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Erwin Wagenhofers „Let‘s Make Money“

Selbst verschuldete Unmündigkeit

„Die beste Zeit zu investieren ist, wenn Blut auf dem Boden ist.“ Diese Maxi­me eines Investmentbankers heutiger Prä­gung vereint so ziemlich den ganzen Zy­nis­mus und die Verantwortungslosigkeit, welche in den vergangenen Monaten die (beinahe) globale Weltordnung des Fi­nanz­marktliberalismus in den Ruin führ­ten. Anstelle einer Fortführung des Ban­ken­krise-Artikels in der letzten Ausgabe daher nun eine Rezension des Dokumen­tar­films „Let´s Make Money“, der am Welt­spartag (30.10.2008) Premiere feierte.

Regisseur Erwin Wagenhofer hat vor drei Jahren mit der Doku „We feed the World – Essen global“ eine kleine Sen­sation er­reicht, weil in kaum gesehener Schonungs­lo­sigkeit dem Zuschauer ein Einblick in die Produktionsweisen der Nahrungs­mit­­­­­tel­­­industrie gewährt wurde. In ge­konn­ter Weise stellte er die enorme Über­pro­duk­tion der Industriestaaten und die haar­sträu­­benden Mängel der so genannten „Drit­­ten Welt“ einander gegenüber. Die Zeit seit diesem Erfolg, der Wagen­hofer un­ter an­de­rem einen Amnesty International Human Rights Award ein­brach­te, hat der Re­gisseur damit genutzt, die komplizier­ten Strukturen und Auswir­kungen des In­vestmentbankings auf vier Kontinenten zu verfolgen.

Die Vorgehensweise ist dabei fast identisch mit dem Vorgängerfilm, es werden einfa­che Arbeiter/innen, die um ihr täglich Brot kämp­fen müssen, und vermögende Ent­­schei­der, die Multi­million­en­­beträge ver­­schie­ben, befragt, hoch­trabende Ver­laut­ba­rungen mit tristen, ja erschreckenden Bil­dern aus der Wirklichkeit kom­biniert. Da­­bei verzichtet Wagenhofer auf Kommen­tare aus dem Off, taucht niemals selbst im Bild auf, um kritisch nach­zu­haken und hört sich die Argumente auf beiden Seiten an. Er verfolgt die Strategie, durch die Ab­folge der Bilder und die Dra­ma­turgie der einzel­nen Szenen eine Span­nung auf­zu­bauen, die als Ergebnis deut­licher aus­fallen als nur platte Polemik.

Nach oben buckeln, nach unten treten

Da ist zum Beispiel die Näherin in einem in­dischen Sweatshop ganz zu Anfang des Films, von der mensch nur den Ober­kör­per sehen kann. Gleich darauf folgt eine Ein­­­stellung, in welcher druckfrische Euro-Bank­­noten vom Band laufen. Auf den er­sten Blick wirkt es, als würden diese von der jungen Frau im Sari mit ihrer Nähma­schi­ne hergestellt, eine gelungene Meta­pher für die Wertschöpfung, von der die In­de­rin nie­mals profitieren wird. Dies wird gele­gent­­lich durch Fakten unter­mauert, welche auf das Nötigste be­schränkt am Ende der ein­­zelnen Sequen­zen eingeblendet werden. Zu Beginn wirft Wa­genhofer die Frage auf „Wis­­sen Sie, wo Ihr Geld steckt?“, später macht er den In­ter­nationalen Währungsfond (IWF) und die Weltbank als Komplizen aus, wel­che das System der Ausbeutung der Ar­men zu Gunsten der Reichen von langer Hand ge­plant haben. Beispielsweise indem sie ver­­schul­­dete Ent­wicklungsländer in Ab­hän­g­ig­­keit gezwungen, kommunale Ge­mein­­­schaf­­ten über Public Private Partner­ships (PPP) lang­sam enteignet, unfassbare Geld­­men­gen in die Errichtung von Geister­städ­ten in­vestiert und geschätzte 11,5 Tril­lionen Dollar an Privatvermögen in Steu­er­­para­die­sen vor dem Zugriff des Fiskus ver­­steckt wer­den. Dabei wiederholt Wa­gen­hofer sich in teilweise etwas zu deut­li­chen An­spielun­gen, etwa wenn die große Ähn­­lichkeit der Fassade des Welt­bankge­bäu­des in New York quä­lende Sekunden mit einer Ge­denktafel auf dem (militä­ri­schen) Hel­denfriedhof ver­glichen wird oder glatt­ge­bü­gel­te Manager­phrasen wie­der­holt mit Bil­dern aus dem Slum unter­malt werden.

Doch trotz seiner Schwarzmalerei ist der Film insgesamt sehr empfehlenswert, weil mensch so nicht nur lernt, Banken gene­rell zu misstrauen, sondern auch ne­ben­bei neue Theorien zur Entstehung des Irak­­krieges erfährt und dass die Phrase von den sogenannten „Heuschrecken“ nicht ganz unberechtigt war: Ein öster­reich­i­scher Unternehmer etwa lobt ausführlich die Arbeitsbedingungen in Indien (ein ein­­facher Arbeiter erhält ca. 100 Dol­lar im Monat, kaum Gewerkschaften, ge­rin­ge Nebenkosten) und ist dabei, sein Be­triebsvolumen zu vervierfachen, äußert aber zugleich seine Bereitschaft, jederzeit wo­­anders hingehen zu können, falls die Kos­ten zu sehr steigen.

Die Rolle des Sympathieträgers darf mit Her­mann Scheer ausgerechnet jemand über­nehmen, der für die SPD im Bun­des­­tag sitzt, indem er es ist, der aus­drück­lich auf erneuerbare Ressourcen drängt, vor einem „neuen Zeitalter der Bar­barei“ warnt und die Behauptung des Ban­kers im Steuerparadies Singapur, dass die „Glo­ba­l­isier­ung für alle von Vorteil ist“, gründ­lich widerlegen darf. Doch das letzte Wort hat glücklicherweise Paul Feyer­abend, wel­cher am Schluss die Moritat aus der Drei­groschen­oper zum besten gibt: „Denn die einen sind im Dunk­len/ Und die andern sind im Licht/ Und man siehet die Lichte/ Die im Dunk­eln sieht man nicht“.

bonz

Mehr Infos unter:
www.letsmakemoney.at

Rezension

Der Prozess in Stuttgart-Stammheim

Seit dem 17.März 2008 findet vor dem Ober­landesgericht (OLG) Stuttgart in der JVA-Stelle Stuttgart Stammheim ein Pro­zess nach den §§129, 129a und 129b gegen fünf linke Migranten statt. Das Ver­fahren ist der erste große §129b-Pro­zess, der sich gegen eine linke Organi­sation rich­tet. Damit soll ein Präzedenzfall ge­schaffen und so der Weg für weitere Ver­fahren und Kri­minalisierungen nach §129b geebnet wer­den. Daher wollen wir mit diesem Arti­kel kurz den aktuellen Stand des Verfahrens zusammenfassen. Den Angeklagten wird die Mitgliedschaft in und Unterstützung der Revolutionären Volks­­befreiungspartei-Front (DHKP-C) vor­geworfen.

