Botschaften aus der Sonderwelt

Verschwörungstheoretiker_innen in Leipzig und anderswo

Als Verschwörungstheoretiker_in findet mensch immer einen Grund, um Angst zu haben. Wer in den letzten Monaten aufmerksam durch Leipzig-Plagwitz spazierte, konnte zum Beispiel Aufkleber finden, die vor sogenannten „Chemtrails“ warnten. Die Reaktion der meisten Passant_innen dürfte sich in einem Schulterzucken oder fragend hochgezogenen Augenbrauen erschöpft haben. Chemtrails? Was soll denn das sein? Gemeint sind damit die von Flugzeugen am Himmel hinterlassenen Kondensstreifen. Für Verschwörungsgläubige ist das aber nicht einfach nur Wasserdampf, vielmehr mei­nen sie, die Flugzeuge würden dabei giftige Chemikalien in die Atmosphäre versprühen. Wer sowas macht und wozu, bleibt unklar, die Antwort kann sich jede_r selbst ausdenken. Die CIA liegt jedenfalls auf der Liste potentieller Verantwortlicher ziemlich weit vorn, wahlweise will sie damit entweder die Weltbevölkerung dezimieren oder unser Bewusstsein auf subtile Art manipulieren.

Die Wahrheitsbewegung

Ein weiterer beliebter Aufhänger für Verschwörungstheorien ist der 11. September. Die „Wahrheit“ über den 11. September zu verbreiten (also die Behauptung, dass wahrscheinlich auch daran die CIA schuld ist), hat sich z.B. die Leipziger Filmproduktionsfirma NuoViso zur Aufgabe gemacht. Sie tut dies etwa in dem Film „Unter falscher Flagge“, der auf der NuoViso-Website (1) so beworben wird: „Während die Amerikaner verhält­nismäßig schnell mit gefälschten Beweisen zuerst Afghanistan und später den Irak angreifen, wächst der Zweifel an der offiziellen Version des 11. September. Was unmittelbar nach den Anschlägen an Spekulationen im Internet kursierte, galt bisher als wilde Verschwörungstheorie. Doch die Indizien und sogar Beweise zeichnen ein deutliches Bild. Die offizielle Version der Regierung(en) und der Medien kann einfach nicht stimmen.“

Mit einer entsprechend paranoiden Optik lassen sich die Fakten natürlich so sortieren, dass sie am Ende der eigenen Überzeugung entsprechen, hinter allem würde eine gigantische Verschwörung stecken. Diese Überzeugung steht in jedem Fall am Ursprung aller Überlegungen – die (schein-)rationalen Begründungen werden dann hinterhergeschoben. Der Verschwö­rungsglaube bildet so ein geschlossenes, selbstimmunisierendes Gedankensystem: Da die „Mainstream-Medien“ (also alle, die nicht dem Verschwörungsglauben folgen) ohnehin manipuliert sind, erscheint jede sachliche Kritik am eigenen Weltbild als Bestätigung. Dieses paranoide Denken ist die ideologische Klammer des bunt zusammengewürfelten, im Grenzbereich von Politik und Esoterik angesiedelten Programms von NuoViso, bei dem man über die „Weltelite“ der Freimaurer ebenso „informiert“ wird wie über Kornkreise und den Amoklauf von Winnenden.

NuoViso ist Teil der „Wahrheitsbewe­gung“, einer deutschlandweiten Szene von Verschwörungstheoretiker_innen, die sich in regionalen „Stammtischen“ organisieren und ihre Weltsicht über Blogs wie Schall und Rauch, Infokrieg usw. verbreiten. Mit im Boot sitzt dabei auch der ehemalige konkret– und Junge-Welt-Autor und Gründer einer „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“, Jürgen Elsässer. An einem von NuoViso am 15. August 2009 in Leipzig veranstalteten „Geopolitik-Treffen“ nahm Elsässer als Referent teil. Rund 500 Gäste waren dabei. Ein Artikel auf der NuoViso-Website (2) lobt die allgemeine Einigkeit: „Die Talkrunde mit allen Referenten des Geopolitik-Treffens in Leipzig kam etwas ungewöhnlich daher. Anders als gewohnt, bekam man hier Geschlossenheit und Einigkeit zu hören. Keinen Schlagabtausch von Meinungen, sondern Fazits, die jeder nachvollziehen kann. Kein Streit, sondern Aktion. Aktionen, die es umzusetzen gilt in den nächsten Wochen, Monaten.“ Wo die „Wahr­heitssucher“ unter sich sind, wollen sie eben keine Kritik, sondern Bestätigung. Das wechselseitige Schulterklopfen gefiel wohl auch Herrn Elsässer. Bei dieser Talkrunde erklärte er, man dürfe sich „nicht auseinander dividieren lassen in Politische und Spirituelle“, also in politisch und anderweitig Verwirrte.

