht sich, warum Proudhon für eine soziale Ökonomie des Staates, gegen eine private Ökonomie desselben argumentiert (gerade eben gegen heutige Vorstellungen des Staates als privatisiertes Unternehmen, sprich gegen die „Deutschland-AG“). Der Proudhonsche Gedanke der „Volksbank“ beruht auf der fixen Idee des unentgeltlichen Kredits (3), der freie Zirkulation innerhalb der Mitglieder sichern sollte. Er glaubte daran, dass durch diesen (organisiert) freien Zugriff aller auf die gemeinsam zirkulierenden Werte, eine egalitäre Gesellschaft möglich wäre; in der schließlich an die Stelle der Diktatur der Mehrheit die freie, demokratische (weil auf Gegenseitigkeit beruhende) Regierung (mächtige Verantwortlichkeit) jedes Einzelnen tritt. Die Idee der Volksbank wird so zum Fallbeispiel der programmatischen Verortung Proudhons zwischen sozialistischen und anarchistischen Gedanken. Sie ist die Vorstellung vom Staat ohne Regierung, „nur“ zentralisierte Institution. Und dabei ohne Macht? Die tiefe Skepsis gegenüber den korrupten politischen Verhältnissen, die man aus seinen polemischen Beschreibungen immer wieder entnehmen kann, treiben Proudhon dazu, seine Hoffnungen in die Veränderbarkeit und Veränderung der Gesellschaft auf ein radikaleres Demokratieverständnis zu gründen. Es war mehr als Sozialismus … Der Anarchismus begann zu laufen …

Aber ist das nicht alles aus der Luft gegriffen?

Betrachtet man das Proudhonsche Schriftwerk im Ganzen, lässt sich ein systematische Philosophie nur schwer erschließen. Teils im Gefängnis, teils „zwischen der Schicht“ geschrieben, ist die Funktion seiner theoretischen Arbeiten oft praktisch angelegt, ob als Programm, Stellungnahme oder Bericht. So gewinnt sein Werk organischen Charakter. Wie der gesamte unkritische Idealismus verwechselt er jedoch seine eigene Logik (Sprache) mit der Logik der Welt (Geschichte). Sein System der Widersprüche, seine Serien widersprechender Pole, seine empirischen Datenreihen – nach deren Notwendigkeiten sich die Welt bewegen soll – es sind die Trugbilder der eigenen, subjektiven Erfahrung; die Täuschung über die eigene Sprache. Daß Proudhon aber an die Harmonisierung, an das Gleichgewicht sich gegenseitig haltender Pole glauben konnte, an die Versöhnung der Widersprüche, an ein Bild sich gegenseitig zur Hilfe fähiger Menschen … ist die positive Seite des Idealismus …

Und?

Ein Schuß Idealismus könnte den heutigen pragmatischen Zeiten nicht schaden. Schließlich ist es der Glaube an die Kraft zur Veränderung, die Menschen handeln lässt.

Ein Beispiel: Angenommen der Rawl’sche Schleier des Nichtwissens liegt über uns. Keiner hat eine Ahnung, in welcher sozialen Position er sich befindet. Oder etwas aufgeweicht: Angenommen die zunehmende Flexibilisierung führt zu größerer Unsicherheit bei der Bestimmung derselben (heute noch Büro, morgen Umschulung, Drittstudium, Straße, dann wieder im Restaurant etc. pp.). Wo liegen meine Interessen während des Arbeitskampfes, der sich gerade in Europa zusammenbraut. Profitiere ich, wenn die Gewerkschaften schlecht abschließen oder nicht? (Höhere Löhne und mehr private Vorsorge vs. Niedrigere Löhne und staatliche Umverteilung?) Vom Klassenstandpunkt scheint die Frage nur ungenügend beantwortet. Schließlich könnte auch die sozialistische Regierung das Klasseninteresse vertreten (Ich verteile, soviel ich kann nach unten, kann aber gerade nicht.).

Zwei Tipps von Proudhon:

– Stell Dich auf den Standpunkt des Schwächsten, also des prekär abhängigen (soziale statt individuelle Vernunft), betrachte von dort die Verhältnisse der Gesellschaft (heute z.B. die gesamtwirtschaftliche Krise), und habe die Kraft daran zu glauben, mit den Schwächsten die Verhältnisse zum Besseren wenden zu können (soziale Utopie).

– Hoffe auf keine Regierung! In Friedenszeiten würde sie jeden Einzelnen fürs Gemeinwohl verraten und in Krisenzeiten das Gemeinwohl gegen jeden Einzelnen wenden.

Zumindest gegen die Schwächsten! Pah! Solche Macht begehre ich nicht! Laßt andere Wege uns finden!

clov

Zur Lektüre einiger ausgewählter Schriften:
(1a) „Bekenntnisse eines Revolutionärs …“ (1849), Rowohlt, Hamburg, 1969
(2a) „Was ist Eigentum?“ (1840); teilw. in: Proudhon, „Ausgewählte Werke“, hrsg. v. Thilo Ramm, Stuttgart, 1963
(3a) „Philosophie d. Staatsökonomie o. Notwendigkeit des Elends“, Darmstadt, 1847
(4a) „Das Recht auf Arbeit, das Eigentumsrecht und …“, Leipzig, 1849
(5a) „Die Volksbank“ (1849), übers. v. Ludwig Bamberger, Frankfurt (M.),1849
(6a) „Ein Wahlmanifest Proudhons (8.6.1864). … zur Vorgeschichte d. Kommune.“; in: „Die neue Gesellschaft“, Mntstft. f. Sozialws (1.Jh.), Zürich, 1877/78
Fußnoten:
(2) der unfähige Teil ist dann auch das Schlachtfeld auf dem die zahllosen Hüter der Ordnung (Erzieher, Offiziere, Therapeuten, Richter oder Polizisten etc. pp.) um die „liberalen Seelen“ ihrer Mitmenschen ringen.
(3) Anfang 1849 gab es tatsächlich für drei Monate eine Volksbank, mit bis zu 60000 Mitgliedern. Nach der Verhaftung Proudhons (Direktor) mußte die Bank jedoch Konkurs anmelden.
* „Vis unita major.“ – Größere Kraft durch Einheit, mensch denke an Solidarität.

