Archiv der Kategorie: Feierabend! #32

Aus Alt mach Neu! Neu ist was?

Ein Nachtrag von Gerüchten, Tatsachen und Hybriden zur Eröffnung des Centraltheaters

Jede Metropole braucht, um ihren Status zu erringen, oder wenigstens zu etablieren, satte Skandale – nach allen Diskokriegsgeschichten ging dem frischgebackenen Großstädter das Herz auf und mit einem triumphalen Lächeln Richtung Berlin dreh­te er sich um, der Leipziger, und rieb sich die Großstadthände. Vor kurzem konn­te man sich auch endlich vom Pro­vinztheater befreien – Skandal, Skandal – das eben noch ehrwürdige Schauspielhaus gibt’s nicht mehr, die Diktatur des Wolfgang Engel ist nach 13 Jahren vorbei. Die Flaute in den Besucherzahlen war An­lass für den Kurswechsel. Die übliche Er­klä­rung eben. Nun ist da ein Neuer am Thea­terruder und schwingt Fahnen der Moderne über unsere Köpfe. Alles sollte anders werden, neu und neuer! Sebastian Hartmann, der „Ost-Brutalo“, wie man ihn liebevoll in der feuilletonistischen Opium­höhle nennt, hat die alten Köpfe abgesägt und die Hinterteile obendrein. Die, so sagt er in einem Interview mit dem Kreuzer, seien nämlich zu fett geworden, wie die meisten Hinterteile auf deutschen Intendantenstühlen nach Jahren unbe­schol­tener Nicht-falsch-Macherei. Mit die­sen Worten bricht er das wochenlange Schwei­gen, welches nach seiner Ernennung zum neuen Intendanten geherrscht hatte, sozusagen als Anheizer-Intro, und damit ließ er auch gleich die Bombe platzen.

Nichts darf mehr an die alte Zeit erinnern. Man soll wieder reden können über Leipzigs Theaterlandschaft. Es braucht junge Ideen, visionäre Kräfte und dergleichen. Schluss mit dem Theater für eine Bildungselite, die sich nach der Aufführung die rahmenlose Brille säubert und sagt: „Ja, das war angenehm.“ oder „Also die Luise war mir einen Hauch zu artifiziell.“. Dafür schafft man Spielpläne (irgend­wann) ab, stellt sich einen haus­eige­nen Philosophen ein und öffnet Vorhänge auch für Amateure. Man mag die Namen Skala und Centraltheater ja etwas de­kadent finden, aber fehlende Pub­li­kumsnähe kann man der Theaterleitung nicht vor­wer­fen, schließlich hatten die vor der Um­benennung einen Umfragebogen bei Studenten rumgeben lassen. Nur seltsam, dass die ersten Flyer mit den Namen schon vor der Auswertung der Fragebögen verteilt waren. Sei es drum. Allein es zählt der gute Wille! Aber was ist denn nun neu? Die al­te Belegschaft wurde raus­geschmis­sen, ganz im Gegensatz zur bro­deln­den Ge­rüchteküche traf es nicht die gesamte Mann­­schaft, sondern eben die Deppen, die immer gehen müssen: Dramaturgen und Schauspieler. Vielleicht hat der Hartmann aus den Fehlern der Alten doch nicht gelernt. In Eisenach bspw. durf­te sich der damalig neue Intendant am Landestheater, Schlicht sein Name, gegen Morddrohungen zur Wehr setzen, der Kampf zwischen altem Verwaltungsapparat und neuer Führung tobte heftig bis zum Tag der (schon lange beschlossenen) Schließung des Hauses. Aber davon ist in Leipzig nach eigenen Aussagen nichts zu spüren. Um seine persönlichen Leibeigenen in Lohn und Brot zu wissen, ist der Hartmann extra durch Deutschland gereist und wie es so kam, ließen sich im Lande nur diejenigen auftreiben, mit denen Hartmann sowieso schon seit Jahren zusammengearbeitet hatte. Im Gebälk mun­­kelt man von „inzestuösen“ Strukturen. Da ist schon wieder Herr Altmann hinter dem Hartmann, der Dunkelschat­ten, der immer da ist, aber keiner weiß, was genau er zu tun hat, außer kaugummikauend in Veranstaltungen der Theaterwissenschaft zu sitzen und den Studenten das neue Hauskonzept zu erklären. Und wie sollte es anders sein, auch der Hartmann-Zögling Thomas Lawinky ist wie­der da. Manche kennen ihn noch aus den guten alten Zeiten, da er Journalisten während der Aufführung den Schreibblock stibitzte. Daraufhin publizierte der bestohlene Schreiberling Stadelmeier einen empörten Artikel in einer unbedeutenden Zeitung mit der Überschrift „Bericht über einen Angriff auf mich“.

Aber eines muss man dem Hartmann lassen, er ist ein echter Marketingfuchs. Er wusste genau, was das Leipziger Herz begehrt, nämlich etwas, worüber man sich aufregen kann: Ein Skandal, ein Groß­stadttheatergroßstädterskandal. Mit einer geschickten Öffentlichkeitsarbeit im Stile der reduktionistisch gehaltenen Geheimtipp-Kampagne wurde die Neugier geschürt und als dann auch noch die Preispolitik revolutionierte wurde (5,- Euro für Studenten, 3,- Euro für ALGII-Empfänger bei freier Platzwahl), da war kein Halten mehr und sie strömten in Massen und strömen noch immer zu Rainald Grebes recht unterhaltsamer Bionade-Biedermeier-Revue, zu einem Macbeth in FKK-Manier, zu den noch immer existierenden Tocotronic-Boys und einer Matthäus­passion, für die man sich lieber Stullen schmieren sollte, um nicht zu verhungern. Das Konzept geht auf. Ein Konzept, das laut Gerüchteküche fleißige Helfer aus dem Theatrium geschrieben hatten und zum Dank dafür ein nettes Nichts bekamen. Hartmann ist aber nicht nur Neuerer und meist verhassteste Person in Theaterkreisen des alten Leip­zigs, er ist zudem ein grandioser Regisseur, der aus einem Repertoire oft politisch oder radikal-didaktisch motivierter Ideen schöpft. Immer etwas dekonstrukti­vi­stisch (ja ja, Brecht-Alarm und so), etwas mit Stadtbezug, mit Zeigefinger, etwas grausam, immer etwas Neues. Für den neuen Großstädter. Hartmanns Inszenierungen sind ein echtes Theatererlebnis und das findet er auch gut, denn Theater soll verstören und damit echte Gefühle aus unserem limbischen System heraus kitzeln. Da spürt man den heißen Atem der Schau­spieler direkt im Gesicht, wenn sie mal wieder die alte Kluft zwischen ihnen und uns einreißen, um Schlüpfer, Pudding und Texte ins Publikum zu schleu­dern, ja, es uns regelrecht ins Auge spucken, damit wir bloß nicht in die Genügsamkeit des Schauens abdriften. Da wird man endlich wieder Zeuge vom authentischen Wechselspiel der Gefühle, wenn das Publikum seiner­seits die Grenze zur Bühne einreißt und ein Gespräch mit den Darstellern beginnt. Da ist man mittendrin, wenn sich der Zuschauerraum nach der Aufführung spaltet, die eine Hälfte artig buht, während die andere klatschend rebelliert.

