BUKO30 und andere Klärungsbedürfnisse
Genau zwei Monate vor Heiligendamm fand in Leipzig der 30. Kongress der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) statt. „Die Bundeskoordination Internationalismus ist ein unabhängiger Dachverband, dem über 150 Dritte-Welt-Gruppen, entwicklungspolitische Organisationen, internationalistische Initiativen, Solidaritätsgruppen, Läden, Kampagnen und Zeitschriftenprojekte angehören. Die BUKO versteht sich als Ort linker, herrschaftskritischer Debatten und vernetzt dabei BUKO-Kampagnen und Arbeitszusammenhänge, die aus entwicklungspolitischer Mobilisierung und politischer Arbeit hervorgegangen sind. Die BUKO sucht den offenen Dialog mit anderen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen.“ (www.buko.info)
Über 100 von ca. 600 Menschen besuchte und spannende Arbeitsgruppen in den – gemäß des mehrdeutig und abstrakt gehaltenen Mottos „macht#netze“ – als Knoten gedachten Bereichen: Antimilitarismus, Feminismus, Energie, Ökonomisierung, Widerstand, unerwünschte Anschlüsse und Migration. Es gab aber z.B. auch ein Blockadetraining und die Rebel Clown Army (siehe auch S. 7), einen Stadtrundgang auf kolonialen Spuren u.v.m. Im Hintergrund sorgten die angereisten KöchInnen der Groß-Volxküche „le sabot“, die Vorbereitungsgruppe und viele HelferInnen aus Leipzig für einen fabelhaften Ablauf und eine gute Atmosphäre. Ob sich vor lauter Orga-Arbeit trotzdem ein Eindruck gewinnen ließ, was da eigentlich „an Land gezogen“ worden war? Bilder und Flugblätter einer Ausstellung zur 30jährigen Geschichte bewiesen eine Tradition internationalistischer Bewegung, die „im Osten“ eben nur marginal vorhanden ist (wie auch die sozio-politischen Kontakte). Wie auch eine gewisse Generationsspalte konnte dieses Defizit jedoch nur am Rande thematisiert werden, von jahrzehntelanger Routine war nämlich keine Spur: Der Schritt des amtierenden SprecherInnen-Rates, die Mitgliederversammlung der BUKO mit der Frage der Zeitgemäßheit ihrer Arbeitsstrukturen zu konfrontieren, indem sie geschlossen zurück traten, war nicht nur für viele „Neulinge“ überraschend und spannend zugleich. Ein neuer Rat konnte nicht gewählt werden, dennoch fand sich eine Gruppe, die nächstes Jahr den Kongress organisieren will (voraussichtlich im Ruhrgebiet). Doch zunächst zurück zum Kongress:
macht/netze
Diese Symbolik ließ sich verschiedenst füllen: Z.B. war es während der Workshop-Phasen wiederholt zu spontanen Verknüpfungen einzelner Veranstaltungen gekommen. Am Schnittpunkt „Migration und Prekarisierung“ etwa ließ sich die Notwendigkeit gemeinsamer Organisierung, aber auch analytischer Differenzierung festmachen: Prekarität als Begriff kann z.B. mitunter koloniale Realitäten in Afrika verwischen. Die Gruppen felS (für eine linke Strömung) und FIB (Flüchtlingsinitiative Brandenburg) betonten die unterschiedlichen Auswirkungen der selben kapitalistischen Mechanismen (und ihrer Geschichte) im globalen Norden und Süden. Voran geht es also nur gemeinsam, was auch die Vernetzungstreffen von Bargeldinitiativen, Zeitungsprojekten, Karawanen etc. motivierte. Viele hatten das Bedürfnis, über politische Fehler zu reflektieren und nach neuen Wegen zu suchen. Wenn etwa sicher gestellt sei, dass Geschlechterverhältnisse durchgängig thematisiert würden, kämen wohl noch mehr Leute zu den Kongressen. Damit verbindet sich auch die Forderung, allgemeine Felder wie z.B. Arbeit, Staat und Bürgerrechte etc. so zu thematisieren, dass darin unterschiedliche Erfahrungen und Handlungsmöglichkeiten sichtbar und aufeinander beziehbar werden. Der Fokus des diesjährigen Kongresses lag zwar fast zwangsläufig auf G8, aber auch auf damit verbundenen Fragen langfristiger Organisierung. Der sonst dominante Blick auf internationale Anknüpfungsmöglichkeiten konnte leider nicht scharf genug geworfen werden.