Theorie & Praxis

BULGARIA IN THE NATO = NOW

interview mit der anarchistischen gruppe in sofia

Oh nein, bitte schaltet dieses gräßliche Video endlich aus. Ich weiß, es ist interessant sich nach einer Protestaktion die Mitschnitte anzuschauen, aber die Handvoll Leute mit dem Anti-NATO Transparent vermögen nicht den bitteren Eindruck, den Hunderte begeistert fähnchenschwingende – meist junge – Leute, hinterlassen, zu mindern. Die Fähnchen sind auf der einen Seite mit der bulgarischen auf der anderen mit der NATO-Fahne bedruckt. Schwer zu glauben, aber das scheint wirklich keine Spaßaktion zu sein und die sehen auch nicht aus, als ob sie dafür bezahlt werden. Ist in Sofia wirklich so wenig los, daß man bei Pro-NATO Songs einer mittelmäßigen Hip-Hop Band abhotten muß? Die enttäuschenden Jahre der post-sozialistischen Korruptions- und Mißwirtschaft scheinen den Leuten, vor allem denen, die endlich so schnell wie möglich westliche Lebensverhältnisse wollen, gleichzeitig auch den letzten Rest von kritischem Denken und Drang nach Eigenständigkeit genommen zu haben: „Nur keine Experimente mehr; so schnell wie möglich anpassen. So schnell wie möglich in die EU.“, oder wie zeitweise auf riesigen Werbewänden zu sehen: BULGARIA IN THE NATO = NOW !!!

Die Anarchistische Gruppe in Sofia hat sich zum „gemütlichen Beisammensein“ und für ein Interview in einer Wohnung zusammengefunden. Normalerweise hört man nicht viel von den Leuten in Bulgarien, weil hier, im Verhältnis zu anderen Ländern, eher wenig läuft. Zumindest ersteres soll sich hier und jetzt ändern.

lydia: Wir haben von Eurer Gruppe hier in Sofia gehört und würden natürlich gern etwas mehr über Euch und die Dinge, die Ihr hier tut, erfahren. Wie habt Ihr angefangen, seit wann gibt es Euch etc.?

m: Die ersten Kontakte kamen dadurch zustande, daß wir uns unabhängig voneinander bei den älteren Leuten von der F.A.B. (Anarchistische Föderation Bulgarien) um Kontakte mit anderen AnarchistInnen bemüht haben. Angefangen hat es mit reiner Theoriearbeit und dem Publizieren anarchistischer und antikapitalistischer Ideen auf der Website „Anarchy In Bulgaria“. Später begannen wir das Webmagazin „Chliab I Svoboda“ (Brot und Freiheit), sowie die Zeitung „Anarcho Asprotiva“ (1) (Anarchistischer Widerstand) herauszugeben. Kurz zu unseren Alt-Anarchisten von der F.A.B.: Sie haben den größten Teil Ihres Lebens in Camps wie Belene (2) und im Gefängnis verbracht und publizieren die Zeitung „Svobodna Misal“ (Freier Gedanke), welche mit unserer Zeitung „Anarcho Asprotiva“ zusammen herauskommt, sowie auch ein bißchen klassische anarchistische Literatur. Einer von Ihnen, Georgi Konstantinov, hat, ich glaube 1956 (2a), ein Stalin-Denkmal in die Luft gesprengt. Er wurde zum Tode verurteilt, hatte aber das Glück, daß Stalin kurz darauf starb, so daß die Strafe in 20 Jahre Gefängnis umgewandelt wurde. Er saß davon 10 Jahre ab und entkam nach seiner Entlassung nach Frankreich. Nach der Wende kam er dann nach Bulgarien zurück.

Außerdem gibt es in diesem Zusammenhang noch eine Gruppe alter Anarcho-Syndikalisten (Ex-Bulgarien Confederation of Labour). Einer von ihnen – Nikola Mladenov – ist mittlerweile ca. 94 Jahre alt und hat in den 1930ern an der Spanischen Revolution teilgenommen. Die Leute von F.A.B. sind, wie gesagt, früher sogar richtig militant unterwegs gewesen, aber jetzt ist natürlich nicht mehr so viel mit ihnen los, da sie mittlerweile alle über 80 sind. Das Büro der F.A.B. war und ist für uns trotzdem immer noch ein guter Anlaufpunkt um mit anderen Leuten in Kontakt zu treten, und da sie dort über eine umfangreiche Materialsammlung verfügen, eine gute theoretische Basis.

Tja, irgendwann waren wir dann jedenfalls genug Leute um einfach auch mal an eigene Aktionen denken zu können.

lydia: Was für Aktionen waren das denn?

t: Die allererste war vielleicht noch nicht so interessant. Wir haben auf der offiziellen 1. Mai-Feier 2001 der Kommunisten (3) und Sozialisten Flugblätter über die Situation in Bulgarien verteilt. Ein lustiger Aspekt war dabei, daß die gar nicht gerafft haben, daß wir nicht da sind um mit ihnen zu feiern und irgendwelche älteren Muttis liefen dann mit unseren Flugblättern, mit dem großen Kreis A drauf, herum.

Danach kam dann im Juli 2001 die Protestaktion zum Tod von Carlo Guiliani während der Riots in Genua. Zufälligerweise haben wir am Tag zuvor – auch wieder durch die F.A.B. – Leute, ein paar Deutsche aus dem Antifaspektrum getroffen, und uns dann mit denen zusammen spontan, erstmals zu einer offenen Aktion an einem Global-Action-Day entschlossen.

So spontan, daß die meisten aus unserer Gruppe gar keine Zeit hatten rechtzeitig da zu sein. Deshalb waren wir auch nur ca. 8 Leute, die sich dann mit Transparenten und Fahnen vor das italienische Konsulat gestellt haben. Bei der Aktion waren außerdem noch Leute von der kommunistischen „Che Guevara“- Gruppe dabei. Einer von uns hat sich dann ketchupblutend als toter Carlo Guiliani vor den Eingang gelegt.

Die Situation war ziemlich witzig. Stell Dir vor mitten in Sofia… Eine Menge Leute waren verunsichert und haben gefragt, was passiert ist und ob wir Hilfe brauchen. Von daher war es nicht so wichtig, wie viele Leute wir waren; durch die massive Aufmerksamkeit der PassantInnen war die Aktion ein voller Erfolg. Der Security-Mann der Botschaft war auch ziemlich locker drauf und hat sich nur auf das Wichtigste beschränkt. Als dann endlich mal die Polizei (old school Lada-Vopo-Streife-Style, Anm. d. Interviewerin) kam, ist da auch nur einer ganz lustlos mit offenem Hemd (Bulgarisches Klischee-Brusttoupet; siehe auch Schwarzmeerküstenbusfahrer-Syndrom, Anm. d. Interviewerin) mal kurz ausgestiegen, hat kurz geschwatzt und ist wieder abgehauen.

Diese Aktion war sehr wichtig für uns, weil wir uns zum ersten Mal richtig an die Öffentlichkeit gewagt haben. Zuvor haben wir immer nur diese Flyer- und Klebe-Aktionen gemacht.