Wer dann immer noch nicht genug hat, kann ja in die recht eigenständig geworde­ne Skala gehen und bei einer der berüchtigten Open-Stage-Reihen mitmachen. Vielleicht sollte er auch erstmal damit war­ten, denn die hippen Skala-Boys und -Girls aus Berlin streiten sich wöchentlich in der Dis­po­sitzung darüber, wer sie eigentlich sind und was sie eigentlich machen wollen. Oder man trottet langsam zum Paoli in die Prüfgesellschaft für Sinn und Zweck – glückliche Arbeitslose erwünscht, aber lang­sam, denn das ist das Cre­do der selbsternannten „extremistischen“ Gruppe: Zeit dehnen. Auf den un­ter­haltungssuchenden Teil der Bevölkerung warten nette Konzerte und sogar ein Mu­sical. Wer dann gar nicht mehr zu halten ist, sucht sich eben eine der dutzend­fach vorhandenen Thea­ter­gruppen aus dem Spinnwerk. Frisch aus Magdeburg kam Katrin Richter daher, zeit­weilig berühmt durch Auftritte beim Quatsch Comedy Club, und sorgt für ein thea­terpädagogisches Imperium. Ein Imperium, so groß, dass nun andere Theatergruppen, wie die vom Theater der jungen Welt, händeringend um neue Mitglieder betteln. Die Freie Szene in Leipzig blickt der Kulturhegemonie durch das finanziell gut gefütterte Centraltheater skeptisch entgegen. Denn welchen Grund hat die Stadt noch, andere Theaterprojekte zu fördern? Es ist doch alles da. Und alles neu. In unserer Großstadt.

(amu)

Luxus und Sicherheit

Leipzig entwickelt sich immer mehr zur Metropole. Auch in städtebaulicher Hinsicht, denn jetzt bekommt unsere Stadt endlich ihre erste „Gated Area“. Die Central Park Residence am Clara-Zetkin-Park soll aus drei „luxuriösen Stadtvillen mit Penthouse, Dachgärten und Jacuzzi “ (so die Werbung der Immobilienfirma) bestehen. Die Eigentumswohnungen (je neun pro Haus) sollen dabei mit allerlei technischen Finessen, unter anderem auch „modernster Kommuni­kations­elektro­nik durch Glasfaserkabel“ ausgestattet werden. Die soll es z.B. ermöglichen, vom Urlaubsort aus per Handy noch mal nachzuprüfen, ob mensch nicht doch vergessen hat, das Licht oder den Herd auszuschalten. Die Grundsteinlegung ist für Ende Februar geplant.

Das ganze 5000qm große Areal wird komplett eingezäunt sein. Beim Concierge können nicht nur „rund um die Uhr“ Serviceleistungen geordert werden, sondern dieser wird auch dafür Sorge tragen, dass niemand ohne Erlaubnis das Gelände betritt. Ein unter anderem auch (unauffällig direkt in den Zaun integrierte) Minikameras umfassendes Sicherheitssystem soll zusätzlich zum „Rundumschutz“ für die künftigen Bewoh­ner_in­nen beitragen. Fragt sich nur, warum diese meinen, solchen Schutz nötig zu haben und sich in dieser Weise von der Außenwelt abschotten zu müssen.

(justus)

Neues von der „Gewaltspirale“

Wer die Leipziger Volkszeitung aufmerksam liest, wird womöglich schon bemerkt haben, dass mensch es dort mit den Fakten nicht so genau nimmt, wenn es um die Leipziger radikale Linke geht. Das Klischee vom sinnlos Steine schmeißenden Connewitzer „Chaoten“ scheint sich dort schon so verfestigt zu haben, dass man genauere Recherchen gar nicht mehr für nötig hält. Diese Vermutung wird durch die Berichterstattung über die Proteste gegen das Mitte November 2008 in Lindenau eröffnete NPD-“Bürgerbüro“ (siehe FA! #31) wieder einmal bestätigt. Insbesondere ein am 5.12.2008 erschienener Artikel (1) liefert ein Beispiel davon, was man bei der LVZ so unter Journalismus versteht. Schon in der Überschrift wird da von einem „Angriff auf NPD-Büro in Lindenau“ gesprochen. „Rund 40 vermummte Personen“ hätten das Gebäude mit Steinen und Feuerwerkskörpern attackiert. Anwohner hätten „die Übergriffe beobachtet und gegen 22.30 Uhr die Beamten alarmiert.“

Wenn die braven Bürger_innen sich die Mühe gemacht hätten, einmal aus dem Fenster zu schauen, ehe sie die Polizei alarmierten, hätten sie freilich bemerkt, dass die dort versammelten Antifaschist_innen keine Anstalten machten, das NPD-Büro anzugreifen, sondern nur gekommen waren, um den Neonazis ein Ständchen zu bringen. Über Lieder wie „Deutschland muss sterben“ von Slime freuten diese sich allerdings nicht so sehr – sie reagierten, indem sie mehrere Böller über den Zaun auf die Straße warfen.

Entgegen der Behauptung des Artikels, nur der mannshohe „Metallzaun vor dem Gebäude und das schnelle Eingreifen der Polizei“ hätten Schäden verhindert, bekleckerten sich auch die anrückenden Herren in Grün nicht gerade mit Ruhm. So wurden die Teilnehmer_innen an der Aktion vorsorglich eingekesselt, und statt erst einmal zu überprüfen, ob überhaupt irgendeine Straftat vorlag, gingen die fleißigen Beamten gleich daran, alle Anwesenden erkennungsdienstlich zu behandeln. An einer anschließenden genaueren Untersuchung des Sachverhalts dürfte dann auch kein Interesse mehr bestanden haben – das Ergebnis wäre wohl doch zu peinlich für die Polizei gewesen.

