finissage industriestr. 10-clubhaus

+ + + Plagwitz. 23.09.03 Vormittags + + + Mehrere Einsatzwagen der Polizei halten vor der Industriestrasse 10. Ziel ist die Räumung des Objektes bis zum Abend des gleichen Tages + + +

Die Menschen, die bis zu diesem Zeitpunkt in der industriestr.10 wohnten, lebten und … fügen sich der Anordnung das Haus zu räumen. Grund für die Räumung war eine gefaxte Anzeige von Seiten der Hausbesitzer gegen uns, die bewohnenden Personen wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung.

Gemeinsam mit der Polizei wurde das Haus begangen, Sachschäden vermerkt und fotografiert, sowie Personalien von weiteren Leuten aufgenommen. Die Zimmer wurden nicht durchsucht.

Im Frühjahr des vergangenen Jahres bezogen die ersten Personen das schon seit längerer Zeit unbewohnte Haus. Mit der Zeit bot es für viele Menschen Raum und Zuflucht – zum Wohnen, für gelegentliche Veranstaltungen, zur Nutzung als Ateliers und musikalische, wie sportliche Übungen…

Im Laufe des Jahres 2002 gab es verschiedene Ausstellungen von Fotos, Kopien, Installationen, Texte, Getöpfertem, gemalten und digitalen Bildern, Lesungen und frischluftevents, bei denen die Besucherinnen die Möglichkeit hatten, sich kostenlos Kleider zu nehmen, bzw. ihren Überschuss an selbigen unentgeltlich abzuliefern. Die Veranstaltungen wurden immer von uns, den Bewohnenden und unserem sozialem Umfeld selbst organisiert und durchgeführt.

Ebenso haben wir uns bemüht, den Verfall des Hauses durch Feuchtigkeit provisorisch einzudämmen.

Wir selber sind aus unterschiedlichen Gründen zusammengekommen. Teils durch das soziale Umfeld und natürlich auch durch die Möglichkeit der kostenfreien Nutzung von Räumen. Wir sind teilweise in verschiedenen anderen – musikalischen/ soziokulturellen/ politischen Projekten engagiert. In den anderthalb Jahren haben wir in dem Haus weitgehend ohne Strom gewohnt – bis auf batteriebetriebene Audiogeräte. Wasser haben wir in Kanistern aus dem Keller geholt.

Die Besitzer haben rechtzeitig mitbekommen, daß das Gebäude nicht mehr leer steht. Im Frühjahr des Jahres 2002 war die LWB noch Eigentümer, verkaufte das Haus dann an zwei Personen, die es restaurieren wollten, um es gewinnträchtig weiter zu verkaufen. Von Seiten der Besitzer wurden wir geduldet und bekamen zugesichert, daß wir mindestens zwei Wochen vor einem eventuellen „Auszugstermin“ zwecks Baubeginn Bescheid bekämen. Wir haben jedoch nie etwas Schriftliches erhalten, nur die mündlichen Absprachen, auf die wir uns verließen. Dies stellte sich in der Auseinandersetzung mit grün-weiß als wichtiger Faktor dar, da eine mündliche Absprache ganz klar schwieriger nachzuweisen ist.

Es gab zwar mehrere solcher „Auszugstermine“, die sich jedoch im nachhinein als nichtig herausstellten.

howie: „Eines Tages vor ungefähr dreieinhalb Monaten bin auch ich in die I 10 eingezogen. Ich war mal wieder überrascht von einer neuen Art zu leben: In Gemeinschaft und Kreativität, um sich andere Alternativen für selbst bestimmtes Leben Schritt für Schritt aufbauen zu können, die Sinn und Zweck haben für sich und sein Leben und nicht für irgendein System um dann am Ende zu sterben und nichts ist passiert. Ich werde es auch in Zukunft vorziehen, so zu leben und nicht wie andere es meinen zu wollen. Zum Schluss noch: Ich werde nie wieder irgendwelches Geld für Wohnraum rausrücken! Wohnraum für alle! Ob friedlich oder militant, wichtig ist der Widerstand!“

