Syrien: Das Rückgrat der Revolution

Die Gruppe Adopt a Revolution unterstützt weiter den friedlichen Widerstand in Syrien

Das Projekt Adopt a Revolution unterstützt seit Ende vergangenen Jahres den friedlichen Widerstand gegen das Regime in Syrien. Die Idee hatte der Poli­tikwissen­schaftler Elias Perabo von einem Aufenthalt in Damaskus zurückkam, wo er den Beginn der Revolution erlebt hatte. Schnell fand er eine handvoll syrische und deutsche Mitstreiter, die mit ihm eine politische „Hilfsorganisation“ schufen, die mit Spenden spezifisch die politische Arbeit der Pro-Demokratie-Aktivisten unterstützen sollte. Ein Beirat, in dem Vertreter der syrischen Exilopposition sitzen und der Organisationen medico, der Bewegungsstiftung und vom Bund für Soziale Verteidigung, berät die Kerngruppe. Außerdem gibt es rund 20 freiwillige Helfer.

Als Adopt a Revolution im Dezember 2010 an den Start ging, glaubten wir noch, dass sich eine militärische Eskalation in Syrien verhindern ließe und wollten durch unsere Initiative neben dem dringend benötigten Geld für die Demokratie-Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort auch Kontakte zwischen der deutschen und syrischen Zivilgesell­schaft aufbauen. Neun Monate später stellt sich die Frage: Bringt das überhaupt noch etwas? Ist nicht längst in Syrien ein Stellvertreterkrieg entbrannt, bei dem man sich auf keine Seite stellen kann?

Das syrische Regime hat einen unerbittlichen Kampf gegen die eigene Bevölkerung angekündigt. Der Präsident Baschar Al-Assad hat Aleppo, die größte Stadt des Landes, mit einem gnadenlosen Flächenbombardement belegt, um dasselbe wenige Wochen später in der Hauptstadt Damaskus zu wiederholen. Unabhängige Augenzeugen, wie Journalisten und Mitarbeiter von Amnesty International, berichten, dass dabei keinerlei Schonung von Zivilisten beobachtet werden kann. Im Gegenteil: Ein Bruchteil der Opfer der Luftangriffe sind kämpfende Rebellen, auch Kinder werden gezielt erschossen und gefoltert.

Die Zahl der zwischenzeitlich Inhaftierten erreicht die 100.000. Bei Razzien in Oppositionellen Hochburgen werden häufig gar keine Gefangenen mehr gemacht. Aktivisten berichten, das beispielsweise in dem Damaszener Vorort Daraya die Sicherheitskräfte des Regimes von Haus zu Haus gingen und ausgewählte Bewohner erschossen.

Viele derer, die aus dem Folterknast entlassen werden, greifen zu den Waffen und reihen sich ein in die Freie Syrische Armee. Das gnadenlose Vorgehen des Regimes hat sie brutalisiert. Es herrscht Krieg, aber keine der Parteien hält sich an das Kriegsrecht. Viele Gefangene werden ohne Prozess erschossen – auf beiden Seiten. Auf die Seite der Revolution haben sich Dschihadisten aus aller Herren Länder gesellt. Es ist eine verschwindende Minderheit. Aber sie sind deutlich besser ausgerüstet unter anderem mit Geld aus Saudi Arabien. Mit schaurigen Methoden eskalieren sie den Konflikt. So zeigten Youtube-Videos wie Schabiha-Milizionäre, die im Namen Assads Jagd auf Oppositionelle machen, geköpft werden.

Über 30.000 Tote hatte die Revolution in Syrien bis Ende September gekostet – und es gibt derzeit kaum Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges. Nach Monaten der Proteste und Streiks, die das wirtschaftliche Leben in Syrien weitgehend lahm gelegt haben, und verstärkten Offensiven der Freien Syrischen Armee, wankt das Regime zwar immer deutlicher. Nach dem Seitenwechsel von General Manaf Tlass und Premierminister Riyad Hijab sind noch etliche andere Politiker und Militärs zu den Rebellen übergelaufen. Es heißt, das Regime finde keine neuen Rekruten mehr, um die gefallenen Soldaten zu ersetzen. Wer eingezogen werden soll, flieht. Mehr als 240.000 Syrer haben sich in die umliegenden Länder geflüchtet. Doch gerade der Überlebens­kampf des Regimes führt zu immer brutalerer Gewalt.

