Kamera am Kreuz – Runde 2

Da issa wieda! Der stechende Blick des Objektives, dem nichts entgeht, was so alles über’s Connewitzer Kreuz läuft, fährt, hüpft, kriecht, torkelt, randaliert und schleimt…

Was haben wir uns doch am 19. April 2000 gefreut, als endlich die Überwachungskamera nach fünfeinhalb Monaten Straßenblockaden, Polizeirepression und staatlich organisiertem Lügen abmontiert wurde! Aber warum wiederholt die Stadt ihre eigenen Fehler und installierte Mitte Mai wieder eine Überwachungskamera am Connewitzer Kreuz? Am Abend des 9. Mai machten ein paar, scheinbar nicht sehr tiefgründig denkende Menschen ihrem Ärger über eine Olympiakanditatur (nicht nur) Leipzigs Luft. Die Ergebnisse: Eingeschlagene Scheiben, herumgeschmissene Bauzäune und ein abgebrannter Bagger.

Das bewegt Leipzigs Elite bestimmt nicht dazu, ihre Olympiakanditatur zurück zu ziehen. Ganz im Gegenteil. Die Stadt nahm diesen Vorfall zum Anlass, die „Sicherheit“ in Leipzig noch mehr zu erhöhen und sich dadurch Pluspunkte beim IOC (International Olympic Committee – Internationales Olympisches Komitee) zu verschaffen. Leipzig soll eine saubere deutsche Stadt sein.

Über die Gründe, warum Olympia abzulehnen ist, wurde auch schon im Feierabend! Einiges geschrieben. Eine gute Textsammlung zum Thema ist auf der Homepage des AOK-L (Antiolympisches Komitee Leipzig) unter www.nein-zu-olympia. de zu finden.

Aber warum sind Überwachungskameras oder „Überwachung“ des öffentlichen Raumes allgemein nun so schlimm? Leider wurde in den letzten zweieinhalb Jahren nicht viel darüber diskutiert, so dass es Zeit wird, das Thema wieder aufzugreifen. Dass die Stadt Leipzig auch nur schwammige und sich widersprechende Gründe für eine Überwachung des Connewitzer Kreuzes hat, war schon vor drei Jahren klar. Als die Kamera am 3. November 1999 in Betrieb genommen wurde, hieß es, man wolle damit Vorfällen, wie den alljährlichen Silvesterkrawallen oder den vor dem Supermarkt stehenden biertrinkenden Menschen vorbeugen. Erst viel später, im Jahr 2000, war dann die Rede vom Kriminalitätsschwerpunkt. Doch wer sind nun die kriminellen Elemente, die mittels der Kamera von ihrem Tun abgehalten werden sollen? Autoknacker, Taschenräuber? Diese können es nicht sein, denn sie sind klug genug, um in andere Stadtgebiete ohne Videoüberwachung auszuweichen. Das „Symptom“ ist zwar an dieser Stelle bekämpft, die „Krankheit“ aber nicht.

Die Überwachung dient letztendlich dazu, die Connewitzer Alternativszene, die eben diese „Krankheit“ der Verwertung, des Konsums und der Ausgrenzung angreift, unter Kontrolle zu halten und möglichst spontane Aktionen gegen die kapitalistische Normalität zu verhindern.

Die Menschen werden im Blickfeld einer Kamera gezwungen, sich auf bestimmte Weise zu verhalten, da sie sich immer beobachtet fühlen. Die Kamera ist eine Art Gott-Ersatz. In früheren Jahrhunderten war das Verhalten vieler Menschen davon bestimmt, dass sie glaubten, von Gott beobachtet zu werden. Nur durch ein sittliches, gottesfürchtiges Verhalten wäre ihnen ein Platz im Paradies gesichert gewesen. Ähnliches geschieht auch in einer Überwachungsgesellschaft. Um möglichst nicht aufzufallen und angepasst zu wirken, verhalten sich die Menschen unter Beobachtung „normal“. Nur – wer sich trotz vergeblicher Versuche nicht in diese Schablone pressen kann oder will, weil sie oder er wegen sozialer Not sich zum Beispiel keine „normale“, saubere, ordentliche Kleidung kaufen kann, wird aus dem Sichtfeld der Kameras verdrängt. Die kapitalistische Friede-Freude-Eierkuchen- Welt ist wieder hergestellt. Fazit: Die Videoüberwachung beseitigt nicht die negativen Folgen der Verwertungs- und Herrschaftsgesellschaft. Diese suchen sich nur andere Wege. Minimalkonsens muss es daher sein, anstatt mehr Kameras aufzuhängen, die wirklichen Ursachen von materieller und geistiger Armut zu beseitigen, also den Kapitalismus in all seinen Erscheinungen.

dawn

Zu Überwachung und Sicherheitswahn mit dem Schwerpunkt Leipzig:
www.nadir.org/nadir/initiativ/infoladen_leipzig/camera/

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