Während sich die LVZ darauf beschränkt, den Polizeibericht abzutippen, nutzte ein Autor der Leipziger Internetzeitung lizzy-online die Gelegenheit, um seine Phantasie mal wieder frei spielen zu lassen (2). Die dem Kommentar beigefügte Illustration (ein ungelenk gezeichnetes Hitler-Bildchen, das mit dem Bild eines schwarz gekleideten Autonomen zusammenmontiert ist), lässt die Stoßrichtung bereits erkennen: Antifa = Nazis, alles böse Extremisten, die mit sinnloser Gewalt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung kaputt machen. Unbeeinträchtigt von jeglicher Sachkenntnis fabuliert der Autor eine „Gewaltspirale“ herbei, an deren Ende keiner mehr weiß, „wer wann und wie angefangen hat.“

Dreht man die Dummheitsspirale noch ein wenig weiter, könnte man das so übersetzen: Wenn eine Gruppe von ca. 40 Neonazis ein Wohnhaus in Reudnitz angreift (wie es Ende November 2007 geschah, siehe FA! #29), dann nur, weil sie zuvor von den dort wohnenden Student_innen bedroht und angegriffen wurden. Und auch die etwa 70 rechten Hooligans, die mit Baseballschlägern und Messern bewaffnet eine Weihnachtsfeier der linken Ultragruppe Diablos stürmten (siehe FA! #28), taten dies wahrscheinlich nur, weil sie sich anders nicht mehr zu helfen wussten. Tucholskys ironischem Motto „Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft“ folgend, müsste man dann nur ordentlich nett zu den verängstigten Jungmännern sein, damit sie wieder zur Vernunft kommen. Eine interessante Theorie, die nur den Fehler hat, dass sie offensichtlich absurd ist.

(justus)

(1) www.lvz-online.de/aktuell/content/81253.html

(2) zu finden unter www.l-iz.de/Leben/P%C3%A4%20und%20Unf%C3%A41le/2008/12/Kommentar.-Wo-die-Dummheit-fle-200812051428.html

Keine Atempause, Geschichte wird gemacht…

Treffen sich zwei griechische Anarchos. Meint der eine: „Du, wollen wir unsere Mollies lieber am Anfang der Demo oder am Ende werfen?“ Darauf der andere: „Ach, hör bloß auf mit deinem Theoriescheiß!“

Das kam in letzter Minute: Kurz vor dem Ende des Jubiläumsjahres versuchte die griechische radikale Linke noch, ein Remake des Mai `68 auf die Bühne zu bringen. Ganz hat es nicht geklappt, Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht. Ein wenig dankbar kann mensch den griechischen Anarchist_innen dennoch sein. Immerhin widerlegen sie (im Verbund mit der allgegenwärtigen Finanzkrise) sehr schlagfertig die These vom „Ende der Geschichte“. Ganz so krisensicher ist der Kapitalismus anscheinend doch nicht.

Aber eine Straßenschlacht macht noch keine Revolution, auch wenn die Polizei dabei ausnahmsweise mal den Kürzeren zieht und das Kampfgetöse dabei so laut wird, dass es auch von der „bürgerlichen“ Presse im Ausland nicht ignoriert werden kann. Interessanter als die spektakulären Bilder von brennenden Autos und marodierenden „Chaoten“ ist allemal, was am Rande geschah und geschieht, bei den Besetzung von Universitäten, Rathäusern und Gewerkschaftszentralen. Solche Ansätze einer weitergehenden Selbstorganisierung werden von der Mainstream-Presse lieber ignoriert. Nicht nur, weil es eben nicht spektakulär genug aussieht, wenn Leute gemeinsam diskutieren, wie sie künftig leben wollen, sondern auch, weil gerade das die Leser_innen auf gefährliche Ideen bringen könnte: Das Infragestellen der geltenden Eigentumsordnung ist für unsere Gesellschaft allemal bedrohlicher als ein Angriff auf die Polizei.

Leider scheinen die griechischen Radikalen das gern mal zu vergessen. Das ist auch der große Unterschied zum französischen Mai ‘68. Im Gegensatz zu damals werden eben noch keine Fabriken besetzt. Die Ereignisse in Griechenland mögen also einen ganz netten Aufstand darstellen, ein Auftakt zur demnächst folgenden Weltrevolution sind sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht. Aber immerhin rufen sie eine wichtige Tatsache in Erinnerung: Dass Geschichte noch immer das Ergebnis menschlichen Handelns ist – und dass es nicht immer nur die „großen Persönlichkeiten“ sind, die Geschichte machen.

(justus)

Leipziger Kulturkampf befriedet

Streit um „Paulinum“

Der „Leipziger Kulturkampf“ (FA! #31) wurde befriedet… ganz ohne göttlichen Donnerschlag, der die Ungläubigen zerschmettert, die es wagen den Uni­versi­täts­neubau als weltliches Gebäude zu verstehen. Stattdessen griff die weltliche Justiz in Gestalt der Generalbundesanwältin Monika Harms schlichtend ein. Zwischen Freistaat, Uni, Kirche und Stadt wurde Mitte Dezember 2008 ein Kompromiss oder besser ein Konsens über den Dissens proklamiert und der lächerliche Streit offiziell beendet. Der pompöse Bau erhält demnach den klangvollen Namen „Pauli­num. Aula – Universitätskirche St. Pauli“, die Universität sicherte die Nutzung für Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen zu und die umstrittene Glaswand wird, den Kirchen­befürwortern zum Trotz, gebaut. Wo genau die Kunstschätze aus der 1968 gesprengten Universitätskirche Platz finden, ist noch offen.

An den rückwärtsgewandten Ansichten der Kirchenbefürworter hat sich nichts geändert. Sie interpretieren den Kompromiss nach eigenem Gutdünken. Faktisch ist der Bau weltlich, doch er sehe aus wie eine Kirche, also wird die christliche Gemeinde ihn auch Kirche nennen (*). Das „Universitätskirche St. Pauli“ nur im Untertitel steht, ignorieren sie beflissentlich. Der Bau der Glaswand wird trotz der Schlichtungsergebnisse nicht akzeptiert. Der Dissens liegt ohnehin mehr im ideologischen Bereich. Das Weltliche versuche den angestammten kirchlichen Boden zu übernehmen. Die Glaswand sei ein „ideologischer Schutzwall“ (Pfarrer Christian Wolff, Die Zeit #42) und das „Paulinum“, würde nach Mei­nung der Kirchen­befürworter nur oh­ne sie die „ästhetischen, denkmalsgerech­ten und akustischen Gesichtspunkte“ erfüllen, die nötig wären, um angemessen an die Sprengung von 1968 zu erinnern. Der Bau „würde dann auch außerhalb von Leip­zig als etwas ganz Besonderes wahrgenommen.“(*). Bescheidenheit ist wohl keine christliche Tugend mehr, sondern bleibt als notwendige Eigenschaft den ALGII-Beziehern überlassen.