Am nächsten Tag gab es dann eine kleine Meldung in der Zeitung, die eigentlich O.K. War. Allerdings hat dann ca. 6 Wochen später eines der bekanntesten Wochenzeitungen Bulgariens diese Aktion als Aufhänger für ihre Titelseite genutzt um zu fragen, was wohl passiert, wenn die GlobalisierungsgegnerInnen nach Sofia mit seiner, auf so etwas nicht vorbereiteten, Polizei kommen und damit gezielt Angst geschürt. Allerdings sind durch diesen Artikel auch neue Leute zu uns gestoßen, weil sie erstmals mitbekamen, daß hier solch eine Gruppe existiert. b. kann da sicher mehr dazu sagen…

b: Ja, ich habe durch diesen reißerischen Artikel mitgekriegt, daß es in Sofia Leute gibt, die sich für Globalisierung interessieren, so daß dieser Mist auch etwas Positives bewirkt hat. Ein paar Wochen später habe ich dann erstmals die Zeitungen „Anarcho-Resistance“ und „Svobodna Misal“ gelesen und bin dann während des Protestes, gegen den geplanten Angriff auf Afghanistan, vor der US-Botschaft zu dieser Gruppe gekommen.

t: Diese Protestaktion war zufällig 2 Stunden bevor der Angriff begann. Unser eigentlicher Grund dort zu erscheinen war ja, daß die bulgarische Regierung kurz vorher, obwohl selbst noch kein Mitglied der NATO, in einer Erklärung zugesichert hat, diesen Krieg im Bedarfsfall aktiv zu unterstützen. Die Cops haben erst mal hilflos dagestanden und herumtelefoniert. Nach einer halben Stunde haben sie dann die Personalien aufgenommen und uns zu verstehen gegeben, daß das mit der Demokratie und dem friedlichen Protest zwar alles ganz nett ist, wir aber jetzt langsam verschwinden sollten, weil sie sonst zu anderen Mittel greifen müßten….

lydia: Das klingt, als ob Ihr hier die einzigen wart, die gegen den drohenden Krieg protestiert haben. Gehen denn bei so etwas nicht wenigstens noch irgendwelche Friedensgruppen o. ä. auf die Straße?

m: Nein, nichts. Hier gibt es maximal noch ein paar NGO‘s, aber von denen, hat sich niemand gerührt. Als die NATO 1999 Serbien bombardiert hat, haben damals nur ein paar Kommunisten protestiert. Damals ist auch diese Gruppe Che Guevara entstanden. Die waren aber bei der Afghanistan-Krieg Sache nicht mehr dabei, weil sie sich mittlerweile aufgelöst hatten. Bulgarien hat damals für die NATO Bomber den Luftkorridor geöffnet, obwohl die meisten Leute hier dagegen waren. Eine der Bomben haben die ja dann dummerweise hier in Sofia verloren. Zum Glück ist nur das Dach eines Hauses weggesprengt worden…

t: Eine andere gute Aktion war unsere 1.-Mai-Demo 2002. Wir sind mit ca. 25 Leuten mit Fahnen und Transparenten durch das Zentrum von Sofia gezogen und haben hauptsächlich für den 6 Stunden Arbeitstag demonstriert. Da kamen dann echt Leute an: „Eh, kuckt Euch die an! Die fordern einen 6 Stunden-Tag! Leute hier in Bulgarien arbeiten mehr als 16 Stunden am Tag! Ihr jungen Schnösel wollt nur 6 Stunden arbeiten… So was faules…“ und ähnlichen Bullshit. Wir meinten dann einfach nur: „Wenn Ihr unbedingt wollt, dann müßt Ihr halt 16 Stunden arbeiten…“ Wir haben dann noch versucht Ihnen die Grundidee, die es schon beim Kampf für den 8-Stundentag in der Vergangenheit gab, zu erklären. Damals gab es auch eine Menge Arbeitslose und Leute die mehr als 10 Stunden gearbeitet haben. Es geht dabei einfach nur darum, die Arbeit unter den Leuten aufzuteilen – mehr Leute für die selbe Arbeit einzustellen. Aber die meinten nur: „…und wir verdienen dann weniger Geld!“.

lydia: …und checken nicht , daß sie bei fairer Entlohnung gar nicht länger arbeiten müßten.

t: Die denken alle nur an sich selbst.

m: Ziemlich paradox war, daß die meisten von denen Sozialisten waren. Die Cops haben dann noch angefangen, wir hätten keine Erlaubnis für unsere schwarze Fahne und solches Zeug.

lydia: Wie groß ist Euer Themenspektrum? Befasst Ihr Euch mit anderen Themen, wie zum Beispiel mit so Sachen wie Feminismus, Ökologie, Tierrechte…? Oder seid Ihr nur im Arbeitskampf beschäftigt..?

m: Nein, nein, wir sind natürlich nicht nur auf so was fixiert. Wir befassen uns z.B. auch mit Ökologie, Feminismus, Homosexualität… Wir haben mit einer Öko-Gruppe „Za Zemjata“ (für die Erde) zusammengearbeitet. Das sind zwar NGO´s, aber wir haben auch schon Aktionen mit denen gemacht. Keine illegalen Aktionen, alles ganz normale Sachen, wie Säuberungsaktionen in den Bergen oder Aktionen für Fahrradwege (4), die wir auch O.K. Finden. Mit denen haben wir aber auch eine Anti-Globalisierungsaktion gemacht; bei einem Treffen in Sofia wo es um den Balkan-Stabilitätspakt ging und wir kritisiert haben, daß diese Dinge wieder nur den Ländern mit der besseren Ökonomie nützen. Zu vielen anderen Themen, wie Feminismus und Homosexualität, haben wir bis jetzt nur theoretisch gearbeitet. Hier gibt es einen regen Meinungsaustausch mit Leuten von Gruppen aus dem Ausland, wenn die hier vorbeischauen. Ein anderes wichtiges Thema ist natürlich Antifa.

lydia: Perfekter Übergang. Meine nächste Frage ist nämlich die obligatorische. Natürlich, die nach dem Naziproblem. Wie sieht es hier in Bulgarien und Sofia damit aus?

Bulgarien war ja im 2. Weltkrieg Verbündeter von Nazideutschland und es gibt natürlich Leute, die sind stolz auf diese Zeit und der Meinung, daß es Bulgarien damals besser ging. Dazu kommt noch daß nun alle Kommunistenhasser sind und KommunistInnen sind nun mal AntifaschistInnen…

Die Nazizeit war für die eine großartige Zeit: Wir haben die Nachbarländer okkupiert – die natürlich zu uns gehören – und Groß-Bulgarien war vereinigt. Es hilft den Leuten den Komplex, der heute auf ihnen lastet, zu ertragen. Es gibt sogar Leute, die der Meinung sind, daß BulgarInnen Arier – keine Slawen – nämlich Bulg-Ariens sind.