Diese marxistisch-leninistisch orientierte tür­kische Untergrundorganisation ging An­fang der 90er Jahre aus der Spaltung der Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) in zwei kon­kurrierende Flügel hervor. In der Folge kam es auch zu gewaltsamen Aus­ein­an­der­setzungen und Schießereien zwischen den Mit­gliedern dieser beiden Flügel, die meh­re­ren Menschen das Leben kosteten. Neben der Arbeit in Ge­werk­schaften und Stadt­teil­organisationen unterhielt die DHKP-C auch eigene Guerillaeinheiten und führte Atten­tate und Bomben­an­schläge durch. So be­kann­te sie sich 2003 zu zwei Bomben­an­schlägen gegen ein Hotel in Istanbul und eine McDonalds-Filiale, bei denen mehrere Menschen ums Leben kamen – in ihren Be­kennerschreiben ordnete die DHKP-C die­se Aktionen als Teil des antiimperia­listischen Widerstands gegen den Irakkrieg ein. Seit 1998 ist die DHKP-C in der BRD ver­boten, 2002 wurde sie auf auf die Terror­listen der USA und der EU gesetzt.

Auch wenn Programmatik und Aktions­formen dieser Gruppierung sicher frag­würdig sind, ist Solidarität in diesem Fall dringend nötig, weil auch das Verfahren selbst in vielen Punkten fragwürdig ist.

Die Anklage

Die Anklageschrift im Prozess in Stuttgart-Stamm­heim bezieht sich auf einen Fall von Waffenschmuggel, Urkundenfälschung und Spendensammlungen. Sie beruht auf durch Fol­terungen erzwungene Ge­stän­dnisse und In­formationen sowie auf Er­mittlungen des tür­kischen Geheim­diens­tes MIT und des Ver­­fassungs­schutzes.

Die Anklage stützt sich jedoch maßgeblich auf die Aussagen des psychisch kranken Haupt­­belastungszeugen Hüseyin Hiram. Die­ser unternahm während seiner Haft­zeit in Koblenz, wo er vor dem OLG wegen Dop­pel­agentschaft (er war gleich­zeitig für den deutschen und den tür­kischen Ge­heim­dienst tätig) verurteilt wurde, einen Selbst­mord­versuch und lei­det seitdem an Schizo­phrenie. Am Prozess selbst kann er nur durch die Einnahme starker Neuro­lep­tika teil­nehmen. Durch die star­ke Me­dikation und seine Krankheit ist er nicht in der Lage, zu­­sammen­hängend und selbstständig zu spre­chen. Bei seinem „Verhör“ las der Vor­sitzende Teile seiner bisherigen Aussagen vor dem Ge­richt in Koblenz vor, die er dann le­dig­­lich mit ja oder nein beantworten muss­te. Dennoch widerspricht er sich oft, ver­wirft alle Aussagen die er gemacht hat und beleidigt dabei die Angeklagten.

Als die Verteidigung die Befragung von Hüseyin Hiram aufnehmen sollte, wurde seine Anhörung vor Gericht unan­ge­kün­digt unterbrochen, um den Istan­buler Po­lizei­chef Serdar Bayraktuktan aus der Tür­kei zu vernehmen. Die Anwälte der An­geklagten konnten einen Aufschub der Ver­nehmung er­reichen, da gegen Bayrak­tutan in der Tür­kei zur Zeit noch zwei Verfahren wegen Fol­tervorwürfen laufen. So ist er Mitglied einer An­ti­­terroreinheit, die erst am 8. Oktober die­sen Jahres den 29-jährigen Engin Ceber so­lange gefoltert hatte, bis dieser mit Ge­hirn­blutungen ins Krankenhaus ein­ge­liefert wurde, wo er dann verstarb.

Die Situation der Gefangenen

Seit ihrer Verhaftung im November 2006 bzw. im April 2007 befinden sich alle An­geklagten – bis auf Ilhan Demirtas, der auf Grund des hohen Drucks unter einer psy­chischen Erkrankung leidet – in Isola­tions­haft. Die Gesundheit aller ist an­ge­schlagen. Ins­besondere Mustafa Atalay ist da­von be­troffen. Er wurde nur drei Wochen nach einer Bypass-Operation aus der Reha­klinik heraus verhaftet und leidet unter akuten Herz­problemen. Seine Herzgefäße sind wie­der verstopft, eine medizinische Behandlung wird ihm durch das Gericht verwehrt. Damit wird nicht nur die Ge­fahr bleibender Schä­den wie Lähmun­gen schlichtweg ignoriert, die Justiz nimmt damit auch den möglichen Tod des Angeklagten in Kauf.

Solidarität…

Die zahlreichen Schikanen, die die Ge­fan­ge­nen, Verteidiger und Prozess­besucher über sich ergehen lassen müssen, die An­klage, die sich gegen eine politische Orga­ni­sation rich­tet, sowie das mediale Schwei­gen, das den Pro­zess begleitet, ver­deut­lichen den Charak­ter als po­li­tischen Schauprozess und machen die Notwendig­keit deutlich, gemeinsam da­ge­gen vor­zu­gehen. Dabei richtet sich das Ver­­fah­ren keines­wegs nur gegen migran­tische Struk­turen, son­dern stellt letztlich einen Angriff auf inter­nationalistische Arbeit und die inter­nationale Solidarität dar und ver­sucht die­jenigen, die gegen die Aus­beu­tungs- und Unter­drückungs­ver­hält­nisse vor­gehen, zu kriminalisieren und auf­kommen­den Widerstand schon im Vor­feld auszu­merzen.

Um uns dagegen wehren zu können, müssen wir uns solidarisch verhalten und die aktuel­len Repressionsfälle in unsere Praxis und Dis­kussion miteinbeziehen. Denn Solida­ri­tät ist unser Schutz und unsere wichtigste Waf­fe gegen die Re­pression – ungeachtet von unter­schied­lichen politischen Konzep­tionen oder Aktionsformen.

Rote Hilfe

Mehr Infos unter:
www.no129.info

Aktuelle Repressionsfälle nach §129b

Für diese und andere Verfahren wird der Prozessausgang in Stuttgart-Stammheim entscheidend sein:

Am 5.11.08 gab es in Köln, Duisburg, Dortmund und Hagen erneute Razzien und drei Festnahmen aufgrund des §129b. Im Zuge der Durchsuchungen, bei denen Geld, Computer und Datenträger beschlagnahmt wurden, wurden Ahmet Istanbullu, Nurhan Erdem und Cengiz Oban, denen die Mitgliedschaft und Unterstützung der DHKP-C vorgeworfen wird, festgenommen und dem Bundesgerichtshof vorgeführt. + + + Vorraussichtlich Ende dieses Jahres soll in Düsseldorf ein weiterer §129b-Prozess gegen Faruk Ereren beginnen, dem vorgeworfen wird Mitglied des Zentralkomitees der DHKP-C zu sein. + + + Ein weiterer Prozess gegen die Journalistin Heike Schrader, der vorgeworfen wird, Mitglied der DHKP-C zu sein, wird vorbereitet.

+ + + Des weiteren wird ein Verfahren gegen 10 Personen angestrebt, denen vorgeworfen wird, innerhalb der TKP/ML (Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten) eine „terroristische Vereinigung“ gegründet zu haben.

