Mindestlohn: Gutes Gewissen für nur 8,50 Euro die Stunde

Seit Anfang dieses Jahres gilt in Deutschland der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50€ pro Stunde. Für die Regierungsparteien CDU und SPD ist das Mindestlohngesetz (MiLoG) ein Ausdruck „unsere[r] Wertschätzung der Arbeit und derer, die sie leisten“ (Peter Weiß, CDU) (1) und ein Weg zur gerechten Entlohnung derselben (Andrea Nahles, SPD) (2). Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht im Mindestlohn ein Mittel, um Lohn- und Altersarmut zu verhindern, würdige Arbeitsbedingungen zu schaffen, sowie Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu fördern (3). Doch wie sieht es in der Wirklichkeit der Arbeitnehmer_innen aus?

Rechnungen der Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) zufolge stellt der Mindestlohn keine ausreichende Grundlage zur Sicherung des Lebensunterhaltes dar; der Gang zur Agentur für Arbeit jedenfalls werde durch ihn nicht verhindert (4). Außerdem ermöglicht auch ein Lohn von 8,50€ pro Stunde weder eine langfristige Lebens- bzw. Zukunftsplanung, noch bietet er den vom DGB hochgehaltenen Schutz vor Altersarmut.

Ausnahmen

Hinzu kommen die zahlreichen Ausnahmen, die den „flächendeckenden“ Mindestlohn schon vor seiner Einführung eher zum einem Flickenteppich gemacht haben. So sind folgende Menschen und Arbeitsverhältnisse vom Mindestlohn (vorübergehend) ausgenommen:

– Zeitungszusteller_innen (Sie werden bis 2018 stufenweise an den Mindestlohn angepasst.)

– Menschen unter 18 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung

– Auszubildende

– freiwillige und Pflichtpraktika im Rahmen von Ausbildung/Studium, die weniger als drei Monate dauern

– Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung (zumindest bis 2016; dann soll diese Ausnahme geprüft werden)

– 1€-Jobs, denn hierbei handele es sich nur um eine „Aufwandsentschädigung“

– bis Ende 2016 laufende Tarifverträge, in denen Löhne unterhalb des Mindestlohns vereinbart sind

– freie Mitarbeiter_innen (Selbstständige)

– Werkverträge

– Häftlinge

– nicht genau geklärt ist der Status von Bereitschafts- und Rufbereitschaftsdiensten (ausgenommen Pflegearbeit, wo der Mindestlohn auch bei diesen Diensten gilt!)

Die Länge dieser Liste spricht für sich!

Unter Minijobs versteht man Arbeitsverhältnisse, in denen die Arbeiternehmer_innen monatlich nicht mehr als 450€ verdienen. Auch für sie gilt der Mindestlohn, d.h. die monatliche Arbeitsstundenzahl muss entsprechend angepasst werden. Wichtig für Minijobbende ist die arbeitgeberseitige Aufzeichnungspflicht, die seit dem 01.01.2015 gilt: Demzufolge müssen Arbeitergeber_innen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeiten erfassen.

Umgehung des Mindestlohns

Gerade so, als würden die zahlreichen Ausnahmen den Mindestlohn nicht schon genug aushöhlen, ist das Internet voll mit Tipps und Tricks von „Expert_innen“ und Rechtsanwält_innen (!) an Arbeitgeber_innen, wie man den Mindestlohn legal umgehen kann (5).

Auch für uns ist es von Vorteil, einen Blick auf diese Taktiken zu werfen, denn nicht alle von ihnen sind legal und nicht eine einzige von ihnen sollte unbeantwortet bleiben! Die folgende Liste bietet nur eine Auswahl:

– unbezahlte Überstunden bzw. Vor- und Nachbereitungstätigkeiten (die natürlich eigentlich bezahlt werden müssen);

– (Schein-)Werkverträge oder (Schein-)Selbstständigkeit (hierbei ist es wichtig zu wissen, dass eine Umwandlung eines vorherigen festen Arbeitsverhältnisses in eine Selbstständigkeit oder einen Werkvertrag nicht erlaubt ist);

– Beschäftigung von Praktikant_innen (auch hier ist eine Umwandlung nicht erlaubt);

– vermehrte Bereitschaftsdienste;

