Einige glauben in den „Piqueteros“ das "neues historisches Subjekt" oder die "neue Avantgarde" zu sehen; andere, in Unkenntnis der Geschichte der Kämpfe und dem Prozess ihrer Entstehung, der seit etlichen Jahren eng mit den Kämpfen des Landes verbunden ist, behaupten, dass das Phänomen der Piqueteros isoliert und völlig spontan sei.
Aus unserer Sicht (der zweier ehemaliger Studenten der Universität Buenos Aires, die seit einigen Monaten in Leipzig leben) hat es die Bewegung der Piqueteros geschafft, eine unbestreitbar führende Rolle in der politischen Szene Argentiniens zu erobern. Trotzdem ist sie, vor allem in Anbetracht der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse des heutigen Argentinien weit davon entfernt, eine Bewegung zu sein, die die Kapazität hätte, einen revolutionären Wechsel hervorzurufen.
Was ist ein “Piquetero“?
In einem unablässigen Kampf kämpfen sie (in der Mehrzahl Arme aus den Elendsvierteln) ums Überleben und für ihre Rechte, bei der Arbeit, im Bildungsbereich, im Gesundheitswesen, ihrer Lebensweise-, die Arbeitslosen in Argentinien. Sie wandelten sich von „Nichtsen“ zu beachteten sozialen Akteuren, die täglich um einen Platz in einer Gesellschaft, die sie ausstößt streiten.
Die "Piquetes" (Blockaden) – abgesperrte öffentliche Wege, Straßen oder Brücken – sind das elementare Kampfmittel der Piqueteros, dadurch werden sie zu Piqueteros. Unter dieser Bezeichnung finden sich diejenigen, in einem Prozess der Teilnahme, Organisierung und Diskussionen, die in der Störung des Verkehrs eine Form gefunden haben, die ihnen Gehör verschafft und es ihnen ermöglicht, das Produktionssystem anzugreifen und somit in ein neues Verhältnis zur Regierung zu treten. Die Piqueteros etablierten sich in den sozial-politischen Szene Argentiniens kraftvoll als ein neuer sozialpolitischer Akteur.
Das allgemeine Problem in diesem Land – sagt der Soziologe Juan Villareal von der Universität Buenos Aires, – ist, dass die Piqueteros viel mehr machen, als nur das Fehlen von Arbeitsplätzen zu beklagen. Das Bild vom Piqueteros ist eng mit dem verzweifelten Aufschrei, der Forderung nach all jenen Rechten, für die der Staat keine Verantwortung übernimmt verbunden. Es ist jedoch logisch, dass er sie nicht übernimmt, denn er verabschiedete sich davon, die Menschen als „Bürger“ zu betrachten, statt dessen gibt es nun nur noch „Konsumenten“.
Es ist bekannt, das an den letzten Blockaden im Großraum Buenos Aires, wo in der Mehrzahl Arme leben, sich nicht nur Arbeitslose beteiligten, ebenso Mütter, die ihre Kinder nicht mehr zu den öffentlichen Küchen schicken können, da diese geschlossen wurden, Greise, die keine medizinische Hilfe erhalten, Kinder, die von den Schulen aufgrund von Mangel an dem einfachsten, wie Tafeln und Sitzbänken, bis hin zu Lehrern, nicht mehr beherbergt werden können. Sie alle versammeln sich an den Barrikaden und unterstützen die Piqueteros. "Es ist eine neue Art ein imaginiertes Kollektiv zu kreieren. Alle sind Teil eines Ganzen, ihre Bedürfnisse und ihr gemeinsames Agieren, vereint sie bei der Straßenblockade. Dort wo es eine Blockade gibt, gibt es sie wegen des Versagen des Staates", fasst Villareal zusammen.
Die Entstehung der Piqueteros-Bewegung
Die ersten, die begannen aufzubegehren, waren die Rentner, die gegen die Willkür, mit der der Staat ihre Bezüge kürzte protestierten. 1993 begannen sie sich jeden Mittwoch vor dem Nationalkongress zu versammeln und blockierten dabei die Zufahrtsstraßen. Angeführt von Norma Plá, kamen etliche Greise, unter denen einige über 70 sind, aus dem Großraum Buenos Aires in die Hauptstadt um zu demonstrieren und der Abgeordneten die Stirn zu bieten, die für die Kürzungen ihrer Rente gestimmt hatten und erläuterten ihre Motive in einfallsreichen öffentlichen Aushängen.
Während eben dieser Jahre nahmen die Probleme der Arbeitslosigkeit zu, da das oft einzige und meist staatliche Unternehmen der Stadt, durch den Verkauf der Betriebe geschlossen wurde. Der erste Zusammenstoß ereignete sich in Cutral Có und Plaza Huincul, in der Provinz von Neuquén, in Patagonien, am Rand der Gebirgskette der Anden. Die Privatisierung des staatlichen Unternehmen Yacimientos Petrolíferos Fiscales (ypf ) durch irreguläre parlamentarische Praktiken, eilig durchgeführt im Wind des Neoliberalismus, welcher mit der Politik des Präsidenten Menem blies, führte dazu, dass die spanische Firma Repsol entschied, die alte argentinische Firmen für unproduktiv zu erklären und damit zahlreiche Arbeitsplätze zu streichen.