Editorial FA! #31

Da haben wir nun den Entschluss gefasst, re­gelmäßig, also pünktlich zur Mitte jedes zwei­ten Monats zu erscheinen. Nicht be­dacht haben wir allerdings, wie schnell 61 Ta­­ge verfliegen können. Trotz kleiner Ver­­­zögerung sind wir letztlich zufrieden: Die #31 ist zwar wieder etwas dünner, aber da­­für fast pünktlich erschienen, und das trotz oder besser wegen schlaflosen Näch­ten mit einer mehrfach belasteten Redak­tion.

Die Jubiläumsausgabe #30 ist vielerorts bereits vergriffen, aber ihr könnt noch einige Geräusche aus dem Post­fordismus von der beigelegten CD beim Liberterz an unserem Feierabend!-Stand erhaschen. Wir würden uns freuen, wenn der ein oder die andere LeserIn zum Plau­schen auftaucht. Bei der Gelegenheit könn­te mensch uns auch einen Leserbrief, eine Idee für ein kontroverses Pro&Contra oder sonst­welche Pamphlete in die Hand drücken.

Zum Inhalt der #31 an dieser Stelle nur so­viel: Es gibt wieder ein wenig mehr Theo­rie als zu­letzt. Aber keine Sorge, die Praxis haben wir durchaus im Blick.

Das Projekt, das wir in diesem Jahr noch wei­tertreiben wollen, ist unsere Internet­prä­senz. Neben der Archivie­rung al­ter Aus­gaben planen wir u.a. auch ein Fo­rum, um unsere Kommunikation zur Le­serIn­nen­schaft weiter zu verbessern.

Bleibt noch unsere Verkaufstelle des Mo­nats – die Infobude in der G16 – zu er­wäh­nen. Diese hatte uns gleich mal 50 Exemplare der letzten Ausgabe abgenom­men. Wir hoffen, das war kein Risiko­geschäft ;o)

In diesem Sinne viel Vergnügen beim Schmökern – Euer Feierabend!

Wider den Mythos vom Heiligen Staate

Das Erschreckendste an der derzeit grassierenden Finanzkrise ist nicht der Verlust virtueller Werte, ohne die wohl schon länger alle Volkswirtschaften rund um den Globus stagnieren würden, auch nicht das naive Gerede vom Ende des Kapitalismus, obwohl sich an den Eigentumsverhältnissen im Wesentlichen rein gar nichts ver­än­dert hat – erschreckend ist vor allem dieser um sich greifende Glau­be an den Heiligen Staate, der da kömmt, um uns alle zu er­­ret­ten.

Dabei ist doch offensichtlich, dass jener Retter in der Not selbst zu den Akteuren gezählt werden muss, die die aktuelle Krise erst verursacht haben. Als wären „Privatisierung“ und „Liberalisie­rung“ der Märkte Allheilmittel gegen den asozialen Kapitalismus. Ganz umgekehrt hei­zen sie ihn nur weiter an. Statt die Warenpalet­ten zu verbreitern, die Innovation voranzutreiben und die Preise sin­ken zu lassen, fällt es Großinvestoren um so leichter, „privatisier­te“ und „liberalisierte“ Märk­te zu destabilisieren und zu monopo­li­sieren. Denn in Zeiten von Marktbereinigungen, wie sie derzeit statt­finden, setzen sich nicht nur die Finanzstärksten durch, auch al­ternative Innovationen und we­ni­ger kapitalistisch orientierte Un­ter­nehmungen werden einfach ver­drängt. Zwar verfallen in solchen Kri­sen kurzfristig auch die Prei­se, weil ein Überangebot bereits pro­du­zierter Güter entsteht, lang­fristig jedoch steigen die Preise höher als zuvor, da sie nun von den wenigen verbliebenen Marktakteuren um so ungehemmter dik­tiert werden können.

Neu ist das alles nicht. Die krisenhafte Entwick­lung kapitalistisch organisierter Märkte wur­de vielfach untersucht. Sie ist eben kein ausschaltbares Beiwerk eines op­ti­malen Systems, nein, diese Krisen sind der systemrelevante Teil, der gern ausge­blen­det wird, um sich um so naiver das kapi­ta­listische Wirt­schaf­ten als funktionierend vorgaukeln zu können. Zy­nisch wird es, wenn dann als schlimmstes Ausmaß der Ver­trauens­ver­lust der Groß­kapitalisten untereinander beklagt wird, während Milliarden von Menschen durch ihre Abhängigkeit von stabilen Märk­ten in noch tieferes Elend stürzen. Ganz so, als wäre in der ka­pi­talistischen Kon­kurrenz das Vertrauen der höchste Wert und nicht der Mehrwert der Produktion, als könne Vertrauen allein den Hun­ger stillen und al­le Bedürfnisse befriedigen. Nein, neu ist dieses La­tein für die Mas­sen nicht. Neu ist höchstens die Ohnmacht und Schlaffheit der Ge­dan­ken, die sich dieser Litanei von oben, von den Kanzeln und Füh­rungsetagen dieser Welt, entgegen stellt. Nein, wir brauchen kei­ne allgegenwärtige Bevormundung, keinen starken Staat, der sich mit Regeln vollfrisst, bis er kotzen muss. Das was wir brau­chen, ist in­di­viduelle und kollektive Selbstermächtigung, damit wir den kapi­ta­listischen Zumutungen nicht schutzlos ausgeliefert sind.

clov

Gott ist tot, es lebe die Kirche!?

Über das „Paulinum“, eine Glaswand und den Leipziger Kulturkampf

Die Debatte um den Universitäts­neubau schien längst vorbei. Doch im August diesen Jahres loderte der Kultur­kampf im Gewand des sogenannten Glaswandstreits von Leipzig wieder auf. Das Corpus Delicti ist eine Plexiglaswand im „Paulinum“, der zukünftigen Aula des Neubaus im Zentrum von Leipzig. Sie soll die spezielle Klimatisierung des An­dachts­raums gewährleisten, wo Epi­taphe (Grab­denkmal), die alte Kanzel und Altar stehen sollen. Aber Christian Wolff, Pfarrer der Thomas­kirche, sieht darin ein weiteres Indiz für den Verfall des Abendlandes. Hierin äußere sich die „Angst vor einem kritisch-hei­ligen Geist, ohne den wir Menschen ver­rohen“(*).

Was will der da ei­gent­­lich? Wie kommt es zu sol­chen Aus­wüch­sen christ­lichen Selbst­be­wusst­­seins? Was hat Plexiglas mit „ethischem An­alpha­betismus“ zu tun, was Wissen­­schaft mit Glaube? Und gibt es einen Zusammenhang zwi­schen der theolo­gischen Fakultät und freier Wissen­schaft?

Fangen wir am Anfang an. Am 30. Mai 1968 wurde die mittelalterliche Universitäts­kirche „St. Pauli“ auf Geheiß der DDR-Regierung gesprengt. Der sozialistische Staat hatte keinen Platz für eine zweite Weltanschauung neben der eigenen. Die Bürger der Stadt waren geschockt. Proteste gegen diesen staatlichen Machtbeweis führten zu Verhaftungen. Die Leitung der 1953 nach Karl Marx umbenannten Universität ging mit den Neubauplänen konform und stimmte letztendlich, ebenso wie die Stadt­verordneten­ver­sammlung Leipzigs der Sprengung zu.

Auf dem freigewordenen Gelände wurde von 1972 bis 1975 die neue Universität er­baut, deren moderne Architektur den Fort­schritt des Sozialismus demonstrieren und den marxistisch-leninistischen Lehren wür­dige Räume bieten sollte. Ausdruck da­von war das Marx-Relief an der Fassade, das mit dem Abriss des Hauptgebäudes 2006 zunächst eingelagert wurde und nach einigen Debatten auf dem Campus in der Jahnallee seinen Alterswohnsitz erhielt.

