Die emanzipierte Frau und ihr Prostitutionsdilemma

Bezahlten Sex verbieten?

Die medial geführte Schlacht der Feministinnen Ende letzten Jahres hat viele Gemüter erregt. Meines auch. Beherzt wurde dort um den legalen Status der Prostitution in Deutschland gestritten. Alle Beteiligten haben die Menschenwürde der Sexarbeiterinnen zum Ziel. Während die Einen diese durch die Bestrafung von Freiern erreichen wollen, kämpfen die Anderen für mehr Rechte der Prostituierten in ihrem Gewerbe. Diese Wege stehen sich nicht nur diametral gegenüber, sondern sind auch beide von tiefen Gräben gekennzeichnet, die das Ziel mitunter versperren.

Ein Königsweg scheint außer Sichtweite – das macht jedoch eine Bestandsaufnahme der Argumentationslinien um so spannender. Mit dem Anspruch einer differenzierten Betrachtung und dem Wunschziel, einem eigenen Standpunkt dadurch näher zu kommen, will ich die inhaltlichen Kontroversen samt Schlussfolgerungen hier nun skizzieren.

Anfang November wurde die Debatte um die Legalität von Prostitution durch einen populären Appell der EMMA (1) neu entflammt. Darin wird die seit 2002 in Deutschland legalisierte Prostitution in Frage gestellt und unter anderem die Bestrafung von Freiern gefordert. Über 10.000 Menschen und zahlreiche Prominente unterzeichneten bisher den Appell. Unter ihnen viele Politiker_innen (v.a. aus der CDU), Wissenschaftler_innen und Künstler_innen wie Heiner Geißler, Margot Käßmann, Reinhard Mey, Katja Riemann und Tatort-Kommissarin Maria Furtwängler.

Seither geistert das Thema durch Talkshows und Printmedien. Darin streiten ehemalige Zwangs- und Edelprostituierte zusammen mit ihren jeweiligen feministischen Stellvertreterinnen sowie Bordellbesitzern und Polizisten darüber, ob dieses Gesetz nun Prostituierte in ihren Rechten stärke oder zur Ausweitung von Ausbeutungsverhältnissen zwischen den Geschlechtern beitrage (2).

Die Kontroverse

An einem Pol stehen meist die freiwilligen Prostituierten zusammen mit Gegner_innen des Verbotes und Vereinen wie Doña Carmen e.V. und der deutschen Aids-Hilfe. Sie sehen durch die Legalisierung der Sexarbeit die Selbstbestimmung und Emanzipation dieser Frauen gestärkt, da sie nun nicht mehr kriminalisiert werden, unbezahlte Dienstleistungen einklagen können und auch Anspruch auf Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung haben. Am anderen Pol stehen eher diejenigen Frauen, die Erfahrungen mit Zwangsprostitution und Menschenhandel haben, zusammen mit Alice Schwarzer, den besagten Prominenten und anderen Legalisierungs-Gegner_innen. Sie kritisieren meist die patriarchale Degradierung der Frau als käufliches, frei verfügbares Objekt. Zudem berichten sie von einer starken Zunahme der Zwangsprostitution, sowie von miesen Arbeitsbedingungen und Preisdumping im florierenden Geschäft mit stetig wachsender Konkurrenz. Zwar gibt es auch ein Gesetz gegen Zwangsprostitution, allerdings ist diese meist schwer nachweis- und ermittelbar. Und zwischen diesen Polen stehen vor allem jene Frauen im Dunkeln, um die beherzt gestritten wird. Gestritten darum, zu welcher Seite sie mehrheitlich zu rechnen sind, ob sie von der Legalisierung eher profitieren oder nicht. Verlässliche Zahlen und Statistiken gibt es nicht in dem Geschäft – trotzdem werden immer wieder welche in den Raum geworfen, um den eigenen Standpunkt zu untermauern. Während Alice Schwarzer z.B. 90% der Prostituierten als Zwangsprostituierte sieht, werden von Anderen bspw. in der taz Polizeistatistiken zitiert, die einen Rückgang dieser Straftaten verzeichnen (3). Auch die Frage, wann Zwang anfängt und ob man noch von freiwilliger Prostitution sprechen kann, wenn sich eine Frau aus Armutsgründen und mangelnden Alternativen zum Verkauf ihres Körpers „frei“ entscheidet, steht zur Debatte.

