Aus dem Leben eines ganz normalen „Helden“

Rückblick eines Helfers beim Hochwassereinsatz

Alles begann damit, daß Sven (Name geändert – ist der Redaktion bekannt), während große Teile Ostdeutschlands unter Wasser standen, nicht untätig zu Hause rumsitzen und zuschauen wollte.

Er schloß sich einem Freund, der schon länger in einer Hilfsorganisation aktiv ist, an, um selber mit anzupacken. So fuhren sie in einer kleinen Gruppe, die sich relativ spontan zusammengefunden hatte, ausgerüstet mit Spaten und Schubkarre, am 16. August 2002 nach Döbeln. Da das Technische Hilfswerk, welches dort im Einsatz war, für sie keine Aufgaben hatte, sprachen sie einfach Leute auf der Straße an und organisierten sich so ihren ersten Einsatz selbst. Die Menschen, deren Wohnung sie vom Schlamm befreiten, freuten sich grenzenlos. Der Schlamm ist eines der größten Probleme bei einer Flutkatastrophe, denn wenn er fest wird, ist er hart wie Beton.

Nach diesem Einsatz hatte Sven sozusagen "Blut geleckt" und wollte sich weiter an Hilfseinsätzen beteiligen. Deshalb schloß er sich für die nächsten zwei Wochen einer Hilfsorganisation an und stieg später ganz dort ein. Der nächste Einsatzort war Stendal, wo Sven, nun im Auftrag einer Hilfsorganisation unterwegs, mit einigen anderen Helfern von mittags bis in die Nacht hinein auf einen "Einsatzbefehl" warten musste. Denn nun war es, zumindest, was die Organisation der Hilfseinsätze betraf, vorbei mit den eigenmächtigen Entscheidungen. In Stendal stellten sie fest, daß dieses untätige Warten nicht nur sie betraf, sondern fast "Helferalltag" war: Einige andere saßen seit 36 Stunden "arbeitslos" herum. Sven und seine Gruppe beschwerten sich schließlich bei der zentralen "Einsatzstelle" über ihre erzwungene Untätigkeit, obwohl ihnen und gewiß auch der "Zentrale" bekannt war, daß es rund um Leipzig einiges zu tun gab. Die Zeit bis zur Nacht vertrieben sie damit, sich eine Wagenburg aus Einsatzfahrzeugen zu bauen, um wenigstens eine Übernachtungsmöglichkeit zu haben. Es gab zwar eine Halle, in der mensch, auf zu wenigen Liegen für alle, hätte schlafen können, allerdings wäre dort kein Funkempfang möglich gewesen, der für die Helfer, die ja dort waren, um zu "Einsatzorten" gerufen zu werden, wichtig war. Es ging auch das Gerücht um, daß von den Hilfsorganisationen teilweise Helfer an Sammelstellen gesammelt wurden, diese aber vor Ort nicht gebraucht wurden. Und dem Wahlkampf hat es schließlich nicht geschadet, daß die Helfer untätig in den "Bereitstellungsräumen" saßen – immerhin waren sie im Einsatz, und Presse und Öffentlichkeit erfuhren nur dieses und konnten also stolz sein auf die Tausenden, die ihre Regierung für sie mobilisiert hatte.

Da sie sich nun tagsüber über mangelnde Arbeit beklagt hatten, bekamen sie dann doch ohne jede Vorwarnung, gegen halb zwei in der Nacht, einen Einsatzbefehl. Dieser war jedoch eine planmäßige Ablösung beim Deichverstärken und kein Notfall. Die anderen Gruppen, die zu den Deichen an die Mulde gerufen wurden, wußten davon schon etliche Stunden im Vorhinein. In der folgenden Nacht, die sie wieder in Stendal verbrachten, schliefen etliche unter ihren Autos, und die Gruppe um Sven campierte unter einer Zeltplane. Ein eigenmächtiges "Abrücken" der Gruppe war von oberster Stelle untersagt. So begannen sie, sich zur Abkühlung einen Swimmingpool aus Gerätschaften zu konstruieren. Insgesamt hielt sich die Gruppe drei bis vier Tage in diesem Ort auf, um ein einziges Mal für wenige Stunden auszurücken.

Es kursierte das Gerücht, daß ein Helferverband eigenmächtig beschlossen hatte, Stendal zu verlassen. Diese Menschen wurden angeblich auf der Autobahn angehalten und das Einsatzfahrzeug sei konfisziert worden, da es Eigentum des Bundes ist und nur auf Befehl "von oben" genutzt werden darf.

Als Tage später die Erlaubnis zum "Abrücken" kam, fuhren sie in ein anderes Dorf an der Mulde und reinigten dort Bachbetten. Anschließend ging es nach Dippoldiswalde, jedoch aufgrund eines recht lückenhaften "Einsatzbefehls". Die Helfer hatten keine Informationen, was wie lange dort getan werden sollte und wo der Ort eigentlich genau liegt. In dem Dorf blieben sie dann eine ganze Woche und hatten erneut vor allem mit Schlamm zu kämpfen, da ein erneutes Unwetter dafür sorgte, daß ein sonst friedliches Bächlein auf acht Meter anschwoll. Außerdem inspizierten sie Brücken auf ihre Widerstandskraft und stützten diese gegebenenfalls ab.

Während der drei Wochen, die er mit den anderen Helfern im Einsatz verbrachte, war die Stimmung innerhalb der Gruppe kollegial, darüber hinaus sind Katastrophenschutz-Einsätze nicht nur dann nötig, wenn die gesamte Presse und Politik sich damit beschäftigen. Deshalb beschloß Sven trotz der Widrigkeiten, die ihm während der Hochwassereinsätze begegnet waren, sich der Organisation auf Dauer anzuschließen.

lotte B.

Lokales

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