1989 leitete die sogenannte Friedliche Revolution den Umsturz des DDR-Systems ein. Die Demonstrationen in Leipzig, die u.a. von der Nikolaikirche ausgingen, setzten einen positiven Mei­len­stein in der Geschichte der Stadt. Die Universität erhielt einen ideologiefreien Namen, die alten Lehrkräfte wurden entlassen und das Pflichtfach Marxismus-Leninismus abgeschafft. Die Spuren der Zeit hatten sich jedoch in den Bau eingegraben: zerbrochene Bodenplatten auf dem Innenhof, die Taubenpopulation in den Zwischengängen, vergilbte Außen­verkleidung… Bald machte man sich also Gedanken über einen Neubau des Innen­stadtcampus. Die Leipziger Bürgerschaft nahm rege Anteil an der Diskussion darum, welche äußere Form der Be­deutung des Ortes gerecht würde.

Um die eigenen Interessen gegen den Pla­nungsbeirat des Neubaus, also den Bau­herrn, die Sächsische Staatsregierung, die Uni­versität und die Stadt Leipzig zu ver­tre­ten, gründeten BürgerInnen 1992 den „Paulinerverein“. Sie forderten einen ori­gi­nalgetreuen Wiederaufbau der Universi­tätskirche „St. Pauli“. Denn nur so könne ein Zeichen gesetzt werden, das die Greueltat von 1968, wenn nicht un­ge­sche­hen macht, dann doch wenigstens zeigt, wer hier der Sieger der Geschichte ist.

Eine erste Ausschreibung führte nicht zum Erfolg. Der Entwurf des Archi­tektur­büros „behet + bondzio/Münster“ erhielt im Mai 2002 lediglich den zweiten Platz, da die Jury der Meinung war, dass die Fassade, nicht der historischen Bedeutung des Ortes gerecht würde. Man wollte sowohl eine zeitgemäße Gestaltung, als auch angemessen an die Universitäts­kirche erinnern.

An diesem Punkt entflammte die schwe­len­de Debatte um den Wiederaufbau erneut. Im Juli 2001 forderten 28 Nobel­preisträger und weitere Prominente aus aller Welt, die Rekonstruktion der alten Universitätskirche Sankt Pauli zur Vor­aussetzung für die zweite Ausschreibung zu machen. Die Kirchenbefürworter beschwerten sich über zu wenig Mit­spracherecht und fanden dabei auch die Unterstützung des damaligen Wissen­schafts­ministers Matthias Rößler. Im zweiten Wettbewerb erhielt der Entwurf des Rotterdamer Büros „van Egeraat“ den Zuschlag für die Gebäude hin zum Augustusplatz, dessen Realisierung wir heute im Rohbau bereits erahnen können. Abgesehen von der üblichen Fehlplanung bezüglich Bauzeit und Kostenvoranschlag, schien alles in den vereinbarten Bahnen zu laufen.

Das „Paulinum“, die Aula der neuen Universität, sollte für eine Drei­fach­nutzung – akademisch, musikalisch, kirchlich – offen stehen. Doch an der Innengestaltung entbrannte im Spät­sommer 2008 erneut eine Debatte. Die geplante Plexi­glas­wand, die der Klima­ti­sierung des An­dachts­raumes und damit dem Schutz der his­torischen Kultur­gegenstände dienen soll, inter­pre­tiert Pfarrer Wolff als „antichristlichen Schutz­wall“. Wie sonst ist es zu verstehen, wenn er in der Zeit schreibt: „1989 fiel in Berlin die Mauer. Doch in Leipzig wird ein neuer Schutzwall errichtet“(*). Ob da dem­nächst auch der Schießbefehl nach­gereicht wird? Möglich wäre es, denn die Installa­tion von Glas­wänden, so Wolff, führt notwendig in die Bar­barei: „Wer eine Trennung zwischen Glau­ben und Ver­nunft propagiert, sollte be­denken, dass die Zer­störung von Sy­na­go­gen, Kirchen und Moscheen immer Aus­druck der Ver­kommenheit einer Ge­sell­schaft ist. Das war 1938, das war 1968 so“. Als wäre das Dritte Reich ein Aus­druck übergroßer Vernunft ge­wesen…

Das heißt nichts anderes, als dass eine Uni­versi­tät, die einem Programm kritischen Denkens anstatt dem Wertekanons des christ­lichen Glaubens folgt, jeder men­schen­­feindlichen Ideologie die Tore öffnet. Da muss mensch sich doch fragen, wie die Men­schheit die humanistische Aufklärung über­leben konnte. Zudem zeugt die Gleich­setzung von Nationalsozialismus und Realsozialismus, die Wolff vornimmt, nicht eben von Sachkenntnis. Jedem Schüler der achten Klasse dürfte klar sein, dass es grundlegende Unterschiede zwischen den Ausprägungen von Zer­störung, Verfolgung und Wert­vor­stellun­gen gab.

Den Fakt, dass die Universität nicht gewillt war, eine Kopie der Universitäts­kirche „St. Pauli“ wieder zu errichten, versteht Wolff als Gutheißung der Spren­gung von 1968. Von dieser unterstellten Geschichtsvergessenheit der Universität ausgehend, unternimmt er eine Attacke auf die Wissenschaft als Ganzes. Deren Meinungslosigkeit, bzw. Wertfreiheit, die fehlende Anbindung an die christliche Ethik, münde in einen Zustand des „ethischen Analphabetismus“.

Hier offenbart sich ein bedauerliches Ver­ständ­nis von Wissenschaft, nach dem die Trennung von Glauben und Vernunft un­mög­lich ist, da nur deren Verbindung den ethisch-moralischen Unterbau für Bildung und Wissenschaft liefern könne. Denn, so Wolff, „worauf wir in der Bildung nicht verzichten können“, sei „die letzte Verantwortung vor Gott in der Offenheit des wissen­schaft­lichen Diskurses“.

Es lässt sich nur vermuten, dass dieses ideo­logische Gerangel seinen Ursprung in ei­nem Ohnmachtgefühl hat, das aus der (durch­aus berechtigten) Annahme resul­tiert, die eigenen Ansichten wären nicht ge­nug in der Gesellschaft repräsentiert. Be­trachtet man jedoch die Anzahl evange­lischer Kirchen, speziell in der Innenstadt und den Anteil Gläubiger Christen an der Stadtbevölkerung, so läßt sich die For­derung, den Neubau als Kirche zu be­titeln, nur als reine Gier verstehen. Allein im Zentrum gibt es bereits 7 und im ge­sam­ten Stadtgebiet 38. Im Vergleich dazu kann die katholische Kirche nur mit 9 auf­war­ten.

Der Pfarrer steht nicht allein mit seiner verkorksten Meinung da. Während er aus Glaubensgründen für den Wiederaufbau plädierte, meinen andere, es ihrer Ge­schich­te schuldig zu sein, den Zustand vor 1968 wieder herzustellen. Der Trom­peter Ludwig Güttler etwa verspricht sich vom Wiederaufbau eine Katharsis für die verletzten „Gefühle der Menschen, die seit der Sprengung der Leipziger Universitäts­kirche 1968 darunter litten“ (DDP-Meldung 07.10.08).