Verwirrte Christen

Aber nicht nur „Chemtrails“ und 9/11 treiben Verschwörungsgläubige um. Auch hinter den Schutzimpfungen gegen Schweinegrippe vermutet man die Weltverschwörung. „Wenig bekannte Infos zum Thema Schweinegrippe-Pandemie“ verspricht z.B. ein (ebenfalls im Leipziger Südwesten gefundenes) Flugblatt. Mit der „Information“ ist es nicht weit her, die wirre Anhäufung von Zitaten suggeriert nur, dass die Anti-Grippe-Impfungen weit gefährlicher seien als die Grippe selbst und alles Teil eines perfiden Plans sei. Richtig ist daran bloß, dass die Schweinegrippe tatsächlich nicht sehr gefährlich ist und die Einstufung als „Pandemie“ nur auf der schnellen Verbreitung der Grippe über Ländergrenzen hinweg beruht.

Der Großteil der zitierten „Experten“ sind einschlägig bekannte Verschwörungstheo­re­tiker_innen, so z.B. das ehemalige RAF-Mitglied Gerhard Wisnewski. So weit, so banal: Sich eifrig gegenseitig zu zitieren, um die eigenen Behauptungen plausibler zu machen, ist gängige Praxis in diesen Krei­sen. Als Herausgeber des Flugblatts fir­miert eine ominöse Anti-Genozid-Bewegung (AGB). Das macht stutzig: Ein Ge­no­zid von wem, an wem und warum? Ein Blick in´s Internet steigert die Verwirrung noch. Auf der entsprechenden Website findet mensch zunächst allerlei Berichte von Anti-Überwachungs-Demonstratio­nen. Vor allem die RFID-Technologie (3) macht den AGB-Anhän­ger_innen Angst. RFID und Grippeimp­fungen – wie passt das zusammen?

Diese Fragen lassen sich rasch klären. Die Anti-Genozid-Bewegung ist ein Ableger der Organischen Christus-Generation, einer vom Laienprediger Ivo Sasek gegründeten christlichen Splittergruppe, die vor allem in der Schweiz, aber auch in Österreich und Deutschland aktiv ist. Das besondere Interesse dieser Gruppe an neuen Überwachungstechnologien beruht dabei auf einer recht seltsamen Bibelin­ter­pretation. In den kleinen RFID-Chips, die auch unter die Haut transplantiert werden können, meinen sie nämlich das „Zeichen des Tieres“ wiederzuerkennen, über das die Offenbarung des Johannes (Kapitel 13, Vers 16-17) sagt: „Und es [das große Tier] macht, dass die Kleinen und Großen, die Reichen und Armen, die Freien und Knechte allesamt sich ein Malzeichen geben an ihre rechte Hand oder an ihre Stirn, dass niemand kaufen oder verkaufen kann, er habe denn das Malzeichen (…)“.

Diese Idee geht bei christlichen Funda­mentalist_innen schon länger um. Aber selbst in diesem von grassierendem Schwachsinn geprägten Milieu fällt der Verfolgungswahn der AGB-Anhän­ger_in­nen aus dem Rahmen. Denn während die meisten Apokalyptiker davon ausgehen, dass beim „letzten Gefecht“ zwischen Gut und Böse alle anderen vernichtet werden, sieht die AGB die RFID-Technik als Vorzeichen eines geplanten Massenmordes an den Christen. In einem unter dem Titel „Vorsätzlicher Genozid“ auf der AGB-Website veröffentlichten Pamphlet erklärt Oberguru Sasek: „Hinter all dieser gegenwärtigen Terrorbekämpfung im Namen der internationalen Sicherheit bildet sich unmerklich ein neues globales Netz des Terrors und des Genozids gegen uns Christen. (…) im Namen der Weltsicherheit wird man uns demnächst weltweit jedes Existenzrecht und jede Sicherheit entziehen. Denn gerade jetzt ist die neue Weltherrschaft da­bei, das Netz der globalen Einheit fertig zu knüpfen (…).“

Kurz gesagt will die satanische „neu­e Weltherrschaft“ allen Leuten RFID-Chips einpflanzen, und zwar genau an der Stirn und der rech­­ten Hand. Wenn das gelingt, sei alles zu spät, meint Sasek: „Jetzt gerade ist noch die Zeit da, wo viele Menschen dem kom­­­­men­den Chip­­­sys­tem skeptisch gegenüberstehen (…) In kürzester Zeit wird dieser Zwischenraum aber nicht mehr vorhanden sein. Dann verhält es sich wie bei der Homosexualität, der Pädophilie usw.: Wenn man nicht rechtzeitig radikal dagegen aufsteht, die Dinge im Keim erstickt (…), dann gewöhnt sich der Mensch an die neuen abartigen Wege.“ Nebenbei gesagt, ist Sasek nicht nur homophob, sondern auch frauenfeindlich und ein Befür­worter der Prügelstrafe bei Kindern. Letzteres scheint eigentlich überflüssig: Bei dem Weltbild braucht es keine Schläge, um Kindern schwere Schäden zuzufügen.