Hinzu kommt eine komplexe weltpolitische Interessenlage. Die Golfstaaten, allen voran Saudi Arabien und Qatar, haben schon früh in der syrischen Revolte die Möglichkeit erkannt, die sogenannte schiitische Achse zu schwächen. Assad, der Alawit, der mit dem schiitischen Iran und der schiitischen Hisbollah im Libanon alliiert ist, soll ersetzt werden durch einen sunnitischen Herrscher. Aus Sicht des Emirs von Qatar darf das ruhig eine Art Demokrat sein, am liebsten ein Muslimbruder. Das saudischen Königshaus setzt lieber auf die Salafisten, die eine religiöse Diktatur installieren wollen nach dem Vorbild Saudi Arabiens. Zwischen Saudi Arabien und Qatar gibt es daher Streit: Sie haben eine gemeinsame Infrastruktur aufgebaut, um die Freie Syrische Armee (FSA) zu unterstützen, sind sich aber nicht einig, welche Bataillone sie bevorzugt behandeln sollen. Diejenigen unter der FSA, die sich nicht religiös definieren, beklagen, dass islamistische Milizen inzwischen bestens ausgerüstet sind, während sie keinerlei Unterstützung bekommen.

Die USA haben sich erstaunlich lange aus dem syrischen Konflikt herausgehalten. Nach monatelangem Mahnen an die Adresse Assads ergriffen sie erst diesen Sommer deutlich Partei für die Rebellen und stellten 25 Millionen Dollar bereit. Eine geheime Direktive des Präsidenten soll dem CIA schon im Frühjahr freie Hand zur Unterstützung der Revolution gegeben haben. Aber auch das wäre dann ein ganzes Jahr nach Beginn der Proteste gewesen. Insofern ist es absurd, eine westliche Verschwörung des Westens gegen das Assad-Regime anzunehmen, wie es einige Linke wie auch Rechte tun.

Zweifellos gibt es ein westliches Interesse am Sturz Assads. Fällt das syrische Regime, schwächt das den Iran, die libanesische His­bollah wäre weitestgehend von Waffen­lie­ferungen abgeschnitten. Doch wurde dieses Interesse bisher eben nicht wahrgenommen. Aus Nato-Kreisen wird verlautet, dass man auf gar keinen Fall eine Inter­vention wolle. Kriegsmüdigkeit und Wirtschaftskrise spielen hier eine Rolle, aber auch die unübersichtlich Lage in Syrien.

Wenig zögerlich waren hingegen die Freunde Assads. Russland und Iran schickten Waffen, Iran und libanesische Hisbollah auch Scharfschützen – schon bevor die Freie Syrische Armee begann zurückzuschießen.

Doch inzwischen sind alle regionalen und Weltmächte dabei. Dass ein bewaffneter Konflikt in Syrien zu einem Stellvertreterkrieg führen würde, war den syrischen Pro-Demokratie-Aktivisten von Anfang an bewusst. „Die geostrategische Lage ist für die Revolution ein echtes Problem“, erklärte mir der Medienaktivist Hussein Ghrer, der nun schon seit Februar in Haft sitzt, im Frühjahr 2011. Keine Gewalt und keine Hilfe von außen war deshalb lange die Devise. Über ein Jahr haben die Aktivisten der Versuchung standgehalten, zu den Waffen zu greifen und auch noch nach 6000 Toten friedlich für Freiheit und Demokratie demonstriert. Sie haben simliya, silmya (friedlich) gerufen, während Soldaten mit scharfer Munition in die Demos feuerten.

Doch gerade wegen der geostrategischen Lage ließ sich eine Militarisierung des Konflikts nicht verhindern. Insofern war die Hoffnung von Adopt a Revolution Ende letzten Jahres blauäugig. Zu stark waren die Interessen der regionalen Mächte. Insbesondere Iran und die libanesische Hisbollah sehen im arabischen Frühling ihre letzten Felle davon schwimmen: Sie verlieren mit Assad nicht nur einen Verbündeten. Die Revolutionen sind an sich ein Angriff auf ihr Herrschaftsmodell und mit ihrem Lieblingsfeind Israel können sie zur Zeit nicht punkten.

Das heißt aber nicht, dass die Unterstützung des friedlichen Widerstands sinnlos ge­­worden wäre. Noch immer gibt es täglich gewaltfreie Proteste, Streiks und Boykotte. Sie werden organisiert von den Lokalen Koordinierungskomitees, die sich in na­hezu allen syrischen Städten gegründet ha­­ben. Sie sind zu einem Netzwerk zusam­men­­gefasst, in dessen Gründungserklärung Men­schenrechte und Demokratie als Ziele aufgeführt sind. Auch wenn ihre Arbeit zwi­schen den Kriegshandlungen unterzu­ge­­hen scheint, ist sie jetzt wichtiger denn je.

