Vernetzung im Stadtteil

Gespräch zwischen „Soziale Kampfbaustelle“ und „Vernetzungstreffen Ost“

Im April trafen wir uns mit zwei Vertreter_innen lokaler Initiativen, bei welchen wir ähnliche Vorgehensweisen zu entdecken meinten. Die einen, Soziale Kampfbaustelle (SoKaBa), im Leipziger Westen, wollen eine solidarische Struktur zwischen den bestehenden linken Projekten und darüber hinaus anregen und ins Leben rufen. Die anderen, NetzOst, im Leipziger Osten, wollen ein solidarisches Miteinander und eine Organisation von unten aller Menschen in der Nachbarschaft. Gemeinsam schien uns die Zielsetzung, in den Stadtteil hineinzuwirken und von links eine Lösung für alltägliche Konflikte wieder zu entdecken oder zu verstärken.

 

SoKaBa: Die Idee ist vor ein paar Monaten entstanden aus einer allgemeinen Debatte darüber, was eigentlich gerade in Plagwitz und Lindenau passiert. Wir haben festgestellt, dass es mächtig rund geht, viel wird erneuert und gebaut, gleichzeitig haben wir viele Krisenphänomene. Leute haben viel Ärger mit dem Arbeitsamt, werden aus ihren Wohnungen und Vierteln verdrängt und es gibt darüber wenig Austausch in linken Kreisen. Uns geht es um eine Vernetzung, damit wir uns gegenseitig kennenlernen und tätig werden, und gleichzeitig um eine Auseinandersetzung und Debatten, in denen wir eine Perspektive entwickeln können, wie wir damit umgehen wollen. Wir wollen also nicht auf einen Schlag mit dem dicken Hammer, den wir wahrscheinlich nicht besitzen, dagegen vorgehen, sondern Strategien für den Alltag entwerfen.

NetzOst: Unsere Ziele sind relativ ähnlich. Die Idee vom Vernetzungstreffen entstand aus dem Ostarm der Sterndemo gegen Legida. Die Demo ist dann allerdings ausgefallen und wir haben dann eben dieses Treffen veranstaltet. Am Anfang ging es vor allem um Legida und kreativen Protest, welche – vielleicht neuen – Strategien wir entwickeln können. Ein anderes Thema war, wie wir Leute im Kiez willkommen heißen können, die geflüchtet sind. Im Verlauf der Treffen, die einmal monatlich stattfinden, haben wir unseren Fokus verändert und auch verbreitert. Wir hatten verschiedene Themen, öfters solche, die sich auf Geflüchtete beziehen und auch Gentrifizierungsthemen. Meistens beziehen wir uns damit eben auf den Stadtteil. Das nächste Treffen (24. April 2016) wird sich vor allem mit solidarischen Strukturen auseinandersetzen. Die Organisierenden kommen alle mehr oder weniger aus einem zeckigen Milieu und darum haben wir Kontakt zu politischen Gruppen, die verschiedene Themenfelder bedienen. Das Vernetzungstreffen versteht sich als Struktur, welche Leuten offen steht, die ein Thema haben und das mit anderen teilen wollen. Dafür haben wir auf jedem Treffen auch die AG-Slots, wir übernehmen die Moderation, die Leute gestalten dann den Rest. Bisher gehen allerdings eher wir auf Leute zu. Dass unser Ansatz stadtteilbezogen ist, liegt auch daran, dass wir einfach nicht größer sind und nicht die Kapazitäten haben, über den Leipziger Osten und unsere Kontakte vor Ort hinauszuwirken.

FA!: Habt ihr Fragen aneinander an diesem Punkt?

SoKaBa: Ich frage mich, ob das für alle offen ist, also, sind die kompletten Leute aus der Nachbarschaft eingeladen? Weil das ist etwas was uns sehr wichtig ist, denn wir wollen auch mit der Öffentlichkeit arbeiten und mit politischen Leuten, die bereits gegen Staat, Nation und Kapital aktiv sind. Mir geht es nicht darum, eine alternative Radwerkstatt einzurichten, wo die Leute hingehen, um Zeit und Geld zu sparen und kaufen sich dann von der Kohle die übrig bleibt ne Playstation und verbringen ihre gesparte Zeit damit. Ich möchte, dass unsere Arbeit weiterführende Effekte hat, dass die Leute dadurch mehr Zeit, mehr Mut, mehr Kraft entwickeln und einfach mehr Kohl haben, um sich gegen Dinge zu wehren. Es soll ein kleiner Schritt sein in der kleinsten Organisationseinheit, der eigenen Nachbarschaft, für ein sich stetig ausweitendes revolutionäres Konzept. Hier anfangen, hier das Viertel widerständiger machen, weil dann weiß ich, dass ich rausgehen kann und besser arbeiten, weil ich weniger Angst haben muss.