Die meisten der jungen Leute sind Nationalisten. Bei den Fußballfans ist dieses Denken auch weit verbreitet und man läßt dann auch gern mal Dampf bei irgendwelchen Minderheiten ab. Zigeuner, Juden, Türken (5) sind willkommene Schuldige am Elend der Leute. Die ganze klassische Naziliteratur ist bei uns unkommentiert frei erhältlich. Vor einem Jahr haben die sogar Hitlerposter geklebt. Es gibt zwar eindeutige Gesetze gegen die Verbreitung faschistischer Ideologien, aber die interessieren in der Praxis niemanden. Es gibt eine Menge legaler Unterstützungsaktionen. Man merkt auch, daß da eine Menge Geld dahinter steckt – die also auch finanziell gut unterstützt werden.

m: Eine interessante Sache in diesem Zusammenhang: Vor vielleicht 2 Jahren haben diese Che- Guevara-Leute bei den Feierlichkeiten zum Geburtstag von Hristo Botev, eines unserer Nationalhelden, ein Transparent wo das Nato-Symbol wie eine Swastika aussieht, gezeigt. Die wurden dann wegen Zeigen von rechtsradikalen Symbolen verhaftet und angezeigt. Bei jedem Fußballspiel kannst du Fahnen mit Hakenkreuzen sehen, und es interessiert niemanden. Ein gutes Beispiel wie unsere Anti-Nazi Gesetze gegen Antifaschistinnen gewendet werden.

lydia: Wie sieht es bei denen mit Parteien aus?

t: Eine der bekanntesten Parteien ist die Nationalistenpartei VMRO (6) (Interne Mazedonische Revolutionäre Organisation), dann gibt es noch BNRP (Bulgarische National-Radikale Partei) und seit kurzem die BNS (7) (Bulgarische Nationale Union), die sich offenen zu rechtsradikalem Gedankengut bekennen. Wir attackieren gegenseitig unsere Websites…

lydia: Bekämpft Ihr die Nazis auch direkt, bzw. müßt Ihr Euch auf der Straße gegen sie wehren?

m: Ein paar aus unserer Gruppe und Leute von Ex-Che-Guevara gehen regelmäßig Nazis (be)suchen…

lydia: Was sagen die Nazis zum NATO-Beitritt?

m: Sie sind dagegen. Es gab sogar schon Einträge von Nazis im Gästebuch unserer Website, daß sie es gut finden, daß wir etwas gegen die NATO machen. Wir haben das aber eindeutig klargestellt, daß wir, trotz manchmal gleicher oder ähnlicher Themen, keine gemeinsame Sache mit Nationalisten oder gar Nazis machen.

lydia: Ich weiß nicht, ob Ihr davon wißt, bei uns in Deutschland demonstrieren die Nazis für die PalästinenserInnen, weil sie die als Verbündete gegen die Juden sehen und tragen deshalb sogar die so genannten Palästinenser-Tücher. Wie sieht das hier aus?

b: Sehr interessant (allgemeine Heiterkeit). Und zur selben Zeit verprügeln sie die wahrscheinlich noch… Die haben bei uns keine einheitliche Position zum Israelkonflikt. Die schreien natürlich auch, daß die bösen Juden arme Palästinenser umbringen, aber das geht nicht so weit, daß sie für Muslime Partei ergreifen, weil sie wegen unserer 500jährigen türkischen Geschichte und der daraus resultierenden türkisch-muslimischen Bevölkerungsschicht, immer noch eine große Abneigung gegen Muslime haben.

lydia: Wie sieht es allgemein aus hier in Bulgarien – wie ist die Stimmung bei den Leuten?

b: Die meisten Leute sind schon unzufrieden, aber auch einfach zu passiv, trauen sich nicht zu, selbst was zu verändern. Dabei ist es für viele ein schwieriges Auskommen – die Lebensbedingungen sind hart und es gibt vieles, was sich ändern muß. Dabei spielt sicher auch mit rein, daß die meisten voll damit beschäftigt sind ihren Lebensunterhalt zu verdienen, da bleibt oft nicht viel Zeit an andere Sachen zu denken.

lydia: Bulgarien ist jetzt auf dem Weg in die NATO…

m: Ja, die intensive Kampagne dafür begann kurz nach dem Jugoslawien-Krieg. Die wenigsten Leute in Bulgarien stehen dem NATO-Beitritt kritisch gegenüber und die Werbung dafür ist ein voller Erfolg, wie Du ja sicher vorhin auf dem Video gesehen hast. Um noch mal auf den Artikel wegen der drohenden GlobalisierungsgegnerInnen in Sofia zurück zu kommen… Das war natürlich nicht ganz grundlos. Einen Monat später, sollte hier nämlich ein NATO-Treffen (27. 09. 01) stattfinden und dafür wurden die Leute dann in Stimmung gebracht. Die Polizei konnte sich damit prima als Ordnungshüter wegen der vielen GlobalisierungsgegnerInnen, die dann kommen würden, in Szene setzen. Sofia war dann zu dieser Zeit dementsprechend im Ausnahmezustand. 6000 Polizisten (was hier ziemlich viel ist), haben damals in Sofia alles dicht gemacht. Wir haben uns natürlich auch ruhig verhalten. Die Leute von Che Guevara mußten damals unterschreiben, daß sie sich nicht an Protesten beteiligen.

lydia: Gibt es in Bulgarien ein Vermummungsverbot?

m: Ich glaube nicht, daß so etwas in unseren Gesetzen existiert, aber für uns ist diese Frage bisher unrelevant. Bei der leider nur geringen Anzahl von Leuten, die wir bis jetzt auf die Beine kriegen, ist es eher unklug sich aggressiv zu zeigen; die meisten Leute assoziieren ja Vermummung nur mit Terroristen. Außerdem erleichtert es die Kriminalisierung.

lydia: Was habt Ihr für Auslandskontakte – inwieweit arbeitet Ihr mit Anderen zusammen?

t: Ja, wir haben Kontakte zu Leuten, meistens AnarchistInnen, z.B. in Griechenland, Serbien, USA, Schweiz oder natürlich Deutschland. Das beschränkt sich aber meist auf den Austausch von Artikeln für die jeweiligen Zeitungen. Ansonsten, sind wir hier zwangsläufig größtenteils mit unseren eigenen Sachen beschäftigt – versuchen z.B. auch neue, jüngere Leute zu gewinnen. Wenn uns Leute besuchen, nehmen sie natürlich auch an unseren Aktionen teil. Umgedreht ist es für uns aber aus Kostengründen meist schwierig an Aktionen im Ausland teilzunehmen.

lydia: Was habt Ihr an Plänen für die Zukunft?

t: Wir brauchen dringend etwas, wo wir uns treffen können. Was wir auch als Infoladen, zum publizieren, zum Medienaustausch oder ähnliches nutzen können. Zur Zeit treffen wir uns immer in irgendwelchen Kneipen und das ist nicht so angenehm zum diskutieren. Außerdem gibt es keinen festen Anlaufpunkt für neu hinzukommende Leute. Und die können wir dringend gebrauchen.