Ebenso strittig sind Folgen und Wirkung der Legalisierung an sich. Hat sie wirklich zu einer Steigerung von Armuts- und Zwangsprostitution geführt, oder erscheint dies nur so, weil die Bordelle und ihre Mitarbeiterinnen nun ein viel offensichtlicherer Teil des öffentlichen Lebens sind? Sollte man Menschenhandel nicht strikt vom Sexgewerbe unterscheiden und separate Strategien verfolgen oder geht das gar nicht, weil beides einander bedingt? Und warum nutzen bisher so wenige Frauen überhaupt die Möglichkeiten der Legalisierung, z.B. im Rahmen der Sozialversicherungen? Macht das bestehende Legalisierungs-Gesetz da noch Sinn, oder müsste es nur konsequenter umgesetzt werden? Schließlich wird generell kontrovers diskutiert, ob die Illegalisierung in Form der Bestrafung der Freier überhaupt ein sinnvoller Weg sei, um die Rechte der Frauen zu stärken. Während die einen dadurch lediglich eine Verlagerung ins Hinterzimmer befürchten, welche noch miesere Arbeitsbedingungen und weniger Menschenwürde impliziert, erhoffen sich die Anderen davon einen generellen Rückgang von Prostitution und damit einen Rückgang des Zwanges den eigenen Körper zu verkaufen.

Die Kontroverse wird vor allem dadurch brisant, dass sich die beiden Positionspole im Ziel einig sind: Sie alle wollen im Grunde eine Stärkung der Menschenwürde, Selbstbestimmung und Rechte der Frauen sowie eine Verminderung der Gewalt gegen selbige. Demzufolge befürworten beide Parteien auch Präventionsarbeit, Ausstiegshilfen und Maßnahmen gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel.

Zwei Wege – ein Ziel?

Die Debatte um die Legalität von Prostitution wird voraussichtlich weitergehen. Denn auch die neue Bundesregierung will sich (wieder) damit beschäftigen und gegebenenfalls die bestehende Gesetzgebung überarbeiten. Gerade weil das Ziel unstrittig ist, die bisher vorgeschlagenen Wege dahin jedoch widersprüchlich nebeneinander stehen, fällt es mir schwer für eine der beiden Positionen zu streiten.

Im Grunde kann die Debatte auch als eine zwischen Idealismus und Realismus interpretiert werden – auch wenn die widerstreitenden Parteien dies so nicht bezeichnen würden. Auf der idealistischen Seite steht die Utopie der gleichberechtigten, emanzipierten Frau in einer Gesellschaft ohne sexuelle Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse. Dazu gehört ein moralisches Umdenken jener Männer, die sich Sex kaufen, statt auf Augenhöhe und gleichberechtigt die sexuellen Bedürfnisse mit dem Gegenüber auszuhandeln. Die EMMA und ihre Appell-Unterstützer_innen denken, dass wir dieser Utopie durch Verbot und Kriminalisierung näher kommen. Weil legalisierte Prostitution patriarchale Machtverhältnisse systemisch manifestiert. Und weil der ein oder andere Mann durch ein Verbot vor dem Weg ins Bordell dann sein Handeln hinterfragen würde. Auf der anderen „realistischen“ Seite steht ganz pragmatisch die aktuelle Verbesserung der Arbeitssituation der freiwillig Prostituierten, deren gefühlte Würde durch den legalisierten Status ihrer Tätigkeit steigt, sie die Missstände besser einklagen können und die nun auch Anspruch auf soziale Sicherung haben. Am Ende dieses Weges steht die selbstbestimmte Frau, die über die Art der Verwertung ihres Körpers selbst bestimmt. Während die Idealist_innen den Realist_innen vor allem vorwerfen, die Zwangsprostituierten aus ihrem Kampf um mehr Rechte auszuklammern bzw. das System des Menschenhandels damit zu fördern, wird ihnen umgekehrt vorgeworfen die Prostituierten pauschal als Opfer zu behandeln und ihr Recht auf Selbstbestimmung beim Verbotsdiskurs zu missachten.

Dritter Weg in Sicht?

Was lässt sich daraus für die anarchistische Sichtweise folgern? Verbote sind nicht zielführend, da sie einerseits v.a. die Sexarbeiterinnen benachteiligen und andererseits nicht dazu führen, dass Prostitution aufhört zu existieren. Sie verschwindet nur von der Oberfläche. Kleine, durch die Legalisierung manifestierte Verbesserungen für einen Teil der Prostituierten, möglicherweise auf Kosten von Anderen (der wachsenden Anzahl von Zwangsprostituierten) erscheinen hingegen auch nicht sinnvoll.

Vielleicht aber hilft die Frage weiter, inwiefern bezahlter freiwilliger Sex an sich als ein patriarchales Herrschaftsverhältnis zu betrachten ist. Auch wenn nur Wenige in der Debatte diesen Aspekt betrachten, ist ohne Zweifel klar: das Prostitutionssystem ist ein Herrschaftssystem. Und zwar ein kapitalistisches. Während der eine das Geld hat und bestimmt, ist die andere gezwungen sich dieses durch den Verkauf ihres Körpers zu beschaffen. Im Vergleich zu anderen Tätigkeiten sind jedoch die Ausbeutungsstrukturen im Sexgewerbe offensichtlicher. Oder um es mit der GWR-Journalistin Kerstin Wilhelms auszudrücken: „Prostitution ist damit die Radikalisierung und Ausstellung der ansonsten verschleierten Ausbeutungsverhältnisse im Kapitalismus“ (5). Gäbe es also ohne Kapitalismus auch keine Prostitution? Sicherlich weitaus weniger, weil die Notwendigkeit wegfiele sich das Überleben dadurch zu sichern. Denn selbst wenn einige Frauen diesen Beruf gerne ergriffen haben, so ist es dennoch eine Tätigkeit zum Zwecke des Geldverdienens. Befriedigend muss das Geschäft nur für den Kunden sein. Trotzdem greift die Formel „Kapitalismus abschaffen, dann löst sich auch das Prostitutionsproblem“ zu kurz – auch wenn sie an einen Teil der Wurzel geht. Abgesehen davon, dass sie uns wenig hilft, um die aktuelle Problemsituation zu bewältigen.