NetzOst: Wir haben den Fokus ein Stück weiter unten. Wir sind nicht so niedrigschwellig wie andere Orte, wo coole Dinge wie zusammen malen oder Sozialberatung stattfinden, aber sind auch nicht so stark politisiert. Niedrigschwelligkeit ist auf jeden Fall ein Punkt, der uns sehr wichtig ist. Wir bieten Übersetzungen auf Englisch und Arabisch an, haben aber leider nicht die Heterogenität des Publikums, die wir uns wünschen und haben zur Zeit vor allem ein linkes, weißes Studimilieu. Wir versuchen mit der Gestaltung der Brachfläche auf der Eisenbahnstraße woanders anzusetzen und fragen: was seht ihr in der Brache? Außerdem wollen wir ein Stadtteilfest im September organisieren, weil es erstmal darum geht, in Kontakt miteinander zu kommen. Wir haben viele Gruppen im Osten, die parallel nebeneinander herleben und wir alle sind Teil und betroffen von Gentrifizierung, und das müssen wir zusammen angehen. Man kann nicht mit allen über stark politische Themen sprechen, aber mit einer Pluralität von Themen kann man eben verschiedene Menschen an verschiedenen Stellen erreichen. Solidarität im Stadtteil kann Gentrifizierung nachhaltig etwas entgegensetzen! Wie ist es bei euch im Westen? Du hast ja auch schon erwähnt, dass viele Leute nicht im Kontakt stehen, ihr euch das aber wünschen würdet…

SoKaBa: Das gibts tatsächlich in vielen Stadtteilen, dass die Initiativen nebeneinander her existieren und klar das ist okay, weil die meisten eh schon so wenige sind und dann auch noch vernetzen, Struktur zieht immer Energie und Zeit und auch Geld. Die linke Szene hat bestimmte Strukturen, die sie sehr lange hat und die auch unglaublich hilfreich sind, solche Sachen wie die Rote Hilfe oder das Anarchist Black Cross, die ungemein helfen weil ich dann weiß, ich werde nicht in den finanziellen Ruin getrieben, nur weil ich mich was getraut habe. Wenn man sich mit älteren Genossen unterhält, dann erfährt man, dass es sowas früher auch für den Reproduktionsbereich gab, palettenweise Sachen mitnehmen und dann verteilen, oder Kampfkassen gegen das Jobcenter. Das ist mein Traum, eine materielle Infrastruktur herzustellen, die es Menschen ermöglicht, existentielle Ängste grade an so Schwellen wie Übergang zur Lohnarbeit, Kinderkriegen etc. zu überwinden, nicht rauszufallen und weiterzumachen. Aus der eigenen Betroffenheit, der ersten Person heraus die Dinge angehen, Freiräume erkämpfen und von da weiterzumachen, damit irgendwann der nächste Aneignungsschritt passieren kann. Wir sind enorm wenige, auch wenn das in Leipzig oft anders aussieht.

SoKaBa: Das Spannende ist gar nicht unbedingt das Camp, das wir dann im Sommer vorhaben, sondern schon die Treffen davor. Dass Leute zusammenkommen, über ihre eigene Betroffenheit reden und zusammen an Ideen arbeiten, wie man Probleme sozial und politisch angehen kann und zwar so, dass es nicht einfach nur eine Beratungsstruktur ist. Ich musste das auch erst lernen, es ist besser, wenn ich bestimmte Dinge nicht alleine mache. Ich kenne das aus der Autonomen Erwerbsloseninitiative, ich habe auf einmal nicht mehr soviel Angst, da sitzen 15 Leute, die solidarisch mit mir sind. Das hat was von sozialer und emotionaler Arbeit zusammen und dann auch politischer, wenn ich mir mit den anderen überlege, wie man sich wehren kann und das dann auch tue. Diese Erfahrungen bereitzustellen wollen wir hinkriegen.