Auch der „Paulinerverein“, der zu den frühesten Befürwortern des originalgetreuen Wiederaufbaus gehörte, wirft der Univer­si­tät weiterhin vor, die geplante Dreifachnutzung – akademisch, musikalisch, kirchlich – zu deren Realisierung die Glaswand gedacht ist, bestätige ihr Einverständnis mit der Vernichtung von 1968 und setze so „die damals herrschende Ideologie“ fort(**). Die Universität Leipzig also ein so­zialistisches Regime? Das dürfte wohl alle Studierenden verwundern, die sich immer mehr der Verwertungslogik des Marktes und immer weiter eingeschränkten Mit­bestimmungsrechten gegen­über­sehen.

… Also alles wie immer, aber schön, dass wir mal drüber geredet haben.

(wanst)

 

* Friedensgebet Nikolaikirche, 12. 01. 2009

** Erklärung des Paulinervereins, 08. 01. 2009

chronik.LE

Dokumentation faschistischer, rassistischer und diskriminierender Ereignisse in und um Leipzig

Seit Ende 2008 berichtet die Internet-Dokumentationsplattform chronik.LE über rassistische, faschistische und diskriminierende Vorfälle und Ereignisse in Leip­zig und Umgebung. Bisher gab es eine chronologische Auflistung von Naziakti­vi­täten nur in sehr kurzer Form im Gamma Antifa-Newsflyer, eine Chronologie im Internet bisher noch gar nicht. Dank der Zu­sammenarbeit des Ladenschluss-Aktionsbündnisses und des Vereins Engagierte Wissenschaften e.V konnte nun eine umfangreiche und sehr ausführliche Chronik geschaffen werden.

Dokumentiert werden Propagandaaktio­nen, Aufmärsche, Übergriffe und Gewalt­hand­lungen von Nazis. Gegenstand der Do­kumentation sind aber auch Alltagsrassismus und Rassismus in den Medien, sexistische und antisemitische Vorfälle so­wie Feindlichkeiten gegen Homosexuelle, Behinderte und Obdachlose. Die Ereig­nisse werden mit einer kurzer Beschreibung sowie Datums- und Ortsangabe veröffentlicht und mit inhaltlich passenden Schlag­worten versehen. Der große Vorteil ist die sich daraus ergebende Recherche­mög­lichkeit. So können die Ereignisse nicht nur nach Datum, sondern auch nach Ort und Thema sortiert werden.

Neben der reinen Dokumentation gibt es auch die Möglichkeit für längere Überblicksartikel. Informationsbasis für diese soll nach Möglichkeit die Chronologie selbst sein, aber auch die unterschiedlichen Arbeitsbereiche der Projektbe­teiligten. Mög­liche Themen solcher Dossiers wären zum Beispiel „Das NPD-Zentrum in Linde­nau“ oder „Wohn- und Lebensbe­din­gungen in Leipziger Asyl­bewerberIn­nen­heimen“.

Das Besondere an chronik.LE ist der Netz­werkcharakter. Viele verschieden Organisationen, Initiativen und Gruppen beteiligen sich am Projekt. Durch ihre unter­schied­lichen inhaltlichen und lokalen Schwer­punkte werden sehr viele diskriminierende Ereignisse in Erfahrung gebracht und zum ersten Mal zentral gesammelt. Wer die Seite besucht wird über die bereits jetzt sehr umfassende Sammlung erstaunt, bzw. erschüttert sein.

Ziel von chronik.LE ist es jedoch nicht nur ein Archiv zu sein. Die Plattform soll vor al­lem die Arbeit von Initiativen und Orga­ni­sationen gegen Diskriminierung unterstützen sowie wichtige AkteurInnen, wie z.B. JournalistInnen und Kommunalpoli­ti­kerInnen, informieren und sensibilisieren. Um dies zu gewährleisten hat die Qua­lität und Verlässlichkeit der Informa­tio­nen oberste Priorität, weniger deren Ak­tua­lität. Die Angabe von Quellen und die Verifikation der Informationen durch die beteiligten Gruppen sollen deren Zu­ver­läs­sigkeit gewährleisten. Das Projekt will sich so auch deutlich Abheben von In­formationsquellen wie z.B. Indymedia.

Trotzdem kann selbstverständlich jeder und jede Informationen über diskrimi­nierende Vorfälle dem Projekt melden. Das ist möglich über die Emailadresse chronikLE@engagiertewissenschaft.de, oder über das Kontaktformular auf der Web­site. chronik.LE wird sich bemühen die Informationen zu bestätigen und dann ggf. zeitnah zu veröffentlichen. Willkommen sind auch Artikel für die Dossier-Rub­­rik, wir bitten jedoch um vorherige Absprache.

So, und nun kann die Recherche beginnen unter: www.chronikLE.org

(chronik.LE)

Umstrittenes Besetzer-Haus abgebrannt

… titelte der MDR am 5. Februar 2009 in seiner Internetpräsenz über das Erfurter Pro­blem­kind und fügte hinzu: „Das Haupthaus der Besetzer brannte nicht, war aber stark verraucht.“ Tja, zu früh gefreut, liebes MDR-Auditorium! Niemand kam zu Scha­den und es scheint sich auch nicht um Brandstiftung zu handeln. Alles „halb so wild“ also, das „B-Haus“ steht nach wie vor und bereitet sich weiter auf die (militante) Verteidigung vor. Doch der Reihe nach, seit unserem letzten Bericht über das ehe­malige Topf-&-Söhne-Gelände hat sich viel getan. Nach der bundesweit mobili­sier­ten Demonstration mit etwa 1400 Teil­nehmer_innen am 24. November war es über Weihnachten in’s neue Jahr hinein erst einmal ruhiger geworden um den weit beachteten Widerstand gegen die drohende Räumung des Geländes. Bis die Domicil Hausbau GmbH den Be­set­zer_in­nen am 8. Januar einen Brief zu­kommen ließ, in dem sie aufforderten, den besetzten Teil des Geländes bis zum 21. Januar 2009 zu räumen. Diese ließen den Termin freilich verstreichen, wurden aber nicht geräumt und sehen sich nun einem erneuten Ultimatum gegenüber: Die nächste Räumfrist läuft am 15. Februar ab. Eine weitere große Demonstration am 24. Januar mit ca. 1100 Teil­nehmer_in­nen sollte der Höhepunkt einer Aktionswoche sein, die mit einer spon­tanen „Jubeldemo“ begann und sich über mehrere Tage fortsetzte. „Sollte“ deshalb, weil eine Aktion besonders herausstach und deutschlandweit mediales Interesse auf sich zog, so dass diesmal nicht nur der MDR und Indymedia berichteten, sondern sich praktisch jede große Tages- und Wochenzeitung und sensationslustige Fernsehsendung sich des Themas annahm:

Bernd das Brot entführt!