Auch die Theologische Fakultät gibt Wolff Deckung. Ihre studentische Sprecherin Tina Binder hält es für unmöglich, Glaube und Wissenschaft zu trennen. Mit Glaube ist speziell der christliche gemeint und die Offenheit reicht auch nur bis zur Über­konfessionalität. Man wäre bereit, auch der katholischen Gemeinde die Räume zu öffnen. Aber die interreligiöse Nutzung, die der StuRa für den An­dachts­raum in der Aula angedacht hat, wird von ihr ausgeschlossen. Begründet wird dies mit der christlichen Tradition der alten Universitätskirche.

Am Reformationstag veranstalteten die Glas­­wandgegnerInnen eine Aktion, bei der sie ganz in der Tradition Luthers fünf The­­sen an dem Bauzaun vor dem „Pauli­num“ in Form eines überdimensionalen Trans­­­­pa­rentes befestigten: Die Aula soll zur Kirche werden, die Glaswand soll weg, da­­mit Glaube und Wissenschaft sich be­geg­­nen können. Auch die Reden zum so­ge­­­nannten Thesenanschlag brachten nichts Neues, Unmutsbekundungen wur­den als Störaktion und Mißbrauch von freier Meinungsäußerung verstanden. Die Überzeugung, die richtige Meinung zu ha­ben, ist an sich nicht verkehrt, wenn man denn in der Lage ist, sie vernünftig zu begründen. Bis dahin ist es aber bei diesen nostalgischen Geschichtsfans mit Spreng­trauma noch ein verdammt weiter Weg…

wanst

(*) Alle unmarkierten Zitate stammen aus Christian Wolff‘s Artikel „Wie die Leipziger Universität sich gegen Kirche und kritischen Geist sträubt“ in Die Zeit Nr. 42, 09.10.08.

Endlich Bargeld!

Eine kleine Geschichte der Ausgrenzung

Ab Januar 2009 wird es für alle in Leipzig le­ben­den Asylsuchenden endlich Bar­geld anstatt der bislang zu größten Teilen ausgegebenen Lebens­mittelpakete geben. „Jeder Asyl­bewerber kann künftig selbst entscheiden, was er wann und wo im Rahmen seiner Grund­versorgung einkauft. Das bedeutet mehr Selbst­be­stimmung und ein Plus an Lebens­qualität für die Leistungs­be­rech­tigten“, gibt sich Bürgermeister Thomas Fabian in der Pressemitteilung der Stadt vom 8. Oktober ganz human. Tatsächlich stellt dies auf jeden Fall eine Verbesserung der Lebens­ver­hältnisse dar. Bisher mussten Flücht­­linge, die weniger als drei Jahre in Deutsch­land leben und Men­schen mit „Dul­dungs­sta­tus“ (1), aus einem Kata­log mit einem sehr geringen Angebot und zu eher gehobenen Preisen bestellen. Oft kamen nicht die bestellten Lebens­mittel mit, oder es waren bereits ver­dor­bene Waren in den Paketen. Doch wie kam es zu dieser Entscheidung der Stadt? Warum dauerte es über ein Jahr, bis sich auch Leipzig dazu durchrang?

„Das Sachleistungsprinzip ist eine ge­wollte Einschränkung in der freien Gestaltung des Lebens. [Es] hat unter anderem, aber auch wesentlich den Zweck, dass kein be­son­derer Anreiz ge­schaf­fen werden soll, hier einzureisen und einen Asylantrag zu stellen, der keine Chan­ce auf Erfolg hat“ (2), so klar formu­liert Reinhard Boos (Referatsleiter für Aus­länder- und Asyl­an­gelegenheiten im Säch­sischen Innen­ministerium), mit wel­chen politischen Intentionen Bar­geld­aus­zah­lungen an AsylbewerberInnen verwei­gert werden. Der rechtliche Hinter­grund für die Versorgung durch Kataloge oder Pakete ist das bun­desweit geltende Asyl­be­werber­leistungs­ge­setz, nach welchem Asyl­­be­werber­Innen lediglich Leistungen unter dem Existenzminimum zustehen – in der Re­gel in Form von Sachleistungen. Über die Art der Um­setzung dieser Vor­gabe ent­schei­det jedoch die zuständige Behörde vor Ort (Bezirks­amt, Sozial­behörde): Sach­leistungen haben dabei Vorrang vor Bar­geld. Das Säch­sische Innen­ministerium legt das Ge­­setz jedoch sehr strikt aus und ge­neh­mig­­te den ent­sprechen­den Behörden nur Ver­­sorgungs­mo­delle nach dem Sach­lei­stungs­­prinzip. 2002 kam es deswegen in und um Leipzig zu zahlreichen Pro­testen und (Hunger)­Streiks von Seiten der Flücht­­linge. Dabei verweigerten sie die An­­nahme von Fresspaketen und Taschen­geld, organi­sierten Straßen­bloc­kaden und De­mons­trationen. In Taucha wurde gar der Heimleiter für mehrere Stunden aus­ge­sperrt. (3) Die Flücht­linge organisierten sich selbst und heim­über­greifend, auf Netz­werktreffen wurden ge­mein­same For­de­rungen erarbeitet, die nicht bei der For­derung „Geld statt Sachleistungen“ Halt machten, sondern an erster Stelle Arbeits­ver­bot und Resi­denz­pflicht sowie die schlech­ten Lebens­bedingungen in den Hei­men an­pranger­ten. Aufgrund dieses Drucks wollte die Stadt Leipzig zum Teil auf Bargeld­zahlungen umsteigen. Dem wurde jedoch vom sächsischen Innen­mini­sterium und seinem ausführendem Or­gan, dem Re­gierungs­präsidium, ein Rie­gel vor­geschoben: Sie beharrten auf dem Sach­leistungsprinzip und kündigten an, Leipzig müsse ansonsten selbst die Lei­stungen bezahlen.

 

Die Stadt Leipzig gab klein bei. Nach langen Verhandlungen und zahl­reichen Ge­sprächen vor allem mit dem Säch­sischen Flüchtlingsrat kam es vor et­wa einem Jahr endlich zu einer Ver­än­de­rung der Lage. In einem „Erlass vom 21. November 2007 weist das Sächsische Staats­ministerium des Inneren darauf hin, dass die Entscheidung, ob Bargeld zur Deckung der Grund­leis­tungen nach §3 AsylbLG gewährt werden kann, der je­wei­li­gen unteren Unter­bringungs­behörde ei­gen­ständig, nach Prüfung der Sach- und Rechtslage, obliegt“ (4), d.h. alle Kreise und kreisfreien Städte in Sachsen können nun ohne Beantragung beim Innen­mini­sterium die Art der Versorgung frei wählen und auch Bargeld in Betracht ziehen. Sie müs­sen bei Bargeldzahlung jedoch nach­wei­sen, dass keine andere Art der Versor­gung möglich ist (z.B. wenn die Verwal­tungsbehörde zu wenig Mitarbeiter hat). Seit September 2007 stellten viele Kom­mu­nen in Sachsen auf Bargeld um, da­run­ter Kamenz, Bautzen, Zwickau, Chem­nitz, der Land­kreis Sächsische Schweiz und nun auch Leipzig. Ver­mut­lich signalisierte auch das Modell­projekt in Dresden, nachdem dort lebende Asyl­suchende bereits seit Dezem­ber 2006 Bar­geld bekommen, dass ein sol­cher Schritt möglich ist. Eigentlich wollte die Stadt Leip­zig ab 2008 Chip­karten ein­führen, was aber er­freulicher­weise daran scheiter­te, dass sich kein Chip­kar­ten­anbieter ge­fun­den hat. (siehe FA! #28)