– Senkung der Arbeitszeit, die natürlich in den allermeisten Fällen mit einer Verdichtung der Arbeitsleistung verbunden ist (hier bedarf es der ausdrücklichen Zustimmung der Arbeitnehmer_in);

– Anrechnung der Trinkgeldes (dies ist nicht zulässig, da es sich beim Trinkgeld um eine Schenkung(!) des Gastes an den/die Arbeitnehmer_in handelt);

– Verzichtserklärung des/der Arbeitnehmer_in – egal ob unterschrieben oder nicht, diese Verzichtserklärung ist ungültig! Der Mindestlohn ist unabdingbar und der/die Arbeitgeber_in hat die Differenz ebenso wie die sozialversicherungspflichtigen Abgaben nachzuzahlen!

Generell gilt, dass der/die Arbeitnehmer_in die Differenz zwischen gezahltem Lohn und Mindestlohn einklagen kann. Zusätzlich dazu und den Nachzahlungen der sozialversicherungspflichtigen Abgaben drohen bei Verstößen gegen den Mindestlohn Bußgelder von bis zu 500.000€.

Kritik am Mindestlohn

Wir halten es für äußerst wichtig, keine (versuchte) Unterwanderung des Mindestlohnes unbeantwortet zu lassen und legen jedem und jeder von euch ans Herz, für eure Rechte und euren Lohn einzustehen. Nichtsdestotrotz sehen wir den Mindestlohn weder als Allheilmittel, noch als überhaupt ein ausreichendes Mittel, um signifikante Verbesserungen zu erreichen.

Immer wieder wird die Kritik am Mindestlohngesetz laut, dass viele Punkte schon im Gesetzestext so undeutlich formuliert sind, dass sie einer Unterwanderung Tür und Tor öffnen. Hinzu kommen voraussichtlich mangelhafte Kontrollen seiner Umsetzung. Weiterhin ist es ohne Weiteres vorstellbar, dass aufgrund der generellen Abhängigkeitsverhältnisse der Arbeitnehmer_innen von den Arbeitgeber_innen, die häufig durch die Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes und mangelnder Alternativen noch verstärkt werden, Verstöße gegen das MiLoG nicht kommuniziert und der zustehende (Mindest-)Lohn nicht eingefordert wird.

Auch an der prinzipiellen Ausbeutung in kapitalistischen Verhältnissen wird das Mindestlohngesetz wenig ändern – weder für diejenigen, die ihn tatsächlich bekommen, noch überhaupt für die zahlreichen gesetzlichen Ausnahmen oder diejenigen, die um ihn geprellt werden, obwohl er ihnen zusteht.

Wir teilen die Auffassung der Genoss_innen der IWW und der Freien ArbeiterInnen-Union, dass der Mindestlohn weder eine ausreichende (geschweige denn zufriedenstellende) Grundlage des Lebensunterhaltes darstellt, noch einen Ausweg aus prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen bietet. Vor allem bedeutet er kein Ende der Ausbeutung! Und die zahlreichen Tricks, um ihn zu umgehen, zeigen, dass wir auch mit erlassenem Mindestlohngesetz für jede einzelne Verbesserung werden kämpfen müssen!

ASJ Leipzig

 

Wenn ihr weitere Fragen zum Mindestlohn an eurem Arbeitsplatz habt, ihr Umgehungstaktiken oder andere Missstände festgestellt habt und/oder für eure Rechte einstehen wollt, schreibt uns an:

leipzig@minijob.cc

Besucht uns im Internet: http://minijob.cc/

oder zu unserer Beratungs­stunde:

jeden 2. und 4. Donnerstag im Monat

19 Uhr, Libelle,

Kolonnadenstr. 19

 

(1) www.welt.de/politik/deutschland/article126480260/Bundesregierung-setzt-den-Mindestlohn-um.html

(2) www.tagesspiegel.de/politik/kompromiss-beim-mindestlohn-nahles-vier-millionen-werden-profitieren/9704414.html

(3) vgl. www.mindestlohn.de/hintergrund/argumente/

(4) www.wobblies.de/2014/12/27/850-euro-mindestlohn-hartz-iv-ist-gewiss/#more-2755

(5) www.etl-rechtsanwaelte.de/stichworte/arbeitsrecht/strategien-zur-umgehung-des-mindestlohngesetzes

www.owlaw.de/internationales-handelsrecht/3201-mindestlohn-umgehen-strategien-die-ab-2015-funktionieren/

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