Wir haben zwar eine Menge SympathisantInnen, eine Menge Leute lesen unsere Zeitung und sagen: „Oh, das ist gut, was ihr hier macht – wann kommt die nächste Ausgabe?“ aber wenn mal wieder eine Aktion ansteht…

lydia: Danke fürs Interview und alles Gute.

(1) change.to/anarchy, www.savanne.ch/svoboda, resistance.hit.bg/), www.radicalreader.net/ZBG
(2) Zehntausende BulgarInnen wurden während des Stalinistischen Regimes als „Feinde der Volksrepublik“ in Arbeitslagern festgehalten. Manche landeten hier für Kleinigkeiten wie Witze gegen das Regime oder Interesse an westlicher Lebensart. Diese Lager, ähnlich den sowjetischen Gulags, wurden Anfang der 1970er größtenteils geschlossen. Tausende starben hier, infolge von Schlägen und schlechter Behandlung, Das Schlimmste war das in Lovech, wo zwischen 1957 und 1961 ca. 150 Leute umkamen. Im Lager Belene wurden die Leute auf einer Donauinsel festgehalten. Viele von den Lagern waren geheim, aber ca. 60 waren in der bulgarischen Bevölkerung gut bekannt.
(2a) Tja, so ist das mit mündlichen Überlieferungen, Stalin starb bereits am 05.03.1953 …
(3) gemeint ist die größte Oppositions-Partei BSP (Bulgarische Sozialistische („gewendete“ ex-Kommunistische Partei), angeführt von Georgi Purvanov, welcher seine Partei im Mai 2000 eine Bitte um NATO-Mitgliedschaft unterstützen ließ. In einer Koalition zusammen mit Ecoglasnost und Stamboliiski’s Agrar Partei, bilden sie die Neue Demokratische Linke, mit 1997 22.1% der Wählerstimmen (eine harte Niederlage, verschuldet durch den ökonomischen Kollaps, nach noch 43.5% im Jahre 1994)
(4) in Sofia gibt es keine Fahrradwege, auf der normalen Straße fahren ist aufgrund der vielen Kamikaze-FahrerInnen lebensgefährlich und Bürgersteigfahren verboten
(5) BulgarInnen im ursprünglichen Sinne repräsentieren 85.7% der Bevölkerung. 9.4% türkischer Abstammung stellen die größte Bevölkerungsminderheit, welche hier jedoch, trotz des geschichtlichen Hintergrundes, größtenteils keine Probleme haben. Problematischer sind die Beziehungen zur dritten Gruppe, den Roma (Zigeuner), welche 3.7% der Bevölkerung ausmachen, und denen viele mangelndes Interesse an Integration in die Gesellschaft und Verantwortung für Kriminalität vorwerfen. 86.6% der Bevölkerung sind angeblich Orthodoxe Christen und 13.1% Muslime.
(6) eine Schwesterpartei einer eigentlich in Mazedonien gegründeten Partei, die für die Wiedervereinigung Bulgariens und Mazedoniens eintritt; war auch schon an Regierungskoalitionen beteiligt.
(7) deutsche Version: www.bgns.net/inde_de.php

Interview

„Ich singe den Frieden, mitten im Krieg.“

(Textzeile von Wolf Biermann)

Die Frage auf den Frieden zu stellen, grenzt in den derzeitigen Diskussionen um militärische Intervention, Terroreinsatz und Sicherheitsgefühl geradezu an die Vorstellung eines sentimental-trauernden Pierrots, dem, auf einem Drahtseil taumelnd, der Magen sich vom Fuße auf den Kopf verdreht. ‚Notwendig, einzig möglich, unabwendbar, richtig‘ … Eine ganze Welt steht auf, erkennt sich; den Feind … und greift zur Bombe! Das Kriegsgeschrei ertönt in allen Lagern. Das Säbelrasseln wird zum Summen der Rotoren. Die alten Militanten haben‘s immer schon gewußt. Die Jungen wissen‘s auch nicht besser. Oh Elend! Und wieder zieht der Rauch durch Trümmerfelder und Ruinen, wieder tote Kinder, wieder weinen Mütter, sterben Väter, wieder, wieder, wieder

Naja, was sind schon zehn, hundert oder tausend – die Verluste sind gering, die meisten unter ihnen zählten eh‘ zum Feind. Oh Patria – glorreiches Land deiner Väter! Was ist denn schon das Leben eines Einzigen wert, wenn doch sein Tod das von hundert retten könnte? Und munter spielt man Nutzen gegen Kosten und umgekehrt. Schwindelerregendes Zahlenspiel. Schwindelei!

Nun hör‘ schon auf! Stell‘ dir doch vor, was unvorstellbar ist … Gift in der U-Bahn, Atompilze in San Francisco, Tel Aviv, Paris, Berlin. Da gibt es keine Möglichkeit – als den Krieg zu Land, zu Wasser und in der Luft. Ehrlich! Alle Experten zucken mit den tonnenschweren Schultern, ihre trüben Blicke schweifen in die Ferne … Wovon träumen sie? Von der letzten Schlacht? Dem ewigen Frieden nach dem letzten Krieg? ‚Wer Frieden will, muß Frieden halten.‘, so geht ein Satz der Alten, ‚Wer Kriege führt, wird stets bekriegt‘. Die Geschichten unserer Kulturen sind voll von solchen Bildern. Doch was schert uns schon Geschichte? Heute. Wo doch alles anders ist, wir doch alles besser wissen … müßten …

Die Ideen geh‘n baden – ganz privat. Und wieder rufen Demagogen beider Seiten auf zum Kampf um Leben oder Tod. Der Andere ist abstrakt, der Feind. Am Screen oder auf dem Pergamentpapier, skizzenhafte Fratze seiner taktischen Position. Die Technik erspart den Blick von Aug‘ zu Aug‘. Warum auch nur, den Anderen von Angesicht zu Angesicht erblicken, man selber steht doch auf der richtigen Seite… …und nicht er … Sieh‘ ihm in die Augen und dann drück‘ ab. Meine Hoffnung ist, Du vermagst es nicht, den Finger noch zu krümmen. Soll‘n es denn wirklich wieder Kriege sein, die über‘s Schicksal vieler Menschen richten? Menschen über Menschen, ohne sich zu kennen? Soll wieder unschuldiges Blut die Rache an den Schuldnern tünchen? Der Krieg ist keine Wahl, noch höchstens Ausdruck, keine Wahl zu haben. Hilfloser Würgegriff der Macht, die Reichweite ihrer Herren auszuweiten. Das Recht zu leben schließt das Recht zum Töten nimmer ein. Die Idee, den And‘ren einfach hinzumorden, kann nur als falsche menschliches Zusammenleben prägen. Soviel Kultur und soviel Leid, soviel Weisheit und soviel verbrannte Erde … und noch immer keine Einsicht weit und breit.