Das Fehlen von Arbeitsplätzen ließ den Konsum schrumpfen, die elementarsten wirtschaftlichen Kreisläufe, die zum Überleben nötig sind, brachen zusammen und verursachten interne Migrationen. Die Schließung des Eisenbahnnetzes, angeblich aufgrund von Rentabilitätsproblemen isolierte die Gemeinschaften und verschlimmerten die Umstände weiter. Die Hausfrauen, die mit ansahen wie ihre Männer ihre Arbeit verloren, ihre Kinder nicht mehr zur Schule gehen konnten und die ganze Familie ohne medizinische Versorgung dastand, ergriffen die Initiative. Die Straßen von Cutral Có und Plaza Huincal wurden von den Einwohnern ganzer Städte, die ihre Existenz in Gefahr sahen gesperrt. Sie verlangten Arbeitsplätze oder Alternativen, die es ihnen erlauben würden, in ihrer Stadt oder auf ihrem Land zu bleiben. Der mehr als ein Jahr dauernde Kampf war gekennzeichnet durch gebrochene Versprechen und der Verweigerung der Verantwortlichkeit seitens der nationalen und provinziellen Regierungen. Ähnliches geschah in der nördlichen Provinz von Salta, in den an Öl reichen Bezirken von San Martin, Tartagal und General Mosconi, dort wurden die privatisierten Ölunternehmen von dem spanischen Konzern Repsiol als unrentabel erklärt. Die Massenentlassungen verwandelten die Dörfer in Geisterstädte.
Sofort wurden Blockaden organisiert um gegen das Fehlen von politischen Alternativen zu protestieren und die Regierung präsentierte einige Jahre später den sogenannten "Arbeitsplan", der einen massiven und rapiden Abbau der Arbeitslosigkeit simulierte. Dieser Arbeitsplan enthielt für einige die einmalige Möglichkeit an einer Beschäftigungsmaßnahme, die drei Monate dauert, teilzunehmen und ein Einkommen von 160 Pesos monatlich (weniger als 45 $) zu verdienen.
Schließlich begannen die großen Blockaden unweit der Hauptstadt, besonders in dem Gebiet von "La Matanza". Dort trafen sich zu jeder Demonstration mehr als 10.000 Menschen, die ihr prinzipielles Recht, die das kapitalistische System nicht garantieren konnte einforderten: das tagtägliche Überleben.
Heutzutage gibt es Blockaden in den meisten Teilen Argentiniens, wobei die Hauptstraßen, Nationalstraßen und den Zugang zur Hauptstadt gesperrt werden. Bei den ersten Aktionen war die grundlegende Forderung der "Streikposten" (Piqueteros) die Umsetzung der sozialen Pläne. Doch mit jeder neuen Eroberung der Straße wuchs die Anzahl der Beteiligten. Dies erlaubte es, die Strukturen der Organisierung zu stärken, wobei in der einen oder anderen Art und Weise, ein Teil der staatlichen Beihilfe aus den Beschäftigungsmaßnahmen an die Organisierung der Piqueteros abgetreten werden muß. Heute stellen die Piqueteros eine Vielzahl von politischeren Forderungen. In der Bewegung der Piqueteros finden sich verschiedene Strömungen, von eher radikalen Positionen wie den Trotzkisten, Marxisten-Leninisten, bis zu den gemäßigteren wie den großen Gewerkschaften CTA und CCC. Das zeigt uns, dass es eine scharfe Trennung im Herzen der Bewegung der Piqueteros gibt: die, die um einen Platz im System kämpfen (um einen Platz in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bitten und um verbesserte soziale Bedingungen) und denen, die für einen fundamentalen Wandel der realen sozialen Existenzbedingungen eintreten.
Im Verlauf der Entwicklungen in Argentinien, als es während des Monats Dezember 2001 in den Straßen zu massiven und generellen Protesten kam, in deren Zuge Präsident Fernando de la Rúa und sein Wirtschaftsminister Domingo Cavallo abtreten mussten, spielten die Piqueteros noch keine bedeutende Rolle. Der entscheidende Faktor bei der Amtsenthebung der Regierung war die Mittelklasse, die mit ihren Protesten in Form von „cacerolazos“ (sogenannte Kochtopfdemonstration) und Pfeifkonzerten die Strassen überschwemmten, um ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Spontan erhoben sich tausende von empörten Menschen um gegen die Konfiszierung ihrer Vermögen, gegen die steigende Arbeitslosigkeit und die Zunahme der Gewalt in den Städten zu protestieren. Sie verstopften die Verkehrs-Nervenbahnen von Buenos Aires bis in die tiefe Nacht und trafen dann auf dem Plaza de Mayo zusammen um gemeinsam von der Regierung eine Erwiderung zu erzwingen. Die massiven Proteste und die folgende Mobilisation auf dem zentralen Platz, vor dem Regierungsgebäude wurden brutal niedergeschlagen, es gab 48 Tote in ganz Argentinien zu beklagen. Diese Unruhen waren ausschlaggebend für den Sturz der Regierung.
Verantwortlich für den Ausbruch der Revolte im Dezember war also die Mittelklasse und nicht die Bewegung der Piqueteros. Die Ereignisse vom Dezember offenbarten, wie weit die Bewegung der Piqueteros noch davon entfernt ist, ein großes historisches Subjekt zu sein, das die Kapazität hat, einen fundamentalen revolutionären Wandel in Argentinien hervorzurufen.
Juan P. M. & Diego. S. S.
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