Problematisierung in der Totalen
Das weit ausgeworfene thematische Netz machte sich insgesamt jedoch auch in einer gewissen Überfülle und scheinbaren Konfliktlosigkeit bemerkbar. Auftaktpodium und die Mittelveranstaltung zur Kritik des Antisemitismus und Antiamerikanismus hätten mehr Positionsvielfalt und überhaupt mehr Partizipation vertragen können – doch woher nehmen, wenn nicht flehen? Das fragten sich sicher auch die Gruppen gegen Militarisierung, als sie am Ostersonntag zum Nato-Flughafen Leipzig-Halle marschierten und nur eine Handvoll Kongress-Teilnehmer die Extrabusse genutzt hatte, um sich diesem konkreten und zentralen Problem entgegenzustellen „Für Aktionen kam kaum wer aus dem Elfenbeinturm linker Theorie“, so eine kritische Stimme. Trotz dieser Tragödie wurden die antimilitaristischen Veranstaltungen als Erfolg gewertet, konnte doch u.a. ein internationaler Erfahrungsaustausch und eine „Schkeuditzer Erklärung“ (www.flughafen-natofrei.de) realisiert werden. Darin forderten die Friedensbewegten eine Umstellung aller militärischen auf zivile Arbeitsplätze, etwa in Form medizinischer Hilfswerke. Gegen direkte Forderungen an die Politik richtete sich wiederum die am Ende der BUKO-Mitgliederversammlung verabschiedete Replik auf ein Forderungspapier von ca. 40 NGOs (Nichtregierungsorganisationen) zum G8-Gipfel: Es ginge nicht einfach darum, ob und wie die Regierungen der G8-Staaten Zusagen machen oder einhalten. Die Nicht-Anerkennung der G8 als politisches Gremium ist der Grund dafür, dass keine Forderungen gestellt werden. In die dezentrale Zukunft wies vielleicht eine Vision, die zum Abschluss („…erst den Gipfel stürmen – und dann?“) aufkam: Ihre Vorstellung eines hohen Organisationsgrades der Bewegung wäre, so die Rednerin, dass wir uns kurz vor dem G8 entschließen, nicht mitzumachen, Heiligendamm einfach zu ignorieren.
Der lange Marsch gegen die Institutionen
Nachdem aber nun eine „aufgesetzte Gewaltdebatte“ im Anschluss an die Großdemonstration am 2. Juni in Rostock losgetreten worden war, positionierte sich die BUKO entschieden gegen den „vorauseilenden Gehorsam mancher OrganisatorInnen“ und die Verschleierung der „systematischen Aussetzung der Grundrechte, Einschüchterungen und Traumatisierungen“ durch die Polizei. „Was der Staat im Vorfeld des G8-Gipfels nicht geschafft hat – die Spaltung der Bewegung – sollten wir nun im Nachhinein nicht selbst vollstrecken.[…]Vielmehr soll kritisch und selbstkritisch diskutiert werden, wie Bündnisse in der Zukunft verlässlicher für alle funktionieren können.“ (www.buko.info)
Genau diese Punkte werden derzeit um einen Ratschlag herum diskutiert, da die Strukturen und Inhalte der Koordination der allseits prekären Situation und den daher mangelnden gemeinsamen Arbeitsinhalten angepasst werden müssen, bzw. darüber hinweg führen sollen. Dass die BUKO derzeit lange nicht so homogen und straff organisiert ist, wie etwa attac und andere NGOs, ist Ergebnis langjährigen Festhaltens am radikalen Glauben an die Bewegung „von unten“ und eigentlich positiv – es fehlt die tatkräftige Wertschätzung durch internationalistische Gruppen innerhalb oder außerhalb dieser Struktur. Die gemachten Netze sollten vor und nach Events mit „symbolischem Überschuss“, Kongressen u.ä. genutzt werden, um den Widerstand gegen globale Herrschaft wie überall aus dem Wettbewerbs-Alltag heraus gemeinsam und kontinuierlich zu organisieren – wir wollen ja auch nächsten Sommer wieder Baden gehen. Wenn also eine andere Welt möglich ist, dann jeden Tag und immer wieder die Frage: Wie ist dein Kampf mit meinem verbunden?
(Clara Liberknecht)