Das sympathisch-depressive Kastenbrot des Ki.Ka war plötzlich verschwunden. Bis zum 21. Januar warb es in Form einer 2 Meter großen Kunststoff-Figur in der Erfurter Altstadt für den ARD/ZDF-Kinderkanal, der dort seinen Sitz hat. Nachdem kurz darauf im Internet ein Video auftauchte, in dem Bernd erklärt er sei vom Alkohol- und Gammelverbot der Stadt Erfurt von seinem Platz vertrieben worden, schien der Fall klar: Bernd suchte Schutz im besetzten Haus und solidarisierte sich mit den Bewohner_innen. Anders sah das natürlich der Bürgermeister und die Stadt, welche Anzeige gegen unbekannt erstattete, und auch ein Be­ken­ner­schreiben des sog. „129 A-Team“ ließ letztlich keine Zweifel offen – Bernd wurde tatsächlich entführt und werde zu gegebener Zeit freigelassen. Mensch mag nun über derartige Instru­men­talisie­run­gen von populären Broten denken was mensch will, die so gewonnene Aufmerksamkeit für das von der Räumung bedrohte Haus lässt sich kaum bestreiten. Der Pro­grammgeschäftsführer des Senders, Steffen Kottkamp, hingegen meinte zur Sachlage: “Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich Bernd vereinnahmen lässt. Er ist ein schlecht gelauntes Kastenbrot, das auf seinen Platz zurück will, um in Ruhe gelassen zu werden.“ Mittlerweile ist Bernd wieder da, aufgefunden in einem Keller auf einem ehemaligen Kaser­nen­gelände bei Nohra im Weimarer Land, wo er wohl die meiste Zeit seiner elf­tägigen Tortur zubringen musste. Es geht ihm (den Umständen entsprechend) gut und er wurde unter zahlreichen Kameras und den glücklichen Gesichtern Erfurter Kinder und Er­wachsenen wieder an seinem Platz verschraubt, verschweißt und mit „Sicher­heits­technik der Polizei“ ausgestattet.

Doch noch einmal zurück zum besetzten Haus: Die Lage ist weiterhin prekär, das einzige von der Stadt als Ersatz angebotene Objekt sei zu klein, nicht alle Be­wohne­r­_innen – geschweige denn Projekte – würden darin (Wohn)Raum finden. Außer­dem läge es sehr weit außerhalb und hat Nachbarn, mit denen schnell Konflikte wegen Ruhestörung u.ä. zu erwarten seien. Letztlich bleibt den Beset­zer_in­nen zu wünschen, dass sie ihre Bleibe auf dem Topf-&-Söhne-Gelände halten können. Dennoch sei ihnen auch ein wenig Kompro­missbereitschaft an’s Herz gelegt. Auf dass sie sich im Fall der Fälle nicht prinzipiell gegen eine Vereinsgründung wehren, welche von der Stadt als Bedingung für ein Ersatzobjekt gefordert wird.

(kuki cha)

Weimarer Zustände

Dass sich innerhalb der Linken gerne mal gestritten wird, ist allgemein bekannt – was seit einigen Monaten in Weimar abläuft, sprengt dennoch den Rahmen des Üblichen. Ort des Geschehens ist das Soziokulturelle Zentrum Gerberstraße bzw. die beiden Hausprojekte in der Gerberstraße 1 und 3, die von einem gemeinsamen Verein getragen werden.

Auf einem Vereinsplenum Ende Oktober 2008 wurde zum ersten Mal über eine Reihe von sexuellen Übergriffen diskutiert, die in den Räumen der Gerberstraße stattgefunden hatten. Die Betroffenen, die aufgrund der Vorfälle die Gerberstraße nicht mehr besuchen wollten, hatten sich an Vertrauenspersonen gewandt, es bildete sich eine Unterstützer_innengruppe. Dem Täter, der selbst in der Gerberstraße 3 wohnt, wurde in einem Gespräch nahegelegt, sein Verhalten zu reflektieren und ohne großes Aufsehen aus dem Haus auszuziehen. Dieser wandte sich daraufhin seinerseits an Vertrauenspersonen, die die Vorwürfe öffentlich machten und zum Vereinsplenum mobilisierten.

Die Unterstützer_innengruppe reagierte mit einer Erklärung, in der sie sich auf das Prinzip der Definitionsmacht berief, wonach die Entscheidung darüber, was sie als Überschreitung ihrer persönlichen Grenzen empfinden, einzig bei den Betroffenen selber liege. Zudem wurde erklärt, dass die Betroffenen anonym bleiben wollten und nicht wünschten, dass Details der Übergriffe öffentlich gemacht würden. Ein Großteil der auf dem Plenum Anwesenden sprach der U-Gruppe darauf­hin die Glaubwürdigkeit ab und forderte Details, damit man „objektiv“ entscheiden könne, ob eine sexuelle Belästigung vorliege oder nicht.

Auch die folgenden Plenas brachten keine Klärung des Konflikts, im Gegenteil verschärfte sich dieser zusehends. Es bildeten sich zwei Lager heraus, von denen das eine hauptsächlich aus jüngeren, im Umfeld der Gerberstraße 1 politisch aktiven Leuten besteht, das andere eher der Gerberstraße 3 zuzuordnen ist. Wiederholt kam es zu Handgreiflichkeiten gegen Mitglieder der U-Gruppe und Leute, die sich mit dieser solidarisierten. Auch auf den Plenas konnte die U-Gruppe sich mit ihren Forderungen nicht durchsetzen – ihre Argumente wurden teilweise einfach „nie­dergebrüllt“, ihnen wurde vorgeworfen, das Projekt „spalten“ zu wollen, hinzu kamen Beschimpfungen und Drohungen.