Lieber Moslem, lieber Christ, lieber Jude, lieber Atheist – laßt im Wettstreit der Ideen unsere Gedanken aneinander wetzen, anstatt uns in den Schützengraben gegenseitig zu zerfetzen. Im großen Kriege um die Macht und um die Gier haben stets die großen Macher nur gesiegt, all die Bin Ladens, Bushs, Blairs, Scharons, Putins und Arafats dieser Welt. Den Mensch am Abzug hat die Kugel stets noch angetroffen.

Für die ‚gute‘ Sache einzusteh‘n, ist wichtig, doch wird sie nur durch ihre Mittel richtig. Für den Schwächeren Partei ergreifen, heißt auch: für den Stärkeren Verantwortung mitzutragen. Aber nicht ihn richten! Gottes Stimme allein sollte dies vermögen. Doch sie spricht nicht durch uns Menschen. Keines unsere Worte, Schriften, Gedanken oder Gefühle, keines Menschen Tat kann ihr Urteil in der Welt verkünden.

Warum nur ist der Krieg heut wieder einzig möglich, unabwendbar, richtig? Warum haben die Geschichten so wenig nur gelehrt? Ich wüßte gern die Antwort auf die Frage. Sie ist auf meine Friedenshoffnung nur gestellt. Warum nur diktiert ihr die Menschen zu den Waffen, warum nur Menschen, greift ihr zu? „Hört auf damit und haltet Frieden!“ ruft Euch ein Freund im Herzen mutig und entschieden zwar entgegen, doch zaudernd bei der Frage: wie man so jung sein kann, und schon sooooo sentimental!

clov

Standpunkt

Nightmare on Raumschifffolter

Am 16. Oktober wurde in dem Wohn- und Kulturzentrum Gießerstraße 16 im Rahmen eines Kleinkunstabends das Theaterstück „Nightmare on Raumschifffolter“ uraufgeführt.

Langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit. Mensch befindet sich mit ein paar Dutzend anderen Leuten innerhalb einer Industrieruine. Schrott liegt scheinbar nutzlos herum. Roboterartig legen sich Wesen aus alten Reifengummi und Müll bestehende Rüstungen an. Dazu dröhnt live Musik von Schlagzeug und Bass, flirrende Lichter. Robocops aus dunklen Zukunftscomics lassen grüßen. Es wird ein grausam düsteres Bild gezeichnet. Womöglich das Bild unserer Zukunft?

Da ist eine kaum mehr als menschliche Kreatur zu bezeichnende „Gebärmaschine“, die genetisch exakt für eine bestimmte Arbeit ausgerichtete, zum Gehen aber unfähige, Wesen erzeugt. Hinrichtungen gehören schon zum Normalzustand. Zwischendurch erscheint ein gut gekleidetes Pärchen. Candellight-Dinner bei völliger Ausblendung der überall vorhandenen Gewalt. Aber auch hier ist Gewalt zu spüren: durch das Gefangensein in den Rollenbildern. Der Ausbruch aus beiden Welten wird versucht und endet ebenso blutig. Die Rebellis beider Welten vereinigen sich zwar, ein „happy end“ mit Zukunftschancen gibt es dennoch nicht.

Das Stück macht seinem Namen „Nightmare on Raumschifffolter“ alle Ehre. Es besticht durch dröhnende Beats und die brutalen Gewaltszenen, welche so gar nichts mit den alltäglich im Fernseher zu sehenden Gewaltplots gemein haben. Ekelgefühle gegen die extrem abstoßend wirkende Darstellis bahnen sich ihren Weg in den Bauch. Jeder in Mann/Frau sortierende Gedanke ist im Keim erstickt. Leider bleibt etwas Verwirrung zurück, da einige Rollen von mehreren Personen gespielt wurden und die ausgewechselten Personen wiederum in anderen Rollen auftreten. Die Übergänge zwischen den verschiedenen Bühnen gelangen sehr flüssig. Die Spielzeit von ca. einer Stunde verging wie im Flug, so dass das Stehen kaum auffiel. Alles in allem also eine sehr zu empfehlende „Antiperformance“. Weitere Aufführungen sind geplant. Haltet also Augen und Ohren offen oder schaut in die Gießer-Veranstaltungsflyer.

feuerstein

Kultur

Editorial FA! #3

Der neue Feierabend! ist da, diesmal mit viel Schweiß, VIER Seiten dicker!

Informationen zu Streiks außerhalb der in dieser Hinsicht eher lahmen Bundesrepublik stehen neben lokalen & kulturellen Themen. Ebenso bekennen wir nun endlich Farbe. Der „Leipziger Freiheit“ konnten wir einfach nicht widerstehen.

Auch sonst gibt’s Neues zu berichten: Konsequent wie wir nun mal sind, machen wir die Not zur Tugend und den Feierabend! in seiner Haltbarkeit etwas länger: Ab sofort gibt es alle 6 Wochen Feierabend!. Der nächste sollte nach dieser Logik Mitte Januar erscheinen. Besonders freut uns, dass der Kreis der mittuenden Schreiberlinge größer geworden ist. Wenn mensch das mal hochrechnet … Also, wenn Du denkst: „Klar, ich hab’ ‘was zu sagen und das würde auch in diese Zeitung passen!“, dann keine Scheu: Unser e-Mail- Fach (feier_abend@ hotmail .com) freut sich über jeden Besuch. Die vorherigen Ausgaben findest Du auf www.feierabend.net.tc und auch den einen oder anderen Zusatzartikel. Genug der >>Eddies<<! Hoffentlich hast Du soviel Spaß beim Lesen, wie wir beim Schreiben… – na dann:

Mach’ Feierabend!