NetzOst: Man kann Menschen erreichen, die schon organisiert sind und das machen wir auch. Es gibt verschiedene Anlaufstellen im Osten, das Seniorencafé, eine Anlaufstelle für Straßenkinder oder andere, die schon organisiert sind. Wir haben vor hinzugehen und mit den Leuten zu quatschen, ob sie nicht Lust haben, einen Stand beim Stadtfest zu machen oder ähnliches. Das ist dann der Punkt, wo das Gespräch beginnt und man in einen Austausch tritt. Es ist nicht unser primäres Ziel und ich halte es auch für schwierig, Menschen zu politisieren. Es ist schön, wenn sich Leute in einem solidarischen Miteinander zusammentun und Lösungen entwickeln für geteilte Probleme. Die Art, wie mit der Öffentlichkeit umgegangen wird ist eine andere wie bei einer Partei, die die Kohle für Stände und so weiter hat und mit deren Struktur die Leute vertraut sind oder im Gegensatz dazu versucht, das eher in einem Miteinander zu lösen. Also nicht so: Hier sind die Infos und jetzt wählt uns doch!, sondern indem man Dialoge schafft.

SoKaBa: Zum Unterschied dazu ist, was zum Beispiel jetzt an rechten Massenbewegungen in Deutschland entsteht. Das wird ja nicht durch tatsächliche Betroffenheit gebildet, sondern durch ein vorgestelltes Bedrohungsgefühl, das vollkommen an den Haaren herbeigezogen ist. Die Leute haben in der Realität ganz andere Probleme und die wissen das eigentlich auch. Da kommt auch der Punkt rein, dass es eine Kommunikation über eigene Betroffenheit braucht und nicht über Dinge, die nur in der Vorstellung der Leute stattfindet. Uns geht es darum, nicht exklusiv zu sein, denn umso mehr wir sind, umso stärker sind wir. Alleine machen sie dich ein, und wenn du Privilegien nur für eine Gruppe willst, begibst du dich in irgendwelche komischen und gewaltsamen Wettbewerbe rein, die ich grundsätzlich ablehne. Die Hoffnung ist ja, dass Leute erkennen, wieviel Kraft darin liegt, den eigenen Alltag gegen die kapitalistischen Widersprüche stark zu machen und das für alle zu öffnen, irgendwann. Das ist ein politischer Prozess, der erstmal mit den Widersprüchen umgehen muss, und dann stößt man auch auf die Frage: Wer ist denn das, alle?

NetzOst: Wir würden nicht sagen, wir machen das für Menschen, die politisch sind und erweitern dann den Kreis. Wir versuchen gleichzeitig auf verschiedene Weisen zu wirken. Wir wollen durch eine Solidarität im Stadtteil wirken, bei der gleich alle da sind. Wir haben natürlich Veranstaltungen, die ein politisch linkes Milieu bedienen und sich dadurch auch das Netzwerk verdichtet und so werden wir auch effektiver, auch wenn das ein blödes Wort ist, und wir treiben die Reflexion und den Austausch, der fehlt, voran. Gleichzeitig geht es aber auch darum, Menschen zu vernetzen, die gar keine politische Anlaufstelle haben, entweder weil sie nicht politisiert sind oder neu in der Stadt. Alle zu erreichen, ist schwierig, wer sind diese alle, und alle haben vielleicht auch keinen Bock. Da muss man auch schauen, welche Räumlichkeiten man wählt. Wir haben auch keinen Bock auf Parteien, trotzdem haben wir gesagt, dass wir die Anfangsveranstaltung im Linken-Büro von Peter Hans Franz Sodann, wie auch immer der heißt, weil es einfach ein Raum ist, der nicht zugetaggt ist. Leute haben einfach Angst, bestimmte Schwellen zu übertreten, grade zu linken Szeneläden. Wir sehen uns autonom gegenüber Strukturen, die Hierarchie reproduzieren, dennoch ist es etwas Vertrautes zu sagen, man geht jetzt bei der Linken ins Büro.

sam

Schreibe einen Kommentar