Letztlich wurden die Strukturen des Trä­gervereins der beiden Häuser gegen die Unterstützer_innengruppe in Anschlag gebracht. Diese hatten bis dahin als reine Formalien gegolten und dazu gedient, den Häusern gegenüber der Stadt einen legalen Status zu verschaffen, wurden jetzt aber dazu genutzt, um zwei Mitglieder der U-Gruppe zum Auszug aus der Gerberstraße 3 zu zwingen. Diese wurden ihrer „Ämter“ enthoben (sie waren als Sozialarbeiter beim Verein angestellt), einer anderen Person aus der U-Gruppe, die im Vorstand des Vereins aktiv war, wurde nahegelegt, von ihrem Posten zurückzutreten. Diesem Beschluss des Plenums waren offenbar interne Absprachen vorausgegangen – dass unmittelbar darauf die Schlösser der Büroräume der Gerberstraße 3 ausgewechselt und so der Entscheidung in handfester Weise Nachdruck verliehen wurde, stützt diesen Verdacht. Schon einige Zeit vorher war das Passwort des Email-Accounts der Gerber 3 geändert worden – ein Mitglied der U-Gruppe hatte sich zuvor jahrelang um die Verwaltung der Mails gekümmert.

Sexistisches Verhalten nicht als Problem zu erkennen, stattdessen diejenigen auszuschließen und zu bedrohen, die dieses öffentlich thematisieren – solch ein Handeln wirft kein gutes Licht auf die Reflek­tionsfähigkeit von so manchen vermeintlichen Linken. Die Weimarer Zustände sind ein Symptom dafür, wie verbreitet stumpfes Mackertum auch dort ist, wo mensch es nicht erwarten würde.

(justus)

Eine ausführliche Chronik der Ereignisse findet ihr unter queerschnitt.blogsport.de/2008/11/26/der-kalte-putsch-von-weimar/

Vorschläge für das geplante „Freiheits- und Einheitsdenkmal“ zu Leipzig

Hurra, hurra, endlich ist die Kohle da! Nach langem Hin und Her hat sich der deutsche Bundestag doch noch dazu durch­gerungen. Auch Leipzig soll neben Berlin ein „angemessenes und sichtbares“ Denk­mal erhalten, um an die friedliche Wen­de von 1989 zu erinnern. Ganze 15 Millionen Euro sollen dafür aus der Steuer­­kasse springen. Klar, dass bei soviel Geld noch 4-5 Jahre ins Land gehen werden, ehe die Millionen rechtmäßig ver­­scho­­ben sind. Genug Zeit jedenfalls, um tol­le Gestaltungsvorschläge zu sammeln. Wie den von Michael Arnold, seinerzeit ein Mitbegründer des Neuen Forums. Ihm schwebt ein ,walk of fame’ nach dem Muster Los Angeles’ vor. Alle damals an den De­­monstrationen Beteiligten sollen ihre Na­men auf den Leipziger Ring schreiben. Super Idee und der Einfachheit halber wä­re es noch besser, eine komplette Namen- und Adressenliste beim Verfassungsschutz Sachsen zu hinterlegen. Nur für den Fall, dass Vandalen versuchen sollten, einige Namen auszutauschen oder dergleichen, versteht sich. Andererseits ist das doch zu kompliziert und ineffektiv gedacht. Wie wä­­re es stattdessen, wenn man den Leip­ziger Citytunnel einfach zum Denkmal um­­etikettieren würde. Ein dunkler Tunnel durch den Untergrund als Symbol für die Freiheitsbedürfnisse des Einzelnen und die Stationen sozusagen als Licht­punk­te, an denen das nationale Einheits­be­­wußtsein zum Himmel schnellt. Aus dem Steuersäckel des Bundes könnte man so den Schuldenberg für das größenwahnsinnige Bauprojekt zu­min­dest etwas ver­rin­gern und für ein paar tausend Euronen würde man noch einige Ge­denktafeln anbringen. Pragmatisch, öko­nomisch, überzeugend – aber viel­leicht doch etwas zu bürgerfern. Andere Idee: An die Stelle der weggesprengten Asbest-Hochhäuser am Brühl kommt kein Einkaufszentrum sondern ein riesiger Lehmklumpen, und die Stadt­be­völ­kerung könnte in eigenverantwortlicher Detailarbeit selbst ein „ange­mes­senes“ Denkmal mo­del­lieren. Klar, man bräuch­te etwas Geld für Zäune und Sicherheitspersonal, um etwaige Streitigkeiten zu unterbinden, aber der Rest würde noch reichen für ein weit­hin „sichtbares“ Lehm-Monument. Ok, die Sache wä­re dann ästhetisch ziemlich be­liebig, aber der Mitmacheffekt würde sicher den Lo­kal­patriotismus und über­haupt das Na­tio­nal­bewußtsein der Bevöl­ke­rung stärken, ein „Wahrzeichen“ des Vol­kes sozusagen. Dritter Vorschlag: Für einen Teil des Geldes erwirbt die Stadt, sa­gen wir, 50km neu­sten Stacheldraht, mit dem an­de­ren Teil werden einige altgediente Grenz­schüt­zer aus Ost und West reaktiviert. Dann zäunt man mit dem Draht die Stadtteile Schö­nefeld, Reud­nitz und Lin­de­nau ein und positioniert an den zentralen Ausfallstraßen Schlag­bäume nach alten Mustern und die neugemischte Grenz­schutzgrup­pe. Neben spürbaren Sicher­heits­effekten wür­de man so auch die Leip­ziger Stadtent­wicklung als zu­kunfts­orien­tiert ausweisen und gleichzeitig mit den Check­points echte Orte der Be­gegnung für Touristen und die bil­dungs­fernen Schich­ten der Bevölke­rung schaf­fen. Orte, an denen die Äng­ste und Hoffnungen der Vergangenheit mit de­nen der Zukunft zusammen­tref­fen.

Aber viel­leicht ist diese Idee doch ein wenig zu vision­är. Hat jemand bessere? Der Feierabend! sammelt Eure Vorschläge und übergibt sie im Rahmen der diesjährigen Mon­tags­gespräche in der Run­den Ecke den Stadt­oberen. Schickt Eure Ideen einfach an: feierabendLE@web.de. Unter allen Einsendungen verlosen wir ein Jahres-ABO. Also lasst Euren Gedanken freien Lauf!