ArbeiterInnen kontrollieren Fabriken

Mitten in der schwersten Wirtschaftskrise des Landes übernehmen argentinische ArbeiterInnen die Fabriken selbst und sind damit erfolgreich. Sie tauschen ihre Chefs gegen mehr Lebensqualität. Exemplarisch für diesen Prozess berichten wir hier von der Grissinopoli-Fabrik, ähnliche Vorgänge kann mensch aber auch an anderer Stelle beobachten, wie z.B. bei Brukman: So war die Familie Brukman – Besitzerin einer Textilfabrik in Buenos Aires – kurz vor dem Sturz des Präsidenten De la Rúa geflüchtet. Sie schuldete ihren MitarbeiterInnnen mehrere Monatsgehälter und fürchtete, im Rahmen der damaligen Ausschreitungen angegriffen zu werden. Die Fabrik wurde in Dezember 2001 besetzt und nach einigen Monaten der Vorbereitung wurde die Produktion von den MitarbeiterInnen autonom wieder aufgenommen. Jetzt läuft das Geschäft und die Brukmans wollen sich mit Hilfe der „Polizeiinfanterie“ ihre Fabrik zurück holen. Nachdem die Inhaber von der nichtbezahlten Arbeit ihrer ArbeiterInnen und Angestellten profitiert hatten und mit dem Restkapital geflüchtet waren, war es nicht leicht, die als insolvent geltende Fabrik wieder in Betrieb zu nehmen. Am 24.11.02, um 9 Uhr, stürmte die Polizei überraschend die Fabrik und verhaftete sechs Mitglieder der Wochenendbesetzung – ohne Durchsuchungs- oder Haftbefehle. Viele Organisationen mobilisierten dagegen; eine Stunde später hatte sich bereits eine Straßenblockade gebildet. Die Polizei hatte, da sie kein Widerstand erwartete, nur einige Wachleute vor Ort. Gegen 11 Uhr kam die Meldung, dass die MitarbeiterInnen die Polizei verdrängt und die Fabrik erneut besetzt haben!

Innerhalb eines Jahres erlebten die ArbeiterInnen in der Brotfabrik Grissinopoli einen Schwund ihrer Wochenlöhne von 150 auf 40 Pesos. Am dritten Juni schließlich, als die Firma Bankrott ging, verlangten die Angestellten die Auszahlung ihrer zurückgehaltenen Löhne. Der Fabrikmanager bot jedem der 14 ArbeiterInnen 10 Pesos und forderte sie auf, die Fabrik zu verlassen. Sie gingen nicht. Was als verzweifelte Aktion begann, um die eigenen Arbeitsplätze zu retten oder Ausgleichszahlungen zu erhalten, wurde zu dem hartnäckigen Versuch, die Kontrolle über das Unternehmen zu erlangen. Die ArbeiterInnen bewachten die Fabrik 24 Stunden am Tag und überlebten dadurch, dass sie an der Universität um Kleingeld baten und Gebäck verkauften. Weitere vier Monate später enteignete die Stadtverwaltung die Besitzer und übergab die Fabrik an die ArbeiterInnen. Im Oktober lief die Produktion in Grissinopoli wieder an.

"Er schloß die Fensterläden und wir blieben drin." berichtet Norma Pintos, 49, die 11 Jahre in der Fabrik gearbeitet hat. "Wir wollten einfach weiterhin zur Arbeit

In weniger als einem Jahr errangen die ArbeiterInnen die Kontrolle über eine ganze Anzahl von argentinischen Unternehmen. Weitaus bemerkenswerter als die Übernahmen, ist aber die von ArbeiterInnen gesteuerte Wiederbelebung der Fabriken, welche in einigen Fällen profitabler wirtschaften als unter ihren vorherigen Besitzern. Abgesehen davon, dass so Tausende von Arbeitsplätzen gesichert werden und der massive Niedergang der vormals riesigen nationalen Industrieproduktion abgeschwächt wird, werden durch die Fabrikübernahmen meist unangefochtene Annahmen über das Verhältnis von Kapital und Arbeit in Frage gestellt. Die ArbeiterInnen ziehen aber auch die Aufmerksamkeit der Konservativen auf sich, die sie als eine Bedrohung für die Eigentumsrechte betrachten. In dieser krisengeschüttelten Gesellschaft jedoch, mit 37 Millionen Einwohnern, von denen die Hälfte unterhalb der Armutsgrenze (1) lebt und 34% der Arbeitskraft arbeitslos oder unterbeschäftigt ist, haben die ArbeiterInnen die Billigung der Regierung und starke allgemeine Unterstützung.

Es dämmert bereits über dem Riachuelo-Fluß, der die südliche Grenze von Buenos Aires markiert, jedoch in der nahen Ghelco-Ice-cream-Fabrik herrscht reges Treiben. Männer in grünen Uniformen wischen den Boden, während andere Papiere ordnen. Im Februar hatte der Besitzer der Fabrik, die einstmals national führend im Produzieren von aromatisierten Puder war, welches der Grundstoff für Eiskrem ist, die Tore verschlossen und stellte wenig später Insolvenzantrag. Die Angestellten, denen noch tausende Dollars aus zurückgehaltenen Löhnen und Leistungen zustanden, blieben sich selbst überlassen, während sie auf die Ergebnisse eines langen und unsicheren legalen Prozesses warteten. Auf Drängen von Luis Caro, einem Rechtsanwalt, der schon über 40 besetzte Fabriken vertreten hat, bildeten die ArbeiterInnen eine Kooperative und organisierten vor den Fabriktoren einen permanenten Protest, um der Entfernung des Mobiliars und der Maschinerie vorzubeugen. Nach drei Monaten gestatte der Konkursrichter ihnen die Fabrik vorübergehend zu mieten. Im September dann, enteignete die Stadtverwaltung Ghelco und händigte die Schlüssel der Kooperative aus. Seitdem führen 43 ehemalige untere Ghelco-Angestellte die Fabrik. Obwohl es ihnen gefällt, für sich selbst zu arbeiten, war es ein hartes Stück Arbeit. Viele arbeiten 12 Stunden am Tag, da sie nun mit zusätzlichen Administrativ- und Managmentaufgaben jonglieren. „Früher sind wir zur Tür raus gegangen, als die Zeit um war… Jetzt ist es 21 Uhr am Abend und wir sind noch immer hier“, sagt Claudia Pea, die Kunden und Geschäftspartner an der Rezeption empfängt, die Container beschriftet und die Bäder putzt.

Auf der anderen Seite des Riachuelo quellen die Auftragsbücher für 54 Mitglieder der Einheit- und Kraft- Kooperative (Union and Force Co-operative) über – sie hatten für sechs Monate einen metallverarbeitenden Betrieb besetzt gehalten, bevor sie die offizielle Kontrolle durch eine Enteignung im vergangenen Jahr übertragen bekamen. Die ArbeiterInnen verdienen mehr als das doppelte ihres vormaligen Lohns und sind dabei, 20 neue Mitglieder aufzunehmen. Aufgrund der hohen Nachfrage für ihre Kupfer- und Messingrohre wollen sie expandieren und exportieren. Die ArbeiterInnen sind ebenso wie alle anderen von dem Erfolg überrascht. „Die Kollegen glauben, dass das alles ein Traum sein muss“, sagt der Präsident der Kooperative, Roberto Salcedo, 49. Die Bücher von den alten Schulden zu befreien, war nicht schwer. Was aber wichtiger ist, wie die ArbeiterInnen sagen, ist, dass die Gewinnabzüge für den Besitzer und die höheren Gehälter der Verwaltung wegfallen. Wie in den meisten besetzten Fabriken hat auch die Einheit- und Kraft- Kooperative egalitäre Lohnmaßstäbe. Entscheidungen werden durch Abstimmung in regelmäßigen Versammlungen getroffen und jede/R ArbeiterIn verdient das Gleiche, basierend auf den Gewinnen der vorhergehenden Wochen.

