Schlingensief* und der Alkohol

Gedanken zum Animatographen

Was bitte ist das denn? Ein sich drehender überdimensionierter begehbarer Hühnerstall in schulsaalgroßer Blackbox, geschraubt und genagelt aus Gegenständen, die den Charme der Ab­nutzung ausstrahlen.

Eine pflichtgetreu knarrende Tür, beim Übergang vom eigentlichen Museum in diesen dunkel­kammerartigen Kasten verstärkt den Kinoeffekt. Die Augen geblendet, sticht ein beständig summender Basston hervor. Dieses Summen liegt auf einer Frequenz zwischen unangenehm und gewöhnungsmöglich.

Drinnen ist kaum Platz für zwei Menschen nebeneinander zu gehen, eine hölzerne Drehbühne nimmt fast den ganzen Raum ein. Dessen Ecken werden von altmodischen Wohnzimmersteh­lampen und Bildschirmen geschmückt. Letztere befinden sich auch unter der teils verglasten Decke des Kastens. Und aus jedem erschallen mindestens einmal in fünf Minuten tausendfach widerhallende „Heilrufe“.

Sorgsam von einem Museumswächter beäugt, inspiziert der/die Besucher/in die knapp fünf Meter im Durchschnitt messende, sich langsam um sich selbst kreisende Drehscheibe. Diese trägt eine halboffene, verwinkelt kon­struierte Hütte aus Brettern, alten Fensterrahmen, Plexiglasscheiben, knor­rigen Ästen, Styropor und Bauschaum. Einige niedrige Türchen führen zu vier Zimmerchen mit einer kleinen höher­gelegten Terrasse. Manch einer mag sich beim Betreten dieses mit Hühnerfedern übersäten Raumes an „Alice im Wunder­land“ erinnert fühlen.

Aufsteigen und mitkreisen kann man an fast allen Stellen, vor allem aber durch einen alten Wohn- oder Militärcontainer. Dieser führt auf eine kleine Leinwand zu, worauf sich recht verschwommen einige Szenen abspielen.

Insgesamt wird der Raum, wie auch die begehbare, langsam kreisende Kons­truktion von dem beständigen Summton, den überall eingestreuten Bildschirmen, und dem Stimmengewirr von den überall um einen herum laufenden Kurzfilmen dominiert.

Einer davon ist der „Hitler-Stahlin-Porno“ (tatsächlich so geschrieben), der in Leipzig schon für einigen Wirbel sorgte. Der Porno entpuppt sich als ein kleines in einen Winkel verbanntes Filmchen, in dem die beiden genannten Personen sich mit Hilfe von Sahnetorten und einer unterstützenden Frauenhand Befriedigung zu verschaffen suchen. Nur erotisch ist das dann irgend­wie doch nicht – eher mit­leid­erregend.

Fast könnte es leicht behaglich sein: auf einem der Schulstühle ausharrend ins Halbdunkel blickend, lauschend und schauend, die Füße zwischen weichen Federn, über die Aussage des Ani­mato­graphen sinnierend. Wenn, ja, wenn, mensch nicht ständig von Hitler und Heilrufen auf­geschreckt werden würde, die einen Nachgeschmack von abgestandenem Alkohol hinterlassen.

Und doch funktioniert Schlingensiefs Happening-Kunst auf gewisse Weise. Obwohl m.E. die angebliche dem Besucher auferlegte Interpretationsfreiheit nicht gegeben ist und ich mich auch nicht als Teil dieser Aktionskunst gefühlt habe.

Dennoch animiert Schlingensiefs Ani­mato­graph mit dadaistiuschen Elementen zum Zuhören, Zuschauen Aus- und Innehalten. Alt­bekannte Gegenstände bekommen mit neuen Funktionen andere Gesichter. Und er animiert zu einem explizit politischen Zwiegespräch mit sich selbst. Es geht um das letzte Jahrhundert und um das, was das Mainstreamge­dächtnis im 20. Jahr­hundert geprägt hat. Schade nur, dass sich der von mir wahrgenommene geographische Rahmen nicht über den deutschen Sprachraum hinaus erstreckt. Schade auch, dass es von zwei Diktatoren abgesehen, scheinbar so wenig aus dem letzten Jahrhundert zu verhandeln gibt.

Wer jetzt der Ansicht ist, die Autorin hätte kein Kunstverständnis mag damit richtig liegen. Wer Schlingensief begreifen will muss schon mehr machen als bloß Eindrücke zu sammeln….

Heidi Ho aus L.

Der Animatograph ist im Museum der bildenden Künste Leipzig unentgeltlich zu besichtigen.

* Christoph Schlingensief, umstrittener und gern provozierender Regisseur und Aktionskünstler, wurde am 24. 10. 1960 geboren.

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