 

Trotz aller Freu­de über diesen Schritt sollte allerdings nicht verschwiegen wer­den, dass diese Ent­wicklung auch darauf be­ruht, dass die Zahl der Flüchtl­inge seit Jahren stetig zu­rück­geht. (5) Die Gründe hier­für liegen in der sehr restrik­tiven Asyl­gesetzgebung und -handhabung Deutsch­lands und ge­ne­rell der EU, die mit der Milita­ri­sierung der Außengrenzen und Ab­kom­men wie der Dub­lin Con­vention (6) die Mi­gration nach Europa erschweren und die Men­schen nach ihrer ver­meint­lichen wirt­schaft­lichen Nutz­barkeit selektieren. Da­ran gemessen scheint das Sach­lei­stungs­prinzip als Kontroll- und Abschreckungs­ins­tru­ment nicht mehr so relevant, vor allem angesichts der Mehr­kosten.

Doch die Lage für bereits hier lebende Asylsuchende bleibt weiter­hin prekär. Die Aner­kennungsraten sind sehr niedrig (7), die Gefahr einer drohen­den Abschiebung für viele Menschen im­mer gegeben. Neben Lager­zwang und Ar­beitsverbot besteht die Residenzpflicht, wel­che die Menschen zwingt, in ihren zu­ge­teilten Städten oder Landkreisen zu blei­ben und diese nur im Einzelfall mit im Vor­aus zu beantragenden „Urlaubs­schei­nen“ ver­lassen zu dürfen. Dieses Gesetz ist bisher einmalig in der EU. Allerdings ist die Bundesregierung be­strebt, die Resi­denzpflicht EU-weit einzuführen, da sie sich damit im Raum des Schengen-Ab­kom­mens verbesserte Kontrolle für alle Mit­gliedsstaaten ver­spricht. Das zeigt, dass es trotz solcher Teil­erfolge wie Bargeld statt Sach­leis­tungen um die konkreten Lebens­be­dingungen der Flüchtlinge in Europa schlecht bestellt ist und das Thema nicht aus dem Fokus geraten darf. Dafür setzen sich in Leipzig heute schon z.B. die neu entstandene Gruppe LExil und die Initia­tive Flüchtlingsheim Grünau, die wir an dieser Stelle bald vorstellen werden, ein.

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(1) D.h. abgelehnter Asylantrag und ausreise­pflichtig, eine Abschiebung kann jedoch aus humani­tären Gründen nicht erfolgen.

(2) Zitat aus der Sendung „Was lange währt, wird auch nicht gut“ am 15.3.2006 auf coloRadio Dresden.

(3) Nachzulesen in der Spezial-Themen­bro­schü­re „Ver-Flucht – Flücht­linge in Leipzig“, her­ausgegeben 2002 von Klarofix und Kahina.

(4) Auszug aus dem Newsletter der Sächsischen Aus­länder­beauftragten vom 01.10.2007.

(5) In Leipzig hat sich die Zahl der Asyl­suchen­den in den letzten 6 Jahren deutlich mehr als hal­biert, von 1.852 in 2002 auf 741 im August diesen Jahres.

(6) Faktisch die Drittstaatenregelung auf eu­ro­päisch: „Nicht derjenige [Staat soll] für die Prü­fung eines Asylantrages zuständig sein, in den der Asylsuchende einen Antrag stellt, sondern der­jenige, in dem er die Außengrenze über­schritt, ein Familien­angehöriger Asyl erhalten hat oder aber, für den ihm eine Aufenthalts­er­laubnis oder ein Visum erteilt wurde.“ (Wikipedia).

(7) 2007 lag sie bei 0,8%.

Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)

Das AsylbLG wurde 1992 im Rahmen des sogenannten Asylkompromisses von CDU/FDP und SPD (Stichwort: Abschaffung des Grundrechts auf Asyl) verabschiedet und regelt die Versorgung von AsylbewerberInnen. Neben einer minimierten Gesund­heitsversorgung, die nur Notfälle abdeckt und der (Zwangs-)Unterbringung in sogenannten Gemeinschafts­unterkünften, ist in ihm die Absenkung der Leistungen für Asyl­bewerberInnen auf ca. 20% unter Sozialhilfeniveau (d.h. unter dem Existenz­minimum) festgeschrieben. Zentral ist außerdem die Verankerung des Sach­leistungsprinzips im § 3 AsylbLG:

(1) „Der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts wird durch Sachleistungen gedeckt.“

(2) „Bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asyl­verfahrens­gesetzes können, soweit es nach denUmständen erforderlich ist, anstelle von vorrangig zu gewährenden Sachleistungen nach Absatz 1 Satz 1 Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen im gleichen Wert gewährt werden.“

Die Formulierung der „besonderen Umstände“ lässt jedoch durchaus Spielräume zu und wird von den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich ausgelegt. In den meisten Bundesländern wird inzwischen überwiegend Bargeld ausgezahlt, in anderen gibt es teilweise noch Gutscheine oder Chipkarten. Sachsen ist neben Bayern und Baden-Württemberg das Bundesland, wo das AsylbLG besonders streng ausgelegt wird.

Wächterhaus Merseburger 17

Freie Träume für off‘ne Räume

Nein, das Haus in der Merseburger Straße 17 in Plagwitz ist kein ge­wöhn­liches Wächterhaus, sagen die Nutze­rIn­nen selbstbewusst (1). Denn schon 2005 und unabhängig vom HausHalten e.V. waren drei von ihnen auf der Suche nach ei­nem geeigneten Objekt gewesen und hat­ten mehrere Hausbesitzer zwecks Nut­zung kontaktiert. Doch ohne den Wäch­ter­hausverein, geben sie zu, wären die Ver­hand­lungen viel schwieriger gewesen. So­wohl die NutzerInnen selbst als auch der HausHalten e.V. hätten auch lieber einen di­rekten Vertrag zwischen Vermieter und Nut­zerInnen gesehen, aber der Besitzer eben nicht. Er vertraute eher auf die dop­pel­te Vertragsstruktur, die der Verein zau­dernden Immobilienbesitzern anbietet (2). So konnte im September 2006 alles für sie­ben Jahre unterschrieben werden. Be­triebs- und Nebenkosten für den Vermie­ter und 15,- pro Monat und Person als För­dermitgliedsbeitrag an den Verein be­deu­tete ein ganzes Haus für die NutzerIn­nen. Das frischgebackene Hauskollektiv war glücklich. Dadurch dass man schon vor­her eine feste Gruppe gewesen war, ließ ihnen der Verein die sonst unübliche Frei­heit, selbst über die genaue Zusammenset­zung der NutzerInnen zu bestimmen und un­terstützte die notwendigsten Aufbau­maß­nahmen mit Material und Know How. Dementsprechend gab es auch von An­fang an einen festen Zusam­menhalt un­ter den neun BewohnerInnen im ganzen Haus und die späteren NutzerInnen wie der Tischtennisverein BumBum, die Näh­werkstatt Total Vernäht und ein kleines Hörspielstudio wurden per Unternut­zungs­verträge eingebunden und de facto im Stimmrecht gleichgestellt. Die Mit- und Selbstbestimmung bei der kollektiven Ver­wirklichung des Hausprojektes wird ernst genommen und jedeR ist bemüht, im Konsens zu entscheiden, Veto zu be­rück­sichtigen und nur im Ausnahmefall einen Mehrheitsbeschluss herbeizuführen.