Caro schätzt, das die ArbeiterInnen landesweit etwa 100 Fabriken und andere Firmen übernommen haben. Supermärkte, eine medizinische Klinik, eine patagonische Mine und ein Hafen von Buenos Aires gehören dazu. Oftmals handeln die Besitzer aus, dass die ArbeiterInnen statt der zurückgehaltenen Löhne oder anderen Ansprüchen, die Produktion übernehmen. Andere Fabriken haben noch immer keinen rechtlich gesicherten Status. Aber das eigentliche Ziel für viele selbstverwaltete Betriebe ist die Enteignung. Während der letzten zwei Jahren wurden 21 Produktionsstätten in und um Buenos Aires enteignet. Provinzielle und städtische Repräsentanten riechen den Braten und reichen Anträge ein, die die Bildung von Regierungsagenturen fordern. Diese Agenturen sollen bei der Bildung von Kooperativen, der Enteignung von bankrotten Unternehmen, sowie deren Übergabe an die ArbeiterInnen behilflich sein. Wie dem auch sei, Uneinigkeit macht sich unter den verschiedenen ökonomischen Interessengruppen breit, was dazu führen könnte, dass die politische Unterstützung schwindet. Während die ersten beiden Enteignungen in der Hauptstadt noch einmütig von der Stadtregierung beschlossen wurden, hat die Radikale Mitte-Rechts Partei ihre Position seitdem geändert und weigerte sich für die Enteignung von Grissinopoli zu stimmen. „Enteignung kann nur zugunsten derAllgemeinheit vorgenommen werden. In diesen Fällen gibt es keinen allgemeinen Nutzen. Es ist das Wohl von 20 oder 30 Leuten.“, meinte Gregorio Badeni, ein Verfassungsrechtler. Nur wenn die lokale Unterstützung für die fabrikbesetzenden ArbeiterInnen stark ist, können auch Autoritäten nur wenig dagegen ausrichten. „Die Vorstellung, dass Kapitalisten nötig seien, um die Produktion zu organisieren, wird entmystifiziert,“ erklärt Christian Castillo, Soziologieprofessor an der Universität Buenos Aires. „Möglicherweise wird diese Bewegung verschwinden, wenn sich die wirtschaftliche Lage entspannt. Aber die Idee und Erfahrung der Arbeiterselbstverwaltung ist in den Köpfen.“

Reed Lindsay, IMC Buenos Aires

(Übersetzung: hannah b.)

(1) Unter der absoluten Armutsgrenze leben heißt, weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung zu haben.

Soziale Bewegung

„Leipziger Freiheit“, eine Propagandagroteske!

Die Dynamik, der Wandel und die Leipziger Art, alle Herausforderungen mit Pfiffigkeit und Hartnäckigkeit anzugehen – das sind die echten Konstanten der Stadt.“ „Freiheit ist das Größte – Freiheit macht glücklich, leistungsbereit, tatkräftig und lebensfroh.“

(aus der „Philosophie“ von www.leipziger-freiheit.de)

Ich möchte Euch ja nicht unbedingt raten, diese Seite anzuschauen. Wenn ihr es allerdings doch tun solltet, dann erwartet nicht zuviel. Denn was da aus dem Begriff „Freiheit“ zusammengerührt wird, grenzt schon an Körperverletzung. Hier wird verzweifelt versucht eine spezielle Leipziger Freiheit zu finden. Da das aber nicht möglich ist, können nur hanebücherne Phrasen dabei ‘rauskommen.

Die bürgerliche Freiheit, ist die der Verwertung und des Eigentums, garniert mit Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, obwohl es damit ja auch nicht immer so genau genommen wird. Nicht mehr und nicht weniger kann auch Leipziger Freiheit bedeuten. Ist dies aber die Freiheit, die wir meinen?

Freiheit sollte auch öffentliche Kommunikation bedeuten, dass diese gerade in Leipzig eingeschränkt wird, zeigt sich in der Kriminalisierung von Graffiti und unkommerziellen Plakaten (s. Seite 2). Die immer weitere Einschränkung des öffentlichen Raums durch privatisierte Bereiche und Kontrolle durch Behörden (seien das Überwachungskameras, die Vertreibung von Wagenplätzen, wie vor kurzem in Hamburg geschehen, oder die Ausbreitung von Reglementierungen, wie man sich verhalten soll), bedeutet die Einschränkung der Freiheit, die wir meinen, die Freiheit das eigene Leben selbst zu bestimmen, selbst zu entscheiden mit welchen Inhalten mensch sich bildet (gegen Selektion, hierarchische Stukturen und Leistungsdruck), oder welche Tätigkeit mensch ausübt (gegen den psychologischen und materiellen Zwang zur Lohnarbeit).

Nun, „Leipziger Freiheit“ ist nicht die Freiheit, die wir meinen, doch vermitteln die Marketingaktionen der Stadt ideologische Fragmente, mit denen mensch sich beschäftigen sollte.

Zum Beispiel wenn für Olympia 2012 in Leipzig, für „Spiele mit uns“ geworben wird. Tiefensee möchte damit „Deutschland den Aufbruch zeigen“. Das Land steckt in der Krise und Leipzig soll die „Deutschland AG“ da rausholen. Das ist ja fast so wie bei Lügenbaron Münchhausen, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zog. Die Oper schlägt in die gleiche Kerbe und möchte mit ihren Sonderangeboten „Deutschland die Freiheit zeigen“.

Bei einer Telefonumfrage wurde Olympia in Leipzig mit Tugenden wie der „sächsischen Gastfreundschaft“ begründet. Im obigen Zitat wird eine Leipziger Art heraufbeschworen: Pfiffigkeit und Hartnäckigkeit. Eigentlich müsste es ja auffallen, dass dies alles nur Zuschreibungen sind, die eine Einheit vorgaukeln, die nicht da ist. Viele scheinen aber fest daran zu glauben, die Identitätsmaschine funktioniert also und führt zu Lokalpatriotismus für den Leipziger Standort.

In Leipzig herrscht in etwa so viel „wahre Freiheit“, wie es in der DDR den „wahren Sozialismus“ gegeben hat. Beide Propagandafloskeln nehmen sich nicht viel. Leipzig möchte hoch hinaus, in der ersten Liga mitspielen, ein ehrgeiziges Ziel, dem sich die Stadt da verschrieben hat. Und die „Bürger“ sollen mit: Aber mal Hand aufs Herz! Fühlst Du Dich nicht auch auf einmal glücklich, leistungsbereit, tatkräftig und lebensfroh? Na siehste…

francis

Lokales