(clov)

Stein auf Stein – sicher soll es sein

Das neue BundesKriminalAmt-Gesetz

Allein in den letzten sieben Jahren hat der Bundestag über 50 Gesetze ver­ab­schiedet, die tiefer in unser aller Leben ein­greifen, als es den meisten bewusst ist: Von der Registrierung der Konten- und Reise­bewegungen, über die Speicherung bio­metrischer Daten, bis zur Überwachung der Kommunikation durch die Vorratsdatenspeicherung, das staatliche Wissen über uns alle wird zunehmend umfassend. Der neueste Clou ist der „Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt“ (BKA-Gesetz) vom 17.6.2008, momentan in erster Lesung. Dieser Entwurf sieht diverse Änderungen des bisherigen BKA-Gesetzes vor, also des Gesetzes, das die Befugnisse des Bundeskriminalamtes bestimmt (1).

Terror? Sicher!

In der Geschichte der BRD gab es die verschiedensten Begründungen für die Verschärfung von Sicherheitsgesetzen: vom KPD-Verbot 1956 gegen Kom­mu­nist_in­nen über die Notstandsgesetze Ende der 60er Jahre gegen die Student_innen­bewegung, die zahllosen Maßnahmen im Kampf gegen die RAF, bis hin zur – dem zunehmenden gesellschaftlichen Rassismus entsprechenden – Figur der „Ausländerkriminalität“ in den 90er Jahren. Nun ist es der in seiner tatsächlichen Be­droh­lichkeit geradezu schwindelerregend über­höhte „internationale Terrorismus“, der als Erklärungsmuster herhalten muss. Diese politischen Begründungen scheinen be­liebig austauschbar, sind es aber letztlich nicht. Grund dafür ist, dass der Begriff des „Terrorismus“ noch diffuser und vager ist, als die bisher vorgebrachten Argumente für den Ausbau staatlicher Macht. Was ist Terrorismus? Die Antwort gibt die Exekutive: Entzündete Militärfahr­zeuge sind nicht mehr ein Sachschaden, sondern eine terroristische Attacke; die Fähigkeit eines Soziologen, soziologische Texte zu formulieren, stellte ihn unter Terror­verdacht. Ziviler Ungehorsam und sozialer Protest werden so je nach politischer Interessenslage als terroristische oder terrorähnliche Bedrohung inszeniert, diskreditiert und zunehmend kriminalisiert.

Unheimlich heimlich

Die Bedeutung der einzelnen Änderungen des BKA-Gesetzes wird letztlich erst dann richtig deutlich, wenn man sie vor dem Hintergrund der gesamten Sicher­heitsarchitektur betrachtet. Die erste Tendenz ist rein faktischer Art: Durch zunehmende technische Möglichkeiten kann der Staat weitgehend unbemerkt auch intime Daten erlangen. Wie das Bundesverfassungsgericht im Februar 2008 festgestellt hat, darf der Staat grundsätzlich auch mit Spionagesoftware in privaten Festplatten forschen („Online-Durchsuchung“). Nach dem BKA-Gesetz soll Artikel 13 des Grundgesetzes, in dem die Unverletzlichkeit der Wohnung verbrieft ist, bald noch weiter eingeschränkt werden, so dass in Wohnungen auch mit versteckten Kameras geforscht werden darf („Großer Spähangriff“). Zwar waren auch früher schon Hausdurchsuchungen bittere Erfahrung nicht nur mancher G8-Kritiker_innen, aber die nun vorgesehenen Maßnahmen beinhalten eine neue Heimlichkeit – anders als die „klassische“ Durchsuchung bekommt man sie schlicht nicht mit.

Leere Lehren aus der Geschichte

Die zweite Tendenz wurde noch nie so deutlich wie durch das BKA-Gesetz: Die unterschiedlichen Sicherheitsinstitutionen in der Bundesrepublik werden konzentriert und zwar gleich doppelt. Einerseits werden Kompetenzen von den Ländern auf den Bund übertragen und machtbegrenzende föderalistische Strukturen somit aufgegeben. So darf das BKA laut Entwurf von sich aus Ermittlungen beginnen, wenn Verdächtige in verschiedenen Bundesländern wohnhaft sind. Damit werden die Landespolizeien umgangen. Bisher musste das BKA von der Bundes­anwaltschaft oder einer Landespolizei beauftragt werden.

Andererseits wird eine funktionale Kooperation forciert, indem die verschiedenen Sicherheitsorgane nicht mehr nur Daten austauschen, sondern zunehmend auch ihre Aufgabentrennung verwischt wird. Es ist eine der Lehren aus dem deutschen Faschismus, dass Polizei und Geheimdienst getrennt zu arbeiten haben. Zwischen 1936 und 1939 wurden unter Himmler die Gestapo und die Kriminalpolizei zur Sicherheitspolizei zusammengeschlossen. 1939 folgte der Zusammenschluss der Sicherheitspolizei mit dem Sicherheitsdienst der SS zum Reichssicherheitshauptamt, das das Hauptamt der SS war. Die Gestapo arbeitete als Inlands- und Auslandsgeheimdienst, der nicht nur überwachte, sondern auch polizeilich verfolgte, folterte, Verhaftungen und Exekutionen vornahm. Um eine solche Machtballung mit all ihren Risiken zu verhindern, legten die Militärgouver­neure der Westalliierten 1949 im so genannten Polizeibrief das Trennungsgebot fest, das heute in Art. 87 Grundgesetz und § 8 Bundesverfassungsschutzgesetz verbrieft ist. Die Idee dahinter ist folgende:

Die Institution, die vieles kann, soll nicht alles wissen, und die Institution, die alles wissen kann, soll nicht alles können dürfen. Deswegen dürfen nur Polizeibe­hörden Straftaten verfolgen. Sie benötigen für ihre Ermittlungen einen konkreten Verdacht einer konkreten Straftat gegen eine konkrete Person. Geheimdienste hingegen besitzen keine polizeilichen Handlungs- und Vollzugsbefugnisse. Stattdessen konzentrieren sie sich auf das Sammeln und Auswerten von Informationen. Dafür sind sie bei ihren Ermittlungen aber nicht an einen konkreten Tatverdacht gebunden, schließlich ist der Sinn ihrer Tätigkeit das Schnüffeln und Anhäufen von Daten in alle Richtungen. Mit schöner Regelmäßigkeit vermerkt der Gesetzgeber in seinen Ausführungen, dass dieses Trennungsgebot gewahrt worden sei. Und mit ebensolcher Regelmäßigkeit kann davon keine Rede sein: Die Trennung von Polizei und Geheimdienst steht schon seit Jahren zur Disposition. Spätestens mit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder“ im Jahr 2006 wurde das Trennungsgebot faktisch aufgehoben. In der alltäglichen Praxis arbeiten Polizei, Geheimdienst, Militär und diverse Behörden bereits seit einigen Jahren in verschiedenen Zentren, wie dem „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“ (GTAZ) oder dem „Gemeinsamen Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration“ (GASiM) Hand in Hand. Das BKA ist eine Polizei. Mit dem neuen BKA-Gesetz werden der Polizeibehörde jedoch neben polizeilichen auch geheimdienstliche Befugnisse zugestanden. Sie soll demnächst auch im Bereich der Vorfeldermittlung aktiv werden, also ohne jeden konkreten Verdacht ermitteln dürfen. Das bedeutet, dass die Polizei nun nicht nur mit dem Geheimdienst faktisch kooperiert, sondern selbst und ganz offiziell mit nachrichtendienstlichen Ermächtigungen ausgestattet wird. Von der Überzeugung bei Verabschiedung des Grundgesetzes, dass staatliches Eingreifen nie wieder geheim sein soll, ist im Jahr 2008 nicht mehr viel übrig geblieben. Das Resultat: Noch nie seit Bestehen des Grundgesetzes waren staatliche Machtbefugnisse so weit reichend, so zentralisiert – und dabei so unkontrollierbar.

Politische Trüffelschweine

Die dritte Tendenz ist eine Aushöhlung der rechtlichen Grenzen, die dieser Macht­fülle entgegenstehen könnten. Am deutlichsten wurde dies bislang am schärf­sten Schwert des Staates, dem Strafrecht. Die mit dem Strafrecht verbundenen Eingriffe sind so einschneidend, dass ur­sprüng­lich grundsätzlich eine begangene Straftat Voraussetzung dafür war, dass der Staat sich dieser Waffe bedienen durfte. Die­se Schwelle unterläuft bereits der stetige Ausbau des Präventionsstrafrechts seit den 70er Jahren: Mittels der §§ 129, 129a und b Strafgesetzbuch (StGB), die die „Bil­dung einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung“ unter Strafe stellen, wer­den extrem weit reichende Eingriffe des Staates unter extrem unklaren Voraussetzungen möglich – das Schutzgut und die Voraussetzungen der Normen sind schlicht so vage, dass bei der Konkre­ti­sie­rung im Einzelfall der Willkür Tür und Tor geöffnet ist. (2) Eine konkrete Tat muss der verdächtigten Person jedenfalls nicht vorgeworfen werden.

Dennoch kommt es fast nie zur Anklage: In den neunziger Jahren standen Ermitt­lun­gen gegen 1.362 Personen lediglich 38 Verurteilungen gegenüber. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich: Die §§ 129, 129a, b – und vielleicht bald wie geplant c und d – sind die politischen Trüffel­schwei­ne des StGB. Diese Paragraphen sind darauf ausgelegt, weit reichende Er­mitt­lungsbefugnisse zu ermöglichen, die nach den Polizeigesetzen so nicht möglich wären, und werden in der Praxis genau so verwandt. Diese Tendenz wird durch das BKA-Gesetz noch vertieft und perfektioniert. Für eine Anwendung der §§ 129 ff be­darf es zumindest (sic!) noch irgendwel­cher bereits begangener Straftaten einer ver­meintlich bestehenden Organisation. Das BKA-Gesetz hingegen erlaubt ähnlich ausufernde Ermittlungen selbst ohne das Erfordernis jeglicher konkreten Straftat. Die Logik die­ses Gesetzes beruht vielmehr darauf, dass es für einen Eingriff bereits ausreichen soll, wenn nach Ansicht des BKA die Gefahr bestehe, dass irgendeine imaginäre Gruppe in Zukunft Straftaten des inter­na­tionalen Terrorismus begehen könnte und die von dem Eingriff betroffene Person vielleicht irgendwie mit einer Person Kontakt hat, die in Zukunft vielleicht planen könnte, derartige Straftaten zu begehen – ein Konjunktiv jagt den nächsten.

So wird jetzt in Gesetz gegossen, was seit Jahren von der Polizei bereits praktiziert wird, zuletzt bei den § 129a-Verfahren im Zu­ge des G8-Gipfels zur Anwendung kam und von einem Ermittler bei den auf § 129a StGB gestützten Hausdurchsuchungen in bemerkenswerter Of­fenheit kommentiert wurde: “Wir haben in den Busch geschossen, nun sehen wir weiter, was und wer sich dort bewegt.” (3) […]

Keine Angst

Wir erleben im Resultat den Ausbau einer „Sicherheitspolitik“, deren „Sicherheit“ nicht die unsere ist. Denn „Sicherheit“ im Sinne der europäischen Staatengemeinde meint eben nicht nur die Sicherheit vor der Bedrohung etwa eines Anschlags wie in Madrid 2004 oder London 2005. „Sicherheit“ in ihrem Sinne bedeutet eine Festung Europa, die das Menschenrecht auf Asyl mit Füßen tritt und täglich Menschenleben fordert, „Sicherheit“ in ihrem Sinne bedeutet in anderen Ländern Krieg zu führen, um geopolitische Interessen durchzusetzen und das globale Nord-Süd-Gefälle aufrecht zu erhalten und ihre „Sicherheit” bedeutet, die so genannte Wohlstandsschere ungehemmt weiter öffnen zu können, die Verarmung großer Teile der Bevölkerung voranzutreiben und Spaltung und Konkurrenzdenken zu schüren. Kurz: die „Sicherheit der Herrschenden“, ihr dickes Stück vom Kuchen nicht mit jenen teilen zu müssen, für die in den herrschenden Verhältnissen eben nicht so viel vorgesehen ist – und sich zu schützen vor Bewegungen, die hieran etwas ändern wollen.

(Rote Hilfe e.V. – Ortsgruppe Hamburg)
hamburg@rote-hilfe.de

 

(1) Der Entwurf ist unter dip21. bundestag.de/dip21/btd/16/095/1609588.pdf abrufbar, das bisherige BKA-Gesetz unter www.gesetze-iminternet.de/bkag_1997

(2) Eine aufschlussreiche Beschreibung der Lebensrealität eines nach § 129a Observierten findet sich unter:

www.zeit.de/online/2007/44/Militante-Gruppe-Ueberwachung?from=24hNL

(3) Vgl. www.welt.de/politik/deutschland/article868812/Wie_militant_sind_die_Gipfel-Gegner.html