Zwei große WGs, eine Werkstatt und ein Studio – damit ist das an sich relativ kleine Haus zwar schon ziemlich voll, trotzdem will man in der Merseburger 17 in Zu­kunft noch stärker nach außen tre­ten und in den Parterre-Räumen regel­mäßig Kul­tur­veranstaltungen anbieten, die auch Men­schen ansprechen, die nicht unbe­dingt aus dem ‚üblichen Klüngel‘ stam­men. Eine offene Küche ist ebenfalls für je­de zweite Woche geplant. Zwar gibt es wei­terhin noch einen lauschigen und ge­räumigen Hinterhof, aber der kann auf­grund der schlechten Nachbarschaft nur sehr eingegrenzt genutzt werden. Neben of­fen ablehnenden Spießbürgern zählen da­zu auch eine Gruppe Faschisten, die nachts des öfteren Fahrräder vor dem Haus demolieren oder ihre widerlichen Pa­­ro­len brüllen. Abgesehen von solchen Prob­lemen in der konkreten Nachbar­schaft, sehen die NutzerInnen ihre Aus­strah­lung durchaus positiv, insbesondere auf ein jüngeres und mehr in der „Szene“ zwi­schen Schreibmaschinencafé und Zoll­schuppen verortetes Publikum.

Der Kontakt zu den anderen Wächter­häu­sern läuft zwar schleppend, aber gerade über die Projekte und Freunde ist man untereinander verbunden und tauscht auch schon mal Material oder Werkzeuge aus. Zudem hat der HausHalten e.V. aktuell eine neue Vernetzungsinitiative gestartet, um die internen HaussprecherInnen­struk­turen zu stärken und den Informa­tions- und Erfahrungsaustausch zwischen den Häusern zu erhöhen. Alles in allem scheint man in der Merseburger Straße 17 zufrieden mit dem Engagement des Vereins, geschätzt wird die Zuarbeit auf der einen und die gewährte Selbst­be­stim­mung auf der anderen Seite. Der Eigen­tümer vertraut langsam den regelmäßigen Zah­lungen und hält sich ansonsten zu­rück. Da er weder über das genügende Klein­geld verfügt noch das Haus verkaufen kann (3), geht das Hauskollektiv opti­mistisch von einer langfristigen Perspek­tive für das Projekt aus. Über die noch verbleibenden fünf Jahre des Nutzungs­ver­trages hinaus denkt jedoch kaum je­mand. Ge­rade wegen der durch den Arbeitsmarkt ge­forderten Flexibilität sind die meisten mit der Situation zufrieden, auf lange Sicht nicht wirklich zu wissen, wo und wie es für jedeN EinzelneN weitergeht und ob dies auch gleichzeitig eine Zukunft mit und in dem Haus in der Merseburger Straße 17 bedeutet.

Möglichkeiten, um in das Projekt hinein zu schnuppern, gibt es derzeit vor allen Din­gen über persönliche Kontakte und den regelmäßigen Sportlertreff des Tisch­tennisclubs jeden Freitag ab 21 Uhr. Wer Interesse am Kochen hat oder eine Veranstaltung organisieren will, kann sich auch per Mail (siehe unten) melden. Außerdem ist für nächstes Jahr ein großes Haus­fest geplant, für welches weiterhin noch Leute gesucht werden, die Lust oder/und kreatives Potential mitbringen.

bonz & clov

 

Kontakt über:

Merseburger17@web.de

 

(1) Vgl. hierzu FA! #29 „Ist Lindenau denn noch zu retten“

 

(2) Das Modell des Haushalten e.V. sieht eine Ge­stattungsvereinbarung „Haus“ zwischen dem Verein und dem Besitzer und eine Ge­stat­tungsvereinbarung „Raum“ zwischen den Nut­zerIn­nen und Haushalten vor, um die Interes­sen beider Parteien miteinander zu vermitteln. Diese Struktur wurde insbesondere für die Re­vi­talisierung von Häusern entwickelt und soll dann langfristig durch einen direkten Miet­vertrag ersetzt werden.

 

(3) Das Haus gehört eigentlich einer Erben­ge­meinschaft. Allerdings ist die andere Partei der­zeit nicht ermittelbar, weswegen dass Haus rein rechtlich nicht so einfach verkauft werden kann.

Tönsberg weg …

Zum Urteil des Landgerichtes Leipzig in Sachen Immovaria gegen Uwe Meusel

Die 1. Zivilkammer des Landgerichtes Leipzig hat heute verkündet, dass die Thor-Steinar-Filiale „Tönsberg“ die Geschäfts­räume in der Richard-Wagner-Straße umgehend räumen muss und dass der Beklagte und Kopf des Thor-Steinar-Firmengeflechtes, Uwe Meusel, die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.

„Längst überfällig!“ so Juliane Nagel, Landes­vorstand Die Linke. Sachsen zum Urteil des Landgerichtes Leipzig, das heute der Räumung der Thor-Steinar-Filiale „Tönsberg“ in der Richard-Wagner-Straße den Weg ge­wiesen hat. In Berlin hatte das Land­gericht am 14.10. nach nur einem Verhandlungs­tag ein entsprechendes Urteil in Bezug auf den „Töns­berg“-Laden in der Rosa-Luxem­burg-Straße ge­sprochen. In Leipzig da­ge­gen dauerte das Proze­dere vor Gericht seit Ju­ni an. „Das Urteil ist zu be­grüßen“, so Nagel, „Nichts desto trotz steht es Uwe Meusel weiterhin frei Rechts­mittel einzu­legen. Nichts desto trotz wird die Marke Thor Steinar auch in anderen Läden oder im Internet verkauft. Nichts desto trotz stellt die Debatte um den Lifestyle von Neo­nazis nur eine Facette im Kampf gegen (Neo)­Nazismus dar.

Die nun gerichtlich angewiesene Räumung des „Tönsberg“ in Leipzig ist vor allem ein Verdienst engagierter, vor allem junger, Menschen, die sich im Bündnis „Laden­schluss“ zusammen­geschlossen und seit der Eröffnung des Ladens im September 2007 unzählige Protest- und Auf­klärungs­veranstaltungen durch­geführt haben.“

Bündnis „Ladenschluss“

… NPD kommt

Neues Parteibüro in der Odermannstraße Lindenau

Während das antifaschistische Enga­gement gegen den Tönsberg-Laden in der Leipziger Innenstadt endlich den ge­­wünsch­ten Erfolg verzeichnen konnte, brauen sich anderswo schon wieder neue Pro­b­leme zusammen. In der Odermann­stra­ße, in un­­mittelbarer Nähe des Lin­de­nauer Marktes will die NPD ein neues „natio­nales Zentrum“ etablieren. Offiziell han­delt es sich um das „Bürger­büro“ des Vor­sit­zenden der sächsischen NPD, Winfried Petzold. Be­sonders einladend sieht dieses allerdings nicht aus, wohl nicht um­sonst wird der Zugang durch meter­hohe Zäune ver­sperrt. Es ist zu erahnen, dass hier ein neuer Anlaufpunkt für Leip­ziger Neo­nazis entstehen soll. Dabei ar­beitet die NPD auch mit der lokalen Kamerad­schafts­szene zusammen: Invol­viert sind u.a. Mitglieder der Freien Kräfte Leipzig (siehe FA! #29 u. #30).

