Gedicht-Foto-Band Leipziger KünstlerInnen
Sie sind vor allem Eines: Authentisch. Sie streunen um die Ecken und Kanten dieser Stadt, erkennen ihre Viertel am Geruch und erneuern beständig ihre Marken, die sie an allen Ecken hinterlassen. Revierköter, die echten, nicht die künstlich aufgemotzten der Kulturindustrie, kläffen sich – wenn sie Grund dazu haben – gegenseitig an oder heulen gemeinschaftlich in Richtung des halbherzigen Mondes. Sie würden auch gerne mal kräftig zubeißen, den ergrauten Leipziger Kulturbetrieb ordentlich durchschütteln.
Das Rudel, welches sich in der vorliegenden Publikation versammelt hat, ist überschaubar: Fünf Wortakrobaten und zwei ZelluloidkünstlerInnen. Wenn es zum entscheidenden Biss auch nicht ganz reicht, gelingt es den AutorInnen doch zumindest, das Bein zu heben und den Kulturveräußerern ans Gewand zu pinkeln.
2007 fanden sich fünf Künstler zusammen, um den Geburtstag von Hauke v. Grimm mit einer gemeinsamen Veranstaltung zu begehen. Um diese zu bewerben, veranstalteten sie ein Fotoshooting, mit befreundeten Fotografen. Die zahlreichen dabei entstandenen Bilder sollten nicht im Dataspace vergammeln und so war die Idee zu dem Buch „RevierKöter LE-Allstar-Team“ geboren.
Das LE-Allstar-Team sind: Bob der Braumeister, Kurt Mondaugen, Michael Schweßinger, Volly Tanner, Hauke von Grimm, sowie die beiden Fotografen „Schmieda“, eigentlich Frank Schmiedbauer und Nora Blumberg. Zwischen den Buchdeckeln dieser handlichen Mischung aus Lese- und Bilder-Buch finden sich biographische Selbstzuschreibungen der Mitwirkenden, gefolgt von ihren Schriften und Fotos, Schwarz auf Weiß.
Die Autoren
Der erste, der sich die Ehre gibt, ist Bob, der Braumeister: Wie alle anderen auch, hat er schätzungsweise zwischen 25 und 40 Jahre im Lebenslauf zu füllen. Bob, bürgerlich auch Oliver Dietrich genannt, gewann schon im zarten Alter von sieben Jahren einen Rezitatoren-Wettbewerb. Er vermittelt uns Einblicke, die wir eigentlich gar nicht haben wollen, so z.B. in das Universum des WG-eigenem Wasserklosetts.
Kurt Mondaugen holt den Leser schleunigst in die schnöde und doch lebensbedrohliche Welt der „ALG II-Veteranen der ersten Stunde“ zurück. Er lässt uns an seinen Erfahrungen bei einem Ein-Euro-Praktikum teilhaben und macht verständlich, wieso der Umgang mit Formalinleichen bisweilen zusätzliche Opfer fordert – PISA sei dank.
Michael Schweßinger, der die längste Biografie zu sich und seinen verschiedenen Ichs verfasst hat, lässt sein ethnologisch versiertes Ich sprechen. Er berichtet in einer sehr aufschlussreichen Abhandlung von seinen wissenschaftlichen Forschungen zu den Sitten und Bräuchen des indigenen Lindenauers an sich.
Volly Tanner eröffnet der geneigten Leserschaft schwarz-rot gefärbte Einblicke in die Leipziger Bohème, die immer wieder aufsteht und unverdrossen gegen die Mauer in den Köpfen anrennt.
Hauke von Grimm schließlich bringt dem Leser eindringlich nahe, warum er Geburtstage hasst und was das mit Pegeltrinkern im Familienkreis zu tun hat und vor allem, warum man sich mit süffigen Geburtstagsgeschenken bei ihm nachhaltig unbeliebt machen kann.
Die Fotografen
Schmieda hat mich zugebenermaßen von den beiden Motivkünstlern am ehesten überzeugt. Auf den angenehm großen Fotos spielt er mit Motiven, Licht, Schärfe, Schatten und Strukturen. Die von ihm abgelichteten Künstler werden hinter ihren Mikrofonen hervorgezerrt: wirre Haare, glasige Augen, offen stehende Münder werden sichtbar.
Nora Blumberg, die Jüngste und einzige Frau in der Runde, scheint eine Vorliebe für Fotostrecken zu haben. Diese sind teils gelungen, allerdings gehen durch die Vielzahl und die dadurch erzwungene Kleinheit der Fotos leider einige interessante Effekte unter. Ihr bestes Foto ist zu Recht auf der Titelseite abgebildet.
Alle zusammen
Die verschiedenen Texte verweben sich beim Lesen ineinander, ergänzen sich, kurz: treten in Beziehung zueinander. Zwischen den Zeilen schwebt beständig ein vages, zurückhaltend einladendes „Wir“. Der Leser begleitet das jeweilige Ich, das zweifelt, stirbt, trinkt, kläfft und sich nach durchwachten Nächten die zerkratzte Schnauze kühlt.
Es handelt sich um bissige Straßenköter-Vorstadt-Poesie, schwankend zwischen Träumen von Revolte und Selbstreflexion. Die eigenwilligen Texte – erschienen im alternativen Leipziger Verlag Paperone – lesen sich wie Hass-Liebeserklärung an den Leipziger Westen, Süden und Osten. Angenehm wirkt auch das großzügige Layout, welches durch den durchgängigen Schwarz-Weiß-Kontrast besticht.
Was bleibt, ist ein Schwanken zwischen dem Wunsch, von und mit Kunst leben zu können und der ungeheuchelten Verachtung der Konsum-Kultur-Industrie. Michael Schweßinger dazu: „Um die Antithese einzunehmen, braucht man immer noch die These, also ohne Kulturindustrie auch keine „alternativen“ Entwürfe, das gehört schon irgendwie zusammen.“
(hannah)
Blumberg, Nora/Grimm, Hauke von (Hg.): „Revierköter – LE-Allstar-Team“, Paperone Edition, Leipzig, 2007, 109 Seiten, 9,95 Euro.