Es passt ins Bild, dass NuoViso-Macher Frank Höfer auch auf der im März 2009 in der Schweiz stattfindenden „Anti-Zensur-Konferenz“ zu Gast war, wo er seinen Film „Kriegsversprechen“ präsentierte (der sich, wie könnte es anders sein, mit dem 11. September befasst). Die Konferenz wurde von der Anti-Zensur-Koalition organisiert, einem weiteren Ableger der Organischen Christus-Generation. Die Anti-Zensur-Koalition gibt auch eine eigene „Anti-Zensur-Zeitung“ heraus, in der haupt­­sächlich von Webseiten wie Infokrieg über­nommene Nachrichten verwurstet werden.

Planlose Piraten

Da RFID-Chips nun ein Werkzeug des Bösen sind, ist es kein Wunder, dass die verwirrten Christen auch bei Anti-Überwachungs-Demonstrationen auftauchen, z.B. im März 2008 in Köln. Dort war die Anti-Genozid-Bewegung mit etwa 500 Leuten vor Ort, die mit Bussen aus allen Himmelsrichtungen herangekarrt wurden – damit stellte sie etwa ein Viertel der Demonstrations-teilnehmer_innen (4). Auch bei einem von der Piratenpartei organisierten „Fest der Informationsverbreitung“ am 1. Mai 2009 in Dresden beteiligte sich die AGB, ebenso wie die Verschwörungstheoretiker_innen vom Infokrieg, mit einem Stand. Ein Problem sahen die sächsischen Piraten darin offenbar nicht – dass man auch gegen Zensur sein kann, ohne deswegen gleich jedem Nonsens eine Plattform bieten zu müssen, müssen sie wohl erst noch lernen.

An Problembewusstsein scheint es jeden­falls noch zu mangeln, wenn in Diskus­sions­foren der Piratenpartei diskutiert wird, ob mensch nicht die AGB-Argumentation (RFID-Chips = „das Zeichen des Tieres“) übernehmen sollte, um Christen zu überzeugen (5). Dass die Piratenpartei noch einiges an internem Klärungsbedarf hat, zeigte schon der „Fall Bodo Thiesen“. In einer Forumsdiskussion hatte Thiesen u.a. erklärt: „Solange der Holocaust als gesetzlich vorgeschriebene Tatsache besteht, sehe ich keine Möglichkeit, diesen neutral zu beschreiben. Zur Erinnerung an vergangene Zeiten. Es gab auch mal andere Doktrinen, z. B. die ´Tatsache´, dass die Erde eine Scheibe sei.“ In einer anderen Forumsdiskussion (6) bestritt Thiesen die deutsche Kriegsschuld und empfahl als Lektüre u.a. Bücher des antisemitischen Verschwörungstheo­retikers Jan van Helsing. Trotz der deswegen laut werdenden Kritik wurde Thiesen der Posten des stellvertretenden Parteirichters anvertraut, erst als die Empörung immer größere Wellen schlug, wurde ein Ausschlussverfahren eingeleitet.

Als Verfechter_innen von Meinungs- und Informationsfreiheit haben die Piraten also noch viel zu lernen. Zum Beispiel, dass der Wert einer Meinung oder Information sich eben an Tatsachen bemißt. Alles andere würde die Meinungsfreiheit ad absurdum führen. Diesen Sprung ins Absurde, in eine Überzeugung, die von keiner Realität ins Wanken gebracht werden kann, haben die Verschwörungs­theore­tiker_innen schon vollzogen. Nicht nur für Mitglieder der Piratenpartei empfiehlt es sich also, die Augen offenzuhalten – nicht um nach Kondensstreifen am Himmel zu suchen, sondern um wild­gewor­dene Paranoiker rechtzeitig zu erkennen.

(justus)

 

(1) nuoviso.tv/dokumentationen/

(2) www.nuoviso.tv/nuoviso-news/

(3) RFID ist eine Abkürzung für radio frequency identification. RFID-Chips sind u.a. in den neuen Reisepässen zu finden, jeder Chip ist durch einen einmaligen Zahlencode gekennzeichnet und auch auf Entfernung auslesbar.

(4) de.indymedia.org/2008/03/211343.shtml.

(5) forum.piraten­partei.de/viewto­pic.php?f=1&t=4656&start=0

(6) de.nntp2http.com/soc/zensur/2003/02/432ae336845b72213a05ed8e­683a75­ed.html

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