Zum Anderen ist noch der patriarchale Aspekt der Debatte zu betrachten. Hier kann – je nach Perspektive – erst einmal herzhaft gestritten werden: Dominiert der Mann die Frau bei der Bezahlung von Sex verbunden mit der Erfüllung seiner Bedürfnisse, oder ist er eigentlich „die arme Sau“, die es sich anders nicht besorgen kann? Und wäre das Problem beseitigt, wenn einfach mehr Frauen zu Bordellkundinnen würden? Welches Frauenbild wird durch die Legalisierung derzeit kolportiert: wird die Frau zum Sexualobjekt degradiert und manifestiert oder muss sie nicht vielmehr dadurch in ihrer Selbstbestimmtheit und Emanzipation endlich ernst genommen werden? Während sich an der Oberfläche widersprüchliche Perspektiven zeigen, verweist die untergründig mitschwingende patriarchale Sex-Kultur jedoch auf einen anderen Wurzelteil des Übels: Eine Frau kann nur dann zum Sexualobjekt degradiert werden, wenn Sex nicht als zweisame Erfüllung definiert wird, sondern auch als einseitige Befriedigung verstanden, gutgeheißen und verlangt wird. Das zumindest ist mit dem Bild vom „triebgesteuerten Mann“ auch kulturell tradiert. So lange also in den Köpfen diese Einbahnstraße existiert, so lange werden sich auch Menschen prostituieren (müssen) – ob als Sexarbeiterin oder als Ehefrau.

Was bleibt nun nach einer Betrachtung der verschiedenen Argumente auf der Suche nach dem richtigen Weg für mehr Menschenwürde der Sexarbeiterinnen? Mal wieder eine Landung bei der großen Utopie: weg vom Kapitalismus einhergehend mit einem Kulturwandel hin zur geteilten sexuellen Befriedigung. Damit wäre das patriarchale Herrschaftssystem Prostitution abgeschafft, ohne dass es eines Verbotsgesetzes bedarf. Zwangsprostituierte gäbe es dann auch nicht mehr und alle hätten Spaß am Sex. Nur leider geht auch das an der Debatte vorbei. Den Rahmen weiter aufzuspannen, erweitert vielleicht den Horizont der Zusammenhänge, hilft den Betroffenen aber auch nicht viel weiter im Hier und Jetzt. Den Weg vom Ziel her zu denken, hieße für mehr Menschenwürde zu argumentieren und den Befreiungskampf der Frauen, die ihren Körper derzeit verkaufen (müssen), zu unterstützen. Wie, wissen sie wohl selbst am besten.

An diesem Punkt angelangt, muss ich selbstkritisch eingestehen, dass ich auf der Suche nach Antworten aus dem real existierenden Problem nicht weiterkomme. Ihr vielleicht? Dann schreibt doch dem Feierabend! Und wir führen die Debatte weiter.

momo

(1) EMMA ist ein Frauenmagazin mit feministischen Anspruch, für das Alice Schwarzer seit 1977 als Chefredakteuren und Verlegerin zuständig ist.
(2) Zwar sind in der Prostitution nicht nur Frauen, sondern auch Männer und Transgender tätig, allerdings ist dieser Teil sehr gering im Vergleich zu den Frauen. Da die Debatte selbst aber v.a. von Feministinnen geführt wird und diese (leider) lediglich aus diesem Blickwinkel argumentieren, wird auch im Folgenden die Prostitution von Frauen im Fokus stehen.
(3) www.taz.de/Debatte-Paedophilie-und-Prostitution/!122003/;
www.taz.de/Sozialwissenschaftlerin-ueber-Prostitution/!127156/;
www.emma.de/unterzeichnen-der-appell-gegen-prostitution-311923;
www.emma.de/artikel/wo-wird-das-gewissen-abgestellt-311632
(4) Graswurzelrevolution 384 (Dez. 2013, S.8) Andere, die auch auf den kapitalistischen Zusammenhang hingewiesen haben: fuckermothers.wordpress.com/2013/12/11/sex-kriege-ein-re-post-eigentlich-hab-ich-keine-lust-auf-die-debatte/#more-3926;
antjeschrupp.com/2013/10/31/funf-thesen-zum-thema-prostitution/;
www.akweb.de/ak_s/ak589/46.htm;

Nebenwidersprüche

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