Am Montag dem 22.09.03, einen Tag bevor die Polizei die Räumung aussprach, stattete sie uns ihren ersten Besuch ab. Wir luden gerade Holz für den Winter auf der Straße ab, als uns Uniformierte ansprachen und Erklärungen forderten: Sie wollten Mietverträge sehen, Personalien der angetroffenen Personen aufnehmen, sowie einen Blick ins Haus werfen. Wir – zu dem Zeitpunkt zwei Leute – zeigten uns kooperativ. Wir erzählten die Story mit der Duldung seitens der Besitzer.

Die Polizei zog ab, um unsere Angaben zu überprüfen. Sie kündigte aber schon an, das Haus zu räumen, falls festgestellt würde, daß wir uns ohne Einverständnis der Besitzer hier aufhielten.

Alles Weitere, ob die Ordnungskräfte erst beim Holzabladen, oder schon vorher zufällig auf uns aufmerksam geworden sind, und ob sie die Besitzer unter Druck setzten, um eine Anzeige gegen uns zu erreichen, ist zwar Mutmaßung, jedoch sehr wahrscheinlich.

Hieran knüpft sich auch unsere Kritik am Umgang der Stadt mit Eigentümern von Immobilien, die derartige Formen der Hausnutzung mit tragen. Diese werden selbst mit Strafanzeige bedroht und sind somit gezwungen sich gegen alternative Nutzungsformen zu entscheiden.

Während Menschen obdachlos auf der Straße leben oder zuzusehen haben wie sie die Bezahlung von Miete für (Wohn-)raum mit ihrem restlichen Leben und restlichen Lebenshaltungskosten vereinbaren können, scheint es nicht möglich, daß leerstehende Häuser zur Verfügung gestellt werden. Eher werden sie dem Verfall überlassen… Die Rechtslage in Leipzig ermöglicht es der Polizei, Wohnraum sofort zu räumen, sofern dieser nicht „rechtmäßig“ genutzt wird. Räumen heißt, die Bewohnerinnen obdachlos zu machen ohne alternative Lebens- und Wohnräume anzubieten und sie zusätzlich durch strafrechtliche Verfolgung zu belasten. Nach wie vor sind Hausbesetzungen in Leipzig möglich, solange sie nicht öffentlich gemacht werden. Sie sind jedoch illegal. Inwieweit sie antikapitalistische Praxis sind, fällt mir schwer, einzuschätzen.

Für (Wohn-)raum, wie auch für beinahe alles andere zu bezahlen, ist fast schon selbstverständlich. Hieran knüpft sich eine Kritik am Prinzip der Verwertung, nicht nur von Arbeitskraft, sondern auch an der sinnentleerten Warenproduktion.(1) Die Besetzung von (Wohn-)raum kann als praktischer Ausdruck gelten, die gegebenen Zustände zu hinterfragen und sich ihnen ein Stück weit zu verweigern. Die Möglichkeit, sich nicht mit diesen Zuständen zu arrangieren, steht allerdings nicht allen Menschen offen. Für viele Obdachlose, darunter Straßenkinder und „illegal“ eingereiste Menschen ist die Besetzung von (Wohn-) raum die Konsequenz ihrer Lebensumstände.

Auf jeden Fall kann mietfreier Raum die Möglichkeit bieten, sich mit anderen Dingen als dem Gelderwerb zu beschäftigen, und dies kann auch zu einer kapitalismuskritischen Auseinandersetzung und/oder zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst führen. Und dies ist meines Erachtens begrüßenswert.

Danke an alle Menschen die uns ihre Unterstützung, nicht nur in Form von Unterkunft, während und nach der Räumung angeboten haben!

rrr

info: weitsprung@directbox.com
(1) mehr zum lesen:
incipito 04/2002 „der blanke mythos“, incipito 07/
2003 „gegen die arbeit – für das leben“ [www.leftaction.de/incipito]
feierabend! sept.2002 „arbeit macht spaß“

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