Die Komitees bleiben auch im Krieg das Rückgrat der Revolution, wo Perspektiven diskutiert und Kritik geübt wird. Für die Teile der kämpfenden Rebellen, die sich auf ein freies demokratisches Syrien beziehen, sind sie moralische Instanz – schließ­lich hat sich die Freie Syrische Armee zunächst nur gegründet, um den friedlichen Aktivisten das Demonstrieren zu ermöglichen. Anfang September startete das Netzwerk der rund 300 Komitees eine Kampagne der „Würde und Moral“, um an die Prinzipien der Revolution zu erinnern. Unter anderem verteilten sie Flugblätter an die Rebellen der Freien Syrischen Armee, in denen sie mahnten: „Werdet nicht so wie das, was Ihr bekämpft.“

In den Komitees diskutieren zumeist junge Männer und Frauen, Muslime und Christen gemeinsam, was für ein Syrien sie sich wünschen. Debatten über Demokratie, Rechtsstaat, Toleranz zwischen den Religionen und Ethnien werden regelmäßig von den Lokalen Komitees angestoßen und in die Gesellschaft getragen. Innerhalb der Komitees wird Demokratie erprobt: Manche legen Wert auf Konsensentschei­dungen, andere stimmen ab, hierarchiefreier Umgang miteinander wird diskutiert und ausprobiert. Immer wieder versuchen die Komitees durch Aktionen und Aufklärung religiösen und ethnischen Spannungen zwischen den verschiedenen Bevöl­kerungsgruppen entgegen zu wirken. Wo sich Wut gegen „die“ Alawiten äußert, weisen sie daraufhin, dass die Revolution keinen Unterschied macht zwischen den Konfessionen.

In den befreiten Gebieten übernehmen die Komitees die Aufgabe der Selbstverwaltung. Überall bereiten sie sich auf die Zeit, nach dem Sturz des Regimes vor. Sie erstellen detaillierte Pläne, wie Gewalt und Racheakte verhindert werden können.

Nach Monaten der Proteste und des Krieges sind sie mehr denn je auf Unterstützung angewiesen. Immer mehr Mitglieder müssen im Untergrund leben, mehr Gefangene müssen betreut und für ihre Freilassung gestritten werden, Verletzte müssen in Untergrundkrankenhäusern behandelt und Hinterbliebene versorgt werden.

Bei Adopt a Revolution stellen wir erstaunt fest, dass trotz großer Ankündigungen keinesfalls die Millionen aus dem „Westen“ den Aktivisten zufließen. Viele Komitees erhalten nach wie vor allein von unseren Spendern in Deutschland Geld. Das ist nicht viel: 30 Komitees bekommen je rund 800 Euro monatlich. Es reicht für Miete, Telefonrechnungen, Unterstützung von Untergetauchten und gelegentlich neue Kameras und Handys.

Auch die moralische Unterstützung ist immer wichtiger geworden. Denn mit der Militarisierung, durch Einmischung anderer Mächte und Islamisierung des Konflikts haben sich weite Teile der politisch Aktiven in Europa entsolidarisiert. Die Artikel des ehemaligen CDU-Politikers Jürgen Todenhöfer, die Teilnahme eines Frankfurter CDU-Abgeordneten und eines Abgeordneten der Linken an einer Friedensdemo mit Pro-Assad-Sprechchören zeigen, dass dies nicht nur ein Phänomen innerhalb der Linken ist.

Für die AktivistInnen in Syrien ist es schmerzhaft von den Menschen im Stich gelassen zu werden, deren Demokratien sie bei aller Kritik für Vorbilder halten. Anfang September rief die Bloggerin Razan Al Ghazzawi dazu auf, das syrische Volk für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen mit den Worten: „Ich bitte Euch nicht deshalb zu unterschreiben, weil viele von uns täglich getötet werden, Hunderte obdachlos sind und Tausende in Haft. Ich bitte Euch zu unterschreiben, weil dieses Volk ganz alleine kämpft gegen monströse ‘Achse des Widerstands’-Regimes (so nennen sich die Feinde Israels), alleine gegen westliche Experten, die sich auf Assads Seite stellen und Linke, die für Mord Partei ergreifen. Ich bitte Euch zu unterschreiben, weil dieses Volk dringend soziale Solidarität, die Solidarität der Völker und Eure Solidarität braucht.“

Hannah Wettig

Weitere Informationen zu „Adopt a Revolution“ im Internet unter www.syrischer-fruehling.de

Soziale Bewegung

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