Zur musikalischen Untermalung der Er­öffnung am 15. November hatte man sich Frank Rennicke, den „Reinhard Mey der Rechtsrock-Szene“, eingeladen. Aber auch ungeladene Gäste ließen nicht auf sich war­ten: Die Leipziger Antifa dachte nicht daran, den Nazis einfach so das Feld zu überlassen. Zu einer Spontandemons­tra­tion kamen am frühe Nachmittag 150 Antifaschist_innen vor der Schaubühne Lindenfels zusammen. Die kurz darauf auf­tauchende Polizei versuchte durch Abrie­geln von Straßen den De­monstra­tions­zug zu stoppen, doch nach ei­nem sportlichen Sprint durch diverse Seiten­straßen schafften es die De­mons­trant_in­nen, ihr Ziel zu erreichen. Die Po­lizei machte zunächst Anstalten, die auf der Kreu­zung am einen En­de der Odermann­straße stehenden Anti­faschist_innen mit Mann­schafts­­wagen ein­zukesseln, nach kurzer Verhandlung konnte aber eine zeitlich begrenzte Ge­neh­migung für die Kund­gebung erlangt werden. Obwohl sich auch am anderen En­de der Straße ein Grüpp­chen von Anti­faschist_innen postiert hatte, gelang es der­weil immer wieder einzelnen Neonazis, in das Gebäu­de zu gelangen. Eine knappe Stun­de später wurde die Kundgebung beendet.

Als Wink mit dem Zaunpfahl an die Neo­nazis, dass ihre Aktivitäten beobachtet und gegebenenfalls mit entsprechenden Mit­teln beantwortet werden, war dies eine durchaus gelungene Aktion. Wachsamkeit ist jedenfalls angebracht: Sollte es gelin­gen, in Lindenau einen dauerhaften An­lauf­punkt und Rückzugsort für Neo­nazis zu schaffen, könnte das für die Zu­kunft einige Probleme mit sich brin­gen. Jenseits einer bloß reaktiven Verdrän­gungs­politik müsste es aber auch darum gehen, den Na­zis offensiv den Boden zu entziehen und auch in Stadt­­teilen wie Lin­de­nau eine brei­te, alter­na­ti­ve, antifa­schi­stische (nicht nur Jugend-)Kultur zu etab­lie­ren. Ein Pro­jekt wie das Ladenpro­jekt Atari in Reud­nitz (einem Viertel, in dem in den letzten Jahren ebenfalls verstärkte Naziaktivitäten zu verzeichnen waren) ist da schon ein Schritt in die richtige Richtung – darauf gilt es nun aufzubauen.

justus

Hände weg vom Besetzten Haus in Erfurt!

Es gibt sie tatsächlich noch: echte be­setzte Häuser! In Erfurt gibt es ein sol­ches seit 2001. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ir­gendein Haus, sondern um ei­nen Teil des Ge­ländes der ehemali­gen Firma Topf & Söh­ne, welche während der Zeit des Natio­na­lsozialis­mus die Öfen für die Kre­ma­torien so­wie Be- und Ent­lüftungsanlagen für die Gas­­kammern von Konzentrations- und Ver­nich­­tungslagern wie Buchenwald und Ausch­­witz pro­duzierte. Den Besetzer/innen ist eine Aus­einandersetzung mit dem ge­schicht­­lichen Hintergrund sehr wichtig, wes­halb sie die Geschichte der Firma Topf & Söh­ne durch Infostände, Vorträge sowie Work­­s­hops und Rundgänge themati­sie­ren. Im Projekt finden zudem Konzerte, Par­tys und andere kulturelle Veranstal­tun­gen, wie zum Beispiel Filmabende mit VoKü statt. Band­proberäume, Wohn­­räume, Raum für künst­lerische Ak­tivitäten und ein Lesecafe fin­­den im Haus ihren Platz, ebenso wie Ver­anstaltungen zu Themen wie Rassis­mus, Antisemitismus, Sexismus und Kapi­ta­lis­mus.

Soweit so gut, möchte mensch mei­nen. Doch wurde das ge­samte Gelände, das vor­her der Stadt ge­hörte, im letzten Jahr von der Domi­cil Haus­bau GmbH & Co. KG ge­kauft. Die Stadt stell­te an diese die Bedin­gung, dass das ehe­malige Verwal­tungs­ge­bäu­de, welches sich nicht auf dem besetzten Teil des Gelän­des be­findet, vom neuen Eigentü­mer reno­viert und zwei Eta­gen an die Stadt für die Ein­rich­tung einer Erinnerungs- und Ge­denk­stät­te vermietet werden sollen. Die Aus­­ge­stal­tung des Ortes würde vom För­derkreis Ge­schichts­ort Topf & Söhne übernom­men werden, der sich bereits seit Jahren mit den Hin­ter­gründen dieser Fir­ma ausein­an­der­setzt. Getan hat sich seit­dem nichts, Be­setzer/innen und Immobi­lien­firma schieben sich nun gegenseitig die Schuld zu, einen Geschichtsort Topf & Söhne zu be­hindern. Die Stadt stellt sich (eher passiv) auf die Sei­te des Eigentümers, weil dieser Wohn- und Ge­­werbe­flä­chen auf dem gesamten Gebiet er­rich­ten will, wovon sich die Stadt auch erhöhte Stadt­teil­attraktivität verspricht. Um die­ses Ziel auch umzusetzen, müsste die Im­mobilien­firma allerdings zuerst einmal die Haus­­besetzer/innen rausschmeißen. Nun regt sich freilich Widerstand gegen die be­vor­stehende Räumung des besetzten Hau­ses. Es gab viele (Spontan)Demonstra­tio­nen und symbolpolitische Aktionen wie „Frei­­luft­­wohnen“ auf dem Rathausplatz, ei­ne Straßenbahnparty, eine Fahrraddemo und eine Vermessungsaktion (das Rathaus und die Immobilienfirma wurden als even­tuel­le neue Räumlichkeiten vermes­sen) in Erfurt.

Auch in mehreren anderen Städten fanden Solidaritätsaktionen für das besetzte Haus statt. In Langensalza – in welchem die For­de­rungen nach einem (neuen) auto­nomen Zentrum immer lauter werden – und Wei­mar kam es zu Scheinbesetzungen, in Jena und anderen Städten zu Transparentak­tio­nen und spontanen Soli-Demos. Aktive aus dem besetzten Haus Erfurt befinden sich aus­ser­dem mit Info- und Mobilisie­rungs­ver­an­staltungen auf Rundreise in ganz Deutsch­­land, um für die große Demon­stra­tion am 22.11. zu werben. Um 13.00 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz in Erfurt heisst es dann: „Hände weg vom Besetzten Haus in Erfurt!“.

sal.bye

 

Mehr Infos unter:

topf.squat.net

haendeweg.blogsport.de

www.topf-holocaust.de

 

Ausserdem könnt ihr bis zum 29.11.08 im Veranstaltungsraum der Gießerstrasse 16 die Fotoausstellung „Über sieben Jahre Besetzung in Bildern“ besuchen.